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Mathias Poledna: A Village by the Sea (2011) Beziehungsdrama in der Secession

Mathias Poledna, A Village by the Sea, 2011, Courtesy of the artist und Galerie Meyer Kainer; Galerie Buchholz, Cologne/Berlin.

Mathias Poledna, A Village by the Sea, 2011, Courtesy of the artist und Galerie Meyer Kainer; Galerie Buchholz, Cologne/Berlin.

Kurz vor seiner Biennale-Teilnahme (→ Mathias Poledna Imitation of Life (2013)) verwandelt Mathias Poledna den Hauptausstellungsraum der Secession in ein Kino der Extraklasse. Wenn man vom extrem hellen Vorraum - eine Art Korridor mit 16 Editionen einer alten Filmwerbung an der Wand und Neonröhren an der Decke - in den Saal weitergeht, brauchen die Augen einige Minuten, bis sie sich an die absolute Dunkelheit darin gewöhnt haben. Poledna inszeniert hier den idealen Projektionsraum für seinen im Loop laufenden Schwarz-Weiß-Film „A Village by the Sea“ aus dem Jahr 2011. Im Stil einer klassischen Hollywoodromanze aus der Zeit der Großen Depression gedreht, begegnet sich ein wohlhabendes Paar in seinem Wohnzimmer und träumt voneinander, ohne sich wirklich zu sehen.

Die Macht der Musik

Mathias Poledna (*1965) vertraut in seinem Film „A Village by the Sea“ vollkommen auf den Charme des alten Hollywood-Kinos, den altbekannten Strategien des Musical-Films und der bezaubernden Musik von Charles Trenet und Léo Chauliac. Trenet hat 1942 mit „Que reste-t-il de nos amours?” einen Klassiker des melancholischen Chansons geschaffen, der seither von vielen Größen des Jazz gecovert worden ist – darunter Marlene Dietrich, Dusty Springfield, Nat King und Natalie Cole, Stacey Kent, Rod Steward, Michael Bublé, Patricia Kaas.

Der Film wirkt wie aus den 30er oder 40er-Jahren: Schwarz-Weißes 35-mm Celluloid und ein leise ratternder Filmprojektor, alte Abendroben, originale Möbel und sogar eine erhaltene Kulisse (Eastwood Scoring Stage) von der Warner Brothers Studios, Burbank, die eine undefinierbare Skyline wiedergibt und großstädtisches Flair suggeriert. Das große Kino wird unterstrichen durch den Einsatz des letzten 30-köpfigen Filmorchesters Hollywoods und den singenden Akteuren Alison Pill und Blake Sennet. Auf den ersten Blick ist es nicht ersichtlich, ob es sich um eine alte Aufnahme, eine Rekonstruktion oder Retro-Look mit nostalgischem Charme handelt. Erst ein Bild-Text-Vergleich und das Wissen um die komplexen Arbeiten Polednas lassen die moderne Rekonstruktion als eine Methode des kritischen Hinterfragens von Rezeptionsstrategien erkennen. Die Zeit der „Großen Depression“, die dem Schwarzen Freitag von 1929 folgte, wurde in den letzten fünf Krisenjahren der Welt-Finanz immer wieder als Referenz herangezogen. Die Krise hat seither kaum ein Ende genommen, Europa taumelt von einem Staatsbankrott zum nächsten, und das Kino – so Poledna – erfüllt noch immer seine Funktion als Fluchtort vor der allzu hellen Realität.

Paartherapie, oder Abschied ohne Neuanfang?

Der Film der verhaltenen und widersprüchlichen Gefühle nutzt nicht nur die Macht der Musik, sondern führt permanent Erwartungshaltungen in die Irre. Das klassische Hollywood-Kino ließe wohl ein Happy End erwarten, nicht so Polenda. Er schrieb den Chanson zu einem Duett um, hat jedoch in seiner Textversion so manche Hürde versteckt. Die Geschichte ist so einfach wie komplex: Es trifft sich ein Paar im noblen Ambiente. Es ist ca. halb acht am Abend, überall im Zimmer sind große Blumensträuße mit weißen Lilien aufgestellt. Ob sich die beiden zum Ausgehen zurechtgemacht haben oder nur für das gemeinsame Dinner? Die männliche Hauptfigur trägt einen schwarzen Smoking und bewegt sich einem Spiegel an der linken Wand zu. Während er von der verlorenen Liebe singt (Where is the light that guides our loves?) und sich fragt, wo sie geblieben sei, taucht die weibliche Hauptfigur plötzlich in der Spiegelung auf. Im Gegenzug stellt sie in einem raffiniert geschnittenen, weißen Abendkleid überhaupt infrage, was er nur verloren zu haben glaubt (Is there a light that guides our loves?). Für die weibliche Hauptfigur hatten die Blumen früher bezaubernde Wirkung, jetzt, obwohl im Überfluss vorhanden, sind sie nur mehr Staffage der großbürgerlichen Einrichtung. Obwohl es gegen Ende so aussieht, als würden die beiden zueinanderfinden, als er neben ihr die Zeilen „Above the clouds / Next to the sky / There is a home for you and I / If only gods tell us how“ anstimmt, wird die kurze Situation von ihr mit dem lapidaren Satz „We lost the key“ und einer Abkehr beendet. Den Refrain singen die beiden Hauptdarsteller miteinander und swingen im gleichen Rhythmus. Zum ersten Mal stehen beide nebeneinander, und er ist kleiner als sie, was kurz Komik aufkommen lässt. Die Erinnerung an gemeinsame Zeiten lockt beiden ein Lächeln hervor, das jedoch erstirbt, wenn sie einander anblicken. Am Ende bleibt alles offen.

Wenn das Feuer nicht mehr im Herzen lodert, sondern nur mehr eine Zigarette entzündet, steckt ein Paar in der Krise. Das Schwelgen in der gemeinsamen Vergangenheit erfüllt sämtliche Klischees, vom gemeinsamen Ort (a village by the sea), über das gemeinsame Lied und die versteckte Bar. Während die weibliche Hauptfigur nur mehr an die verflossenen Stunden denkt, hat ihr Gegenüber bereits jede Erinnerung verloren. Jetzt ist man gemeinsam nur mehr einsam. Der Verlust steht textlich deutlich im Raum, Interaktion und ein aufeinander Zugehen scheinen kaum mehr möglich. Jede Art von Andeutung des Wohlstandes – die Abendroben, die opulenten Blumengestecke, die Ausstattung des Zimmers – ist in solchen Stunden nur schmuckes Beiwerk.

Text – Bild – Raum – Korrelationen

Während der Film als Schwarzfilm weiter läuft, gibt es Zeit über die Beziehung und den Raum nachzudenken. In der Zwischenzeit sollten sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, und plötzlich wird man merken, dass die schwarze Wand natürlich ein weißes Rechteck hat, auf das der Film projiziert wird. Der Schwarzfilm ist nicht völlig intransparent, weshalb das Restlicht plötzlich den Raum „erhellt“ und seine Strukturen sichtbar macht. Finsternis ist nicht gleichbedeutend mit einem Nichts.

Um den White Cube der Ausstellungshalle in ein Kino zu verwandeln, hat Mathias Poledna den Tageslichtraum völlig abdunkeln und schwarz ausmalen lassen. Kein Lichtstrahl dringt von außen in den sonst so hellen Raum. Wenn die beiden Protagonisten des Films die Sterne suchen (Where is the sparkle in skies above / The nights so bright, forever bright / Where are they now?), lässt sich das durchaus auf die Ausstellungsituation übertragen. Auch in der Secession sind derzeit weder Sonne, Mond noch Sterne sichtbar. Die künstliche Nacht ist perfekt!

Und auch der mysteriöse letzte Satz – And in the vantage only a vestige where we are – könnte auf mehr als die schmerzhafte Trennung und die Trümmer ihrer verlorenen Liebe anspielen. Beide wenden ihre Köpfe nach oben. Die Kamera fährt dabei über die Köpfe der Protagonisten und begleitet die Bewegung. Dadurch erhält man zum Schluss einen Betrachterstandpunkt, der einem Schweben gleicht, und man wird direkt von den beiden Protagonisten angeblickt. Stellen sie ihre Fragen an die Betrachter_innen? Erwarten sie nun Lösungsvorschläge für ihre Beziehungsprobleme? Wenn ja, wären wir, die Betrachter_innen, für sie die besungenen Götter (Above the clouds / Next to the sky / There is a home for you and I / If only gods tell us how). Das Ende des figurativen Teils des Films fühlt sich wie ein Cliffhanger an, ein offener Ausgang, wie er von Fernsehserien und Seifenopern gerne genutzt wird. Das Publikum in seiner Position des Allwissenden, des beobachtenden Außenstehenden mag nun sein Urteil fällen. Zusammenbleiben oder trennen? Was würde die Kinokassa wohl mehr füllen? Sicher ist nur, wenn die Liebe geht, bleibt Elend zurück! Die Stille wird nur mehr vom Rattern des Projektors unterbrochen, die Schwärze (und Leere) ist nahezu perfekt. Und über allem schwebt die Frage: Was bleibt von unseren Lieben?

Betrachterempfehlungen

Während man in der mit ca. 4:20 annähernd gleich langen Schwarzphase des Films über die Leidenschaft, die Leiden schafft, nachdenken und den Raum optisch wie körperlich erfahren kann, beginnt das Spiel unvermutet wieder von vorne. Keine Frage, man sollte sich die Arbeit genauso ansehen: In einer Schwarzphase den Raum betreten, sich einen Platz im Raum suchen, dem Duett lauschen, nachdenken, noch einmal den beiden zusehen und mehr von der reichen Inszenierung entdecken. Wenn man den Raum verlässt, spielt der hell ausgestrahlte Korridor erneut eine wichtige Rolle: Er empfängt die melancholisch eingestimmten Besucher_innen und konfrontiert sie mit der harten Realität des Kommerz und der Realität. Die Flucht in die Scheinwelt hat ein abruptes Ende!

Nach dieser überzeugenden Installation und Filmarbeit von Mathias Poledna in der Secession, die kongenial von Margherita Spiluttini in Fotografien umgesetzt wurden, darf man auf seinen Beitrag zur Biennale von Venedig gespannt sein. Ab Ende Mai 2013 wird er Österreich im Pavillon von Josef Hoffmann vertreten. Der symmetrische Ausstellungsbau in den Giardini mit seinen verwinkelten Räumen ist schwer zu bespielen. Lassen wir uns überraschen, was Poledna für Venedig erarbeitet. Nur diesem Umstand und auch der Tatsache, dass Poledna eine langsame und kostenintensive Arbeitsweise pflegt, ist es übrigens geschuldet, dass er in der Secession eine Arbeit aus dem Jahr 2011 zeigen durfte.

Mathias Poledna ist 1965 in Wien geboren und lebt seit 2000 in Los Angeles.
2013 vertrat er Österreich mit "Imitation of Life" auf der Biennale von Venedig.

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.