Joseph Stielers „Ludwig van Beethoven mit dem Manuskript der Missa solemnis“ (Beethoven-Haus Bonn) vom Beginn des Jahres 1820 ist das berühmtesten Porträt Ludwig van Beethovens, das während der Lebzeiten des Komponisten und Musikers entstand. Es zeigt den aus Bonn stammenden Komponisten im Alter von 49 Jahren und etwa sieben Jahre vor dessen Tod, mit visionärem Blick an der Partitur der großen Messe arbeitend. Der Kopf ist leicht gesenkt, die Lippen fest geschlossen, die grauen, lockigen Haare umspielen den Kopf wie eine Löwenmähne. Hinter dem Komponisten sind Bäume und Pflanzen zu erkennen, was den Naturbezug Beethovens verdeutlichen soll. Fand der Komponist Inspiration für eine Messe in der Natur? Wohl eher nicht. Vielmehr spielt Joseph Stieler hiermit auf die weithin bekannte Arbeitsmethode Beethovens an, während des Spazierengehens Gedanken zu spinnen und Lösungen für kompositorische Probleme zu finden. Am 24. April 1820 zum ersten Mal ausgestellt, wurde Stielers Beethoven-Porträt zur häufig reproduzierten Ikone der Beethoven-Ikonografie.
Deutschland | Bonn: Bundeskunsthalle Bonn
17.12.2019 – 26.4.2020
Ab 27.4.2020 wieder im Beethoven-Haus, Bonn
Ludwig van Beethoven ließ sich nicht gerne malen, doch für seine Freunde, die Familie Brentano, machte er eine Ausnahme. Ende 1819 und Anfang 1820 traf er sich vermehrt mit Joseph Stieler, der offenbar kostenlos das Bildnis des berühmten Komponisten anfertigte, das er im Herbst 1820 auf der Kunstausstellung der Wiener Akademie präsentierte. Da Stieler das Beethoven-Porträt selbst behalten wollte, malte er für Franz und Antonie Brentano eine zweite Fassung. Stieler hatte den Bankier und Großkaufmann Franz Brentano bereits in Frankfurt a. M. kennengelernt und das Ehepaar wie auch dessen Tochter Josefa Ludovica 1808 in Öl gemalt. Als sich die Brentanos ein Porträt von Beethoven wünschten, griffen sie auf den von ihnen bereits geschätzten Porträtisten aus München zurück.
In den Konversationsheften Beethovens finden sich Eintragungen, welche den Entstehungsprozess des Bildes nachzeichnen lassen. Silke Bettermann sieht den Beginn an der Arbeit Anfang Februar, vermutlich den 11. Februar 1820, in Stielers Atelier oder Wohnung. Bei diesem Treffen arbeitete der Maler an der Pose des Komponisten und den Lichteinfall der Komposition. In einer kleinformatigen Ölskizze führte Stieler seine erste Idee kursorisch und mit offenem Pinselstrich aus. In dieser Fassung lässt sich bereits die Anlage des Bildes mit dem Naturausschnitt sowie dem Lichteinfall links erkennen. Stieler lässt Beethoven in dessen grauen Hausmantel auftreten, wobei der markant rote Schal wohl eine Zugabe des Künstlers ist. Eine der wichtigsten Veränderungen, die Stieler vermutlich erst während der Arbeit an dem Porträt entwickelte, ist der Blick des Komponisten. So ließ er ihn mit erhobenem Blick als inspirierten, nachdenkenden Künstler erscheinen, während die Ölskizze den arbeitenden, schreibenden Beethoven mit gesenktem Blick zeigt. Dem Geschick des Malers ist es auch zu verdanken, dass sich Beethoven überhaupt genug Zeit für die Porträtsitzungen nahm. Das in Lasur-Technik ausgeführte Bildnis entstand in Schichten, die trocknen mussten, bevor die nächste aufgetragen werden konnte. Dies erforderte mehrere Sitzungen, weshalb Stielers Einträge im Konversationsheft im März 1820 dringlicher klingen. In vermutlich vier Treffen zwischen Februar und Anfang bis Mitte April 1820 dürfte das Bildnis weitgehend fertiggestellt worden sein. Dennoch ist anzunehmen, dass etwa die eigentümlich glatten Hände des Komponisten eine Erfindung des Malers sind.
Die Arbeit an dem Porträt Beethovens war am 9. oder 10. April 1820 soweit gediehen, dass Stieler und Beethoven sich über die Frage der Beschriftung des Notenblattes in der Hand des Komponisten unterhalten konnten. Beide hatten sich zuvor schon für das Credo der Missa solemnis op. 123 entscheiden. Die Beschriftung im Bild folgt der authentischen Angabe Beethovens im Konversationsheft. Die Vollendung kann mit 20. April 1820 fixiert werden, stellte Joseph Stieler das Beethoven-Porträt doch ab 24. April äußerst erfolgreich auf der Frühjahrsausstellung der Wiener Akademie aus.1 Stieler präsentierte neben dem Beethoven-Porträt noch weitere fünf Bildnisse und wurde daraufhin zum Ehrenmitglied der Wiener Akademie ernannt. Zum Erfolgsgaranten zählte, so Silke Bettermann, Stielers Entscheidung, „Beethoven […] idealisiert und als inspirierte Persönlichkeit in einer eigenen Welt zu zeigen“2.
Wie schon eingangs angeführt, zeichnet sich das Beethoven-Porträt Joseph Stielers durch mehrere markante Eigenheiten aus. Der nahsichtige Porträtierte füllt nahezu die gesamte Leinwand, wobei der enge Bildausschnitt ihn als alles beherrschenden Heroen inszeniert. Der Blick wirkt wildentschlossen, die Lippen sind fest aufeinandergepresst, eine leichte Falte an der Nasenwurzel könnte auf die angestrengte Denkarbeit mit zusammengezogenen Augenbrauen hinweisen. Die den Kopf wild umspielende Löwenmähne in Grau belebt das Erscheinungsbild, wie der weiße Kragen und das rote Tuch um den Hals. Die legere Kleidung, zu der auch der dunkle Morgenmantel gehört, erinnert, so Bettermann an berühmte Vorbilder von Friedrich Schiller oder Johann Joachim Winckelmann. Die Augen liegen unter den buschigen Brauen fast im Schatten, Stirnfalten und Dreitagesbart sind nur leicht angedeutet, die Wangen gerötet. Ideal und Wirklichkeit treffen sich in dieser visuellen Beschreibung, sind doch die Pockennarben Beethovens kaum zu erahnen. Man mag in diesen Gesichtszügen Entschlossenheit entdecken, jene „Genialität“, die Zeitgenossen in Ludwig van Beethoven entdeckten, und die den Komponisten gleichsam in unbekannte Höhen vordringen ließ. Das Ziel der geistigen Arbeit wird im Porträt ebenfalls genannt, ein Musikstück, an dem Beethoven sehr lange arbeitete, der Missa solemnis.
Erst im Lauf der Arbeit an dem Porträt entschied sich Joseph Stieler, seinen Protagonisten gen Himmel blicken zu lassen. Dies könnte von weiteren berühmten Komponisten-Porträts mitbeeinflusst worden sein. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Joseph-Siffred Duplessis Bildnis Christoph Willibald Glucks (1775, Kunsthistorisches Museum, Wien) und Elisabeth Louise Vigée Le Bruns Porträt Giovanni Paisellos (1791).
Einer der Gründe, warum Joseph Stieler das Beethoven-Porträt kopierte und sich selbst die Erstfassung behielt, dürfte zum einen an der Berühmtheit seines Modells gelegen haben wie auch an der für gelungen erachteten „Porträtähnlichkeit“. Beethoven selbst dürfte das Bildnis sehr geschätzt haben, zumal einige ihm nahestehende Personen ihm bescheinigten, dass sowohl Körper wie auch Geist gut eingefangen worden wären.
1826 ließ Stieler eine Lithografie nach den Beethoven-Porträt anfertigen, die der Komponist an Freunde verschenkte. Die Druckgrafik schuf Joseph Anton Selb (1784–1832) unter Verwendung einer Zeichnung von Stielers Neffen Friedrich Dürck; der Verleger war Matthias Artaria in Wien. Das Stieler-Porträt Beethovens wurde so berühmt, dass es bereits im frühen 19. Jahrhundert das Bild des Komponisten prägte. So schuf Carl Ludwig Hofmeister einen Ranftbecher mit dem Bildnis Beethovens nach Stieler (1837); und Andy Warhol „verarbeitete“ es noch 1986/87 zu einer „Beethoven-Ikone“.
Die Souvenirindustrie tat ihres, um das Stieler-Porträt weltweit zu verbreiten. Mit den unzähligen (Teil)Reproduktionen auf Kaffeetassen, Notizbüchern, Untersetzern und dergleichen bleiben sowohl das Bildnis wie auch sein Modell im allgemeinen Gedächtnis präsent. Der Maler hingegen ist weniger präsent, nimmt aber als Schöpfer des berühmtesten Beethoven-Bildes einen gewichtigen Platz in der Etablierung des Beethoven-Mythos ein.
Joseph Stieler entlieh das Beethoven-Porträt Ende 1830er oder Anfang 1840er Jahre für eine Ausstellung in Braunschweig. Da das Bildnis im Zuge dieser Schau beschädigt wurde, erhielt Stieler eine Kopie des Werks und 72 Ducaten Entschädigung von den Veranstaltern. Das Original verblieb in Braunschweig, es wurde repariert (Riss im Bereich von Beethoven linkem Ärmel) und ging bei einer Verlosung an den Kammerbaumeister Wilhelm Spohr. Dieser vererbte es an seine Tochter Rosalie, verheiratete Gräfin Sauerma (1829–1918).
Bereits 1907 bot Gräfin Sauerma das Beethoven-Porträt des Beethoven-Haus Bonn zum Kauf an. Da das Haus im frühen 20. Jahrhundert den Erwerb nicht abschloss, ging das Bildnis des berühmten Komponisten 1909 an Henri Hinrichsen. Dieser besaß den Musikverlag C.F. Peters in Leipzig. Während der NS-Zeit wurde Hinrichsen aufgrund seiner jüdischen Abstammung verfolgt, enteignet und schließlich ermordet. Sein Beethoven-Porträt fand Eingang in die Sammlung des Museum der Bildenden Künste in Leipzig. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten die Erben von Henri Hinrichsen, seine Söhne Max und Walter, das Werk zurück. Während der 1960er Jahre wurde bekannt, dass das Gemälde in der Zwischenzeit nach Chicago gelangt war. Seit 1981 befindet sich das Beethoven-Porträt im Besitz des Beethoven-Hauses in Bonn.
Joseph Stieler (1781–1858) war ein deutscher Maler des Klassizismus und der Romantik, von dem etwa 500 Gemälde überliefert sind. Heute ist Joseph Stieler bekannt für die Schönheiten-Galerie in Schloss Nymphenburg wie den Staatsporträts der bayerischen Könige Maximilian I. Joseph und Ludwig I., seine Porträts von Dichtern und Gelehrten wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich-Wilhelm von Schelling, Friedrich Schiller, Alexander von Humboldt und vielen weiteren mehr.
Der 1781 in Mainz geborene Joseph Kaspar Stieler war der Sohn des Münzgraveurs August Friedrich Stieler (1736–1789) und studierte zwischen 1800 und 1805 bei Heinrich Füger in Wien.3 Danach arbeitete er in Warschau und Krakau (ab 1805) und setzte zwischen 1807 und 1808 seine Ausbildung in Paris bei Francois Gérard (1770–1837) fort. Danach lebte Stieler in Frankfurt am Main (1808/09). Dort arbeitete er erfolgreich als Porträtist und schuf Altarbilder. Das italienische Licht zog Joseph Stieler 1809 in Richtung Süden.
Ab 1812 hielt sich Joseph Stieler in München auf, wo er sowohl für Maximilian I. Joseph und Ludwig I. arbeitete – wie auch für die Habsburger in Wien. Er schuf Porträts der Prinzessinnen von Bayern, die wie Nymphen auf einer Lichtung tanzen, ein aufgeklärtes Bildnis des Monarchen als ersten Beamten des Staates (am Arbeitstisch sitzend, mit für ihn wichtigen Texten). Zwischen 1816 und Herbst 1820 hielt sich Stieler in Auftrag der bayerischen Königsfamilie in Wien auf, wo er Kaiser Franz I. und Kaiserin Caroline Auguste porträtierte. Die am französischen Klassizismus geschulte Porträtkunst Stielers erfreute sich auch in Wien größter Beliebtheit. Am Ende seines Wiener Aufenthalts malte er im Auftrag des Ehepaars Brentano Ludwig van Beethoven.
Ende 1820 wurde Joseph Stieler zum bayerischen Hofmaler ernannt und malte sowohl von Maximilian I. Joseph wie auch Ludwig I. repräsentative Porträts im Kronornat. Für den König entstand auch 1828 das Bildnis von Johann Wolfgang von Goethe, das neben dem Beethoven-Bildnis von 1820 wohl zu den berühmtesten Werken Stielers zählt. Mit Goethe verband Stieler fortan eine Freundschaft, so diskutierten sie Goethes Farbenlehre miteinander.
1848 stellte Joseph Stieler auf der Münchner Kunstausstellung ein Porträt seiner Tochter Ottilie (1830–1913) aus. Er zeigt sie im weißen Kleid und großen Strohhut im Garten seines Hauses am Tegernsee, im Sonnenschein, weich modelliert. Heute zählt er zu den bekanntesten Werken des Münchner Malers. Seit etwa 1830 hatte sich in München de Freilichtmalerei durchzusetzen begonnen, und Stieler reagierte in seinem Spätwerk darauf.