0

Maria Lassnig in der Albertina Überblicksschau zum 100. Geburtstag der österreichischen Malerin

Zum 100. Geburtstag von Maria Lassnig wirdmet die Albertina 2019 der bedeutenden österreichischen Malerin eine umfassende Retrospektive.

Maria Lassnig (1919–2014) zählt mit Louise Bourgeois, Joan Mitchell und Agnes Martin zu den bedeutendsten Künstlerinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zum hundertsten Geburtstag würdigt die Albertina Maria Lassnig mit einer umfassenden Retrospektive.

Die chronologische Hängung der großformatigen Gemälde setzt mit einem Raum abstrakter Kompositionen und ersten ungegenständlichen „Körperbewusstseinsbildern“ ein. Dass es dafür den Weg nach Paris brauchte, macht ein frühes Selbstporträt der Künstlerin deutlich: Dieses entstand, nachdem Lassnig 40 km zu Fuß nach Hause laufen musste, weil ein Bombenalarm ihre Zugfahrt von Wien nach Klagenfurt abrupt beendet hatte. Das „Selbstporträt expressiv“ (1945) changiert zwischen Malerei und Zeichnung, wie die Kuratorin Antonia Hoerschelmann betont. Mit der gleichwertigen Behandlung beider Elemente – der Linie wie der Farbe – hatte Maria Lassnig ihre Haltung schon früh gefunden. Zeitlebens erarbeitete Lassnig ihre Gemälde mit malerischen wie linearen Facetten. „Selbstporträt expressiv“ dokumentiert eine expressive, gestische Malerei, die so an der Wiener Akademie während der NS-Diktatur nicht gelehrt wurde. Das Widerspenstige und Unangepasste, das zu einem Charakteristikum ihres Werks werden sollte, bricht sich hier erstmals Bann. Gegenüber „Atlas“ „Woman Power“ (1979)

 

Abstrakt aber nicht ungegenständlich

Der erste Raum in der Basteihalle ist der Pariser Phase gewidmet. Ein Blick in den Katalog, der gemeinsam mit dem Stedelijk Museum in Amsterdam entwickelt worden ist, zeigt, dass der abrupte Umschwung zu abstrakten oder stark abstrahierten Kompositionen eine kuratorische Setzung ist. Sparsam gesetzte Lineamente auf weißem Grund loten die Bildfläche aus. Malerische „Landschaften“ bringen Ende der 1950er Jahre die Bilder zum Brennen und experimentieren mit tachistischen Gestaltungsprinzipien. Allerdings: Mit Bildtiteln wie „Statische Meditation III“ (1951/52), „Kinderwagenform“ (1951) oder „Napoleon und Brigitte Bardot“ (1961) und „Große Knödelfiguration“ (1961/62) wird der selbstkritische und ironisch-humoristische Aspekt in Lassnigs Werk deutlich. Obschon sich die Künstlerin nie als Feministin empfand, muss wohl konstatiert werden, dass kein männlicher Kollege eine abstrakte Form mit einer Kinderwagen-Assoziation verbunden hätte. Im Fall von „Napoleon und Brigitte Bardot“ reagiert die Malerin offensichtlich auf das späte Werk von Pablo Picasso, das den Eros feiert (→ Museum Barberini: Picasso. Das späte Werk. Aus der Sammlung Jacqueline Picasso). Anstatt sich spirituellen Konzepten oder gestischer Malerei als Performance anzuschließen, kommen die Persönlichkeit, die inneren Sehnsüchte und Träume der Künstlerin über die „Hintertür“ ins Spiel.

 

Spiegelbilder des Inneren

Ab 1962 zeigen die Kompositionen Maria Lassnigs wieder Figuren, allerdings in stark verallgemeinerter Form, teils verstümmelt, an Kinderzeichnungen entfernt gemahnend. Desgleichen führt sie wieder einen Raum, ein Oben und Unten in den Bildern ein.1 Der Umzug 1968 nach New York versetzte Lassnig in eine „neue Welt“ mit TV-Sendungen rund um die Uhr, in Zellophan verpacktem Obst und Gemüse, einer amerikanischen Kunstszene, die von Pop Art, Konzeptkunst, Minimal Art, Performance Art und Land Art dominiert wurde. „Amerikanisches Stilleben mit Telefon“ (1971/72)

Als Malerin übte Maria Lassnig eine Technik aus, die vopn vielen Kritikern totgesagt wurde. In der künstlerischen Isolation wandte sie sich dem Trickfilm zu, schuf Auftragsporträts (von denen keines in der Albertina-Schau zu sehen ist) und entwickelte das Konzept der „Körperbewusstseinsbilder“ zu einem ersten Höhepunkt. Sie tritt als Laokoon im einsamen Kampf gegen die Schlange auf („Woman Laokoon“, 1976), wird von einem Tiger angefallen bzw. begattet („Mit einem Tiger schlafen“, 1975) und fühlt die Hände ihrer 1964 verstorbenen Mutter auf ihren Schultern, wie das bereits ikonische „Selbstporträt mit Stab“ (1971) zeigt. Maria Lassnig stellt immer wieder und auf spannende Weise sich selbst, ihre Erfahrungen, ihren Körper in das Zentrum ihrer Kunst. Auffallend ist auch ihre Palette, welche die Künstlerin um den schwierigen Farbton Türkis erweiterte, um zurück in Wien auch noch Lila- und Violetttöne aufzunehmen.

 

Die Unzeitgemäße

Zur Geschichte von Maria Lassnigs Kunst gehört unweigerlich, dass der internationale Durchbruch verhältnismäßig spät, nämlich erst in den 1980er Jahren, stattfand. Seit 1980 lebte die Künstlerin wieder in Wien. Hier wurde sie auf Betreiben der Wiener Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen, der Bundesministerin Hertha Firnberg und des Rektors Oswald Oberhuber an die Hochschule für angewandte Kunst in Wien berufen. Allerdings wurde Lassnig als erster Professorin in Österreich nicht die Klasse für Malerei anvertraut, sondern die Leitung der Meisterklasse Gestaltungslehre – experimentelles Gestalten (bis 1989). Unter ihrer Ägide wurde 1982 das Lehrstudio für experimentellen Animationsfilm eingerichtet. Gleichzeitig begannen sich Kuratorinnen und Kuratoren zunehmend mit Lassnigs expressiver Malerei auseinanderzusetzen: 1980 vertrat sie Österreich auf der Biennale von Venedig (gemeinsam mit VALIE EXPORT), 1982 war sie auf die documenta 7 eingeladen. Lassnigs erste große Retrospektive in Wien organisierte das Museum moderner Kunst 1985, auf die 1988 die Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreis folgte. Höhepunkt der öffentlichen Anerkennung zu ihren Lebzeiten war die Verleihung des Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk 2013.

In ihrer Malerei verarbeitete Maria Lassnig die Krisen ihrer Zeit – und in Ruhephasen ihr Körpergefühl. So finden sich Einflüsse der Kognitionswissenschaft und der Netzwerkanalyse, aber auch von Gewalt im TV, Golfkrieg, Aufarbeitung der Judenverfolgung im NS-Staat, Science-Fiction. Ende der 1990er Jahre reflektierte Lassnig in seiner Serie von „Illusionen“ ihre versäumten Heiraten, ihre versäumte Mutterschaft. Dass sie sich gleichzeitig auch mit der Fußball-Weltmeisterschaft beschäftigte, war dem Stedelijk wichtig (Katalog) aber nicht der Albertina. Die Wiener Ausstellung setzt auf den Existentialismus der Lassnig‘schen Bilder, ihre schonungslosen Selbstporträts als Akt, ihre Verletzlichkeit bei gleichzeitiger Stärke. Diese Ambivalenz – das Hin-und-hergerissen-Sein zwischen großem Selbstbewusstsein und zermürbender Versagensangst, wie sie Peter Pakesch, Leiter der Lassnig-Stiftung, beschreibt – ist in vielen Werken spürbar (→ Peter Pakesch: „Sie hatte sicher partiell Durchsetzungsprobleme“). Häufig begegnete ihr die Malerin mit beißender Selbstironie und entwaffnender Selbstanalyse. Dabei gelang es ihr, den Blick auf die Gesellschaft nicht zu verlieren, sehen doch viele Beobachtungen und Erfahrungen im gesellschaftlichen Kontext von Generationenfragen oder Geschlechterbeziehungen.

 

Was weiter?

„Was weiter?“ (2007) ist der Titel einer der letzten Arbeit von Maria Lassnig in der Albertina-Ausstellung anlässlich ihres 100. Geburtstags. Gemeinsam im Raum mit „Vom Tode gezeichnet“ (2011) und „Krankenhaus“ (2005) erzählt das späte Werk Maria Lassnigs von körperlichem Verfall, Krankheit und Siechtum, Tod. Sie verschloss weder ihre Augen noch ihr inneres Sensorium vor dem Unvermeidlichen und doch Unausgesprochenen, Ungedachten. Lassnig war sich ihrer eigenen Sterblichkeit äußerst bewusst und dachte in ihrer Malerei – aber auch dezidiert in Interviews – über den Tod nach. Indem sie sich der Präsenz des Todes aussetzte, konfrontiert sie das Publikum damit. Was weiter? Oder besser: Was bleibt? Eine grandiose Malerin!

 

 

Albertina: Maria Lassnig. Bilder

  • Maria Lassnig, Kartoffelpresse, 1989, Öl/Lw (Albertina, Wien. Sammlung Batliner © Maria Lassnig Privatstiftung)
  • Maria Lassnig, Mit einem Tiger schlafen, 1975, Öl/Lw (Albertina, Wien – Dauerleihgabe der Österreichischen Nationalbank © Maria Lassnig Privatstiftung)
  • Maria Lassnig, Doppeltes Selbstporträt mit Hummer, 1979, Öl/Lw (Albertina, Wien – Dauerleihgabe aus österreichischem Privatbesitz © Maria Lassnig Privatstiftung)

Beiträge zu Maria Lassnig

3. Oktober 2024
Edvard Munch, Eifersucht, 1907, Öl auf Leinwand, 75 x 98 cm (Munch Museum, Oslo)

Hamburg | Hamburger Kunsthalle: Maria Lassnig und Edvard Munch Malfluss = Lebensfluss | 2026

Erstmalig werden die österreichische Künstlerin Maria Lassnig (1919–2014) und der norwegische Maler Edvard Munch (1863–1944) in einer großen Doppelschau gemeinsam gezeigt. Überraschende Parallelen und intime Einblicke in die jeweilige Biografie zeichnen ein vielschichtiges Porträt von Lassnig und Munch, darüber hinaus aber auch von ihrer Lebenszeit.
26. August 2024
Ashley Hans Scheirl, Neoliberal Surrealist, 2019, Acryl auf Leinwand, 80 x 240 cm (Foto: Johannes Stoll, Belvedere, (c) Ashley Hans Scheirl)

Wien | Belvedere 21: Feminist Futures Forever Vielstimmiger Feminismus | 2025/26

Ob hier Erfahrungen mit den liegenden Frauenplastiken von Henri Moore verarbeitet sind, muss der im Entstehen begriffene Werkkatalog zu Maria Lassnig klären.
6. September 2023

Wien | Albertina modern: Deutschland – Österreich. Malerei 1970 bis 2020 Gegenüberstellung wichtiger Künstler:innen | 2023/24

Es entfaltet sich in der Albertina modern ein überraschender Pas de deux abseits des Nationalitätenprinzips, der das Tänzerische und Spielerische der Kunst in den Vordergrund rückt: mit Baselitz und Lassnig, Grosse und Hollegha, Rainer und Richter, Oehlen und Jungwirth, Kiefer und Nitsch.

Beiträge zu Künstlerinnen

9. Februar 2025
Suzanne Duchamp, Fabrique de joie, 1920 (Galerie 1900 – 2000, Paris, © Suzanne Duchamp / 2024, ProLitteris, Zürich)

Frankfurt Bockenheim | Schirn: Suzanne Duchamp Vom Dadaismus zur Abstraktion | 2025

Die Pionierin der Dada-Bewegung, Suzanne Duchamp (1889–1963), erstmals umfassend in einer Einzelausstellung gewürdigt. Anhand von abstrakten Gemälden, experimentellen Collagen bis hin zu figurativen Darstellungen zeigt die Retrospektive das vielseitige Schaffen der Künstlerin von den 1910er und 1920er Jahren bis zu abstrakten Kompositionen des Spätwerks.
1. Februar 2025
Ithell Colquhoun, Scylla, 1938 (Tate. © Spire Healthcare, © Noise Abatement Society, © Samaritans)

St Ives | Tate St Ives: Ithell Colquhoun Between Worlds | 2025

Über 200 Kunstwerke und Archivmaterialien zeichnen Ithell Colquhouns Entwicklung nach, von ihren frühen Studienarbeiten und ihrer Auseinandersetzung mit der surrealistischen Bewegung bis hin zu ihrer Faszination für die ineinandergreifenden Bereiche von Kunst, sexueller Identität, Ökologie und Okkultismus.
29. Januar 2025
Artemisia Gentileschi, Judith enthauptet Holofernes, Detail, um 1612–1613, Öl/Lw, 158.8 × 125.5 cm (Neapol, Museo e Real Bosco di Capodimonte (Q378) © ph. Luciano Romano / Museo e Real Bosco di Capodimonte 2016)

Paris | Musée Jacquemart-André: Artemisia Gentileschi Malerin des Barock im Dialog mit ihren Kollegen | 2025

Die Ausstellung im Musée Jacquemart-André zeigt das Werk von Artemisia Gentileschi neben den Gemälden von Künstlern, mit denen sie in beruflichen oder familiären Beziehungen stand: Insbesondere die Konfrontationen mit ihrem Vater Orazio Gentileschi und dem französischen Maler Simon Vouet belegen, in welch intensivem Austausch die Malerin stand.
  1. Ob hier Erfahrungen mit den liegenden Frauenplastiken von Henri Moore verarbeitet sind, muss der im Entstehen begriffene Werkkatalog zu Maria Lassnig klären.
  2. Ob hier Erfahrungen mit den liegenden Frauenplastiken von Henri Moore verarbeitet sind, muss der im Entstehen begriffene Werkkatalog zu Maria Lassnig klären.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.