Katharina Sieverding
Wer ist Katharina Sieverding?
Katharina Sieverding (*16.11.1944 in Prag) ist eine deutsche Fotografin der Gegenwart (→ Zeitgenössische Kunst). Sie gehört zu den Pionier:innen einer Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums Fotografie. Sieverdings serielle Fotofolgen sind sowohl Ausdruck von Reflexionen zur eigenen Identität als auch Stellungnahme zu politisch-gesellschaftlichen Fragen. Mit großformatigen Fotoarbeiten erneuerte Katharina Sieverding das künstlerische Potential der Fotografie.
Katharina Sieverding lebt und arbeitet in Düsseldorf.
„Ich bin immun gegen den Anspruch der Autorenfotografie oder die Einstellung, ausschließlich Bilder zu benutzen, die ich selbst gemacht habe. Wenn ich etwas fotografiere, erkenne ich dahinter weitere Ebenen, zum Beispiel die historische Ebene des Nationalsozialismus.“1 (Katharina Sieverding)
Kindheit
Katharina Sieverding wurde am 16. November 1941 in Prag als Tochter einer Künstlerin und eines Radiologen geboren. Katharina Sieverding wuchs in Ruhrgebiet auf. Ihr Abitur machte sie am Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Dortmund.
Ausbildung & Bühnenbildnerin
Katharina Sieverding studierte wenige Monate an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Ihrer Idee vom Gesamtkunstwerk folgend, wechselte sie von 1963 bis 1964 als Volontärin an das Deutsche Schauspielhaus nach Hamburg. Zunächst war sie im Malersaal tätig. Danach lernte sie dort Fritz Kortner kennen, der sie engagierte und dem sie an das Burgtheater nach Wien ans Burgtheater folgte, wo sie Assistentin für Kostümausstattung war. Katharina Sieverding war an mehreren Theaterproduktionen als Bühnenbildnerin beteiligt, darunter im Deutschen Schauspielhaus Hamburg, im Burgtheater in Wien, im Düsseldorfer Schauspielhaus und an der Deutschen Oper Berlin.
Seit dem Sommersemester 1964 bis 1967 besuchte sie die Bühnenbild-Klasse von Teo Otto an der Kunstakademie Düsseldorf. Für Bogumil Herlitschkas Inszenierung von Giacomo Meyerbeers „Der Prophet“ 1966 an der Deutsche Oper in Berlin war sie für die Kostümausstattung zuständig, während Otto das Bühnenbild gestaltete. Zum Sommersemester 1967 wechselte sie in die Bildhauer-Klasse von Joseph Beuys und besuchte die Filmklasse von Ole John Povlsen (*1939), wo sie sich mit den filmischen und fotografischen Techniken vertraut machte. Zu ihren Mtstudenten gehörten Blinky Palermo und Imi Knoebel. Zwischen 1971 und 1974 war Sieverding auch Hörerin der Filmklasse an der Kunstakademie. Bei Beuys schloss sie ihr Studium als Meisterschülerin im Jahr 1972 ab. Zwischen 1972 und 1988 reiste sie in die USA, nach China und in die Sowjetunion.
„Meinen Weg in die Fotografie zur Bildenden Kunst habe ich als Zeitzeugin der damals stattfindenden Studenten-Proteste gefunden. Die Präsentation ‚Eigenbewegung‘ zeigt die Ereignisse rund um die Beuys-Klasse in den Jahren 1967–1969. Ich dokumentierte damals als Studentin in der Klasse von Joseph Beuys die Aktionen innerhalb und außerhalb der Kunstakademie Düsseldorf: (u. a. 5.5.–10.5.69. LIDL-Arbeitswoche, Kunstakademie Düsseldorf, 7.5.69 Schließung der Kunstakademie Düsseldorf, 9.5.69 Aktion James Lee Byars; Pink Plane). Das waren die ersten Schritte in die Öffentlichkeit. Ich wollte dabei sein, partizipieren, interagieren, konsultieren und mich den notwendigen Forderungen auch stellen und sie unterstützen. Rainer Giese lieh mir seine Edixa-Schachtkamera. Mein Blick war beim Fotografieren scheinbar nicht auf die Leute gerichtet, sondern auf den Bildraum im Schacht. Es interessierte also gar nicht, dass ich fotografierte, und so sind serielle Fotofilme und die Diaprojektion und Fotoarbeit ‚Eigenbewegung‘ entstanden.“2 (Katharina Sieverding)
Werke
Mit ihren Selbstporträts überwand Katharina Sieverding in den 1970er Jahren die damals vorherrschenden künstlerischen Arbeitsweisen und Denkansätze wie Minimalismus und Konzeptkunst und wurde durch die ikonenhafte Wirkung dieser Arbeiten schließlich weltweit bekannt (→ Minimal Art | Minimalismus). Vor einer Spiegelwand und mit Hilfe einer Motor-Kamera nahm Katharina Sieverding zusammen mit ihrem Lebensgefährten und Künstler Klaus Mettig eine umfangreiche Serie von Selbstporträts auf. Die 342-teilige Serie „Motorkamera“ (1973–1974) stellt en face Porträts von Klaus Mettig und von Katharina Sieverding nebeneinander: Die übereinandergeschichteten Fotografien lassen eine androgyne Identität entstehen. Grundlage ist die Frage nach der eigenen/der anderen Identität und des eigenen/des anderen Geschlechts.
1975 begann Katharina Sieverding damit, Bilder der Massenmedien und Populärkultur mit eigenen Aufnahmen sowie Textbotschaften zu überblenden. Die Macht der Bilder und der Sprache untersuchend, stellt sie in ihren Großfotos gesellschaftlich verankerte Macht und Moralansprüche in Frage.
Für die 1997 im deutschen Pavillon auf der „Biennale von Venedig“ präsentierten „Steigbilder“ überlagerte Sieverding wissenschaftliches Bildmaterial mit Fotos aus den Massenmedien. Weiters führte sie ihre Auseinandersetzung mit alternativen Heilmethoden fort. Die Steigbildmethode ist die bildschaffende Methode der schaffenden Bildekräfte zur Bewertung der Vitalkräfte eines Organismus. Organische Flüssigkeit, wie Blut und eine Lösung aus Metallsalz, werden auf Filterpapier nacheinander zum Steigen gebracht, woraufhin charakteristische wie auch differenzierte Fließformen entstehen, die qualitativ ausgewertet werden können. So vereint „Steigbild X“ beispielsweise die radiologische Aufnahme eines menschlichen Schädels und eine Steigbildsignatur. Sieverding fasziniert die Darstellung und Objektivierbarkeit von Prozessen der Entwicklung und des Werdens, die das fotografische Abbild allein nicht erfüllen kann.
Sieverdings wichtigste Themen sind die Begegnungen zwischen Personen und Orten, repressiven Machtsystemen sowie den vermeintlichen Errungenschaften des Kapitalismus.
Lehre
1976 absolvierte Katharina Sieverding das “Whitney Museum of American Art: Independent Study Program”, New York, und 1977 lehrte sie an der New School for Social Research: Graduate Faculty of Political and Social Science.
Von 1990 bis 1992 war sie Gastprofessorin an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, anschließend von 1992 bis 2010 Professorin für Visual Culture Studies an der Universität der Künste Berlin. Zu ihren Student:innen gehörten unter anderen Jorinde Voigt, Natascha Sadr Haghighian, Heike Baranowsky und Ina Bierstedt.
Von 1995 bis 1998 sowie in den Jahren 2000, 2001, 2003, 2005 und 2007 lehrte Sieverding an der Internationalen Sommerakademie für bildende Kunst in Salzburg, 2002 und 2004 an der Academy of Fine Arts in Hangzhou. Von 2008 bis 2013 gehörte Sieverding zum Universitätsrat der Akademie der bildenden Künste Wien. Seit 2010 lehrt sie an der Graduiertenschule der Universität der Künste Berlin.
Ausstellungen
Ihre Arbeiten wurden in 850 Gruppen- und 150 Einzelausstellungen gezeigt und sind in zahlreichen renommierten Sammlungen vertreten, u. a. im Museum of Modern Art, New York, im San Francisco Museum of Modern Art, im Stedelijk Museum, Amsterdam, in der Nationalgalerie, Berlin, im Museum Folkwang, Essen, und in der Kunstsammlung NRW. Katharina Sieverding war mehrfach auf der „documenta“ in Kassel (1972, 1977, 1982) und 1997 bei der „Biennale di Venezia“ vertreten. Sie erhielt zahlreiche wichtige Auszeichnungen und Stipendien.