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Max Ernst Museum Brühl: Welt der Monster von Joan Miró Augmented Reality erweckt Monster zum Leben

Joan Miró, Personnage devant le soleil [Figur vor der Sonne], 1975, Kohle, Pastellstift und Gouache auf Zeitungspapier, Collection Fondation Marguerite et Aimé Maeght, SaintPaul – France © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Joan Miró, Personnage devant le soleil [Figur vor der Sonne], 1975, Kohle, Pastellstift und Gouache auf Zeitungspapier, Collection Fondation Marguerite et Aimé Maeght, SaintPaul – France © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Mirós „Monster“ für Zuhause: Nur wenige Tage nach der Gamescom Köln eröffnet im Max Ernst Museum Brühl des LVR die Ausstellung „MIRÓ. Welt der Monster“, deren Kunstvermittlung sich in die Augmented Reality begibt. Zwar ohne VR-Brille, aber mit spezieller „Miró 2.0“-App kann der Besucher der Ausstellung nicht nur selbst sein eigenes Monster à la Miró am Smartphone collagieren, sondern im Besitz des Ausstellungskatalogs auch zu Hause die Bronzeplastiken der Ausstellung nochmals am Tablet zum Leben erwecken und von allen Seiten betrachten. Diese digitale Erweiterung von Kunst und Museumsbesuch entstand in Zusammenarbeit mit dem Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln. Sie entspräche in seiner Progressivität jener des surrealistischen Künstlers Joan Miró (1893–1983), der seine Kunst als Samen für künftige intellektuelle Ideen verstand, so Achim Sommer, Direktor des Max Ernst Museums Brühl und Kurator der Ausstellung.

Rendez-vous des amis

Das Max Ernst Museum Brühl setzt mit der Einzelausstellung zu Joan Miró seine „Rendez-vous des amis“-Ausstellungsreihe fort. Zeitgenossen von Max Ernst sowie Künstler, die auf Ernst als Einfluss referieren, treten in einen künstlerischen Dialog mit der Sammlung des Hauses. Nach Präsentationen der Werke von Paul Klee, George Grosz, Man Ray, Hans Arp, Niki de Saint Phalle, Christo, David Lynch, Neo Rauch oder Tim Burton wird das Augenmerk nun auf den katalanischen Künstler Joan Miró gelegt, der eine fantastische Welt der Monster kreierte. Die insgesamt 67 Werke der Schau legen einen Fokus auf die 40 Bronzeplastiken der 1960er und 1970er und sind allesamt Leihgaben der Fondation Maeght im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence.

 

Der anti-intellektuelle Surrealist

Aufgewachsen in Barcelona und Mont-roig del Camp bei Tarragona, reiste der 25-jährige Miró 1919 zum ersten Mal nach Paris, wo er sich ein Jahr später gemeinsam mit André Masson ein Atelier mietete. Dieser machte ihn 1924 mit André Breton bekannt, durch den Miró wiederum zur Surrealistengruppe kam. Obwohl Miró sich konsequent an Aktivitäten der Gruppe beteiligte, blieb er aufgrund seiner ruhigen, introvertierten und anti-intellektuellen Haltung stets ein Außenseiter. Die diskussionsfreudige Gruppe nahm ihm seine Schweigsamkeit und seinen Unwillen zur intellektuellen Debatte übel. Eine Episode aus der Autobiografie Man Rays berichtet von einem Vorfall zwischen den Surrealisten, bei dem Max Ernst Miró knebelte und drohte, ihn zu erhängen, wenn er nicht endlich redet – die Aktion blieb ohne Erfolg. Miró schwieg weiter.

 

 

„Ermordung der Malerei“ und Erschaffung der Monster

Joan Miró verfolgte den Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) von Paris aus, was sich auch in seiner Kunst niederschlug. Die Formensprachen Mirós wandelte sich in dieser Zeit und monsterartige Wesen bevölkern ab den 1930er Jahre seine Bildwelten. Als „Ermordung der Malerei“ titulierte Miró jene Zeit, in der er sich der Assemblage als Erweiterung der Malerei in die dritte Dimension bediente. Ab den 60er und 70er Jahren setzte er seine Monster auch plastisch in Form von Bronzefiguren um. Zunächst patinierte er die Bronze noch und bearbeitete die Oberfläche mit Säure. Auf Anregung von Alberto Giacometti, bemalte Miró zwischen 1967 und 1969 die Plastiken mit bunten, glänzenden Lacken, wodurch die ursprüngliche Materialität nicht mehr zu erkennen ist und ein verstärkt malerischer Gestus in den Vordergrund rückt.

 

„Als ich über den Tod nachdachte, kam ich dazu, die Monster zu schaffen, die mich gleichzeitig anzogen und zurückstießen.“1 (Joan Miró)

 

 

Spontane Collage als oberstes Prinzip

Was die Arbeitsweise von Miró betrifft, so ist ihnen eine Geste der Spontanität und des Zufalls immanent. Bei Spaziergängen in Katalonien und auf Mallorca, seinem Wohnsitz ab 1956, sammelte er Gegenstände, die ihm auf seinem Weg begegneten: Schneckenhäuser, Knochen und sogar Schildkrötenpanzer wurden Teil seiner Assemblagen. Weitere in seinem Werk wiederkehrende objet trouvés sind etwa die Heugabel, der Wasserhahn, der Sonnenhut und der Löffel.

Im Schaffensprozess geht es schließlich um die Findung einer Komposition, die aber ganz im Sinne des „Manifeste du surréalisme“ einem psychischen Automatismus geschuldet ist. Miró breitete die Objekte auf dem Boden seines Ateliers aus und entschied spontan, unbewusst und offen für Formanalogien über die Zusammenstellung der Objekte: Der Schildkrötenpanzer wird in einer Skulptur zum Torso, in einer anderen zur Vagina. Der Kopf kann von einem Sonnenhut repräsentiert werden oder von einem kleinen Ei, als Kopfbedeckung kann sich darüber noch ein Fleischwolf befinden ebenso wie eine Mistgabel oder ein abstrahierter kleiner blauer Stier. Allesamt wirken die Monster allerdings harmlos bis freundlich, an mancher Stelle sogar etwas hilflos und verloren.

 

"Ich verwende einfach die Dinge, die ich finde; ich häufe Dinge in meinem sehr großen Atelier an. Ich stelle sie auf den Boden und wähle das eine oder andere aus. Ich kombiniere mehrere Objekte; manchmal benutze ich Elemente anderer Skulpturen neu (...). Ich gehe bei den Skulpturen nicht von Zeichnungen aus, sondern direkt von den Objekten (...). Ich fertige niemals Entwurfszeichnungen an, ich stelle einfach die Objekte zusammen."2 (Joan Miró)

 

Monster als Zeichen des politischen Widerstandes

Patrick Blümel, Co-Kurator der Ausstellung, erkennt in Mirós Monstern ein Zeichen des politischen Widerstandes des katalanisch-anarchistisch eingestellten Mirós (siehe dazu auch: Joan Miró. Skulpturen und Malerei). Das Franco-Regime instrumentalisierte die Kunst Mirós und versuchte, mit den farbenfrohen Bildern eine künstlerische Offenheit nach außen hin zu suggerieren. Als Reaktion darauf stellte der Künstler nur selten in seiner Heimat aus und lehnte eine Beteiligung am spanischen Pavillon auf den Biennalen in Venedig und São Paulo ab. 1954 nahm er in Form einer länderunabhängigen Präsentation auf der Biennale in Venedig jedoch Teil. Die Verwendung einer Bildsprache, welche von der Diktatur nicht propagandistisch eingesetzt werden kann, war eine bewusste Reaktion – wenn auch aus der Defensive heraus. Die Monster aus Alltagsobjekten, welche Joan Miró in Bronze gießen ließ, stellen auch eine Persiflage auf die bronzenen Denkmäler von Herrschern, im konkreten Fall: Francos, dar. Indem er das Material durch den Topos des entstellten Monsters entwertete, entwertete er auf subtile Weise auch jene, welche sich in diesem kostbaren Material verewigen ließen.

 

Max Ernst und Joan Miró: Künstlerischer Dialog oder Monologe?

Tatsächlich eine interessante Gegenüberstellung wären die Bronzeplastiken von Joan Miró mit jenen von Max Ernst gewesen, denn wie Achim Sommer betont, befinden sich beinahe alle Bronzeplastiken von Ernst in Brühl. Leider wird dieser Dialog nur in Form von zwei Monologen erfahrbar, da die Sammlung sich in einer räumlich abgetrennten Situation im Erdgeschoss und im 1. Stock des Museums befindet, während die temporäre Ausstellung im Untergeschoss stattfindet. Eine Nebeneinander- und Gegenüberstellung wäre erstrebenswert gewesen, da dadurch auch klar wird, was Sommer bei der Pressekonferenz meint, wenn er sagt, dass Miró „in seinem plastischen Werk noch kühner und progressiver als Max Ernst war.“

 

 

Familienerlebnis mit guter Haftpflichtversicherung

Für Unterhaltung ist allemal und für alle Altersstufen gesorgt. Die Kleinsten können sich an der Mitmach-Station an den „Magnetischen Monstern“ austoben, während die Technik-Aficionados virtuelle Puzzle-Teile in den Ausstellungsräumlichkeiten suchen und sammeln können, um am Schluss selbst Frankenstein zu spielen und das eigene Monster auf einen Museumssockel zu platzieren. Mitnehmen lässt sich das mehr oder weniger gruselige Ergebnis in Form eines Selfies. Ach ja, und sollte jemand dabei sein, der sich für die Kunst interessiert, so gibt es auch eine wirklich gelungene Ausstellung mit durchdachtem Display und ausdrucksstarken Objekten zu sehen. Den Smombies (= Smartphone Zombies) sei also geraten, doch den einen oder anderen direkten Blick auf die Kunst zu werfen – oder zumindest vorher eine gute Haftpflichtversicherung abzuschließen.
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm für Groß und Klein begleitet.

Kuratiert von Achim Sommer und Patrick Blümel

 

 

Miró – Welt der Monster: Ausstellungskatalog

Achim Sommer (Hg.)
242 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen
ISBN 978-3-86832-410-5
Wienand Verlag, Köln

 

Miró. Welt der Monster: Bilder

  • Joan Miró, Femme et oiseau I [Frau und Vogel I], 1964, Öl auf Leinwand, Collection Fondation Marguerite et Aimé Maeght, Saint-Paul – France
  • Joan Miró, Jeune fille s'évadant [Fliehendes junges Mädchen], 1967, bemalte Bronze, Collection Fondation Marguerite et Aimé Maeght, Saint-Paul – France
  • Joan Miró, Femme échevelée [Frau mit zerzaustem Haar], 1969, Bronze, Collection Fondation Marguerite et Aimé Maeght, Saint-Paul – France
  • Joan Miró, Personnage devant le soleil [Figur vor der Sonne], 1975, Kohle, Pastellstift und Gouache auf Zeitungspapier, Collection Fondation Marguerite et Aimé Maeght, SaintPaul – France
  • Joan Miró, Selbstporträt, nach 1934, Collage und Deckweiß auf einer Porträt-Fotografie des Künstlers von Horacio Coppola, Archiv der Avantgarden, Dresden
  • Miró-App und Ausstellungskatalog „MIRÓ. Welt der Monster“, Foto: ARTinWORDS, Nora Höglinger.

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  1. Achim Sommer (Hg.), Miró. Welt der Monster, Ausst.Kat. Max Ernst Museum Brühl des LV, Köln: Wienand Verlag, 2017, S. 121.
  2. Achim Sommer (Hg.), Miró. Welt der Monster, Ausst.Kat. Max Ernst Museum Brühl des LV, Köln: Wienand Verlag, 2017, S. 184.
Nora Höglinger
* 1987 in Rohrbach/OÖ, Studium der Kunstgeschichte und Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Paris. Seit 2009 im Bereich der zeitgenössischen Kunst tätig. Publikationen u.a. für die Sammlung Verbund Wien, BOZAR Brüssel, Hamburger Kunsthalle und Kunst im öffentlichen Raum Wien. Lebt und arbeitet als freie Autorin in Köln.