Gustav Klimt, Porträt von William Dowuona, Detail, 1897, Öl-LW, 65.5 x 54 cm (Privatbesitz, Foto: courtesy Wienerroithe & Kohlbacher)
1897 malte Gustav Klimt ein Porträt von „Prinz William Nii Nortey Dowuona“ in seinem Wiener Atelier. Zum letzten Mal 1928 in der Secession ausgestellt, ist das verschollen geglaubte Bild jetzt wieder aufgetaucht. Frisch gereinigt und restauriert, bietet es die Wiener Galerie Wienerroither und Kohlbacher für mindestens € 15 Millionen auf der Tefaf 2025 an. Die aktuellen Besitzter:innen haben sich mit den Erben nach Ernestine Klein auf die Modalitäten der Restitution geeinigt.
Als Gustav Klimt den Prinzen aus Ghana malte, befand er sich auf einem ersten Höhepunkt seiner Karriere. Zwar sollte es noch etwa drei Jahre dauern, bis der „Goldene Klimt“ in Erscheinung tritt, doch konnte der damals 35-jährige auf eine stattliche Anzahl von Aufträgen und Erfolge zurückblicken. Die 1880er hatten gut begonnen, da er, damals noch gemeinsam mit dem jüngeren Bruder Ernst, in der Künstler-Compagnie überregionalen Erfolg mit Theaterausstattungen verbuchen konnte. Die wichtigsten Aufträge führten die jungen Künstler nun – nach über zehn Jahren kontinuierlicher Arbeit – zurück nach Wien, durften sie doch das Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums ausstatten (→ Gustav Klimt: Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums) und in der Folge den Auftrag für die „Fakultätsbilder“ entgegennehmen. Erste Porträts entstanden ab den frühen 1890ern und neue Allegorien führten Klimt in Richtung Symbolismus und Jugendstil. Damit etablierte sich Gustav Klimt in der Wiener Kunstszene als aufstrebender Stern. Als im Künstlerhaus die „Jungen“ gegen die „Alten“, vulgo die Avantgarde gegen die Akademiker, rebellierten, setzte sich Gustav Klimt an die Spitze der Austrittswilligen und wurde 1897 prompt zum ersten Präsidenten der neugegründeten Wiener Secession gewählt.
Man könnte meinen, dass dieser neue Wind, dieser Aufbruch, den Maler dazu inspiriert haben könnte, sich einem gänzlich neuen Modell zuzuwenden. William Nii Nortey Dowuona, Prinz der Osu oder Ga aus Ghana, hatte eine Gruppe von Kriegern und Frauen nach Wien begleitet, um auf einer sog. „Völkerschau“ aufzutreten. Ein Zeitungsbericht ermglichte, den jungen Mann mit Vollbart als „Häuptling“ zu identifizieren.1 Vor einigen Jahren gelang es Alfred Weidinger, den Dargestellten zu identifizieren, nachdem er die Nachfahren der afrikanischen Wien-Besucher:innen von 1896/97 ausfindig machen konnte.
Wie der afrikanische Prinz und Gustav Klimt aufeinandertrafen, ist (noch) unbekannt. Doch er muss den Wiener Maler fasziniert haben. Neben Klimt stand noch sein Kompagnon Franz von Matsch im Atelier und malte das gleiche Modell aus einer leicht veränderten Perspektive. Dessen Gemälde befindet sich seit letztem Jahr im Nationalmuseum von Luxembourg, dem Nationalmusée um Fëschmaart. Es zeigt den Dargestellten in Dreiviertelporträt, während Klimt sich für eine Profilansicht entschied. In beiden Bildern trägt der Prinz ein weißes Tuch wie eine Toga um die Schulter, während der Körper nackt bleibt. Und doch ist es kein entwürdigender Blick, den die beiden Künstler auf ihr dunkelhäutiges Modell werfen. Sie schildern den Fürsten mit der gleichen Sorgfalt und Hingabe wie ihre Wiener Modelle. Damit fügt sich der afrikanische Prinz in Klimts frühes Porträtschaffen, das er im naturalistischen, nahezu fotorealistischen Stil hielt (→ Naturalismus 1875-1918). Einzig die sich fast auflösenden Blumen im Hintergrund bringen eine fast romantische Note in Klimts Bild. Das Kolorit ist brauntonig und blass, wie bei späten Werken des von ihm so verehrten Hans Makart (vgl. „Die Betende – eine schöne Frau der Wiener Gesellschaft“, 1880, The Princely Collections Liechtenstein).
Prinz William Nii Nortey Dowuona und seine Mitreisenden kamen aus Ghana, genauer der Groß-Accra-Region bzw. der ehemaligen Britischen Kronkolonie (1878 bis 1957).2 Im späten 19. Jahrhundert entstanden in ganz Europa „Menschenzoos“ und schürten auf dem Höhepunkt der Kolonialherrschaft die Faszination für das Exotische. Der deutsche Wildtierimporteur Carl Hagenberg, bekannt als der „König der Zoos“, brachte 1897 erstmals eine „Nubier-Karawane“ nach Wien.3 Inuit, Nubier, Dahomeaner, Indianer, Koreaner und andere Völker wurden in rekonstruierten Dörfern ausgestellt und aufgefordert, Tänze aufzuführen, Fantasiekostüme zu tragen und sogar kannibalistische und brutale Charaktere zu verkörpern. Diese entmenschlichende Industrie zielte darauf ab, ein stetig wachsendes Publikum anzuziehen und gleichzeitig das Kolonial- und Zivilisierungsunternehmen zu legitimieren. Unter dem Deckmantel „eines anthropologisch-ethnologischen Wissensdurstes wurde die ‚Überlegenheit‘ der europäischen Zivilisation zur Schau gestellt.“4
Solche Inszenierungen und Zurschaustellungen waren ein durchschlagender Erfolg bei einem voyeuristischen und wissbegierigen Publikum. In Wien wurde im Prater - gleich neben Venedig in Wien und in Konkurrenz zu einem Beduinen-Lager, eine ägyptischen Ausstellung und der größten Reptilienausstellung der Welt (!) - ein sog. Aschanti-Dorf installiert, wo von 9. Juli bis Herbst 1896 und erneut von 18. April bis 24. Oktober 1897 eine Reihe von Afrikaner:innen lebten und u.a. abends Kriegsspiele aufführten, afrikanische Gerichte kochten, webten, Waffen schmiedeten, Gold schmiedeten bzw. in einer Aschanti-Schule lernten.5 Wie kaum eine andere „Attraktion“ zog das Aschanti-Dorf 1896 und 1897 das Publikum an und wurde in den Medien besprochen.6
Die konservative Reichpost stellte ihrer Leserschaft die neue Attraktion wie folgt vor:
„Aschanti-
Neger. Der Thiergarten im Prater bietet jetzt ein interessantes Bild; unsere schwarzen Gäste aus Afrika erfreuen sich nicht nur bei der hohen Aristokratie, der Kunst- und Sportwelt, sondern auch bei der großen Masse des Publicums eines lebhaften Interesses. Die Anzahl der Besucher betrug vergangenen Sonntag trotz des ungünstigen Wetters über 8000 und finden sich auch an Wochentagen täglich 3000 bis 4000 Personen im Thiergarten am Schüttel ein, welche die Aschanti-Negerbei ihren häuslichen Arbeiten, Spielen, Tänzen, Gesängen und Gefechten beobachten. In der Mitte des Thiergartens, umgeben von den Käfigen der Raubthiere, wie Löwen, Tiger, Leoparden, Bären etc., ist im Schatten hoher Bäume das Dorf der Aschanti errichtet. Das lebhafte Interesse erregen selbstverständlich die hübschen kleinen Aschanti-Kinder, die um die Besucher ungeniert herumtrippeln und allerlei Kurzweil untereinander treiben. Die Besucher des Thiergartens finden aber außerdem des Interessanten und Schehenswerthen eine Menge. Neben dem Aschanti-Dorf befindet sich der Arena-Cirkus, welcher sich die Gunst und Sympathien der Besucher in kurzer Zeit errungen hat.“7
Was die Afrikaner:innen von den Wiener:innen hielten, lässt sich an einem Offenen Brief ermessen: Jaboley Domeï hatte einer Wienerin das Gesicht zerkratzt und musste sich deshalb verantworten. In ihrem Schreiben urteilt sie über die Weißen und ihre eigenartigen Verhaltensweisen, ihre sonderbare Kleidung und ihre sexuellen Begehrlichkeiten. Kurzum:
„Diese Weißen sind sehr dumm.“8
Dowuona kam in den Wiener Tiergarten, um mit einer Gruppe von 70 Kriegern und etwa 50 Frauen und Kindern aufzutreten – alles gegen eine bescheidene Gage. Vielleicht war das der Grund, warum er sich von Klimt und Matsch hat malen lassen. Für die Künstler bot wohl der Bruch mit den Konventionen und die Schwierigkeit dunkle Haut darzustellen einen Reiz. Dunkelhäutige Modelle waren selten und bedeuteten eine deutliche Abkehr von den Schönheitsidealen der Zeit. Immerhin beschäftigte sich Gustav Klimt in diesen Jahren mit dem Körperideal unter anderem der griechischen Vasenmalerei (→ Griechische Vasenmalerei), wie die berühmte „Pallas Athene“ (1898, Wien Museum) belegt.
Dass sich die Wiener Künstlerschaft, sehr im Gegensatz zum voyeuristischen Blick der zeitgenössischen Wiener:innen, mit großer Sensibilität den Fremden näherten, belegt eine wenig bekannte Publikation von Peter Altenberg. Unter dem Titel „Ashantée“ (erste Auflage 1897) fasste er als „teilnehmender Beobachter“ in Skizzen und Miszellen das Gesehen und Gehörte zusammen.9 Mit seinen Texten schaut Altenberg seinen Zeitgenoss:innen genau hin, verdichtet Wünsche, Projektionen und Fremdenhass im Wiener Slang. Ähnliches findet sich auch im Feuilleton und in Karikaturzeitungen - allerdings mit einem deutlich unkritischeren, teils verächtlichem Ton.