Norbert Tadeusz (1940–2011) war einer der wichtigsten figurativen Maler seiner Generation in Deutschland. Die mitunter drastischen Darstellungen seiner großformatigen Bilder berühren und prägen sich unwillkürlich ein. Das Kunstmuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster zeigt 66 Werke des Düsseldorfer Künstlers, der in den 1970er und 1980er Jahren als Professor an der Kunstakademie Münster unterrichtete.
Deutschland | Münster: LWL-Museum für Kunst und Kultur
10.5. – 2.8.2020
Der Malprozess, die Leuchtkraft der Farben, außergewöhnliche, teils verwirrende Blickwinkel und alltägliche, ins Surreale gesteigerte Motive kennzeichnen die Kunst von Norbert Tadeusz. Hermann Arnhold stellen gerade die extremen Haltungen der Figuren einen wichtigen Ausdrucksträger dar. Durch sie entwickeln Tadeusz‘ großformatigen Bildern „eine enorme Wucht“, so der Direktor des LWL-Museums für Kunst und Kultur. Wenn auch der Künstler immer wieder betonte, dass die zum Grotesken und Unerklärlichen neigenden Verzerrungen in seinen Bildern allein den Anforderungen der Bildkomposition geschuldet wären, so erinnern sie doch an die verformten Körper aus Gemälden von Francis Bacon.
Der Perspektivwechsel – Tadeusz bevorzugte die Vogelperspektive – und die Schwerelosigkeit der Figuren, die einhergeht mit einer komplexen Raumdarstellung, lassen erschauern. Denn allzu unsicher wird der eigene Standpunkt vor dem Bild. So zeigt beispielsweise das Gemälde „Feldafing X“ von 2005 einen Seerosenteich von oben. Dekorativ schwimmen die Seerosenblätter im undefinierbaren Blau, ihre Stängel führen in die kühle Leere, ein architektonisch klar definiertes Objekt schiebt sich von rechts ins Bild, ein weiteres ragt von oben ins Wasser. Am unteren Rand bildet eine gesprenkelte Leiste die Basis für den Bildaufbau. Die dunklen Flächen wirken wie Brechungen in der Wahrnehmung und verankern doch gleichzeitig die Komposition in einem Rahmen. Eine Referenz offenbar an die Seerosenbilder von Claude Monet. Doch plötzlich wird man links unten dem Anschnitt eines Kopfes und eines Fingers gewahr – offenbar der Künstler beim Fotografieren des Motivs. Der Kopf erscheint bildparallel, wodurch es zu einem Kippeffekt kommen kann. Das versteckte Selbstporträt des Malers wie auch die Architektur rechts kippen das Motiv. Aus dem Blick von oben wird ein Blick darauf, aus dem Schweben wird ein Stehen und vice versa.
Die Kuratorin der Tadeusz-Ausstellung in Münster, Tanja Pirsig-Marshall, erzählt, dass für ihrer Beschäftigung die Auseinandersetzung des Malers mit dem Motiv der Frau im Zentrum steht. Sie sieht Weiblichkeit verkörpert „als Muttergottheit und [in Form der] Natur ebenso wie als Projektionsfläche seiner Ängste, Sehnsüchte und Begierden“. Mitnichten ging es Tadeusz „nur darum zu malen, was er gesehen hat“. Häufig wirken seine Akte wie eine Fleischbeschau; Erotik, Sexualität und manchmal Geld verknüpfte er zu einem Seherlebnis. Dass sich Tadeusz auch ausgiebig mit Schlachtvieh auseinandersetzte, macht sein Erklärungsmodell des einfachen Malers umso unglaubwürdiger: Sein Werk kreist um Leben und Tod – und ihre komplexen Wechselbeziehungen in Form von menschlichen Existenzen. Das Leben als Arena ist dann wohl auch das Thema von „Das große Ei (Casino I)“ aus dem Jahr 1987.
Im LWL-Museum in Münster wird das Werk des deutschen Malers thematisch gehängt. Gemälde, Arbeiten auf Papier und Skulpturen zeigen nahezu klassisches Bildrepertoire: Venus, sakrale Räume, Fleisch und Leiber, Tadeusz-Bilder, Akte, Swimmingpool, Interieurs und schließlich die Palio-Bilder, die Darstellungen des traditionellen Pferderennens in Siena. Auf den Raum mit den Swimmingpool-Bildern ist Tanja Pirsig-Marshall besonders stolz, gehören sie doch inzwischen zu den ikonischen Werken von Norbert Tadeusz.
Den am 11. Juli 2011 in Düsseldorf verstorbenen Maler in einer monografischen Überblicksausstellung zu ehren ist ein Ziel der Schau, das andere an seine Verbindung zur Stadt Münster zu erinnern. Seine ebenso virtuosen wie provokanten Bilder werden erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, haben sie doch nichts von ihrer Brisanz eingebüßt.
Tadeusz‘ enge Beziehung zu Düsseldorf ist bekannt, zeigte doch das dortige Kunstmuseum 1970 erstmals eine Einzelausstellung von ihm. Weniger im Blick ist Tadeusz‘ Verbindung zu Münster, auf die diese Werkschau aufmerksam macht. Zwischen 1973 und 1988 hatte Norbert Tadeusz einen Lehrauftrag zunächst als Dozent, ab 1981 als Professor an der Kunstakademie in Münster – damals noch Institut für Kunsterziehung Münster, eine Zweigstelle der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf – und übte einen großen Einfluss auf die Kunstszene aus. Von 1988 bis 1991 war Tadeusz Professor an der Hochschule der Künste in Berlin und von 1991 bis 2003 Professor für Monumentalbildnerei an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.
Als Meisterschüler von Joseph Beuys und enger Freund von Blinky Palermo nahm Norbert Tadeusz mit seinem gegenständlichen, sehr körperlichen Malstil schnell eine Sonderstellung in der Kunstszene ein. Bereits 1975 waren aufgrund seiner Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Werke von Tadeusz im Landesmuseum in Münster zu sehen. In einer Gruppenschau präsentierte das Museum das Ergebnis der Arbeit des 1971 gegründeten Instituts in seinen unterschiedlichen Tendenzen. Neben Tadeuszʼ Bildern wurden damals auch Werke von Ludmilla von Arseniew, Hans Paul Isenrath, Gunther Keusen, Hermann Josef Kuhna, Udo Scheel, Timm Ulrichs und Jochen Zellmann gezeigt. Doch erst der Umzug nach Berlin brachte den Durchbruch. Dort fand Tadeusz in Markus Lüpertz einen wichtigen Freund und verwandten Geist.
Der Liebhaber der italienischen und niederländischen Kunstgeschichte ließ sich für die Neubewertung der figurativen Malerei seit den frühen 1960er Jahren von ebendiesen wie zeitgenössischen Vorbildern leiten. Geschlachtete und enthäutete Bullen finden sich nicht nur bei Bacon, sondern auch bei Rembrandt van Rijn. Pferderennen thematisierten schon Edouard Manet und Edgar Degas. Schwimmbäder und die Lichtbrechung im Wasser spielten in der Kalifornischen Phase von David Hockney auch eine große Rolle. Lucian Freud wird immer wieder genannt, wenn Tadeusz provokante Aktdarstellungen einzubetten sind (mindestens eine Pose hat er sich dabei von Auguste Rodin, eine weitere von Eric Fischl abgeschaut). Die leuchtenden bis schrillen Farben erinnern manchmal an Ernst Ludwig Kirchner und manchmal an Emil Nolde.
Kuratiert von Dr. Tanja Pirsig-Marshall.
Die Eröffnung der Ausstellung am 9.5.2020, 18 Uhr, findet per YouTube-Live-Stream statt.