Die große Jahresausstellung des Leopold Museums zeigt erstmals einen Dialog zwischen Friedensreich Hundertwasser (1928–2000) und Egon Schiele (1890–1918). Am 19. Februar 2020 jährt sich der Todestag Hundertwassers zum 20. Mal. Als Maler, Vorkämpfer der Ökologiebewegung und Gestalter von Lebensräumen prägte er die Kunst des 20. Jahrhunderts über die Grenzen Österreichs hinaus.
Österreich | Wien: Leopold Museum
21.2. – 31.8.2020
verlängert bis Januar 2021
Der am 15. Dezember 1928 als Friedrich (Fritz) Stowasser in Wien geborene Künstler überlebte die NS-Diktatur und die Shoa. Als besonders angepasster Hitlerjunge war er mit figurativen und ornamentalen Gesamtkörperästhetiken bei NS-Veranstaltungen und Aufmärschen konfrontiert. 1943 wurden 69 Familienmitglieder deportiert und ermordet. Im gleichen Jahr schuf Friedrich Stowasser erste bewusste Zeichnungen nach der Natur.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs entschied sich Stowasser für den Künstlerberuf und schrieb sich an der Akademie der bildenden Künste Wien ein. Im Studienjahr 1948/49 besuchte Stowasser drei Monate die Klasse von Robin Christian Andersen, später wollte er in die Klasse des Schiele-Freundes Albert Paris Gütersloh wechseln. Zeitgleich entdeckte Stowasser in Ausstellungen und in Büchern die Kunst der Wiener Moderne: Gustav Klimt und vor allem Egon Schiele sollten in den folgenden Jahrzehnten die Leitsterne für den international aufstrebenden Künstler werden. Schiele war schon bei den Zeitgenossen für seine charakteristische Strichführung, die Flächengliederung der Gemälde und das tonale Kolorit berühmt. Die Selbststilisierung zum Propheten fand in Fritz Stowasser ebenso Widerhall wie die beseelte Natur des Expressionisten.
Seine Begeisterung für Egon Schiele drückte Hundertwasser in dem Gedicht „Ich liebe Schiele“ aus. Darin beschreibt Hundertwasser seinen Parnass, und der Wiener Expressionisten rangiert in der Aufzählung der „Kunstgötter“ an vorderster Stelle. Schiele, so Hundertwasser weiter, wäre sein (geistiger) Vater, dem er von seinen Reisen Wunderbares berichten wollte – wenn dieser nicht schon verstorben wäre. Der Vielschreiber Hundertwasser reflektiert über Schiele genauso wie der sich formierende Maler Hundertwasser vom Gesehenen augenscheinlich beeindruckt war.
Als er 1949 durch Italien und Sizilien reiste und nach Paris übersiedelte, schrieb Hundertwasser unzählige Briefe an seine Mutter in Wien. In ihnen legte er seine Überlegungen zur Kunst dar, schrieb Listen mit seinen Lieblingskünstlern und nannte immer wieder Egon Schiele. Als er in Paris angekommen war, musste Hundertwasser entdecken, dass Schiele dort ein Unbekannter war. Daraufhin ließ er sich von seiner Mutter Schiele-Bücher und eine Grafikmappe nachsenden. Die Propaganda für Egon Schiele in Frankreich machte sich für den in finanziell prekären Verhältnissen lebenden Wiener bezahlt, konnte er doch diese Bücher auch verkaufen. Das Leopold Museum wird erstmals diese noch wenig bekannten Quellen präsentieren und damit auch den werden Künstler Hundertwasser thematisieren.
Hundertwassers Liebe zu Schiele währte ein Leben lang! Auch nach der Selbstfindung als Künstler und seinem Durchbruch Mitte der 1950er Jahre sah sich Hundertwasser mit dem Werk Schieles verbunden. Bis zu seinem Lebensende lebte er mit Reproduktionen von Schiele-Zeichnungen in seinen Wohnräumen – sowohl in Venedig wie auch in Neuseeland.
Fritz Stowasser, der sich ab Mitte Mai 1950 Hundertwasser nannte, reagierte seit 1948 auf eine sich im Aufbruch befindliche Ausstellungspolitik, die auf die Wiederentdeckung der Wiener Moderne setzte. Bereits im September 1945 postulierte die „Gedächtnisausstellung Klimt, Schiele, Kokoschka“, organisiert von der Österreichischen Kulturvereinigung in den Räumen der Neuen Galerie, sowie im Herbst 1946 die Großausstellung „Österreichische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart“, dass Schieles Werk der „vorläufigen Endpunkt“ der österreichischen Kunst wäre. Daher präsentierte die wiedereröffnete Albertina im Frühjahr und Herbst 1948 monografische Ausstellungen mit Zeichnungen von Gustav Klimt und Egon Schiele. Schiele war in diesem Sommer auch der Vertreter des befreiten Österreich auf der Biennale von Venedig, der ersten nach Ende des Zweiten Weltkriegs.
Friedensreich Hundertwasser konnte als Jugendlicher an mehreren Stellen in Wien auf das Werk von Egon Schiele stoßen: Ausstellungen, Bücher, Grafikmappen und Zeitungsberichte würdigten die Leistungen des inzwischen zum Mythos stilisierten Malers und Grafikers. Das von Schiele und seinem Werk gezeichnete Bild wusste vom nüchternen Realisten, kompromisslosen Kämpfer und der größten Hoffnung der österreichischen Malerei zu berichten (K. Zahraddnik, in: Salzburger Tagblatt, 12.6.1946). Zu den am häufigsten angeführten Argumenten für Schieles Genie zählt dessen sichere Strichführung, woraus eine Hochachtung der Zeichnungen resultierte. Auf der Suche nach einem neuen Stil schloss Hundertwasser mit seiner Entdeckung von Schiele an die medial vorgeprägte „klassische österreichische Kunst“ an.
Die Ausstellung „Hundertwasser – Schiele. Imagine Tomorrow“ bringt erstmals zwei der wichtigsten österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts in einer Schau zusammen. Die Schau spürt der Wahlverwandtschaft zweier Künstler nach, die einander nie persönlich kennenlernen konnten. Neben historischen Dokumenten, Büchern und Katalogen führt das Leopold Museum Gemälde der beiden Maler in einen Dialog zusammen. Themenkreise wie Selbstporträt, Landschaften und Städtebilder, Strich und Komposition werden von einem Re-Enactment der „Die Linie von Hamburg“ durch Bazon Brock begleitet.
Vom 18. bis zum 20. Dezember 1959 organisierten Friedensreich Hundertwasser, Herbert Schuldt und Bazon Brock in der Hochschule für bildende Künste Hamburg eine Malaktion, welche als „Die Linie von Hamburg“ in die Kunstgeschichte einging. Hundertwasser hatte im Wintersemester 1959/60 eine Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg inne. Auf Anregung des „Künstlertheoretikers“ Bazon Brock und des Schriftstellers Herbert Schuldt wurde der Plan gefasst, im Hochschul-Atelier Hundertwassers eine unendliche Linie zu ziehen. Mit Pinsel und Farbe zeichneten die Studierenden ab 18. Dezember 1959 ohne Unterbrechung über Wände und Fenster. Die Linie war ungleichmäßig und ohne Lineal als Spirale ausgeführt und sollte in einem Punkt an der Decke enden.
Die Aktion schlug medial so hohe Wellen, dass die Hochschulleitung sie nach einem Gespräch mit Hundertwasser vorzeitig beendete. Die unendliche Spirale war bis auf die Höhe von zweieinhalb Metern angewachsen. Der performative Akt des Zeichnens reagierte sowohl auf den zeitgenössischen Diskurs wie auch Hundertwassers berühmtester Form: der Spirale als ambivalentes Symbol für Leben und Tod. Kurz vor der Eröffnung der Wiener Schau wird die „Linie von Hamburg“ unter der Leitung von Bazon Brock in einem Ausstellungssaal des Leopold Museums wiederaufgeführt.
Der künstlerische Dialog mit Schiele führt vom nackt vorgetragenen „Verschimmelungsmanifest“ Hundertwassers zu dessen Haus- und Städtebilder, von Schieles Landschaftsbildern zur vegetabilen Abstraktion seines Nachfolgers. Ihre Vision vom Künstlerpropheten beschließt die Präsentation.
Hundertwasser - Schiele: Bilder