Maria Lassnig im Museum Folkwang
Maria Lassnig (1919–2014) gehört zu den wichtigsten Künstlerinnen der österreichischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Bereits im Jahr 1948 stellte sie sich erstmals der Frage, wie sich das Bewusstsein für den eigenen Körper ins Bild übersetzen ließ. Nach einer ersten surrealistischen und informel-abstrakten Phase gelangte sie über die Rezeption kubistischer Akte zum Selbstporträt. Bereits während der 1960er Jahre entwickelte sie die für sie charakteristischen „Körperbewusstseinsbilder“, die sie ab 1970 auch in Animationsfilmen einsetzte. Mit der Rückkehr aus den USA, wo sie zwischen 1968 und 1980 hauptsächlich lebte, nach Wien und der Berufung Maria Lassnigs als Professorin für Malerei an der Hochschule für angewandte Kunst (heute: die Angewandte) und machten die österreichische Malerin zur ersten Professorin für Kunst im deutschsprachigen Raum. Im Alter von 61 Jahren setzte auch die internationale Würdigung ihres Werks ein: eine Teilnahme an der documenta 7 und X (1982, 1997) und drei Teilnahmen bei der Biennale von Venedig (1980, 1995 und 2013) sowie zahlreiche Preise wie den Österreichischen Staatspreis und den Goldenen Löwen der Biennale für ihr Lebenswerk (→ Maria Lassnig & Marisa Merz – Goldene Löwen 2013).
Deutschland | Essen:
Folkwang Museum
10.3. – 21.5.2017
Bereits im Jahr 1945 zeigt sich Maria Lassnig in einem frühen Selbstbildnis als zeichnender Akt mit Kette um den Hals: Bewusst weiblich, man könnte sich an vergleichbare Selbstanalysen von Paula Modersohn-Becker erinnert fühlen, inszeniert sich Lassnig am Ende ihrer künstlerischen Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien und am Ende des Zweiten Weltkriegs. Professor Wilhelm Dachauer (1881–1951) kritisierte ihre Gemälde und warf die gebürtige Kärntnerin aus seiner Klasse. Daraufhin trat sie in die Klasse von Ferdinand Andri (1871–1956) ein und studierte Aktzeichnen bei Herbert Boeckl (1894–1966). Ein Besuch beim Kärntner Maler Franz Wiegele (1887–1944) hatte die Malerin 1942 auf die Spur des vom NS-Regime verbotenen Expressionismus gebracht. Die Werke von Wiegele und Boeckl übten die wichtigsten frühen Einflüssen auf die Selbstfindung der Künstlerin aus.
Nach Abschluss ihres Studiums kehrte Maria Lassnig nach Klagenfurt zurück. Ihr Atelier war zwischen 1945 und 1950 ein Treffpunkt von Künstlern und Schriftstellern. Das „Selbstporträt expressiv“ (1945) zeigt deutlich die Auseinandersetzung der Malerin mit der österreichischen expressiven Tradition. In der Klagenfurter Galerie Kleinmayr fand 1949 Lassnigs erste Einzelausstellung mit Gemälden und Zeichnungen statt (→ Maria Lassnig: Zeichnungen und Aquarelle).
Für die weitere Entwicklung von Lassnigs Werk war die zweite Hälfte der 1940er Jahre von entscheidender Bedeutung. Zum einen lernte die Malerin 1947 Arnulf Rainer (*1929) kennen, mit dem sie eine Beziehung einging. Ein Jahr später fertigte sie erste Body-Awareness-Zeichnungen an. Doch bevor Lassnig zu ihren Körperbewusstseinsbildern kam, schuf sie ab 1950 surrealistisch beeinflusste Zeichnungen und Drucke. Für kurze Zeit schloss sich Lassnig der so genannten Hundsgruppe an, die Rainer mitbegründet hatte. Die Vereinigung war stilistisch vielfältig und zählte u.a. informell arbeitende, abstrakte Maler wie Wolfgang Hollegha (* 1929) und Josef Mikl (1929–2008) zu ihren Mitgliedern.
Insgesamt drei Reisen führte das Künstlerpaar nach Paris, wo sie André Breton, Paul Celan und Gisèle Celan-Lestrange sowie Benjamin Péret und die tschechische Künstlerin Toyen (Marie Cermínová) kennenlernten. Toyen führte Marie Lassnig in den Surrealismus ein, den die Malerin als „Befreiung von der Tradition“ empfand“. Bei ihrem zweiten Besuch sah sie die Ausstellung „Véhémences Confrontées“ in der Galerie Nina Dausset. Die dort gezeigten informellen und abstrakt-expressionistischen Arbeiten von Künstlern wie Willem de Kooning (1904–1997), Hans Hartung (1904–1989), Jackson Pollock (1912–1956) und Wols (1913–1951) hinterließen bei ihr nachhaltigen Eindruck. Während der frühen 1950er Jahre entstanden Flächenteilungsbilder. Lassnig malte unter Einfluss des Informel „(Knödel-) Selbstporträts“ sowie erste „Körperwahrnehmungsbilder“ wie „Körpergehäuse“ (1951). In Reaktion auf die Ausstellung in der Galerie Nina Daudet organisieren Lassnig und Rainer im Künstlerhaus Klagenfurt die Schau „Junge unfigurative Malerei“, an der sie auch selbst teilnahmen. Die abstrakte Phase dauerte jedoch nur kurze zwei Jahre und sind von einem subjektiv gefärbten Konstruktivismus geprägt.
Zwischen 1955 und 1958 malte Maria Lassnig kleine, kubistisch beeinflusste Gemälde, auf denen Körper und Köpfe auf Farbflächen reduziert sind. Diese trug die Malerin mit dem Malspachtel auf. Die bevorzugte Farbigkeit setzt sich aus tonigen Grüntönen zusammen, die erst Ende der 1950er Jahre buntfarbigen Aquarellen Platz machte. Die Farbigkeit von Lassnigs Kunst ist an der Theorie des Expressionismus geschult: Die Künstlerin sprach von „Schmerz- und Qualfarben“, von „Nervenstrang- und Krebsangstfarben“. Wenn Maria Lassnig auch 1956 in einer Gruppenausstellung der Wiener Galerie nächst St. Stephan (neben vier männlichen Künstlern, darunter Rainer und Mikl) beteiligt war, so wird sie heute nicht zur Gruppe von St. Stephan gezählt – zu sehr ist diese lose Verbindung durch das maskuline Künstlerbild geprägt.
„Körpergehäuse: Als meine informelle Zeit in Gefahr war, in sterile Abstraktion auszuarten, hatte ich ein großes Verlangen, saftige Realitäten zu malen. Unter Verzicht auf die physiognomischen Wichtigkeiten der Augen, Nase, Mund, wurde der Kopf in Raumteile zerlegt, die Farbflächen der absoluten Graus wurden zu Wangenschildern, zu Stirnschildern, Halszylindern ausgebreitet und dem Hintergrund vorgesetzt. Weil der weiche Pinsel diesen harten Schnitten nicht entsprach, wurde das Palettmesser verwendet.“1 (Maria Lassnig 1985)
Zehn Jahre nachdem Maria Lassnig zum ersten Mal über die Frage nachgedacht hatte, wie sie ihr Körpergefühl in ein Bild umsetzten könnte, schuf sie 1958 erste farbintensive Körpergefühls-Aquarelle. Lassnig empfand ihren Körper als Gehäuse., wie viele Bildtitel aus den 1950er Jahren wie auch Kommentare der Künstlerin belegen. Doch einfach ihre Hülle zu repräsentieren, war der Malerin nicht genug. Sie setzte „die im Körper vorhandenen Druck- und Spannungsverhältnisse“ und das „innere Körperdrama“2 bildlich um. Gleichzeitig gestaltete sie weiterhin informelle, gestische Ölbilder auf Leinwand. Unter den Werken dieser Umbruchsphase nimmt das Gemälde „Dicke Grüne“ (1961) eine Schlüsselstellung ein, verbindet die Malerin darin doch eine auf dem ersten Blick abstrakte Gestaltung mit einer Körperdarstellung, die durch den Bildtitel markiert wird.
Lassnig empfahl auch später noch ihren Studentinnen und Studenten, während des Malens nicht auf die Leinwände zu blicken. Zu sehr würde das Gesehene von den Empfindungen ablenken. Sie selbst richtete während der Arbeit ihren Blick nach innen, um ihren Körper schlussendlich auf der Leinwand von außen „darzustellen“. Dass das Innenleben nicht immer von äußeren Einflüssen befreit ahrgenommen werden kann, war sich die Künstlerin schmerzhaft bewusst. Um sich möglichst auf sich selbst konzentrieren zu können, legte sich die Malerin neben der Leinwand auf den Boden und hörte beim Arbeiten – auch mit geschlossenen Augen – in sich hinein. Das Sehen selbst thematisierte Maria Lassnig, indem sie – vor allem in den folgenden Bildern der 1970er Jahre – Apparaturen des Sehens wie Augenklappen oder Brillen darstellte oder den Augenbereich einfach aussparte. Im Gegensatz zur Überzeugung, dass die Augen Fenster zur Seele wären, entwickelte Lassnig das Konzept, dass sie gefühllos wären und daher nicht zwangsläufig motivisch wichtig.
Von 1961 bis 1968 lebte Maria Lassnig erneut in Paris. Es entstanden konstruktive Raumbilder, Körpergefühls-Figurationen („Strichbilder“). In die „Körperbewusstseinsbilder“ führte sie 1963 Deformationen und Merkmale von Tieren oder Ungeheuern ein. Der Tod ihrer Mutter im Jahr 1964 traf die Künstlerin tief. Ihre Trauer verarbeitete sie in der Serie „Beweinungsbilder“.
„Ich kam mit den Körperbewusstseinsbildern dort an. Die Amerikaner verstanden sie überhaupt nicht.“ (Maria Lassnig)
Jene Werkgruppe, die Maria Lassnig als „amerikanischen Realismus“ bezeichnete, entstand während der 1970er Jahre, als die Künstlerin hauptsächlich in New York City lebte. Sie wandte sich von den in den Sechzigern gefundenen abstrahierten und deformierten Körperbewusstseinsbildern ab und führte innere Wahrnehmung und realistisch wiedergegebene Körper zueinander. Damit reagierte die Künstlerin auf das Unverständnis ihrer amerikanischen Umgebung, Pop Art, Performance und Feminismus. Zusammen mit Martha Edelheit, Carolee Schneemann, Silvia Goldsmith und anderen gründete Lassnig 1974 „Women/Artist/Filmmakers, Inc.“. Die Gruppe organisierte Filmvorführungen unter anderem in Paris, Washington, New York, Wien und Brüssel. Lassnig reflektierte ihre prekäre Position als Künstlerin innerhalb des Kunstbetriebs in einer Serie von Selbstporträts, in denen sie Archetypen der Kunstgeschichte umdeutete – so in „Woman Laokoon“ (1976).
Im Jahr 1970 besuchte Lassnig einen Zeichentrickfilmkurs an der School of Visual Arts in New York und begann auf der Grundlage ihrer „Körperbewusstseinszeichnungen“ Animationsfilme zu gestalten. Darunter „Selfportrait [Selbstporträt]“ (1971), für den Maria Lassnig mit dem New York State Council Arts Award ausgezeichnet wurde, oder „Chairs“ (1971), in dem sie die Verschmelzung von Mensch und Sitzgelegenheit durchspielte.
„Amerikanischer Realismus: Realismus wurde für mich ein Ausnahmezustand, Beweis für Zweifler meiner Fähigkeiten, Freude an der sinnlichen Außenwelt, Trauer über die Seltsamkeiten und Teilnahme am Weltgeschehen.“3 (Maria Lassnig)
„Innerhalb und außerhalb der Leinwand: Was mich reizte, war aber gerade diese Schwierigkeit. [Der Körper] ist mehr oder weniger das am schwersten zu malende Sujet. Etwas, das man eigentlich nicht sieht.“4 (Maria Lassnig 2006)
Im Alter von 61 Jahren - kurz nachdem sie Österreich gemeinsam mit VALIE EXPORT auf der Biennale von Venedig vertreten hatte - kehrte Maria Lassnig nach Wien zurück, wo sie an die Hochschule für Gestaltung (heute: die Angewandte) berufen wurde – und damit zur ersten Professorin im deutschsprachigen Raum. In den Körperbewusstseinsbildern der späten Jahre thematisiert sich Lassnig als Frau in verschiedenen Rollen, in einer zunehmend technologisierten Welt, in einer kriegerischen Welt. Sie verschmilzt in der Serie „Küchen Krieg“ mit Küchengeräten („Selbstporträt mit Kochtopf“, 1995; „Küchenbraut“, 1988) oder stellt ihre Verwundbarkeit in Krankenhaus-Bildern („Krankenhaus“, 2005) zur Disposition. Vor den „Ereignissen der Außenwelt“, wie dem Ersten Golfkrieg, kapitulierte die Künstlerin nicht, sondern reagierte in Gemälden wie „Sensenmann“ oder „Kriegsfurie“ auf ihn. Mit der Werkreihe „Innerhalb und außerhalb der Leinwand“ (1984/85) nimmt die Malerin erneut das Thema Selbstporträt auf und steigert es noch durch eine Meta-Malerei. Lassnigs Bildtitel „Die innige Verbindung zwischen Maler und Leinwand“ (1986), so postuliert Anna Fricke in ihrem Katalogbeitrag, „ist durchaus wörtlich zu verstehen“5.
„Ich arbeite an einer Form, die dem entspricht, dem irgendwie nahe kommt, aber eigentlich ist das fast unmöglich: Es vergeht von Sekunde zu Sekunde.“6 (Maria Lassnig im Gespräch mit Hanne Weskott im Februar und Juni 1995)
Die Ausstellung „Maria Lassnig“ in Essen gibt einen Überblick über das malerische und filmische Werk der österreichischen Künstlerin. Dabei wird der Schwerpunkt auf die charakteristischen Body-Awareness-Pictures (Körperbewusstseinsbilder) gelegt, das abstrakte und kubistisch inspirierte Frühwerk wird am Beginn der Schau eher kursorisch abgehandelt. Zentraler Bildgegenstand ist das eigene Selbst, der Körper, die Affekte. Vom ersten bis zum letzten Raum zeigt die Retrospektive die Kraft der farbig leuchtenden Kompositionen, ihre koloristische Finesse und feinfühlige Introspektionen. Dazu gesellt sich eine reflektierte Haltung der Malerei an sich gegenüber, die sich in gemalten Leinwänden, Verdoppelungen des Selbst und die Präsenz von Pinseln in einigen Porträts zeigt. Die begleitende Publikation entstand für die erste Station der Ausstellung in der Tate Liverpool und wurde mit einem deutschen Begleitheft ergänzt.
Stationen der Ausstellungstournee:
Kasia Redzisz, Lauren Barnes (Hg.)
mit einem Vorwort von Francesco Manacorda, Andrea Nixon (Tobia Bezzola im deutschsprachigen Einleger)
mit Texten von Kasia Redzisz, Lauren Barnes, James Boaden, Anna Fricke
Englische Ausgabe mit deutschem Einleger
144 Seiten, ca. 131 Abbildungen
ISBN 978-1-84976-432-2