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Wien | Kunsthistorisches Museum: Beethoven „Beethoven bewegt” als Hommage an den Komponisten

Guido van der Werve, Nummer acht, everything is going to be alright, 2007, Golf of Bothnia FI, 2007, 16mm to HD Edition of 7 and 2 artist's proofs Duration: 10:10 minutes

Guido van der Werve, Nummer acht, everything is going to be alright, 2007, Golf of Bothnia FI, 2007, 16mm to HD Edition of 7 and 2 artist's proofs Duration: 10:10 minutes

Schon zu Lebzeiten wurde Ludwig van Beethoven (1770–1827) gehört und bewundert, ungebrochen zieht sich die Auseinandersetzung mit ihm und seinem Werk bis heute. Noch immer gilt er als meistgespielter Komponist der Welt. Die aktuelle Ausstellung „Beethoven bewegt“ im Kunsthistorischen Museum, Wien, entstand in Kooperation mit dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde und widmet sich dem Bonner Meister zum 250. Geburtstag in einer gänzlich neuen Art und Weise.

Symphonische Kontraste

Vier Räume – starke Kontraste wie Symphoniesätze – sorgen für abrupte Stimmungswechsel und spannen ein assoziatives Netz. Einige Werke wie Jorinde Voigts (*1977) Zyklus „Ludwig van Beethoven Sonate 1 bis 32“ wurden 2012 mit Hinblick auf die Kunst Beethovens geschaffen, andere wie Francisco de Goyas (1746–1828) „Los Caprichos“ von 1799 berühren das Tongenie und dessen Werk nur am Rande. Gemälde stehen neben Druckgrafik, Zeichnung neben Fotografie, Skulpturen neben Videoinstallation. Jedoch: alle werden sie miteinander in Beziehung gebracht, treten ferner in einen Dialog von außergewöhnlicher Schönheit.

Die Tatsache, dass sich in der Ausstellung kein einziges Objekt aus dem Bestand des Kunsthistorischen Museums findet, erlaubte dem vierköpfigen Kuratorenteam - Andreas Kugler, Jasper Sharp, Andreas Zimmermann und Stefan Weppelmann - eine offensichtliche Freiheit in der Gestaltung und der Ausführung der Schau.

„Museen sind Orte der Fantasie, es sind Laboratorien der Gedankenverbindung, es sind Möglichkeiten Anschlüsse aufzunehmen und weiterzuführen. Es sind Momente möglich der Selbstvergewisserung, der Korrektur, der Erinnerung, der Innovation“,

betont Andreas Kugler bei der Pressekonferenz. Beethoven bewegt ist diesem Gedanken verpflichtet. Es ist keine Bestandsaufnahme der Beethoven-Rezeption, sondern vielmehr deren Fortführung - eine Reflexion über Beethoven, dessen Musik und ihre Wirkung, ohne an einen der beiden fest gebunden zu sein.

Beethoven rückwärts

Die Einleitung der Schau erfolgte bereits während dem Corona-Lockdown: Rund um Ostern, als es am Maria-Theresien-Platz vor dem Museum gespenstisch still geworden war, begleitete ein musikalischer Gruß von Ayse Erkmen (*1949) die Passanten: „esile rüf“ liest und spielt - unschwer erkennbar – Beethovens „Für Elise“ rückwärts. Neue Muster offenbaren sich dabei, das harmonische Konstrukt bleibt bestehen. Das Neue im Altbekannten beschreibt auch Beethovens lebenslange Suche. Klang und Stille bilden daher nicht umsonst den roten Faden der Ausstellung.

Schon an der Haupttreppe empfängt die Besucher*innen John Baldessaris (1931–2020) monumentales „Opus #132 – Beethoven´s Trumpet (with Ear)“ (2007). Ein Werk, das vor allem dieses Jahr aus keiner Beethoven-Ausstellung mehr wegzudenken ist.

Kraft und Verletzlichkeit im weißen Sakralraum

Die eigentliche Schau findet sich aber dann erst in den vier Räumen im ersten Stock. Zu Beginn ist das Kunsthistorische Museum durch eine weiße Ellipse nahezu sakral entrückt. Auguste Rodins „Ehernes Zeitalter“ (1877) und Rebecca Horns von der Decke hängender Konzertflügel „Concert for Anarchy“ (2006) verdeutlichen Kraft und Verletzlichkeit, Aufbruch und Scheitern in gleichem Maße. Der Raum gehört dem virtuosen Genie, Beethoven am Klavier. Seine 32 Klaviersonaten sind von Jorinde Voigt in Grafiken verarbeitet worden.

Stille und Dunkelheit

Als Überleitung in den zweiten Raum dient eine Arbeit von Idris Khan (*1978) „Struggling to Hear…. After Ludwig van Beethovens Sonatas“ von 2005. Überdimensional lässt das geschwärzte Notenblatt die Beethovens beginnende Ertaubung als leises Rauschen erfahrbar werden. Eine Stille, die sich im zweiten Raum zur gespenstisch dunklen Atmosphäre verdichtet. An der Wand: das ikonische Heiligenstädter Testament Beethovens, erhöht in der Mitte: der Fußboden aus dem Sterbezimmer des Komponisten.

Intim ist die Stimmung, der leeren Fußboden und die Innenräume im Schwarzspanierhaus bieten Flächen zur Aneignung (Brand & Barozzi: Fotografien von Beethovens letzter Wohnung; 1903). Ein Hörrohr Beethovens korrespondiert mit Grafik-Zyklus „Los Caprichos“ des ebenfalls ertaubten Francisco de Goya, auf der anderen Wand hinterfragt Anselm Kiefer (* 1945) mit „Über uns der gestirnte Himmel, in uns das moralische Gesetz“ (1969–2010) die deutsche Identität.

Natur und Religion – der Wille zur Moderne

Der Künstler, von der Aufklärung beflügelt, ist das Thema des dritten Saales. Beflügelt von einer naturreligiösen Begeisterung zeigt sich hier ein anderer Beethoven: ein Prometheus, ein Eisbrecher –visualisiert in der Videoinstallation „Nummer acht (Everything is going to be alright)“ von Guido van der Werve (*1977)

Die Wände sind blau, der Boden verspiegelt, der Künstler neu in die Welt geworfen. Sieben Gemälde von Caspar David Friedrich und Skizzenbücher von William Turner schaffen neue Verbindungen zu Beethovens Noten-Autografen (u.a. Egmont Ouvertüre; Schlusschor der 9. Symphonie; Eroica). Es ist die Gleichzeitigkeit, die hier offenbar wird, der künstlerische Wille nach neuen Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich (Klang-)Farbe und Komposition.

Raum hören

Leer präsentiert sich der vierte und letzte Raum. Die Besucher und Besucherinnen sind wieder in der Gegenwart angekommen. Eine unterschiedliche Anzahl von Performer und Performerinnen intonieren Melodiefetzen aus Beethovens bekanntesten Werken. Tino Sehgal (*1976) hat unter dem Titel „This Joy“ sechs Kompositionen des Bonners für Stimme arrangiert, die Tonfolgen sind Armen, Beinen, Schultern und Kopf zugeordnet oder - als Orchester - dem ganzen Körper.

Nachdem zuerst Beethovens Musik, danach sein Schicksal und anschließend sein Schaffen bewegten, ist es nun der Mensch, auf den und durch den Beethovens Musik wirkt.

Beethoven bewegt

Soweit die Maschen des weitgespannten assoziativen Netzes der Schau auch auseinanderliegen, Beethoven selbst bildet den Kitt dazwischen. Seine Musik, auch in Form von Autografen, als Werk, das immer wieder neu belebt werden muss, hält die Vielfalt und Vielstimmigkeit der Ausstellung zusammen und führt von einem Kontrast zum nächsten. Die Anordnung und Gliederung der Säle mag auf den ersten Blick klischeehaft wirken, doch letztendlich muss auch jeder und jede Einzelne bewegt sein, denn im Moment der Berührung mit Beethovens Musik tritt jede Vorbildung und jedes Wissens zurück hinter die Unmittelbarkeit der Kunsterfahrung. Ihr Erfolg: die persönliche Empfindung.

Ausgestellte Künstlerinnen und Künstler

Auguste Rodin, Rebecca Horn, Jan Cossiers, Caspar David Friedrich, Anselm Kiefer, Francisco de Goya, Jorinde Voigt, Tino Sehgal, Guido van der Werve, Idris Khan, William Turner, John Baldessari

Beethoven im KHM 2020: Bilder

  • Auguste Rodin, L'Age d'airain (Das Eherne Zeitalter), 1880, Gips, 184 x 62 cm (MuMa Le Havre / Charles Maslard)
  • Rebecca Horn, Concert for Anarchy, 1990, Klavier, Hydraulikzylinder, Kompressor, 150 x 106 x 155 cm (Photographer: Attilio Maranzano, © 2019: Rebecca Horn / VG Bild Kunst)
  • Jan Cossiers, Prometheus, 1636–1638, Öl auf Leinwand, 182 x 113 cm, (Photographic Archive. Museo Nacional del Prado. Madrid)
  • Caspar David Friedrich, Abendlicher Wolkenhimmel, 1824, Öl auf Leinwand, 12,5 x 21,2 cm (Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll)
  • Anselm Kiefer, Über uns der gestirnte Himmel, in uns das moralische Gesetz, 1969–2010 (Foto (S/W) auf Papier mit Übermalungen, 63 x 83,2 cm, ARTIST ROOMS National Galleries of Scotland and Tate)
  • Francisco José de Goya y Lucientes, Los Caprichos: Buen Viage - Glückliche Reise, 1799, Radierung, Aquatinta, 21,5 x 15,1 cm (Albertina, Wien)
  • Jorinde Voigt, Ludwig van Beethoven/ Sonate Nr. 14 (Opus 27, Nr. 2) „Moonlight“, 2012, Tinte, Bleistift auf Papier, 86,5 x 140 cm © Jorinde Voigt, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
  • Guido van der Werve, Nummer Acht, everything is going to be alright, 2007, 16-mm-Film, auf Video übertragen, 10:10 min © Guido van der Werve; Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York
  • Idris Khan, Struggling to Hear… After Ludwig van Beethoven Sonatas, 2005, Lambda C-Print auf Aluminiumplatte, 258 x 192 x 5 cm © Idris Khan
  • Joseph Mallord William Turner, Fire at the Grand Storehouse of the Tower of London, 1841, Aquarell, 23,5 x 32,5 cm (Photo © Tate)
  • John Baldessari, Beethoven’s Trumpet (with Ear) Opus # 133, 2007, Harz, Fiberglas, Bronze, Aluminium, Elektronik, L. 179 cm, B. 110 cm, H. 42 cm (Ohr); L. 224 cm, B. 130 cm (Rohr) (Foto Timo Ohler, © John Baldessari Courtesy of the artist, Sprüth Magers and Beyer Projects)

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Andreas Maurer
Andreas Maurer arbeitet für Ö1 und SWR, für die er jüngst u.a. das Radiokolleg zum 250. Geburtstag Ludwig von Beethovens gestaltete. Der Sänger, Sprecher und Chorleiter studierte Gesang und Kunstgeschichte an der Universität Wien.