Dass Günter Brus als Maler begann, sich mit den drängenden Fragen von Raum, Abstraktion-Figuration, Expressivität auseinanderzusetzen, ist ob seiner Bedeutung als Wiener Aktionist allzu oft in Vergessenheit geraten. Die Schau im Belvedere 21, kuratiert von Harald Krejci, würdigt dessen epochalen Aktionen, vergisst dabei aber nicht auf die informellen Gemälde, die Bedeutung seiner Frau Anna und die bissigen Text-Bild-Zeichnungen, die den Künstler vor allem seit 1970 beschäftigen. Wenn auch Selbstverletzung, Zerstörung, ein Aus-der-Haut-Fahren-Wollen das aktionistische und zeichnerische Werk wie ein Basso-continuo begleiten, so wird in der Schau auch die Bedeutung der Liebe für den Künstler immer wieder spürbar. Nicht nur wenn, er seine Baby-Tochter Diana (* 29.3.1967) in der „Aktion mit Diana“ (September 1970) wie ein Runge’sches Christuskind seinem eigenen, weißgetünchten, gleichsam ausgelöschten Körper gegenüberstellt.
Österreich / Wien: Belvedere 21
2.2.2018 – 12.8.2018
Der am 27. September 1938 in der Steiermark geborene Günter Brus absolvierte die Kunstgewerbeschule in Graz, bevor er 1956 an der Akademie für angewandte Kunst angenommen wurde. Brus wechselte bald von der Gebrauchsgrafik in die Meisterklasse für Malerei von Prof. Eduard Bäumer und lernte dort Alfons Schilling kennen. Die folgenden Jahre waren geprägt von der Auseinandersetzung mit der Malerei des Wiener Expressionismus – Egon Schiele, Richard Gerstl, Oskar Kokoschka – und deren Vorläufern Vincent van Gogh und Edvard Munch. Anfang des Jahres 1960 lernte er auf Mallorca die amerikanische Malerin Joan Merrit kennen, die ihn und Schilling in die Arbeit mit großformatigen abstrakt-expressionistischen Bildern einführte. Der Besuch der Biennale 1960 brachte ihm die Kunst von Franz Kline und Emilio Vedova näher. In Wien dominierte in den 1950ern die Gruppe rund um die Galerie St. Stephan, aus der Brus aber nur Arnulf Rainer und dessen „Wildheit“ gelten ließ. Soweit die Vorbilder Brus‘, deren Kunst es zu übertreffen galt.
Eine grundlegende Idee des Amerikanischen Abstrakten Expressionismus war, die Gemälde am Boden liegend zu malen – oder in Form von Jackson Pollocks extremer Form nur zu tropfen, womit dieser den direkten Kontakt zwischen Maler und Leinwand aufgab. Günter Brus ging in die gegensätzliche Richtung und begann, seinen ganzen Körper einzusetzen. Dafür bespannte er die Wände seines kleinen Ateliers mit Molino und ging in eruptiver Art, mit dem Konzept kein Konzept zu haben und so einer klassischen Komposition zu entgehen an die Arbeit. Man könnte diesen Ausbruchsversuch auch als eine Erweiterungsbestrebung von Brus deuten, der der in die Jahre gekommenen expressiven Variante der Abstraktion noch etwas Neues abgewinnen wollte: 1950 hatte Harold Rosenberg erstmals von „action painters“ und 1951 von „art informel“ und Tachismus gesprochen. Ein Dezennium später radikalisierte Brus die in Frankreich proklamierte „violence du geste“. Doch dabei beließ er es nicht – was die historische Position des heute 80-Jährigen begründete. Nicht Farbe auf Leinwand, sondern die entgrenzte Malerei, der Körper als Material, der Prozess der Entstehung, die Ko-Autorschaft der Dokumentatoren, seine Frau Anna als „Material“ seiner Kunst – und nicht zu vergessen die ständigen Tabubrüche in Form von Übertretung gängiger Geschmacks- und Verhaltensnormen.
Die in seiner Malerei anklingende Monochromie – die freiwillige Reduktion auf Schwarz und Weiß – führt Günter Brus in seinen Aktionen weiter. Von Anfang an setzte er seinen eigenen Körper ein; Bildproduzent und Bildträger fallen dabei in eins. Die ab 1964 für Film- und Fotokamera inszeniert werden. Erst am 5. Juli 1965 führte Brus seine erste öffentliche Aktion durch, den berühmt gewordenen „Wiener Spaziergang“, für den er sich von Kopf bis Fuß weiß anmalte und ein schwarzer Strich den Körper halbierte. Raum, Körper, Farbe, Gesellschaftskritik, Körperpolitik, Öffnung des mystifizierten Produktionsortes Atelier, dionysische Katharsis – alle diese Begriffe und noch viel mehr, könnten mit dem Aktionismus von Brus verbunden werden.
Mit der Geburt seiner Tochter Diana 1967 radikalisierte Brus seine „Zerreißprobe“ und überschritt jegliches körperliches und sexuelles Tabu. Brus‘ Frau Anna war ihm nicht nur Modell, sondern unablässige Stütze; die Geburt der gemeinsamen Tochter löste offensichtlich einen Damm und führte zum Programm „Körperanalyse“. Alle Körpersäfte traten an die Oberfläche, wie „Alfred Hitchcock den Stirnschweiß Cary Grants“ (Günter Brus, Beiblatt zur Körperanalyse-Fotoedition, Berlin 1970) en Detail beobachtete. Provokation des Publikums war intendiert und folgte selbstredend. Die Steigerung der Körperanalyse führte am 7. Juni 1968 während der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ zum öffentlichen Protest. Brus hatte sich auf das Vortragspult gelegt, zu onanieren begonnen und dabei die österreichische Bundeshymne gesungen. Wegen Herabwürdigung des Staatssymbols wurde der Künstler zu sechs Monaten verschärftem Arrest verurteilt.
Innerhalb von sechs Jahren, zwischen 1964 und 1970, führte Günter Brus in seinen Aktionen immer radikalere Körperanalysen durch, in denen er sich selbst verletzte, öffentlich urinierte und defäkierte sowie seinen Urin auch trank. Nachdem er sich mit seiner Familie vor dem harten Gerichtsurteil entzogen hatte (Februar 1969), konzipierte er ein Berlin noch weitere Analysen, allerdings nur für Film. Die Aktionen der Wiener Aktionisten in Berlin fanden zunehmend auf textlicher und politischer Ebene statt. Gemeinsam mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm gründete er die Österreichische Exilregierung und veröffentlichte in „Die Schastrommel“.
In den Jahren 1969/70 wandte sich Brus immer mehr der Zeichnung und dem Schreiben zu – und fand im „Irrwisch“ (1970) ein erstes grafisches Ventil, das sich aus den genauen Partituren seiner Aktionen entwickelt hatte. Damit löste das zeichnerische und literarische Werk von Brus dessen selbstzerstörerische Aktionen ab. Der Biss blieb ihm allerdings erhalten, wenn er – um nur ein Beispiel anzuführen – in „La Croce del Veneto“ (1973/74) die Katholische Kirche und deren Sexualmoral zum Thema macht.
Die Werkschau zu Günter Brus‘ 80. Geburtstag im Belvedere 21 holt das Publikum mit dem Avantgardisten der 60er Jahre ab – Dokumentationsmaterial gleich beim Eingang, der inzwischen legendäre „Wiener Spaziergang“ vom 5. Juli 1965, gegenüber hängt ein informelles Gemälde. Der Zeichner Brus zieht sich durch die gesamte Schau, die Aktionsfotografien sind teils dicht gedrängt, teils in linearer Abfolge präsentiert. Vor allem der Bereich mit den Kooperationen der 1980er Jahre überzeugt, desgleichen die ruhige und lockere Hängung.
Kuratiert von Harald Krejci.