0

Carel Fabritius: Der Distelfink Haustier im natürlichen Delfter Licht

Carel Fabritius, Der Distelfink, Detail, 1654, Öl/Holz, 33,5 x 22,8 cm (Mauritshuis, Den Haag)

Carel Fabritius, Der Distelfink, Detail, 1654, Öl/Holz, 33,5 x 22,8 cm (Mauritshuis, Den Haag)

Carel Fabritius schuf sein 33,5 x 22,8 cm kleines Gemälde „Der Distelfink“ im Jahr 1654. Es besticht sowohl durch die naturalistische Wiedergabe und die Einfachheit des Motivs, die der Barockmalerei der Niederlande eine besondere Note verlieht und wohl auf die Funktion der Tafel zurückzuführen sind (→ Barock). „Der Distelfink“ stellt einen Vogel bei seinem Futternapf dar. Die leichte Untersicht erhöht den Distelfink, was als faktische Beschreibung wie auch als Erhöhung des Tieres gelesen werden kann. Mit einer Kette ist der Distelfink an der oberen der beiden Schienen angebunden, sodass das Haustier nicht wegfliegen kann. Das helle, natürliche Licht, die Schlichtheit der Komposition, die kräftige Malweise und die ausgewogene Farbigkeit machen den „Distelfink“ zu einem eindrucksvollen Werk der niederländischen Barockmalerei. Seit 1896 befindet es sich in der Sammlung des Mauritshuis in Den Haag.

2013 inszenierte die US-amerikanische Schriftstellerin Donna Tartt Fabritius‘ „Der Distelfink“ als Objekt der Begierde; die 2019 in die Kinos gekommene Verfilmung des Stoffs versetzt das Gemälde fälschlich in das Metropolitan Museum of Art, New York.

 

Der Distelfink

Distelfinken (auch: Stieglitze) sind in der christlichen Ikonografie Symbole für den Kreuzestod Christi. Häufig hält deshalb das Christuskind einen Distelfinken in der Hand ober bekommt ihn vom kindlichen Johannes dem Täufer übergeben. In diesem Fall handelt es sich jedoch nicht um eine versteckte symbolische Darstellung eines Glaubensinhalts, sondern um ein trompel-l’œil, ein Stück Augentrug.

Distelfinke waren im 17. Jahrhundert beliebte Haustiere und, genauso wie es Carel Fabritius darstellt, an ihren Futternapf gebunden. Darüber befand sich ein Vogelhäuschen und darunter eine Miniaturmechanik mit einem Wasserbehälter. Aus diesem Wasserbehälter konnte der Vogel mit einem winzigen. Absenkbaren Gefäß sein Trinkwasser schöpfen. Aus diesem Grund werden die Distelfinken auf Niederländisch puttertjes, Wasserschöpfer, genannt.

Das die naturalistische Darstellung „Der Distelfink“ auf einer relativ dicken Holztafel gemalt ist, die an den Rändern nicht wie sonst üblich abgeschrägt ist, war das Bild nicht gerahmt. Stattdessen wird vermutet, dass es Teil eines illusionistischen Spiels war. Vier Nagellöcher in den Ecken könnten ein Hinweis sein, dass das Gemälde an einem Vogelhaus hängend konzipiert war. Darunter würde ein Wasserbehälter Sinn machen.

 

 

Wer war Carel Fabritius?

Carel Fabritius zählt zu den bedeutenden Schülern Rembrandt van Rijns – auch wenn nur etwa achtzehn Werke dieses Malers bekannt sind. Der am 27. Februar 1622 getaufte Maler dürfte das Handwerk bei seinem Vater erlernt haben und ab seinem 20. Lebensjahr in Amsterdam Rembrandts Schüler bzw. Mitarbeiter gewesen sein. Kurz bevor Carel Fabritius nach Amsterdam zog, hatte er am 22. September 1641 Aeltje Herrmensdr van Hasselt geheiratet. Die Virtuosität Fabritius‘ war wohl so groß, dass er seinen Meister sogar „vertreten“ konnte. Das heißt, dass er Bilder im Namen Rembrandts ausführte. Ab 1643 zog Carel Fabritius, nun verwitwet, einige Male um.

Das „Selbstbildnis“ (um 1648/50, Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam) zeigt ihn als gelehrigen Schüler Rembrandts und der Porträtmalerei des 17. Jahrhunderts. Carel Fabritius kombinierte zwei verschiedene Typen der Künstlerselbstporträts, nämlich das Selbstporträt als angesehener Bürger und das als arbeitender Künstler im Atelier. Er stellte sich in seiner Arbeitskleidung dar und blickt würdevoll aus dem Bild. Auffallend ist die betonte Darstellung der Wand hinter seinem Kopf und die zurückgenommene Präsenz seiner Person.

Ab 1650 lebte Carel Fabritius vermutlich in Delft, wo er die Delfter Schule begründete. Allerdings ließ er sich erst am 29. Oktober 1652 in die Delfter Malergilde eintragen. Der 1654 datierte „Distelfink“ ist, wie schon angeführt, eines von etwa achtzehn bekannten Werken des niederländischen Malers. Es stammt aus dem Todesjahr des Künstlers. Carel Farbitius kam am 12. Oktober 1654 im Alter von 32 Jahren bei der Explosion eines unterirdischen Pulvermagazins ums Leben. Er war gerade dabei gewesen, den Küster der Oude Kerk von Delft zu porträtieren. Bei diesem Unglück muss auch ein Großteil seines Werks zerstört worden sein, sind doch 200 Häuser eingestürzt.

 

Fabritius und Vermeer

In dem Gedicht, das anlässlich seines Todes verfasst wurde, wurde Carel Fabritius als berühmter Maler gerühmt – und der zehn Jahre jüngere Jan Vermeer (1632–1675) als sein Nachfolger in Delft genannt. Vermeers berühmteste Bilder entstanden erst nach dem Tod von Carel Fabritius, beginnend mit dem „Brieflesenden Mädchen am offenen Fenster" (→ Jan Vermeer: Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster, 1657, Dresden) und der „Küchenmagd" (um 1658/60, Rijksmuseum, Amsterdam). Beide zeigen ihre Protagonistinnen beim Verrichten einfacher und alltäglicher Tätigkeiten. Die Art, wie Vermeer durch Untersicht und Lichtführung, den Handlungen Bedeutung verleiht, hat er von Carel Fabritius gelernt.

 

Das Delfter Licht (1650–1670)

Die Delfter Schule erlebte während der 1650er Jahre eine wahre Blüte: Gerard Houckgeest und Emanuel de Witte gaben der Architekturmalerei neue Impulse. Ihre Errungenschaften im Bereich der perspektivischen Darstellung ermöglichten die Bildräume natürlich aussehen zu lassen. Carel Fabritius, Jan Vermeer und Pieter de Hooch führten die Genremalerei zu einem Höhepunkt, der die Stadt bis heute berühmt macht. Mit dem Rembrandt-Schüler Fabritius kam um 1650 ein Maler nach Delft, der sich vom dramatischen Hell-Dunkel abgewandt hatte und eine subtile Beobachtung des Lichts vorantrieb. Vor allem seine Nachfolger Vermeer und de Hooch sind bekannt für ihre genauen Perspektivkonstruktionen und das „Delfter Licht“. Neben der Malerei spielte die Fayenceerzeugung eine große Rolle. So zählte die blaue Delfter Keramik zu den wichtigsten Exportartikeln der Stadt.

 

Carel Fabritius, Der Distelfink: Bild

  • Carel Fabritius, Der Distelfink, 1654, Öl/Holz, 33,5 x 22,8 cm (Mauritshuis, Den Haag)
  • Carel Fabritius, Der Distelfink, Detail, 1654, Öl/Holz, 33,5 x 22,8 cm (Mauritshuis, Den Haag)

Aktuelle Ausstellungen

26. Januar 2025
Edvard Munch, Zugrauch, 1900, Öl auf Leinwand, 84,5 x 109 cm (Munchmuseet, Oslo, Foto: Munchmuseet / Halvor Bjørngård)

Riehen b. Basel | Fondation Beyeler: Nordlichter Skandinavische und kanadische Landschaften | 2025

Landschaften von Künstler:innen aus Skandinavien und Kanada, die zwischen 1880 und 1930 entstanden sind, vermitteln die "Seelenlandschaft" der borealen Wälder (südlich und nördlich des Polarkreises).
25. Januar 2025
Camille Claudel, Der Walzer (Allioli), Detail, um 1900 (Privatsammlung, Foto courtesy Musée Yves Brayer)

Bremen | Paula Modersohn-Becker Museum: Camille Claudel – Bernhard Hoetger Emanzipation von Rodin | 2025

Ausgehend von der Ausstellung Claudels und Hoetgers in der Galerie von Éugene Blot 1905 zeigt das Paula Modersohn-Becker Museum die zentralen Schaffensphasen beider Künstlerpersönlichkeiten.
24. Januar 2025
Hans Madensky, Modisches Porträt - Schülerin aus der Modeschule Wien-Hetzendorf, 1952 (ALBERTINA, Wien, Dauerleihgabe der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt)

Wien | Albertina Modern: Farbfotografie 1849–1955 True Colors | 2025

Die Foto-Ausstellung „True Colors. Farbfotografie 1939–1955“ in der Albertina Modern in Wien widmet sich den Entwicklungen nach der Erfindung des Farbumkehrfilms durch Kodak 1935 und Agfa 1936.
22. Januar 2025
Cimabue, Maestà, Detail, 1275/1300 (Musée du Louvre, Paris, Abteilung für Malerei, INV 254; MR 159)

Paris | Louvre: Cimabue Die Ursprünge der modernen Malerei | 2025

Um 1280 malte Cimabue die „Maestà“ (Louvre) für die Kirche San Francesco in Pisa. Der Louvre untersucht die bedeutende gotische Tafel und „Die Verspottung Christi“.
21. Januar 2025
David Hockney beim Zusammensetzen seines Bradford-„Joiner“ (Bild: National Science & Media Museum / Science Museum Group)

Bradford | Science and Media Museum: David Hockney Pieced Together | 2025

15. Januar 2025
Suzanne Valadon, Der blaue Raum, Detail, 1923, Öl-Lw, 90 x 116 cm (Centre Georges Pompidou, Paris)

Paris | Centre Pompidou: Suzanne Valadon Rebellische Malerin der Moderne | 2025

Diese Pariser Ausstellung unterstreicht 2025 den Umfang, den Reichtum und die Komplexität ihres Werks in fünf thematischen Abschnitten: Lernen durch Beobachtung, Familienporträts, „Ich male Menschen, um sie kennen zu lernen“, „Die wahre Theorie ist die Natur, die sie vorschreibt“, „Der Akt: ein weiblicher Blick“.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.