René Magritte (1898-1967), der Mann im schwarzen Anzug und mit Bowler-Hut, ist der bekannteste und wohl auch populärste, belgische Maler des Surrealismus. Die Ausstellung der Albertina spart (daher) das Frühwerk des Künstlers völlig aus. Bereits im ersten Raum trifft man auf das monumentale Format „Der geheime Spieler“ aus dem Jahr 1927. Das 152 x 192 cm große Gemälde zeigt zwei männliche Pelotaspieler vor einer Allee aus gedrechselten Baum-Balustern – Magritte identifizierte sie spöttisch als „Tischbeine“. Über ihren Köpfen schwebt die Darstellung einer Lederschildkröte und rechts im Hintergrund erscheint in einem Fenster eine geheimnisvolle Frau mit Bartschutz vor dem Mund. Die einzelnen Bildbestandteile lassen sich aufgrund ihrer realistischen Widergabe relativ leicht benennen, während sich ihre Zusammenstellung jedweder Logik entzieht. Die für den Surrealismus so essentielle Strategie des Schocks durch „ungehörige“ Verbindungen steigert Magritte durch die verzerrten Größenverhältnisse, die im deutlichen Widerspruch zum präzise konstruierten Schachtelraum stehen.
Österreich | Wien: Albertina
9.11.2011 - 26.2.2012
Das surrealistische Komponieren, das Bildelemente collageartig und spontan miteinander verbindet, begründete der geheimnisvolle Erzähler Comte de Lautréamont, alias Isidore Lucien Ducasse, bereits 1868 in seinen „Gesängen des Maldoror“. 1917 von den „Gründungsvätern“ des Surrealismus, von Aragon, Breton und Soupault als „poète maudit“ wiederentdeckt, wurden seine Gesänge voller Grausamkeit und Böswilligkeit zu einem Ausgangspunkt für ein ungeplantes und unzensiertes Schreiben. Mit der Metapher „Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!“ inspirierte der Text die vom Ersten Weltkrieg schwer gezeichneten Schriftsteller zum Notieren von Gedankensplittern in traumartigen Zuständen. Genau zehn Jahre später fand auch René Magritte, interessanterweise vermittelt durch ein Gemälde von Giorgio de Chirico, zu den Ausdrucksmöglichen dieser geheimnisvollen, vom Unterbewusstsein gelenkten Kombinationen. Der Freiheit der Künstler im Schaffensprozess steht die Freiheit der Fantasie der Betrachter gleichberechtigt gegenüber. Sie sollte auch durch die Bildtitel nicht in enge Bahnen gelenkt werden. Magritte meinte, dass „der poetische Titel uns nichts lehren (könne), stattdessen soll er uns überraschen und bezaubern.“
Zwischen 1927 und 1930 lebte Magritte in Paris, war mit Breton, Éluard, Hans Arp, Joan Miró und Salvador Dalí befreundet, konnte seine Bildproduktion zwar steigern aber dennoch nicht von Verkäufen leben. So musste der Künstler für das von ihm angestrebte bürgerliche Leben mit seiner Frau Georgette in Brüssel zusätzlich als Plakatentwerfer arbeiten bzw. malte widerwillig Auftragsporträts. Wenn auch die Plakate wenig Innovatives zeigen, so könnten sie doch eine Anregung zu Magrittes berühmter Serie „Der Verrat der Bilder“ gewesen sein. Darin verdeutlichte Magritte seine Bild- und Wortskepsis, da das Bild einer Pfeife eben keine echte Pfeife sei, sondern nur die Form einer Pfeife vorstelle. Indem Magritte unter das Bild einer Pfeife schrieb, dass es sich hierbei um keine Pfeife handle, zwingt er den Betrachter, sich mit dem Status der Abbildung auseinanderzusetzen.
„Bisher hatte ich zusammengesetzte Gegenstände verwendet, oder manchmal genügte auch die Situation eines Gegenstandes, ihn mysteriös zu machen. Im Verlauf der Recherchen aber […] fand ich eine neue Möglichkeit der Dinge: dass sie allmählich etwas Anderes werden können, ein Gegenstand verschmilzt mit einem anderen […]. Auf diesem Wege gelange ich jetzt zu Bildern, bei denen der Blick auf ganz andere Art als bisher „denken“ muss […]. Da meine Absicht feststand, die vertrautesten Gegenstände wenn möglich aufheulen zu lassen, mußte die Ordnung, in die man die Gegenstände im Allgemeinen bringt, natürlich umgestürzt werden.“1 (René Magritte, 1927)
Ähnlich verfährt er auch in jenen Bildern, in denen ein Landschaftsbild auf der Staffelei genau den Bereich im Bild verdeckt, der diese Landschaft zeigt – also das Bild im Bild das Bild vervollständigt und dennoch als künstliches Konstrukt und Ausschnitt der Wirklichkeit innerhalb einer scheinbaren Natürlichkeit letztere in Frage stellt. In diesem Zusammenhang ist auch der Spiegel mit seinen nicht greifbaren, sich ständig verändernden Abbildern der Wirklichkeit für den belgischen Surrealisten von großem Interesse. Ausgehend von einer komplexen Reflexion der Beziehungen zwischen den Objekten, ihren Bezeichnungen und den Abbildungen stellte er gängige Vorstellungen von der Welt und ihre Funktionsweisen immer wieder auf die Probe (→ Surreale Begegnungen: Dalí, Ernst, Miró, Magritte…).
„Ich bitte Sie nicht […] alte Bilder zu kopieren, sondern darum, diese poetische und geheimnisvolle Eigenschaft ihrer früheren Bilder nicht zu unterbrechen, die in ihrer dichten Technik weit mehr Magritte entsprachen als diejenigen Bilder, in denen Renoirsche Technik und Farbe aller Welt altmodisch erscheinen.“ (Iolas über die Renoir-Periode, November 1947)
Da Magritte für die „Lesbarkeit“ seine Gedanken-Bilder realistische Wiedergabe von Objekten wählen musste, ändert sich sein malerischer Stil eigentlich nur während der deutschen Besatzung 1943 bis kurz nach dem 2. Weltkrieg: Es war der Ansicht, dass er in dieser Zeit, Kunstwerke voller Freude und Anmut schaffen zu müssen (→ Magritte: Renoir-Periode). Diese sog. „Renoir-Periode“ mutet wie ein Fluchtversuch in die sorglose, großbürgerliche Bildwelt von Pierre-Auguste Renoir an und werden (auch ob ihres teils erotisch-pornografischen Inhalts in der Albertina in einem abgesonderten Raum präsentiert. Pastellige Farbtöne herrschen vor und werden in impressionistischer Manier aufgetragen. Da die Surrealisten nahezu geschlossen diese Werke Magrittes ablehnten, löste er sich mit einem Feuerwerk an wild gemalten Bildern, der sog. „Kuh-Periode [période vache]“ von diesem Befreiungsschlag (→ Magritte: Kuh-Periode).
Im Jahr 1947 löste vielleicht eine der berühmtesten Serien in Magrittes Werk diese so befremdlich pastelligen und duftigen Werke ab, es entstanden bis in die späten 1960er Jahre 17 Ölgemälde und 10 Gouachen mit dem Titel „Das Reich der Lichter“. Hierbei handelt es sich um die Zusammenführung einer nächtlichen Häuserfront mit brennender Laterne und einem taghellen Wolkenhimmel. Die Bilder haben etwas Lyrisches, Nostalgisches und vor allem Ruhiges und schließen in ihrem Bildwitz erneut an die Arbeit Magrittes vor dem Krieg an. In einem Vortrag in London erklärte Magritte seine surreale Technik, indem er eine Zeile aus André Bretons Gedicht „L`Aigrette“ zitierte. Die Zeile „Wenn nur die Sonne heute Nacht schiene“ setzte er Jahre später eins zu eins ins Bild um und erstaunt damit noch heute.
Die späten Gemälde Magrittes reflektieren oftmals berühmte Werke der Kunstgeschichte, versteinern die Darstellung oder setzen gigantische Äpfel in kleine Räume, um die Monstrosität des Alltäglichen deutlich zu machen. Zeit seines Lebens war die Anonymität der Menschen, vor allem der Anzug und Melone tragenden Männer, Thema seiner Kunst. Da er sich selbst so kleidete, gelten einige der Bowler-Hat-Porträts als „anonyme Selbstporträts“.