Was haben Künstler wie Vincent van Gogh, Claude Monet, Edvard Munch und Salvador Dalí gemeinsam? Sie alle wurden vom französischen Künstler Jean-François Millet (1814–1875) inspiriert. Mit seiner radikalen Maltechnik, seinem modernen Stil und seiner inspirierenden Darstellung des bäuerlichen Lebens hat Millet zweifellos die Saat der modernen Kunst gelegt. Die Herbstausstellung des Van Gogh Museums Amsterdam führt ein in Millets Schaffen und stellt ihm die Werke der vielen Künstler gegenüber, die er inspiriert hat.
Niederlande | Amsterdam: Van Gogh Museum
4.10.2019 – 12.1.2020
USA | Saint Louis: Louis Art Museum
16.2. – 17.5.2020
Die Ausstellung „Jean-François Millet: Die Saat der modernen Kunst“ zeigt, wie fortschrittlich das Werk von Jean-François Millet für seine Zeit war. Trotz seiner klassischen Kunstausbildung in Paris waren sein Stil und seine Technik alles andere als traditionell.
Jean-François Millet malte mit groben Pinselstrichen und brachte seine Motive durch vereinfachte Formen und starke Linien wieder zu ihrer Essenz zurück. Er führte radikal neue Kompositionen in seine Landschaften ein, mit einem hohen Horizont oder weiten leeren Ebenen.
Millets Modernität spiegelt sich auch in seinen Themen wider. Anstatt sich der zunehmenden Bedeutung von Fabriken oder Großstädten als Zeichen der Modernität zu widmen, konzentrierte er sich auf das unerbittliche bäuerliche Leben. Zu seiner Zeit widersprach Millets tiefes Verständnis und seine Darstellung dieses bäuerlichen Lebens der Norm, weshalb er als Querkopf angesehen wurde.
Millet hatte eine lebhafte und erfolgreiche Karriere. Während seines Lebens wurden seine Gemälde oft kritisiert, aufgrund seiner radikalen Maltechnik und der Sozialkritik, die sich in seiner Darstellung des Bauernlebens manifestierte. Kurz nach seinem Tod erhob die französische Regierung Millet zum Nationalhelden, der das ländliche Frankreich in seiner ganzen Fülle erobert hatte.
Als sich Vincent van Gogh um 1880 entschloss, Maler zu werden, orientierte sich der Autodidakt an den Werken von Millet, die er aus Reproduktionen kannte. Mit Büchern wie Armand-Théophile Cassagne’s „Guide de l’alphabet du dessin“ (1880) half er sich über die ersten Anfangsschwierigkeiten wie der Perspektive hinweg. Charles Bargue’s „Exercices au fusain“ nutzte er wie Millets Zeichnungen, um nach ihnen zu zeichnen bzw. sie zu kopieren.
Das Frühwerk von Vincent van Gogh, das zwischen 1881 und 1885 in den Niederlanden entstand, ist geprägt von seiner Hinwendung zum einfachen Leben von Bauern und Arbeiterinnen (→ Vincent van Gogh. Von Paris nach Arles). Im April 1881 zog er wieder bei seinen Eltern in Etten (Nordbrabant) ein, wo er auf Millets Spuren wandelte und arbeitende Bauern zeichnete. Von Dezember 1881 bis September 1883 lebte er in Den Haag. Hier fertigte er Zeichnungen von Minenarbeiterinnen und -arbeitern sowie Minenpferden an.
Im November 1885 zog Vincent van Gogh nach Antwerpen und im Februar 1886 weiter nach Paris. Für zwei Jahre, bis Februar 1888, verschwanden die einfachen Bauernhäuser und Hütten von seinen Leinwänden. Stattdessen kopierte und reinterpretierte Van Gogh berühmte Zeitgenossen und Vorläufer, darunter zwei Kopien nach dem „Sämann“ von Jean-François Millet. Damit kristallieren sich neben den Leitmotiven auch Arbeitsmethoden in Van Goghs Werk heraus, die mit seinem Aufenthalt im Borinage verbunden werden können.
Allein von Van Gogh besitzt das Museum zehn Werke, die direkte Kopien nach dem verehrten Meister sind. Dazu kommt noch das Gemälde „Der Sämann“ (Arles, November 1888), der vor dem untergehenden Sonnenball seine Saat ausbringt. Zeit seines Lebens interessierte sich van Gogh für die Aussaat, was sich an mehr als 30 Zeichnungen und Gemälden zu diesem Thema niederschlug. Während er gemeinsam mit Paul Gauguin im „Atelier des Südens“ zusammenarbeitete, schlug ihm dieser vor, mehr von der Natur zu abstrahieren (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles). Motivisch bezog sich Van Gogh in diesem Bild auf Millet, koloristisch erlaubte er sich größere Naturferne als sein Vorbild. Die Farben sollten seine Gefühle ausdrücken, weshalb Van Gogh zu Grüngelb für den Himmel und Purpur für das Feld griff. Die untergehende Sonne hinter dem Sämann verwandelt ihn in einen Heiligen.
Das Van Gogh Museum untersucht erstmals in dieser Ausstellung, wie Millets Gemälde, Zeichnungen und Pastelle die Werke zahlreicher internationaler Künstler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts inspirierten, darunter Vincent van Gogh, Camille Pissarro, Georges Seurat (→ Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus), Claude Monet, Giovanni Segantini und Winslow Homer, Paula Modersohn-Becker, Edvard Munch und Salvador Dalí.
Die Ausstellung ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Saint Louis Art Museum und dem Van Gogh Museum.
Die Ausstellung findet fast zeitgleich mit der Ausstellung „Jean-François Millet und die Haager Schule“ in der Mesdag-Sammlung in Den Haag (13. September 2019 bis 5. Januar 2020) statt, in der Millets Einfluss auf die Künstler der Haager Schule untersucht wird.