Venedig | Gallerie dell'Accademia: Anish Kapoor 2022 | ARTinWORDS
0

Venedig | Gallerie dell’Accademia: Anish Kapoor An den Grenzen der Sichtbarkeit | 2022

Anish Kapoor, Atelier, 2020 ©Anish Kapoor. All rights reserved SIAE, 2021

Anish Kapoor, Atelier, 2020 ©Anish Kapoor. All rights reserved SIAE, 2021

Die Gallerie dell'Accademia di Venezia zeigt 2022 eine große Retrospektive von Anish Kapoor, jenem bekannten britischen Künstler, dessen Werke mit den Grenzen und der Materialität der sichtbaren Welt experimentieren. Kapoor gelingt es, mit seinen Skulpturen die Betrachtenden zu emotionaler Interaktion anzuregen. Der zweite Teil der Ausstellung im historischen Palazzo Manfrin (Stadtteil Cannaregio) vervollständigt diesen Überblick mit einer weiteren wichtigen Auswahl großformatiger Werke, die sich jeder traditionellen Definition entziehen.

Anish Kapoor zeigt in den Gallerie dell'Accademia eine Reihe grundlegender Werke, von frühen Skulpturen aus Pigmenten wie „1000 Names“ über Arbeiten über die Leere bis hin zu nie zuvor ausgestellten Skulpturen aus „Kapoor Black“. Der Künstler entwickelte mit einer innovativen Nanotechnologie ein Material, das mehr als 99,9 % des sichtbaren Lichts absorbiert. Arbeiten wie „Descent into Limbo“ (1992–2016) und „Void Pavilion V“ (2018) schlucken das Licht und verschwinden gleichsam vor den Augen des Publikums – um kurz darauf als Körper wieder zu erscheinen. Neben diesen außergewöhnlichen Werken werden erstmals Kapoors jüngste Gemälde ausgestellt, die sowohl mit der historischen Kunstsammlung der Galerien als auch mit seiner eigenen skulpturalen Sprache in einen dynamischen Dialog treten. Darüber hinaus begeht Kapoor das „Sakrileg“, indem er auf die Wände schießt, und die Struktur der Galerien verändert.

Haut und Falten

Die Oberfläche der Objekte als Schleier zwischen Innen- und Außenwelt war schon immer ein entscheidender Aspekt in der Praxis des Künstlers. In den Gallerie dell'Accademia transportieren die mit Kapoor Black geschaffenen Skulpturen diese Dynamik in ein radikal neues Terrain. Auf mysteriöse Weise tauchen in einer weiteren Serie schwarzer Arbeiten auf, die die Wände des Museums durchdringen und die Dunkelheit als physische und psychische Realität weiter erforschen. In diesen Arbeiten schlägt Anish Kapoor das Motiv der Falte in der Renaissance-Malerei als Zeichen des Seins wieder an: Durch die Aufhebung der Kontur und der Grenze wird die Möglichkeit geboten, beide zu überwinden. Das Haut- und Faltenmotiv wird durch das spektakuläre „Pregnant White Within Me“ (2022) weiter erforscht, eine gigantische Ausbuchtung, die die Architektur des Ausstellungsraums erweitert und eine Neudefinition der Grenzen zwischen Körper, Gebäude und Körper nahelegt.

Kapoor im Palazzo Manfrin

Mit der neuen, monumentalen Arbeit „Mount Moriah at the Gate of the Ghetto“ (2022) beginnt der Ausstellungsrundgang am zweiten Ausstellungort. Das Werk ragt von der Decke der Eingangshalle herab, wurde es doch speziell für die teilweise renovierten Räume des Palazzo Manfrin geschaffen. Diese tropfende Masse aus Silikon und Farbe führt die Besucher durch ein Labyrinth von Räumen mit einem Triptychon aus ebenso sprudelnder Silikonfarbe, „Internal Objects in Three Parts“ (2013–2015) sowie vielen zentralen Werken in Kapoors langer und erfolgreicher Karriere, einschließlich dem ikonischen Pigment-Objekt „White Sand Red Millet Many Flowers“ (1982)

Kapoor installierte hier auch eine Reihe von Spiegelarbeiten, welche die Erwartungen des Betrachters an das, was reflektiert wird, umwerfen und verzerren. Assoziationen von Himmel, Hölle, Erde und Meer werden heraufbeschworen in großformatigen, mechanisierten Werken wie den wirbelnden roten Wassern von „Turning Water Into Mirror, Blood Into Sky“ (2003) und „Destierro“ (2017). Für Kapoor ist Farbe eine Bedingung, welche die Betrachtenden in das Gewicht ihrer Sättigung eintauchen lässt und es ihnen ermöglicht, ihr Transformationspotenzial zu erkennen. Die Schattierungen des venezianischen Lichts kommen durch ätherische und geometrische Arbeiten ins Spiel, die in natürlichen Alabaster geschnitzt sind, während das lagunenblaue Pigment der ersten leeren Halbkugeln von Kapoors ersten leeren Halbkugeln zur Meditation einlädt.

In den anderen Räumen sind die in den Gallerie dell'Accademia angesprochenen Themen mit Momenten der Spiritualität und mit Übergangsriten verbunden. Alle Wege führen zur zentralen Installation einer untergehenden (oder aufgehenden) Sonne, die über einer Masse leblosen roten Wachses schwebt, während sie sich auf dem Boden des Palazzo Manfrin sammelt und dieses historische Gebäude in die ursprüngliche Substanz von Leben und Tod taucht.

Kuratiert vom Kunsthistoriker Taco Dibbits, Direktor des Rijksmuseums in Amsterdam.
Quelle: Gallerie dell‘Accademia

Anish Kapoor in Venedig 2022: Werke

  • Anish Kapoor, Descent into Limbo, 1992–2016, Mixed media and pigment, Dimensions variable, im Hintergrund Healing of St. Thomas, 1989, Mixed media and paint, Dimensions variable
  • Anish Kapoor, Void Pavilion V, 2018, Wood, concrete and pigment, 6 x 6 x 12 m
  • Anish Kapoor Studio, 2020
  • Anish Kapoor, Sacrifice, 2019, Steel, resin, 207 x 385 x 294 cm
  • Anish Kapoor, Diana Blackened Reddened, 2021, Öl/Leinwand, Triptychon je 244 × 183 cm
  • Anish Kapoor, The Dark, 2021, Öl/Leinwand, 213 x 274 cm

Weitere Beiträge zu Anish Kapoor

4. April 2023
Pablo Picasso, Die orangefarbene Bluse – Dora Maar [Le corsage orange – Dora Maar], 21.04.1940, Öl auf Leinwand, 73 × 60 cm (Sammlung Würth, Foto: Volker Naumann, Schönaich © Succession Picasso/Bildrecht, Wien 2022)

Wien | Leopold Museum: Highlights der Sammlung Würth Amazing | 2023

Hans-Peter Wipplinger stellt eine für das Leopold Museum maßgeschneiderte Auswahl vom Impressionismus bis in die Kunst der Gegenwart zusammen. Obschon Malerei triumphiert wird auch die Skulptur thematisiert werden. Das Publikum darf sich freuen auf Charakteristisches von Max Liebermann, Metamalerei von Gerhard Richter bis Anselm Kiefers Aufarbeitung der Vergangenheit, österreichische Kunst der 1950er bis in die 1980er sowie einige Vertreter der französischen Avantgarde.
13. August 2022
Anish Kapoor, Sectional Body preparing for Monadic Singularity, 2015, außen © Anish Kapoor

Wuppertal | Skulpturenpark Waldfrieden: Anish Kapoor Körper und Nicht-Körper | 2023

Im Skulpturenpark präsentiert Anish Kapoor neben einer Auswahl aktueller Werke auch seine begehbare Großskulptur „Sectional Body preparing for Monadic Singularity“ von 2015.
16. September 2020

München | Pinakothek der Moderne: Anish Kapoor – Howl

Am 16. September 2020, exakt 18 Jahre nach Eröffnung der Pinakothek der Moderne, installiert Anish Kapoor eine neue ortsspezifische Arbeit in der Pinakothek der Moderne, München.

Aktuelle Ausstellungen

17. Mai 2024
Franz Grabmayr, Sandgrube, 1969, Öl auf Jute (ALBERTINA, Wien - Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2024)

Wien | Albertina: Franz Grabmayr Farbe, Dynamik, die Kraft des Lebendigen | 2024

„Farbe, Dynamik, die Kraft des Lebendigen – das sind die Mittel meiner Bildgestaltung“, so beschreibt Franz Grabmayr seine Malerei. Aus der Nähe betrachtet gemahnen seine oft bis zu 60 kg schweren, plastischen Gemälde an abstrakte, zufällige Kompositionen. Doch sind Künstler und Werk in der Natur beheimatet.
17. Mai 2024
Jacob Matham nach Hendrick Goltzius, Der gestrandete Wal bei Berjhey, Detail, 1598 (Narodniy Galeria Prag)

Prag | Waldstein Reithalle: Von Michelangelo bis Callot Druckgrafik des Manierismus | 2024

Die Druckgrafik spielte im Manierismus eine entscheidende Rolle für die rasche Verbreitung von Motiven und Konzepten. Gleichzeitig etablierte sie sich aber auch als eigenständige künstlerische Disziplin mit technischer als auch künstlerischer Exzellenz.
16. Mai 2024
Angelika Kauffmann, Farbe – Colouring, ab 1778/vor Mai 1780, Öl/Lw, queroval, 130 x 149,5 cm (Royal Academy of Arts, London © Royal Academy of Arts, London/ Foto: John Hammond)

London | Tate Britain: Britische Künstlerinnen 1520–1920 Erfolgreiche Frauen im britischen Kunstbetrieb | 2024

Mit über 150 Werken räumt die Ausstellung mit Stereotypen über Künstlerinnen in der Kunstgeschichte auf und analysiert den steinigen Weg von Frauen in die Kunstwelt. Mit Werken von Mary Beale, Angelika Kauffmann, Elizabeth Butler und Laura Knight.