Angesichts des 1951 verstorbenen Wols erinnern wir uns oft nur an das tragische Schicksal des Künstlers, das so eng mit der Geschichte verbunden ist: die Wahl des Exils, während in Deutschland der Nationalsozialismus wütete; die prekäre Lebenssituation des Migranten ohne Papiere; Internierung in Lagern im Süden Frankreichs nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs; die Nachkriegswanderungen in Saint-Germain-des-Prés, wo er seinen langsamen Selbstmord mit Alkohol vollendete.
Frankreich | Paris: Centre Pompidou, Kupferstichkabinett
4.3. – 18.5.2020
In diesem Narrativ spielt Wols sowohl eine Figur, die für die Verbrechen seiner Zeit sühnt, als auch den zum Scheitern verurteilten Maler, der sein Genie mit dem Preis der Ausgrenzung bezahlte. Einige, auch Künstlerkollegen interpretierten die Ende der 1940er Jahre entstandenen Gemälde außerdem schnell als eine Art Nullpunkt für eine neue Kunst: „Die bedeutendste Einschätzung einer sterbenden Zivilisation und die prophetische Forderung nach neuen Sprachen“, meinte Georges Mathieu im Jahr 1956. Obwohl Wols mit den Besonderheiten jeder Technik spielt, sind die Gemälde eine Erweiterung seiner Zeichnungen und umgekehrt. In beiden Fällen ist das Bild (de)komponiert, der Fleck beabsichtigt.
Wols, mit bürgerlichem Namen Otto Wolfgang Schulze, wurde 1913 in eine wohlhabende deutsche Familie geboren. Während seiner Kindheit in Dresden spielten die Künste Musik und Malerei eine große Rolle. 1929 veränderte der Tod seines Vaters alles: Wols verließ die Schule und wandte sich der freischaffenden Kunst, allen voran der Fotografie zu. Die lange Lehrzeit endete erst Ende der 1930er Jahre. Der Alleskönner Wols arbeitet in einer Autogarage, lernte bei dem Volkskundler Leo Frobenius Ethnologie, um schließlich bei der Fotografin Genja Jonas in Dresden Porträtfotografie zu erlernen. In Berlin, dann in Paris, lernte er die Protagonisten der Avantgarde kennen und bewegte sich dank seiner Partnerin Gréty Dabija bald in den Kreisen des Surrealismus. Ohne jemals von einer Art Dilettantismus abzuweichen, lieh er sich verschiedene Trends, Themen, eine Rahmung oder sogar eine Technik. Es sind nur noch wenige historische Fotografien erhalten, da der Künstler die Fotografie 1941 endgültig aufgegab. Aber dank der modernen Drucke, die unter der Aufsicht seiner Schwester Elfriede Schulze-Battmann angefertigt wurden, ist es möglich, ihre Originalität zu erkennen: die Distanzierung seiner Motive, die wie durch die Linse eines Mikroskops geprüft wirken.
Weder figurativ noch abstrakt veranschaulichen seine Zeichnungen - wie seine Fotografien oder seine Texte - eine Denkweise über die Welt jenseits der Erscheinungen. Wols‘ Synkretismus vereint fernöstliche Philosophien mit dem Spiegelbild Nietzsches. Wols' Werk erscheint nur ungern als Monade, die jede seiner Kreationen komponiert und reflektiert. Der Künstler wurde berühmt als Pionier des Informel (→ Abstrakter Expressionismus | Informel).
Die Ausstellung im Centre Pompidou zielt darauf ab, Wols‘ Zeichnung im Lichte seiner anderen Praktiken – dem Schreiben, Fotografieren und Malen – erneut zu lesen. Als Initiationsreise konzipiert, besteht die Schau aus fünf Kapiteln - Einfangen, Umwandeln, Konzentrieren, Zerlegen, Spritzen - und beschreibt die Art und Weise, wie Wols die Welt, die er in seinen Bildern wahrnahm, transponierte.