Konservative verehrten ihn, die Avantgarde lehnte ihn ab, Hitler sammelte seine Werke – Franz von Defreggers Schaffen polarisiert bis heute. Die Sonderausstellung wirft einen neuen Blick auf den als „Bauernmaler“ verschrienen Künstler und zeigt neben bekannten Hauptwerken viele Arbeiten des „unbekannten Defregger“: Aktdarstellungen, Porträts von Menschen aus fremden Kulturen und impressionistisch anmutende Landschaften. Diese überraschenden Bilder werden in dessen 100. Todesjahr herausragenden Künstlern der Moderne gegenübergestellt.
Österreich | Innsbruck: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
11.12.2020 – 11.4.2021
Franz von Defregger (1835–1921) gehörte als einer der „Münchner Malerfürsten“ zu den erfolgreichsten Kunstschaffenden um 1900. Heute ist seine öffentliche Wahrnehmung unterschiedlich: Während seine Kunst in Österreich, in Bayern und vor allem in Tirol populär ist und immer noch identitätsstiftend wirkt, ist er international dem breiten Publikum kaum mehr bekannt und wird vom Kunstgeschichtsbetrieb seit Jahrzehnten nahezu ignoriert. Die Sonderausstellung im Ferdinandeum bewertet sein Schaffen neu: zwischen Moderne und Tradition, Identität und Image, Mythos und Missbrauch.
In den 1870er- und 1880er-Jahren war Defregger einer der Superstars unter deutschsprachigen Kunstschaffenden (→ Salonmalerei). Seine akademisch „feingemalten“ Szenen aus dem Tiroler Freiheitskampf, die seinen Ruhm begründeten, und seine Porträts von mythenhaften Helden wie Andreas Hofer oder kantigen Burschen und alten Charakterköpfen sowie lieblichen „Dirndln“ und stolzen Bauersfrauen wurden als fortschrittlich wahrgenommen.
Das änderte sich jedoch in den Jahren nach 1900, als seine Kunst zunehmend als zu akademisch-konservativ und bieder-reaktionär galt. Die ewig gleichen Motive aus dem bäuerlich-alpinen Milieu führten dazu, dass seine Werke noch vor dem Ersten Weltkrieg wieder aus dem Kunstkanon verschwanden. Defregger war immer mehr als gefälliger „Bauernmaler“ verschrien – eine Auffassung, die sich bis heute in der Kunstgeschichtsschreibung fortsetzt, die seine Werke jedoch nicht minder beliebt bei einem breiteren Publikum macht.
Die Sonderausstellung im Ferdinandeum führt erstmals seit Jahrzehnten viele der bekannten Hauptwerke aus Europa und den USA zusammen, setzt sie in Beziehung zur Moderne und verdeutlicht damit, wie innovativ viele von Defreggers Werken sind. Erstmals werden sie etwa mit Fragen zu Identität und Geschlechterrollen sowie zur Ökonomisierung der Kunst durch die Reproduktionsindustrie konfrontiert.
Außerdem wird die politische Aufladung seiner Historiengemälde und deren posthume missbräuchliche Rezeption im Nationalsozialismus thematisiert, ebenso der Blick des Städters auf die ländliche Lebensweise, Tracht und Architektur. Im Heimatfilm der Nachkriegszeit lebten Defreggers Motive weiter fort, auch der boomende Tourismus wird zum Thema. All das unterstreicht die Einbindung seiner Werke in Phänomene der Moderne.
Die erstmals umfassend ausgestellten Werke des „unbekannten Defregger“, die sich größtenteils noch immer in Familienbesitz befinden, setzen diese Neubewertung seiner Kunst fort. Seine unbekannte Seite offenbart sich in Motiven, die man eigentlich nicht mit ihm verbinden würde. Darunter finden sich zum Beispiel Aktdarstellungen, die in ihrer Freizügigkeit und Erotik verblüffen, oder Bildnisse von Menschen aus anderen Kulturen, die mit großer Detailgenauigkeit und hoher Sensibilität gemalt sind.
Außerdem zeigen die Arbeiten, welch ein brillanter Kolorist und technisch versierter Maler Defregger war. Entscheidend war dafür ein Paris-Aufenthalt in den Jahren 1863 bis 1865, der einen lebenslangen Einfluss auf sein künstlerisches Schaffen hatte – was sich vor allem in seinen privaten Bildern, weniger im öffentlichen Gesamtwerk widerspiegelte. Anders als die in akademischer Malweise ausgeführten Kassenschlager überrascht sein privates Werk durch einen freien, offenen Pinselstrich, der eine intensive Rezeption der Schule von Barbizon voraussetzt.
Gegenüberstellungen mit herausragenden Werken der wichtigsten Vertreter dieser Kunstströmung wie Gustave Courbet oder Jean-François Millet, von akademiekritischen Malern wie Wilhelm Leibl und Mathias Schmid sowie von einigen der bedeutendsten Künstler der Moderne wie Vincent van Gogh, dem Defregger-Schüler Lovis Corinth, Ernst Ludwig Kirchner oder Heinrich Campendonk ergeben spannende Einblicke.
Dass Defreggers Gemälde einst sogar global gehandelt wurden, wurde bisher kaum thematisiert. Noch heute befinden sich mehrere Dutzend seiner Werke in amerikanischen Museen und Privatsammlungen. Mit seinem frühen Hauptwerk „Das Preispferd“ von 1873 kommt das bedeutendste noch in den USA befindliche Gemälde des Künstlers in die Sonderausstellung nach Innsbruck.
Früher besaßen auch berühmte Sammler wie der Medien-Tycoon William Randolph Hearst Hauptwerke. Diese wurden später oft von den Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten angekauft – in seinem Fall das Gemälde „Ankunft auf dem Tanzboden“, das in der Sonderausstellung zu sehen ist. Sogar der einst reichste Mann der Welt, der New Yorker Eisenbahn-Magnat William Henry Vanderbilt, gab 1881 ein Gemälde bei Defregger in Auftrag. Lange war dieses verschollen, in der Sonderausstellung ist es erstmals öffentlich zu sehen.
Kuratiert von Peter Scholz, Angelika Irgens-Defregger und Helmut Hess.
Mit Beiträgen von Simone Egger, Helmut Hess, Gitta Ho, Christoph Hölz, Joseph Imorde, Angelika Irgens-Defregger, Sigrid Ruby, Georg Seeßlen, Peter Scholz und Birgit Schwarz
Hirmer Verlag