Guido van der Werve, Nummer acht, everything is going to be alright, 2007, Golf of Bothnia FI, 2007, 16mm to HD Edition of 7 and 2 artist's proofs Duration: 10:10 minutes
Schon zu Lebzeiten wurde Ludwig van Beethoven (1770–1827) gehört und bewundert, ungebrochen zieht sich die Auseinandersetzung mit ihm und seinem Werk bis heute. Noch immer gilt er als meistgespielter Komponist der Welt. Die aktuelle Ausstellung „Beethoven bewegt“ im Kunsthistorischen Museum, Wien, entstand in Kooperation mit dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde und widmet sich dem Bonner Meister zum 250. Geburtstag in einer gänzlich neuen Art und Weise.
Österreich | Wien: Kunsthistorisches Museum
29.9.2020 – 24.1.2021
Vier Räume – starke Kontraste wie Symphoniesätze – sorgen für abrupte Stimmungswechsel und spannen ein assoziatives Netz. Einige Werke wie Jorinde Voigts (*1977) Zyklus „Ludwig van Beethoven Sonate 1 bis 32“ wurden 2012 mit Hinblick auf die Kunst Beethovens geschaffen, andere wie Francisco de Goyas (1746–1828) „Los Caprichos“ von 1799 berühren das Tongenie und dessen Werk nur am Rande. Gemälde stehen neben Druckgrafik, Zeichnung neben Fotografie, Skulpturen neben Videoinstallation. Jedoch: alle werden sie miteinander in Beziehung gebracht, treten ferner in einen Dialog von außergewöhnlicher Schönheit.
Die Tatsache, dass sich in der Ausstellung kein einziges Objekt aus dem Bestand des Kunsthistorischen Museums findet, erlaubte dem vierköpfigen Kuratorenteam - Andreas Kugler, Jasper Sharp, Andreas Zimmermann und Stefan Weppelmann - eine offensichtliche Freiheit in der Gestaltung und der Ausführung der Schau.
„Museen sind Orte der Fantasie, es sind Laboratorien der Gedankenverbindung, es sind Möglichkeiten Anschlüsse aufzunehmen und weiterzuführen. Es sind Momente möglich der Selbstvergewisserung, der Korrektur, der Erinnerung, der Innovation“,
betont Andreas Kugler bei der Pressekonferenz. Beethoven bewegt ist diesem Gedanken verpflichtet. Es ist keine Bestandsaufnahme der Beethoven-Rezeption, sondern vielmehr deren Fortführung - eine Reflexion über Beethoven, dessen Musik und ihre Wirkung, ohne an einen der beiden fest gebunden zu sein.
Die Einleitung der Schau erfolgte bereits während dem Corona-Lockdown: Rund um Ostern, als es am Maria-Theresien-Platz vor dem Museum gespenstisch still geworden war, begleitete ein musikalischer Gruß von Ayse Erkmen (*1949) die Passanten: „esile rüf“ liest und spielt - unschwer erkennbar – Beethovens „Für Elise“ rückwärts. Neue Muster offenbaren sich dabei, das harmonische Konstrukt bleibt bestehen. Das Neue im Altbekannten beschreibt auch Beethovens lebenslange Suche. Klang und Stille bilden daher nicht umsonst den roten Faden der Ausstellung.
Schon an der Haupttreppe empfängt die Besucher*innen John Baldessaris (1931–2020) monumentales „Opus #132 – Beethoven´s Trumpet (with Ear)“ (2007). Ein Werk, das vor allem dieses Jahr aus keiner Beethoven-Ausstellung mehr wegzudenken ist.
Die eigentliche Schau findet sich aber dann erst in den vier Räumen im ersten Stock. Zu Beginn ist das Kunsthistorische Museum durch eine weiße Ellipse nahezu sakral entrückt. Auguste Rodins „Ehernes Zeitalter“ (1877) und Rebecca Horns von der Decke hängender Konzertflügel „Concert for Anarchy“ (2006) verdeutlichen Kraft und Verletzlichkeit, Aufbruch und Scheitern in gleichem Maße. Der Raum gehört dem virtuosen Genie, Beethoven am Klavier. Seine 32 Klaviersonaten sind von Jorinde Voigt in Grafiken verarbeitet worden.
Als Überleitung in den zweiten Raum dient eine Arbeit von Idris Khan (*1978) „Struggling to Hear…. After Ludwig van Beethovens Sonatas“ von 2005. Überdimensional lässt das geschwärzte Notenblatt die Beethovens beginnende Ertaubung als leises Rauschen erfahrbar werden. Eine Stille, die sich im zweiten Raum zur gespenstisch dunklen Atmosphäre verdichtet. An der Wand: das ikonische Heiligenstädter Testament Beethovens, erhöht in der Mitte: der Fußboden aus dem Sterbezimmer des Komponisten.
Intim ist die Stimmung, der leeren Fußboden und die Innenräume im Schwarzspanierhaus bieten Flächen zur Aneignung (Brand & Barozzi: Fotografien von Beethovens letzter Wohnung; 1903). Ein Hörrohr Beethovens korrespondiert mit Grafik-Zyklus „Los Caprichos“ des ebenfalls ertaubten Francisco de Goya, auf der anderen Wand hinterfragt Anselm Kiefer (* 1945) mit „Über uns der gestirnte Himmel, in uns das moralische Gesetz“ (1969–2010) die deutsche Identität.
Der Künstler, von der Aufklärung beflügelt, ist das Thema des dritten Saales. Beflügelt von einer naturreligiösen Begeisterung zeigt sich hier ein anderer Beethoven: ein Prometheus, ein Eisbrecher –visualisiert in der Videoinstallation „Nummer acht (Everything is going to be alright)“ von Guido van der Werve (*1977)
Die Wände sind blau, der Boden verspiegelt, der Künstler neu in die Welt geworfen. Sieben Gemälde von Caspar David Friedrich und Skizzenbücher von William Turner schaffen neue Verbindungen zu Beethovens Noten-Autografen (u.a. Egmont Ouvertüre; Schlusschor der 9. Symphonie; Eroica). Es ist die Gleichzeitigkeit, die hier offenbar wird, der künstlerische Wille nach neuen Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich (Klang-)Farbe und Komposition.
Leer präsentiert sich der vierte und letzte Raum. Die Besucher und Besucherinnen sind wieder in der Gegenwart angekommen. Eine unterschiedliche Anzahl von Performer und Performerinnen intonieren Melodiefetzen aus Beethovens bekanntesten Werken. Tino Sehgal (*1976) hat unter dem Titel „This Joy“ sechs Kompositionen des Bonners für Stimme arrangiert, die Tonfolgen sind Armen, Beinen, Schultern und Kopf zugeordnet oder - als Orchester - dem ganzen Körper.
Nachdem zuerst Beethovens Musik, danach sein Schicksal und anschließend sein Schaffen bewegten, ist es nun der Mensch, auf den und durch den Beethovens Musik wirkt.
Soweit die Maschen des weitgespannten assoziativen Netzes der Schau auch auseinanderliegen, Beethoven selbst bildet den Kitt dazwischen. Seine Musik, auch in Form von Autografen, als Werk, das immer wieder neu belebt werden muss, hält die Vielfalt und Vielstimmigkeit der Ausstellung zusammen und führt von einem Kontrast zum nächsten. Die Anordnung und Gliederung der Säle mag auf den ersten Blick klischeehaft wirken, doch letztendlich muss auch jeder und jede Einzelne bewegt sein, denn im Moment der Berührung mit Beethovens Musik tritt jede Vorbildung und jedes Wissens zurück hinter die Unmittelbarkeit der Kunsterfahrung. Ihr Erfolg: die persönliche Empfindung.
Auguste Rodin, Rebecca Horn, Jan Cossiers, Caspar David Friedrich, Anselm Kiefer, Francisco de Goya, Jorinde Voigt, Tino Sehgal, Guido van der Werve, Idris Khan, William Turner, John Baldessari