Gestern Abend erzielte ein Gemälde von Jean-Michel Basquiat nach einem Bietergefecht am Telefon den atemberaubenden Preis von 110.487.500 US Dollar auf einer Auktion von Sotheby’s New York. Schon Tage zuvor hatte der Schätzpreis von $60 Millionen für Aufsehen gesorgt. Kurz nach dem Kauf präsentierte sich Yusaka Maezawa mit seinem neuen Schatz auf Instagram:
„I am happy to announce that I just won this masterpiece. When I first encountered this painting, I was struck with so much excitement and gratitude for my love of art. I want to share that experience with as many people as possible.”
Der 41-jährige Milliardär gründete Japans größte Online-Mode-Shoppingmall, Zozotown, sowie eine Kunst-Stiftung in Tokyo, der ein Museum in seiner Heimatstadt Chiba folgen soll. Davor möchte er aber das Werk der Öffentlichkeit zugänglich machen. Vielleicht ist das eine Ankündigung, den unbetitelten Totenschädel im Herbst auf die große Basquiat-Ausstellung im Barbican Center in London zu schicken? Vielleicht ist dort auch der zweite Basquiat zu sehen, den Maezawa 2016 bei Christie’s für wohlfeile 57,3 Millionen USD erworben hat? Wir werden sehen! Wie kommt es aber, dass ein ehemaliger Graffiti-Künstler zur Riege jener „Alten Meister“ aufstieg, deren Werke eine neunstellige Summe wert sind?
Das im Jänner 1982 entstandene Gemälde zeigt einen Totenschädel in expressiven Farbtönen und mit gestischer Pinselschrift aus der Farbmasse modelliert. Darunter ein Tag-ähnliches Zeichen, darüber eine Sammlung von. In Summe sicher ein charakteristisches, großformatiges und beeindruckendes Werk von Jean-Michel Basquiat. „Untitled“ entstand noch bevor Basquiat in unglaublicher Schnelligkeit vom Grafitti-Künstler SAMO© zum Shootingstar und Liebling der New Yorker Szene und des Kunsthandels aufstieg (→ Jean-Michel Basquiat: Biografie).
Das wenig bekannte Werk kommt aus einer Privatsammlung, wo es sich seit 1984 befand und nach seiner Präsentation in der Ausstellung „Fast“ in der Alexander F. Milliken Gallery in New York (1982) nie in der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Schon 1982 betonte die Kunsthistorikerin Susan L. Putterman im Katalogtext zu „Fast“ die Spontaneität von Basquiats Pinselstrich, den er durch den Wechsel von der Hauswand zur Leinwand nicht verloren hätte. Das Graffiti galt ihr als „authentisch und malerisch“ und eine „heutige Antwort auf die gestischen Markierungen der New Yorker Schule“.1
Basquiat fiel mit dieser wilden, figurativen Malerei schnell auf und erhielt noch im März 1982 seine erste Einzelausstellung bei Annina Nosei in New York, gefolgt von einer weiteren im April bei Larry Gagosian in Los Angeles. Bruno Bischofberger zeigten den Maler bereits im Herbst des Jahres. Eine Jahre später organisierte der Schweizer Galerist die Zusammenarbeit von Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol, was zu einer Serie von Werken führte, die beide Künstler bearbeiteten und so aufeinander reagierten (→ WARHOL/BASQUIAT). Wenn man bedenkt, dass Basquiat erst im Jahr zuvor „professionell“ zu malen begonnen hatte, explodierte seine Produktion gleichsam und der Kunstmarkt pushte ihn innerhalb eines Jahres rund um den (westlichen) Globus.
Ob der neue Preis „hält“, werden zukünftige Auktionen zeigen. Zumindest ist der gestrige Erwerb gut für Rekorde: Basquiat hält seit gestern den Rekord für das teuerste Kunstwerk eines amerikanischen Künstlers, den für das Werk eines Afro-Amerikanischen Künstlers. Der wichtigste Rekord könnte sein, dass der 1988 im Alter von 27 Jahren an einer Überdosis verstorbene Jean-Michel Basquiat erstmals die 100 Millionen Dollar Marke für ein Werk nach 1980 durchbrochen hat.
Sotheby's: LOT 24 Jean-Michel Basquiat, Untitled