Mirós „Monster“ für Zuhause: Nur wenige Tage nach der Gamescom Köln eröffnet im Max Ernst Museum Brühl des LVR die Ausstellung „MIRÓ. Welt der Monster“, deren Kunstvermittlung sich in die Augmented Reality begibt. Zwar ohne VR-Brille, aber mit spezieller „Miró 2.0“-App kann der Besucher der Ausstellung nicht nur selbst sein eigenes Monster à la Miró am Smartphone collagieren, sondern im Besitz des Ausstellungskatalogs auch zu Hause die Bronzeplastiken der Ausstellung nochmals am Tablet zum Leben erwecken und von allen Seiten betrachten. Diese digitale Erweiterung von Kunst und Museumsbesuch entstand in Zusammenarbeit mit dem Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln. Sie entspräche in seiner Progressivität jener des surrealistischen Künstlers Joan Miró (1893–1983), der seine Kunst als Samen für künftige intellektuelle Ideen verstand, so Achim Sommer, Direktor des Max Ernst Museums Brühl und Kurator der Ausstellung.
Deutschland / Brühl: Max Ernst Museum Brühl des LVR
3.9.2017 – 28.1.2018
Das Max Ernst Museum Brühl setzt mit der Einzelausstellung zu Joan Miró seine „Rendez-vous des amis“-Ausstellungsreihe fort. Zeitgenossen von Max Ernst sowie Künstler, die auf Ernst als Einfluss referieren, treten in einen künstlerischen Dialog mit der Sammlung des Hauses. Nach Präsentationen der Werke von Paul Klee, George Grosz, Man Ray, Hans Arp, Niki de Saint Phalle, Christo, David Lynch, Neo Rauch oder Tim Burton wird das Augenmerk nun auf den katalanischen Künstler Joan Miró gelegt, der eine fantastische Welt der Monster kreierte. Die insgesamt 67 Werke der Schau legen einen Fokus auf die 40 Bronzeplastiken der 1960er und 1970er und sind allesamt Leihgaben der Fondation Maeght im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence.
Aufgewachsen in Barcelona und Mont-roig del Camp bei Tarragona, reiste der 25-jährige Miró 1919 zum ersten Mal nach Paris, wo er sich ein Jahr später gemeinsam mit André Masson ein Atelier mietete. Dieser machte ihn 1924 mit André Breton bekannt, durch den Miró wiederum zur Surrealistengruppe kam. Obwohl Miró sich konsequent an Aktivitäten der Gruppe beteiligte, blieb er aufgrund seiner ruhigen, introvertierten und anti-intellektuellen Haltung stets ein Außenseiter. Die diskussionsfreudige Gruppe nahm ihm seine Schweigsamkeit und seinen Unwillen zur intellektuellen Debatte übel. Eine Episode aus der Autobiografie Man Rays berichtet von einem Vorfall zwischen den Surrealisten, bei dem Max Ernst Miró knebelte und drohte, ihn zu erhängen, wenn er nicht endlich redet – die Aktion blieb ohne Erfolg. Miró schwieg weiter.
Joan Miró verfolgte den Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) von Paris aus, was sich auch in seiner Kunst niederschlug. Die Formensprachen Mirós wandelte sich in dieser Zeit und monsterartige Wesen bevölkern ab den 1930er Jahre seine Bildwelten. Als „Ermordung der Malerei“ titulierte Miró jene Zeit, in der er sich der Assemblage als Erweiterung der Malerei in die dritte Dimension bediente. Ab den 60er und 70er Jahren setzte er seine Monster auch plastisch in Form von Bronzefiguren um. Zunächst patinierte er die Bronze noch und bearbeitete die Oberfläche mit Säure. Auf Anregung von Alberto Giacometti, bemalte Miró zwischen 1967 und 1969 die Plastiken mit bunten, glänzenden Lacken, wodurch die ursprüngliche Materialität nicht mehr zu erkennen ist und ein verstärkt malerischer Gestus in den Vordergrund rückt.
„Als ich über den Tod nachdachte, kam ich dazu, die Monster zu schaffen, die mich gleichzeitig anzogen und zurückstießen.“1 (Joan Miró)
Was die Arbeitsweise von Miró betrifft, so ist ihnen eine Geste der Spontanität und des Zufalls immanent. Bei Spaziergängen in Katalonien und auf Mallorca, seinem Wohnsitz ab 1956, sammelte er Gegenstände, die ihm auf seinem Weg begegneten: Schneckenhäuser, Knochen und sogar Schildkrötenpanzer wurden Teil seiner Assemblagen. Weitere in seinem Werk wiederkehrende objet trouvés sind etwa die Heugabel, der Wasserhahn, der Sonnenhut und der Löffel.
Im Schaffensprozess geht es schließlich um die Findung einer Komposition, die aber ganz im Sinne des „Manifeste du surréalisme“ einem psychischen Automatismus geschuldet ist. Miró breitete die Objekte auf dem Boden seines Ateliers aus und entschied spontan, unbewusst und offen für Formanalogien über die Zusammenstellung der Objekte: Der Schildkrötenpanzer wird in einer Skulptur zum Torso, in einer anderen zur Vagina. Der Kopf kann von einem Sonnenhut repräsentiert werden oder von einem kleinen Ei, als Kopfbedeckung kann sich darüber noch ein Fleischwolf befinden ebenso wie eine Mistgabel oder ein abstrahierter kleiner blauer Stier. Allesamt wirken die Monster allerdings harmlos bis freundlich, an mancher Stelle sogar etwas hilflos und verloren.
"Ich verwende einfach die Dinge, die ich finde; ich häufe Dinge in meinem sehr großen Atelier an. Ich stelle sie auf den Boden und wähle das eine oder andere aus. Ich kombiniere mehrere Objekte; manchmal benutze ich Elemente anderer Skulpturen neu (...). Ich gehe bei den Skulpturen nicht von Zeichnungen aus, sondern direkt von den Objekten (...). Ich fertige niemals Entwurfszeichnungen an, ich stelle einfach die Objekte zusammen."2 (Joan Miró)
Patrick Blümel, Co-Kurator der Ausstellung, erkennt in Mirós Monstern ein Zeichen des politischen Widerstandes des katalanisch-anarchistisch eingestellten Mirós (siehe dazu auch: Joan Miró. Skulpturen und Malerei). Das Franco-Regime instrumentalisierte die Kunst Mirós und versuchte, mit den farbenfrohen Bildern eine künstlerische Offenheit nach außen hin zu suggerieren. Als Reaktion darauf stellte der Künstler nur selten in seiner Heimat aus und lehnte eine Beteiligung am spanischen Pavillon auf den Biennalen in Venedig und São Paulo ab. 1954 nahm er in Form einer länderunabhängigen Präsentation auf der Biennale in Venedig jedoch Teil. Die Verwendung einer Bildsprache, welche von der Diktatur nicht propagandistisch eingesetzt werden kann, war eine bewusste Reaktion – wenn auch aus der Defensive heraus. Die Monster aus Alltagsobjekten, welche Joan Miró in Bronze gießen ließ, stellen auch eine Persiflage auf die bronzenen Denkmäler von Herrschern, im konkreten Fall: Francos, dar. Indem er das Material durch den Topos des entstellten Monsters entwertete, entwertete er auf subtile Weise auch jene, welche sich in diesem kostbaren Material verewigen ließen.
Tatsächlich eine interessante Gegenüberstellung wären die Bronzeplastiken von Joan Miró mit jenen von Max Ernst gewesen, denn wie Achim Sommer betont, befinden sich beinahe alle Bronzeplastiken von Ernst in Brühl. Leider wird dieser Dialog nur in Form von zwei Monologen erfahrbar, da die Sammlung sich in einer räumlich abgetrennten Situation im Erdgeschoss und im 1. Stock des Museums befindet, während die temporäre Ausstellung im Untergeschoss stattfindet. Eine Nebeneinander- und Gegenüberstellung wäre erstrebenswert gewesen, da dadurch auch klar wird, was Sommer bei der Pressekonferenz meint, wenn er sagt, dass Miró „in seinem plastischen Werk noch kühner und progressiver als Max Ernst war.“
Für Unterhaltung ist allemal und für alle Altersstufen gesorgt. Die Kleinsten können sich an der Mitmach-Station an den „Magnetischen Monstern“ austoben, während die Technik-Aficionados virtuelle Puzzle-Teile in den Ausstellungsräumlichkeiten suchen und sammeln können, um am Schluss selbst Frankenstein zu spielen und das eigene Monster auf einen Museumssockel zu platzieren. Mitnehmen lässt sich das mehr oder weniger gruselige Ergebnis in Form eines Selfies. Ach ja, und sollte jemand dabei sein, der sich für die Kunst interessiert, so gibt es auch eine wirklich gelungene Ausstellung mit durchdachtem Display und ausdrucksstarken Objekten zu sehen. Den Smombies (= Smartphone Zombies) sei also geraten, doch den einen oder anderen direkten Blick auf die Kunst zu werfen – oder zumindest vorher eine gute Haftpflichtversicherung abzuschließen.
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm für Groß und Klein begleitet.
Kuratiert von Achim Sommer und Patrick Blümel
Achim Sommer (Hg.)
242 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen
ISBN 978-3-86832-410-5
Wienand Verlag, Köln