Wer dem „Genie“ von Michelangelo Buonarroti (1475–1564) nahekommen möchte, möge sich mit seiner Zeichenkunst beschäftigen, empfiehlt das Metropolitan Museum, New York. Hier zeigt sich seine ungebrochene Innovationskraft, sein Kunstverständnis, seine Erfindungen über die Gattungsgrenzen hinaus. Wie bereits sein Zeitgenosse und Landsmann Giorgio Vasari (1511–1574) erkannte, verbindet die Zeichnung alle Kunstgattungen, die in der Renaissance durch den paragone geteilt wurden. Gleichzeitig verstand es der „Vater der Kunstgeschichte“, mit dem disegno [Zeichnung, Entwurf] sowohl die Art der Ausführung auf Basis der Linie wie auch das Konzept zu beschreiben. Die Kreativität von Michelangelo als Bildhauer, Maler und Architekt zu präsentieren, kann außerhalb Italiens ebenfalls nur als Zeichner gelingen, zu weit verstreut und in Form von Fresken und Gebäuden immobil sind seine Werke. Schon zu seinen Lebzeiten wurden Zeichnungen zunehmend als authentische, persönliche Formen des Ausdrucks wertgeschätzt und gesammelt.
USA | New York City: The Metropolitan Museum of Art
13.11.2017 – 12.2.2018
#MetMichelangelo
Im Alter von 41 Jahren wurde Michelangelo von dem italienischen Dichter Ludovico Ariost erstmals als „il divino [der Göttliche]“ gepriesen. Als der göttliche Bildhauer 1564 verstarb, war er ein wohlhabender, berühmter Mann im hohen Alter. Eine Reihe von Biografien waren ihm schon zu Lebzeiten gewidmet worden (Condivi, Vasari). Einige seiner Skulpturen – wie der „David“ und die „Nacht“ – inspirierten unzählige Generationen von Künstlern nach ihm. Wenn sich auch Michelangelo selbst hauptsächlich als Bildhauer sah, so wurde er weitestgehend als disegnatore, als Zeichner und Entwerfer, bekannt.
133 Zeichnungen mehr als 200 Werke aus 50 öffentlichen und privaten Sammlungen in Europa und den USA. Dazu das älteste erhaltene Gemälde von Michelangelo, drei Marmorskulpturen und ein Architekturmodell aus Holz einige Werke von seinen Lehrern, Mitarbeitern, Schülern sowie anderen Künstlern sowie antike Skulpturen, an denen er sich schulte, sind ausgestellt.
Während Michelangelo und seine Biografen die Bedeutung seiner Ausbildung in der Werkstatt von Ghirlandaio (1487–1490/91) herunterspielen, haben Untersuchungen der letzten Jahre wichtige Verbindungen zu seinen Vorläufern gezeigt. Die Werkstätten der Ghirlandaio-Brüder, von Andrea del Verrocchio und den Brüdern Antonio und Piero del Pollaiuolo waren stimulierende Orte, an denen allerdings auch Rivalität, professionelles Networking, geteiltes Wissen, effiziente Arbeitsteilung, hohe Produktivität und beeindruckende technische Entwicklung zu finden waren. Kurzum, Michelangelo konnte weitaus mehr von den Brüdern Ghirlandaio lernen, als zu malen.
Domenico Ghirlandaio war einer der profiliertesten Zeichner seiner Generation in Florenz. Er nutzte Metallstift, schwarze Kreide, Feder und Tinte. Kopf- und Draperiestudien wie auch Kompositionsskizzen zeigen den hohen technischen Standard des Meisters: Das New Yorker Museum zeigt u.a. einen Karton für einen „Frauenkopf“ der Tornaboni Kapelle (1489, Chatsworth, Settlement Trustees, Duke of Devonshire Collection) sowie eine „Draperiestudie einer stehenden Figur“ (1485–1490, Uffizien). Michelangelo, wie auch sein Jugendfreund Francesco Granacci, konnten in Ghirlandaios Werkstatt eine Vielzahl von Zeichentechniken lernen, genauso wie Tempera- und Freskomalerei. Dazu gehörte auch die Vorgangsweise, wie ein Bild komponiert wurde.
Dass sich der junge Michelangelo an berühmten Vorbildern wie auch Martin Schongauer (um 1435/50–1491) schulte, zeigt sein ältestes erhaltenes Gemälde, die „Versuchung des hl. Antonius“ (um 1487/88, Kimbell Art Museum, Fort Worth), das er nach einem Kupferstich malte (um 1470, Washington, National Gallery of Art). Giorgio Vasari überlieferte, dass der junge Michelangelo Werke von Giotto, Masaccio und Donatello studiert hat. Im Metropolitan Museum sind vier Zeichnungen ausgestellt, die diese Behauptung stützen und das Jugendwerk von Michelangelo darstellen: Er kopierte zwischen 1486 und 1495 nach Fresken von Giotto in der Peruzzi Kapelle in Santa Croce (Louvre) und besonders häufig nach Figurenerfindungen von Masaccio (Staatliche Graphische Sammlung, München; Albertina, Wien; Louvre).
Michelangelo empfand sich selbst als Marmorbildhauer. Neben seiner Ausbildung als Maler lässt sich beobachten, wie er in seinen Zeichnungen die Dreidimensionalität der Formen besonders herausarbeitete. Im Garten von Lorenzo de‘ Medici konnte er antike Skulpturen und das Werk Donatellos studieren. Um 1490/91, so berichten zeitgenössische Biografen, hatte ihn sein Freund Francesco Granacci dem mächtigen Kunstmäzen vorgestellt. Der ehemalige Schüler Donatellos, Bertoldo di Giovanni, pflegte den Skulpturengarten, in dem die hochgepriesene Sammlung antiker Werke und Renaissanceskulpturen aufgestellt war.
Michelangelo schuf die Marmorstatue „Junger Bogenschütze“ in den späten 1490ern. Im Vergleich mit Werken der Antike wie Bertoldo – „Orpheus“ und ein Kopf eines „Satyr“ (beide 1490, Museo Nazionale del Bargello) – zeigen, in welchem Umkreis sich Michelangelo bewegte. Der „junge Bogenschütze“ ist eine der frühesten eigenständigen Skulpturen des später so berühmten Künstlers und zeigt, wie dieser schon als Fünfzehnjähriger innovativ arbeitete. Wenn auch Michelangelo noch nicht gänzlich Herr der Figur wurde, so lässt sie bereits erahnen, dass er den Marmor als „lebendiges Fleisch“ erscheinen lassen wollte. Diese Lektion hatte er von römischen und hellenistischen Skulpturen – wie dem „Schlafenden Eros“ (Metropolitan Museum) – gelernt. Die Drehbewegung dürfte er von Bertoldo übernommen haben.
Wenig bekannt ist, dass Michelangelo vor seinen ersten großen Arbeiten eine Reihe von Entwürfen für private Andachtsbilder schuf. Im Metropolitan Museum ist eine Skizze für eine Madonna mit Kind-Darstellung aus dem Kupferstichkabinett in Berlin (1495–1500) zu sehen, die kompositionell auf der „Madonna di sedia“ (nicht ausgestellt) beruht. Sie inspirierte einen Künstler aus dem Umkreis von Michelangelo zu einer „Madonna mit Kind und hl. Johannesknaben“ (um 1500, The Samuel H. Kress Foundation, New York) – vielleicht den geheimnisvollen, aus Ferrara stammenden Piero d’Argenta. Bereits in jungen Jahren übte Michelangelo (überregionalen) Einfluss auf andere Künstler aus. Im Vergleich zu seinem Nachfolger gestaltete der Bildhauer, der kurz vor 1500 mit der „Pietà“ seinen Durchbruch feierte, die Körper monumental und bildfüllend.
Michelangelos Begegnungen mit Artefakten des antiken Rom (1496–1500) nährten seine Ambitionen, sich in großformatigen Arbeiten zu versuchen. Kurz nach 1500 konnte er im Rahmen von zwei Aufträgen diesem Bedürfnis Rechnung tragen. Er gestaltete ab 1501 den „David“ und erhielt nach dessen Fertigstellung den Auftrag für die „Schlacht von Cascina“. Das Gemälde sollte eine Wand in der großen Ratshalle im Palazzo della Signoria schmücken. Damit befand sich der 29-Jährige ab Sommer 1504 im direkten Wettbewerb mit dem älteren Leonardo da Vinci, der mit der „Schlacht von Anghiari“ beauftragt worden war. Wenn auch die beiden Maler Kartons vorbereiteten, so wurde das Projekt zwischen 1506 und 1508 ad acta gelegt. Keiner dieser Kartons überlebte, gemeinsam bezeichnete sie Benvenuto Cellini jedoch als „Schule der Welt“.
War der „David“ noch ruhig stehend konzipiert (→ Michelangelo Bounarroti: David), so wandte sich Michelangelo in der „Schlacht von Cascina“ dem bewegten Männerakt zu. Die um 1540 angefertigte Kopie von Aristotile da Sangallo zeigt zwar nur den zentralen Teil des Freskos (oder Kartons), doch wählte Michelangelo die Historie bewusst, um halbnackt Badende in mannigfaltigsten Posen und Ausdrücken unterzubringen (Norfolk, Collection of the Earl of Leicester, Holkham Hall). Vasaris Beschreibung der Darstellung zufolge waren unter anderem auch trommelnde Soldaten sowie eine Reiterszene zu sehen. Zum einen arbeitete Michelangelo nach lebenden Modellen, zum anderen studierte er auch dreidimensionale Ton- oder Wachsmodelle. Wie die Zeichnungen belegen, war ihm die anatomische Korrektheit und das Herausarbeiten und detaillierte Durchgestalten der Muskelpakete besonders wichtig. Um 1503 änderte er die Strichführung in seinen Zeichnungen, sie wurden geschwungen, gehen ineinander über und überströmen den Körper in ununterbrochenen Fluss. Damit verbindet Michelangelo die einzelnen Kompartimente der Körper besser, gleichzeitig versetzt er die Körper in Bewegung (dynamisch und in der Umrisslinie).
Zwei herausfordernde Projekte sind direkt mit dem päpstlichen Auftraggeber verbunden: die Freskierung der Decke der Sixtinischen Kapelle und der Entwurf für das Julius-Grabmal. Letzteres wurde erst im Februar 1545 abgeschlossen und begleitete Michelangelo quasi von seinen ersten Meisterwerken in seine späte Zeit. Sein Arbeitsverhältnis zum willensstarken und jähzornigen Papst Julius II. stellte sich als das schwierigste aber auch fruchtbare heraus.
Zwischen Frühjahr 1505 und 1520 bis 1525 arbeitete der Bildhauer am Gesamtkonzept bzw. den Entwürfen für die Figuren des Julius-Grabmals. Ursprünglich sollte das monumentale Grabmal – mit 40 Statuen – im sogenannten Nikolauschor von Alt-St.-Peter aufgestellt werden. Mit Begeisterung fuhr Michelangelo nach Carrara, um Marmorblöcke auszuwählen. Als er jedoch wieder zurückkahm, musste er erfahren, dass Bramante mit dem Bau von Neu-St.-Peter beauftragt worden war. Erst zwischen 1532 und 1545 kam es zur Fertigstellung des Grabmals und dessen Aufstellung im rechten Querschiff von San Pietro in Vincoli.
Die Blätter haben unterschiedlichste Funktionen, die von der Präsentation für den Auftraggeber [modello] bis zur Studie reichen. Die 1505/06 zu datierende Federzeichnung aus dem Metropolitan Museum zeigt einen frühen Entwurf – höchst präzise wiedergegeben und sorgfältig ausformuliert.1 Eine Studie für einen sitzenden Propheten aus dem Louvre hingegen wirkt schnell hingeworfen und dürfte im kreativen Prozess entstanden sein. In der „Studie für einen jungen Sklaven“ (1513) aus dem Musée des Beaux-Arts de Paris konzentrierte er sich hingegen auf die Beschreibung der Muskulatur, was ein lebendes Modell (oder zumindest einen Écorché) voraussetzt.
Die Deckenfresken der Sixtinia führte Michelangelo zwischen Mai/Spätsommer 1508 und 1512 aus. Piermatteo D'Amelia hatte 1481/82 die Tonnenwölbung mit einem Sternenhimmel bemalt, den Michelangelo umgestalten sollte. Das Sonett „An Giovani da Pistoia“ (Casa Buonarroti) zeigt eine Karikatur des Künstlers, wie er den zweiten Teil der Fresken (1508–1512) stehend malt. Wie auch für das Julius-Grabmal sah der Künstler ein Konzept vor, das auf Figuren in einem architektonischen Rahmen präsentiert. Während dieser fünfjährigen Kampagne müssen unzählige Zeichnungen und Skizzen entstanden sein. Heute sind noch zwei Skizzen vom Gesamtentwurf der Decke erhalten – eine im British Museum, London, eine zweite im Detroit Institute of Arts. Sie zeigen, wie Michelangelo sich an die große Aufgabe langsam herantastete: Zuerst dachte er über die architektonische Rahmung aus illusionistisch gemaltem, weißen Marmor nach, in die er dann seine Figuren in Rötel oder Kohle einfügte. Dafür zeichnete er nach lebenden Modellen, Ton- oder Wachsmodellen: Propheten und Sibyllen, sitzende Ignudi [athletische, junge Männerakte], illusionistische Bronzemedaillen mit Darstellungen der Rettung des jüdischen Volkes von Gefahren, das Buch Genesis bis Mose. An den Seitenwänden noch die Vorfahren Christi in der Reihenfolge, in der sie von Matthäus aufgezählt werden. Alle Zeichnungen zeigen, wie sorgfältige Michelangelo die Figuren vorbereitet hat. Jedes einzelne Detail der Körper – Hände, Beine, Knie, Gesichtszüge – und auch der Draperien wurden präzise studiert.
Obwohl Michelangelos Vertrag ihm ausdrücklich verbot, an anderen Projekten gleichzeitig zu arbeiten, nahm er 1514 den Auftrag für einen marmornen „Auferstandenen Christus“ für die Kirche Santa Maria sopra Minerva an. Eine einzige Zeichnung dazu hat sich in einer New Yorker Privatsammlung erhalten.
Michelangelo garantierte zwei folgenden Medici-Päpsten per Vertrag, dass er ausschließlich für sie arbeiten wurde: Leo X. (1513) und dessen Cousin Clemens VII (1523). Diese Päpste beauftragten ihn als Bildhauer-Architekten und realisierten vier ambitionierte Projekte in der Basilica von San Lorenzo mit ihm. San Lorenzo war die Pfarrkirche der Medici und ihre traditionelle Grabstätte in Florenz. Michelangelo wurde anfangs mit Entwürfen für die Fassade beauftragt (nie realisiert). 1519 begann er die Neue Sakristei für die Medici-Grabmäler zu errichten. Ein großes Team an Assistenten führten das meiste der architektonischen Elemente des Inneren aus. Nahezu gleichzeitig entwarf er auch die Biblioteca Laurenziana mit dem Vestibül. Sakristei und Bibliothek blieben beide unvollendet bis zu Michelangelos Abreise von Florenz im Jahr 1534. Mit der Verbindung von Architektur, Skulptur und plastischen Elementen schuf er ein Modell für kommende Generationen.
Unter den erhaltenen Entwürfen für die Personifikationen der Tageszeiten in der Medici-Kapelle sind jene für den „Giorno [Tag]“ am häufigsten erhalten. Drei Zeichnungen aus dem Ashmolean und den Uffizien zeigen Michelangelos Beobachtung des männlichen Körpers.
Im Rahmen dieser Aufträge schuf Michelangelo eine große Vielfalt an Zeichnungen, darunter Skizzen, Figurenstudien und Demonstrationszeichnungen (modelli) für die Auftraggeber. Im Metropolitan Museum sind Entwürfe für die Fassade zu sehen, welche die Gestaltung mit Säulen und mächtigem Gebälk dokumentieren. Dazwischen wollte er Reliefs mit der Laurentius-Geschichte montieren (London, Courtauld Gallery).
Michelangelos späte Architekturzeichnungen zeigen oft mehrere Ideen übereinander. Er schildert seine Vorstellungen, wie es einem Bildhauer gebührt, auch in einem Holzmodell. Weniges von dem, was Michelangelo in seinen späten Jahren in Rom entwarf, wurde auch gebaut. Dennoch veränderten seine Ideen die Ewige Stadt, da seine Ideen als Druckgrafiken verbreitet wurden. So gestaltete er das Kapitol neu wie auch den Campidoglio, oder Antonio da Sangallo d. J. Palazzo Farnese. Es gibt Pläne für San Giovanni dei Fiorentini und die Porta Pia. Über 17 Jahre lang war er auch Baumeister von St. Peter, was sich in der Hauptkuppel und dem südwestlichen Querschiff zeigt.
Im Alter von 57 Jahren traf Michelangelo den jungen römischen Adeligen Tommaso de’ Cavalieri, der ein lebenslanger Freund des Künstlers wurde. Tommaso entwickelte sich auch zu einem der außergewöhnlichsten Sammler von Antiken und Zeichnungen. 1532 beeindruckte er den Bildhauer mit einer klassischen Bildung und Kultiviertheit. Michelangelo drückte seine Gefühle in leidenschaftlichen Gedichten und vollendet ausformulierten Zeichnungen aus. Diese zählen zu den Juwelen in Michelangelos Zeichenkunst. Alle zeigen Sujets der Klassischen Mythologie. Obwohl es sich um private Geschenke handelte, wurden die Kompositionen bald berühmt und in Drucken, Gemälden, Zeichnungen, Gemmen und Reliefs durch verschiedene weit verbreitet.
Michelangelos Zuneigung zu den jungen, aristokratischen Männern, mit denen er befreundet war, war ein offenes Geheimnis unter seinen Zeitgenossen. Er produzierte wunderschöne, vollendete Zeichnungen [disegni finiti] von büstenartigen Figuren für seine Freunde. Giorgio Vasari nannte sie in de 1568 publizierten Biografie Michelangelos „göttliche Köpfe [teste divine]“. Neben der Zeichentechnik ist der auffallendste Aspekt dieser Darstellungen, welche Aufmerksamkeit Michelangelo den höchst dekorativen Details der Frisuren und Kostümen geschenkt hat. Obwohl es sich in weiten Bereichen um Erfindungen des Künstlers handelt, sind diese fantastischen Elemente von antiken Gemmen und Gemälden inspiriert worden.
Die einzig erhaltene große Porträtzeichnung von Andrea Quartesi (1532, The British Museum, London) steht in starkem Kontrast zu diesen fantasievollen Kompositionen. Sie stellt den jungen Adeligen mit bemerkenswerter psychologischer Intensität dar. Vasari zufolge, hasste es Michelangelo, ein wirklichkeitsgetreues Bildnis anzufertigen, außer der Dargestellte wäre von großer Schönheit.
Unzählige Notizen berichten davon, dass sich Gönner in den 1520ern und 1530ern an Michelangelo gewandt hätten, um sich Werke „di sua mano [von seiner Hand]“ zu sichern. Die Nachfrage nach Zeichnungen stieg besonders, als Michelangelo sie auch an andere Künstler weitergab, um sie als Grundlagen für Gemälde und Skulpturen zu verwenden. Viele der meisterhaft ausgeführten Kreidezeichnungen sind deshalb nicht mit Werken in Verbindung zu bringen.
Wie auch in seinen unvollendeten Marmorskulpturen spürt man in den Zeichnungen die Hand des Bildhauers – vor allem den Umrisslinien. In seinen schnellen Skizzen und den weniger ausgeführten Partien der Zeichnungen definiert er Formen mit sicherer Hand. Er arbeitete häufig mit subtilen Spannungen, indem er innerhalb einer Zeichnung vollständig ausgearbeitete und skizzenhafte Partien miteinander verband.
Michelangelos großes zeichnerisches Werk ist voller Hinweise, wie er die Zeichenkunst lehrte. Er stellte oft Modelle – Augen, Köpfe, Schädel, Beine – seinen Schülern zur Verfügung, die diese dann auf dem gleichen Stück Papier nachzeichneten. Im Gegensatz zu Leonardo oder Raffael wurden die Schüler Michelangelos selbst keine berühmten Künstler. Vor allem zwischen 1510 und 1530 dürft er Zeichenunterricht gegeben haben. Die Schüler selbst können in zwei Kategorien unterteilt werden: Assistenten [garzoni] kümmerten sich als Steinmetze, Diener oder Werkstattmitarbeiter um die Arbeit. Dann umgab sich Michelangelo noch mit befreundeten Adeligen [gentiluomini amici].
1516 fand Michelangelo eine neuen künstlerischen und politischen Verbündeten in dem venezianischen Maler Sebastiano del Piombo (1485–1547 → Michelangelo & Sebastiano del Piombo). Michelangelo stattete Piombo mit Zeichnungen aus, damit dieser den Wettbewerb mit dem führenden Maler Roms, Raffael, aufnahm. Die Freundschaft endete erst, als Sebastiano 1533/34 die Wand für das „Jüngste Gericht“ für eine Bemalung mit Ölfarben vorbereitete. Die enge Zusammenarbeit zuvor führt zu interessanten Fragen der Autorschaft einzelnen Zeichnungen: Michelangelo nutzte Rötel oder schwarze Kreide auf weißem oder neutralem Papier. Seine skulpturale Auffassung und Monumentalität der Formen unterscheidet seine Zeichnungen von jenen Sebastianos. Letzterer blieb seiner venezianischen Ausbildung treu, indem er eine malerische Behandlung mit schwarzer Kreide auf blauem oder grauem Papier vorzog.
Mit Marcello Venusti verband Michelangelo sowohl eine künstlerische wie persönliche Freundschaft. Venusti überlieferte, dass Michelangelo viele Zeichnungen gab, damit er diese als Vorlagen für seine Gemälde verwendete. Vermutlich war Michelangelo zu beschäftigt und zu wenig interessiert an Malerei, so dass er die Ausführung seiner Kompositionen Venusti überließ. Zwischen 1546 und 1564 wiederholte er die Entwürfe seines Meisters sklavisch und in großer Anzahl. Das verlieh ihm über die Jahre ein gewisses Maß an künstlerischer Autonomie und finanzieller Ausstattung.
In den späten 1530ern und 1540ern fand Michelangelo einen Freund im erfahrenen Bildhauer-Maler Daniele da Volterra (1509–1566). Der um 34 Jahre jüngere Künstler führte jene monumentalen Gemälde und Skulpturen aus, welche bedeutende Auftraggeber bei dem betagten Künstler in Auftrag gegeben hatten. Die Ausstellung erinnert an zwei Gemälde und eine monumentale Reiterstatue, für die Michelangelo Skizzen gezeichnet hat. Doch nicht für diese Arbeiten wird an Daniele da Volterra heute erinnert, sondern dafür, dass er im Auftrag von Papst Paul IV. das „Jüngste Gericht“ übermalte. Der treue Anhänger Michelangelos hatte 1565 den Akten „Hosen“ anzuziehen, weshalb er „Hosenmaler [braghettone]“ genannt wurde.
Spätestens im Jahr 1528 gehörten auch Florentiner, welche die Medici bekämpften und sic him politischen Exil in Rom aufhielten, zu den Auftraggebern von Michelangelo. Für sie schuf er den „Apollo-David“ (um 1530, Museo Nazionale del Bargello), die Büste des „Brutus“ (1538, Museo Nazionale del Bargello) und „Venus von Cupido geküsst“. In ihrer Unvollendetheit zeigt der „Brutus” doch eine neue Ausrichtung in der Auffassung der Büste. Michelangelo suchte Inspiration in antiken römischen Porträtbüsten, wie es vor ihm bereits Donatello getan hatte. Dieser Stil wurde „rein und ohne Dekor [puro senza ornato]“ genannt. Eine Marmorbüste von Caracalla (212 n. Chr., Museo Archeologico Nazionale, Neapel) befand sich in der direkten Umgebung von Michelangelos, ein Führer aus dem Jahr 1556 führt als Eigentümer einen Sammler in der gleichen Straße an. Im Gegensatz zur „Brustus“ Büste zeigt der „Julius Caesar“ (um 1512–1514, Metropolitan Museum of Art) von Andrea Ferrucci den all’antica-Stil der Florentiner Skulptur der Zeit um 1500.
1534 übersiedelte Michelangelo permanent nach Rom, wo er die letzten 30 Jahre seines Lebens verbrachte. In diesen Jahren vertiefte sich sein poetischer Ausdruck und seine Spiritualität, was in den Werken nachvollzogen werden kann. Zwischen 1536 und 1546 war er mit Vittoria Colonna befreundet, der Marchesa von Pescara und der bedeutendsten Dichterin ihrer Zeit. Die Schriften beider zeugen von einer Betonung der direkten Beziehung des Individuums zu Gott. Michelangelo drückte seine tiefe, sicher aber nicht romantische Liebe zu Vittoria in Gedichten und Zeichnungen aus. Die Geschenke wurden bald berühmt genug, dass ihr Aussehen in einer Vielzahl von Medien wiederholt wurden. Michelangelo erhielt ein seltenes Manuskript ihrer spirituellen Dichtkunst 1540/41.
Vermutlich 1533 beauftragte Papst Clemens VII. Michelangelo in die Sixtinische Kapelle zurückzukehren. Dort sollte er das monumentale „Jüngste Gericht“ an der Altarwand ausführen. Obwohl der Papst während der Konzeptionsphase verstarb, ließ sein Nachfolger Papst Paul III. das Projekt weiterverfolgen. Dieser erwies sich als großzügiger Patron, der Michelangelo viel künstlerische Freiheit zugestand. Die Zeichnungen zu diesem Auftrag können zwischen 1533 und 1540 datiert werden.
Bald nach Fertigstellung des Freskos und dessen Enthüllung im Dezember 1541 konzentrierte sich die Kritik auf den Einsatz von Aktfiguren. Die Verbreitung der protestantischen Revolution nördlich der Alpen hatte eine starke Reaktion der Katholischen Kirche zur Folge, die im Konzil von Trient (1545–1563) als Regel für Kunstausübung beschrieben wurden.
Porträts von Michelangelo, realistische und idealisierende, wurden gegen Ende seines Lebens in großer Anzahl produziert und reproduziert. Zwei Wochen vor seinem 89. Geburtstag verstarb der berühmte Künstler am 18. Februar 1564. Freunde wie Tommaso de’ Cavalieri und Daniele da Volterra waren an seiner Seite, als er starb. Herzog Cosimo I. de‘ Medici beklagte, dass der Künstler all jene Zeichnungen, die er nicht für gut genug gehalten hat, verbrannt worden sind. Auch Vasari berichtet, dass Michelangelo dies schon zuvor hat durchführen lassen, damit „niemand die Arbeit sehe, die er durchmachen musste, und die Methoden, mit denen er seine Vorstellungkraft prüfte, sodass er perfekt erscheine“.