René Magritte (1898–1967) und seinen konzeptuellen Text-Bildern widmen die Schirn und das Centre Pompidou eine Überblicksausstellung mit Fokus auf Magrittes „Problemlösungen“. Der Belgier setzt dem französischen Surrealismus eine denkende Malerei entgegen. Nicht Automatismus und Umdeutung, sondern die kühle Präzision seiner nach Präsenz heischenden Malerei, deren erklärtes Ziel „Stillosigkeit“ und Ausdruck des Denkens sind. Für sich selbst lehnte Magritte die Berufsbezeichnung Künstler ab, er arbeitete auch nie in einem Atelier, sondern bei sich zu Hause. Anstatt mit Worten stellte er seine Überlegungen zum Verhältnis von Bild und Sprache in Gemälden dar. Magrittes verfremdete Gegenstände verbinden das Vertraute mit dem Fremdartigen, die Poesie der Titel enthebt sie zusätzlich jegliches Anspruchs auf Ähnlichkeit (→ René Magritte: Biografie).
Deutschland | Frankfurt: Schirn Kunsthalle
10.2. – 5.6.2017
Frankreich | Paris: Centre Pompidou, Musée national d’art moderne
21.9.2016 – 23.1.2017
„Die […] von 1925 bis 1936 gemalten Bilder waren ebenfalls das Ergebnis der systematischen Suche nach einem überwältigenden poetischen Effekt, der, erzielt durch die Inszenierung von Gegenständen, die der Realität entlehnt waren, durch ganz natürlichen Austausch auch der realen Welt, der diese Gegenstände entlehnt waren, einen ungewohnten poetischen Sinn geben sollte.“1 (René Magritte, „Die Lebenslinie I“, Vortrag am Königlichen Museum der Schönen Künste in Antwerpen, 20.11.1938)
„Alles deutet darauf hin, dass es wenig Beziehung gibt zwischen einem Gegenstand und dem, was ihn darstellt.“ (René Magritte)
Als sich René Magritte 1927 den Pariser Surrealisten annähern wollte, war sich die Gruppe über die Existenz von surrealistischer Malerei noch immer nicht einig, die Möglichkeit surrealistischer Plastik wurde einhellig für unmöglich erachtet. Im gleichen Jahr, so hebt Didier Ottinger hervor, erarbeitete Magritte seine ersten Wort-Bilder2. Es wird angenommen, dass die spezifisch belgische Ausprägung des Surrealismus3 dafür mitverantwortlich war. Dass die Literaten unter den Surrealisten der Wortkunst den Vorzug gaben, könnte für die schleppende Aufnahme des Belgiers in den Reihen der Pariser verantwortlich gewesen sein. Erst 1929 hatte er sich als „würdig“ erwiesen und durfte „Les mots et les images“ in „La Révolution surréaliste“ (Nr. 12, 15.12.1929, S. 32f) veröffentlichen. Das berühmte Gemälde „La Trahison des images [Der Verrat der Bilder]“4 (1929) malte Magritte wohl als Reaktion auf einen Kommentar von André Breton und Paul Éluard in „La Révolution surréaliste“: „Die Poesie ist eine Pfeife.“5 Magritte setzt dem Satz „Ceci n’est pas une pipe [Dies ist keine Pfeife]“ entgegen. Der Text unter der Pfeife informiert, dass „das“, vulgo die Malerei, das Bild, das Gemalte, keine Pfeife „sei“. Mit seinem Streben nach Gleichwertigkeit zwischen Bild und Wort als Ausdrucksmittel des Denkens und des Wissens führte Magritte den Dadaismus und dessen Wortzertrümmerung auf eine neue visuelle Ebene (→ René Magritte. Werke).
„Meine Untersuchungen [glichen] dem Aufspüren der Lösung von Problemen, für die ich drei bekannte Größen hatte: den Gegenstand, das ihm im Dunkel meines Bewusstseins anhaftende Ding und das Licht, in das dieses Ding gelangen sollte“6 (René Magritte)
„La Condition Humaine [So lebt der Mensch]“ verbindet alle Elemente des Höhlengleichnisses: das Dunkel der Höhle mit dem Feuer darin (kein Schatten), der Blick auf das Äußere wird durch eine Leinwand auf einer Staffelei verstellt. Darauf ist ein Tal abgebildet, an einem steilen Abhang ein unzugängliches Schloss. Nahezu nahtlos geht das Landschaftsgemälde in die (natürlich ebenfalls gemalte) Landschaft über. Vor allem der Bilderhalter und die drei Holzbeine Feldstaffelei, aber auch die genietete Seite der Leinwand durchbrechen die Illusion eines durchlichteten Tals. Das Gemälde steht anstelle des Menschen. Das Platon’sche Höhlengleichnis mit seiner Frage nach Vorstellung und Realität steht im Werk von René Magritte im Zentrum.
Durch die Verbindung von dialektischen Paaren wie Innen und Außen, Gesehenes und Verborgenes, Natur und Kultur, Gemälde und Landschaft handelt Magritte in mehreren Bildern die „Fenster“-Idee ab. Reale Objekte (und deren Abbildung) in Verbindung mit fiktiven Dingen wurden zum Markenzeichen des belgischen Malers. Er nutzt Bilder als Instrumente der poetischen Erkenntnis, die er selbst als „Probleme“ bezeichnete, sei es das „Problem Schuh“ in „Le Modèle rouge [Das rote Modell]“ oder das „Problem Realität“ in „Invention collective [Die kollektive Erfindung]“. Als Gedankenarbeiter, der sich zwar mit Gemälden ausdrückt, stellt Magritte für Didier Ottinger den Nachfolger von Marcel Duchamp dar.7 Die Lust am Denken zeigt sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Auseinandersetzung des Malers mit Philosophen und deren Gedankengebäuden. Ab 1952 setzte er sich brieflich mit Theoremen des Rechtsphilosophen Chaïm Perelman, des belgischen Phänomenologen und Heidegger-Spezialisten Alphonse De Waelhens und des Poststrukturalisten Michel Foucault.
Didier Ottinger (Hg.)
mit Beiträgen von Klaus Speidel, Jan Blanc, Barbara Cassin, Victor I. Stoichita, Jacqueline Lichtenstein, Michel Draguet und René Magritte
Gebundenes Buch, Pappband
224 Seiten, 23,5 x 28,0 cm, 162 farbige Abb.
ISBN 978-3-7913-5597-9
Prestel Verlag
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