Georges Mathieu
Wer war Georges Mathieu?
Georges Mathieu (Boulogne-sur-Mer 27.1.1921–10.6.2012 Paris) war ein französischer Maler der Nachkriegsabstraktion (→ Abstrakte Kunst). Er gilt als einer der Hauptvertreter des Tachismus (→ Abstrakter Expressionismus | Informel).
„Ich liebe es, übermäßig große Bilder zu malen, weil das Risiko hierdurch höher ist.“ (Georges Mathieu)
Kindheit & Ausbildung
Georges Mathieu wurde am 27. Januar 1921 in Boulogne-sur-Mer geboren. Sein Vater, Adolphe Georges Mathieu, war Bankdirektor bei Barclays. Seine Mutter, Madeleine Durpé, brachte ihm als Kind das Zeichnen bei. Die Familie lebte in der Nähe der Stadtmauer am Boulevard du Prince Albert 38. 1933 ließen sich Mathieus Eltern scheiden und er kam in die Obhut seiner Tante in Versailles.
Von 1927 bis 1933 besuchte Georges Mathieu verschiedene Schulen in Boulogne-sur-Mer und später das Lycée Hoche in Versailles. Danach studierte er Anglistik und Jura an der Universität Lille.
Mathieu erhielt 1942 eine Stelle als Englischlehrer am Lycée von Douai in Nordfrankreich. In den folgenden Jahren hatte er mehrere Jobs inne, diente 1944 als Dolmetscher für die amerikanische Armee in Cambrai, lehrte an der amerikanischen Universität von Biarritz und unterrichtete in den Jahren 1945/46 in Istres.
United States Lines
1947 ließ sich Georges Mathieu in Paris nieder, beschäftigte den American Express und mietete ein Chambre de Bonne in der Nähe des Palais du Luxembourg.
Georges Mathieu arbeitete für die United States Lines, wo er für die Öffentlichkeitsarbeit auf der Strecke zwischen New York City und Le Havre verantwortlich war: Seine Aufgabe bestand darin, die Reisenden während ihres Umzugs zwischen Le Havre und Paris zu begrüßen und zu begleiten. Diese Position war eine Gelegenheit für Mathieu, einen angesehenen Kundenkreis zu erreichen und sein erstes Netzwerk potenzieller Kunden aufzubauen. Bei dieser Gelegenheit trifft er zum ersten Mal auf Salvador Dalí.
Von 1953 bis 1963 war Mathieu Chefredakteur der „United States Lines Paris Revue“. Mit einer Auflage von 15.000 Exemplaren wurde diese jährlich erscheinende Zeitschrift bis 1963 kostenlos verteilt: Sie gab Mathieu die Gelegenheit, Prominente der damaligen Zeit aus der künstlerischen (John Cage, Pierre Boulez, Mark Tobey, Henry Miller) und wissenschaftlichen Szene (Albert Einstein, Norbert Wiener, Oskar Morgenstern).
Werke
1942 schuf er in seiner Freizeit erste figurative Gemälde Englands nach Postkarten („Oxford Street By Night“). Später im Jahr 1944 begann er seine Reflexion über Ästhetik, die von folgendem Konzept getragen wurde: Malerei muss nichts darstellen, um zu existieren. Diese Offenbarung stammt aus der Lektüre von Edward Crankshaw und seiner Interpretation des Werks von Joseph Conrad als abstrakte Literatur. Infolgedessen schuf er sein erstes nicht-figuratives Gemälde „Inception“.
Georges Mathieus Bilder sind meist ungegenständliche, von der Schnelligkeit des Malvorgangs bestimmte Kompositionen. Die Entstehung seiner Bilder lehnt an der Methode der japanischen Kalligrafie an, die mit Meditation, Konzentration, Improvisation und Geschwindigkeit charakterisiert werden kann.
Mathieu inszenierte seine Malerei, in dem er großformatige Bilder vor Publikum malte. Dem Entstehungsprozess des Kunstwerkes wird somit starke Bedeutung beigemessen. Er produzierte oft in hohem Tempo, seine Bilder entstanden oft in wenigen Minuten. Er war davon überzeugt, dass er nur so sein Innerstes unverfälscht zum Ausdruck bringen konnte.
Bei dieser Art von Kunst hat der nachträgliche Betrachter eine viel geringere Bedeutung als in der traditionellen Malerei, trotzdem war Mathieu beim Verkauf seiner Bilder sehr erfolgreich.
Im Jahr 1959 war Georges Mathieu Teilnehmer der documenta II in Kassel.
Maltechnik
Georges Mathieu arbeitete mit Pinsel, Waschlappen oder spritzte die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwand. In einigen seiner frühen Arbeiten, wie „1945 Evanescence“, leistete er Pionierarbeit für Tropftechniken.
Seine Ausführungsgeschwindigkeit wurde sehr schnell zu seinem Markenzeichen. 1959 malte er in weniger als einer halben Stunde das 2,5 x 6 Meter große Gemälde „Le Massacre de la Saint-Barthélemy [Das Massaker am Sankt-Bartholomäus-Tag]“, begleitet von dem Jazz-Schlagzeuger Kenny Clarke.
„Ich habe nicht aus Zeitmangel schnell gemalt oder um Rekorde zu brechen, sondern einfach, weil ich nicht mehr Zeit brauchte, um das zu tun, was ich tun musste, und umgekehrt hätte eine längere Zeit die Geste verlangsamt, Zweifel eingebracht, das beeinträchtigt Reinheit der Striche, die Grausamkeit der Formen, die Einheit des Kunstwerks.“ (Georges Mathieu)
Bei seinen Auftritten trug er gelegentlich Outfits. Er malte die meisten seiner Hauptwerke und schrieb die meisten seiner Essays sonntags.
Mathieu wandte sich schnell riesigen Leinwänden zu. Darüber hinaus ermöglichte ihm das Monumentalformat, grafische Effekte von Zentrifugalkräften auszunutzen, die durch große Gesten auf die Farbe ausgeübt wurden.
Malperformances
Georges Mathieu versuchte, den Künstler und den Betrachter einander anzunähern. Deshalb trat er oft vor Publikum auf:
„Wenige haben verstanden, dass das Malen in der Öffentlichkeit für mich eine wahre Gemeinschaft unter Menschen darstellt.“
Diese Ereignisse umrissen die Virtuosität und Schnelligkeit seiner Gesten. 1956 schuf er vor 2000 Zuschauern im Theater Sarah Bernard „Hommage aux poètes du monde entier“, eine 400 x 1200 cm große Leinwand, für die er mehr als 800 Farbtuben verarbeitete. Viele seiner Auftritte wurden gefilmt, so 1963 für das kanadische Fernsehen.
„Die wichtigsten Momente sind eindeutig, wenn ich in der Öffentlichkeit male. Tatsächlich wirkt dieser Prozess, ohne dass ich es merke, auf mediale Weise, um die Konzentration der Situation zu erhöhen. Dadurch ist die Konzentration das entscheidende Element, das trennt Diese Art von Kunst unterscheidet sich von allen anderen Künsten, die der Westen in den letzten zwanzig Jahrhunderten gekannt hat. [...] Es ist die Freude an der Gemeinschaft mit dem anderen. Ein bisschen wie das, was in der Liebe passiert. Was die Liebe ausmacht, ist diese Spannung zwischen zwei Wesen mit einem gemeinsamen Fokus. Wenn es nur eine einfache Anziehungskraft zwischen zwei Menschen wäre, hätte es nichts von der Erhabenheit.“
Georges Mathieu arbeitete auch mit Bildhauerei und führte Lichtmalerei durch.
Konzeption der lyrischen Abstraktion
Ab 1947 veröffentlichte Georges Mathieu mehrere Manifeste, um seine Vorstellung einer lyrischen Abstraktion zu definieren. Insbesondere postuliert er vier Bedingungen, welche die Bewegung charakterisieren würden:
- Vorrang der Geschwindigkeit der Ausführung: Geschwindigkeit soll die Beeinträchtigung des Bewusstseins des Künstlers vermeiden helfen.
- Keine bereits vorhandenen Formen: Der Maler darf sich auf keinerlei Referenz verlassen.
- Keine vorsätzlichen Bewegungen des Künstlers: Malen ist kein kognitiver Prozess.
- Ekstatischer Geisteszustand des Künstlers: Isolation und Konzentration des Künstlers helfen bei der Befreiung.
Mathieu positioniert sein Werk und allgemeiner die lyrische Abstraktion als den jüngsten aller zyklischen Übergänge in der Kunstgeschichte. Jeder Übergang betrifft ein bestimmtes Malmerkmal: Form, Farbe, Bedeutung von Zeichen, usw. Ein vollständiger Übergang kann je nach Intensität der Veränderung des betrachteten Malmerkmals in sechs verschiedene Stadien unterteilt werden.
Tod
Georges Mathieu starb am 10. Juni 2012 in Paris.