Naturalismus 1875-1918 Konstruktionen der "realen Welt"

Gabriel P. Weisberg, David Jackson, Willa Z. Silverman, Maartje de Haan: Illusions of Reality. Naturalismus 1875-1918, Belser Verlag.
Der Naturalismus (1880-1918) ist ein zeitlich begrenztes, internationales Phänomen, das Themen aus dem städtischen und ländlichem Milieu für ein breites Publikum in einem fotografisch genauen Malstil zugänglich macht. Ort der Präsentation der übergroßen Gemälde war der Salon, wo diese sozial engagierte Kunst das bürgerliche Publikum mit dem Alltag von „einfachen Menschen“ konfrontierte. Nach Ansicht des Experten wie Gabriel P. Weisberger sind diese Bilder jedoch keine Reproduktionen realer Szenen, sonder konstruierte Bilder, die die „reale“ Welt widerspiegeln. Damit reagierten die Maler einerseits auf die Neuerungen des naturalistischen Romans und beeinflussten gleichzeitig Theater- und frühe Filmemacher.
Illusions of Reality / Naturalismus 1875-1918
Holland / Amsterdam: Van Gogh Museum
8.10.2010 - 16.1.2011
Finnland / Helsinki: Ateneum Art Museum, Finnish National Gallery
18.2. - 15.5.2011
Schwierig scheint mir dennoch eine genaue Unterscheidung zwischen Realismus und Naturalismus. Galt bislang nur der Realismus, z.B. von Gustave Courbet, als sozialkritisch motivierte Malerei, so muss mit der Kenntnis dieser vorliegenden Publikation auch der Naturalismus als solche bezeichnet werden. Es handelt sich beispielsweise bei Eero Järnefelts (1863–1937) herzzerreißenden Darstellung eines Mädchenschicksals in „Unter dem Joch. Das Gestrüpp niederbrennen“ (131 x 164 cm; 1893; Helsinki, Ateneum) nicht nur um eine leicht verständliche, möglichst realistische Wiedergabe. Die monumentalen Formate dieser Bilder machen die Milieuschilderungen unübersehbar, wobei sich die präzise, scheinbar emotionslose Malweise in den Dienst der Beglaubigung im Sinne eines „So-ist-es“ gestellt wird. In der Folge Bezüge zum naturalistischen Theater und zur Fotografie herzustellen, zeigt die Malerei nicht nur als die Gebende, sondern streicht die wechselseitige Beeinflussung der Medien deutlich heraus. Einzig mehr Informationen zu den gezeigten Künstlern wären wünschenswert.
Fazit: Der querformatige Katalog illustriert die malerische Perfektion der riesigen Gemälde eindrucksvoll und informiert fundiert über die Beziehungen zwischen Malerei, Fotografie und frühem Film.
Der reich bebilderte Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Amsterdamer Van Gogh Museum und dem Ateneum in Helsinki stellt die spannende Frage nach der Wirklichkeit in der Malerei, der Fotografie und dem frühen Film. Erfreulicherweise intensiviert sich der Blick der Wissenschaftler und Ausstellungsmacher zunehmend auf das „lange“ 19. Jahrhundert, so dass nicht nur Künstler und Künstlerinnen der Romantik und des Impressionismus Beachtung finden, sondern auch die „Salonkunst“ immer mehr Aufmerksamkeit erhält.
- Fernand Pelez (1843–1913) Sans asile, 1883 (Paris, Petit Palais).
- Eero Järnefelt (1863–1937) Under the Yoke, Burning the Brushwood, 1893 (Helsinki, Ateneum).
- Eero Järnefelt, Fotografie von Johanna Kokkonen modelling for the young.
- Albert Edelfelt, Christ and Mary Magdalene A Finnish Legend, 1890 (Helsinki, Ateneum).
Ausstellungskatalog
Gabriel P. Weisberg, David Jackson
Willa Z. Silverman, Maartje de Haan (Hg.)
30 x 25 cm, 224 Seiten, 234 farbige Abb.
€ 39,95 [D] / CHF 56,90 / € 41,10 [A]
ISBN 978-3-7630-2577-0 (deutsch)
Belser Verlag