Er war ein Wunderkind, der erste erfolgreiche, dunkelhäutige amerikanische Künstler (mit haitianisch-puerto-ricanischer Herkunft), der von der Straße her den New Yorker Kunstmarkt im Sturm eroberte (und von diesem in Beschlag genommen wurde) und noch vieles mehr: Jean-Michel Basquiat (1960–1988) Trotz seines frühen Todes mit nur 27 Jahren zählt er zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts und hält noch immer den Rekord des jüngsten Teilnehmers der documenta 7. 1982 war er gerade einmal 21 Jahre alt und stellte seit knapp einem Jahr aus, als die ehrwürdige „Weltausstellung der Kunst“ unter der Leitung von Rudi Fuchs Basquiat unter den „Neuen Wilden“ vorstellte (→ Neue Wilde | Junge Wilde).
Großbritannien | London: Barbican Art Gallery
21.9.2017 – 28.1.2018
Deutschland | Frankfurt: Schirn Kunsthalle Frankfurt
16.2. – 27.5.2018
Basquiats neoexpressionistisches Werk changiert zwischen poetischer Streetart, konzeptueller Malerei, Symbolsprache, Pop-Kultur der 80er und verarbeitet anatomische Zeichnungen, Fernseh- und Kunstgeschichte, Bebop Jazz und Stummfilm-Erinnerungen. Darüber hinaus trat er mit seiner Band Gray auf, war in TV-Shows zu sehen und produzierte 1983 „Beat Bop“, ein klassisches Hip-Hop-Platte mit K-Rob und Rammellzee. Am Höhepunkt seines Ruhms arbeitete er mit Andy Warhol zusammen und schuf mit diesem über 100 „Collaborations“, im künstlerischen Dialog ausgeführte Gemälde (→ WARHOL / BASQUIAT). Darüber hinaus malte der dreisprachig aufgewachsene Künstler Wandgemälde und schuf Installationen für berühmte New Yorker Nachtklubs wie dem Mudd Club, Area und Palladium.
„Boom for real“ ist der Titel einer Überblicksschau, die erstmals die interdisziplinäre Kunstpraxis von Jean-Michel Basquiat ins Zentrum des Interesses rückt und nach der Bedeutung seines Verhältnisses zu Musik, Literatur, Bebop Jazz, Film und Fernsehen, zur Performance fragt. Und es ist ein Zitat aus dem Streetart-Film „Downtown 81“, der zum Jahreswechsel 1980/81 gedreht und dann zuerst unter dem Titel „New York Beat“ bekannt wurde. Das etwa gleichzeitig entstandene Gemälde „Jimmy Best“ (1981, Privatbesitz) führt ihn neben dem bekannten Satz an: „JIMMY BEST ON HIS BACK TO THE SUCKER PUNCH OF HIS CHILDHOOD FILES“
„Boom for real! Was I dreaming? No. Maybe I was just waking up. Waking up to my own luck. Luck is where you find it.”1
Jean-Michel Basquiat kam aus der Post-Punk Untergrund Kunstszene in Downtown New York, genauer Lower Manhattan. 1978 im Alter von 17 Jahren zog er erste Aufmerksamkeit auf sich, als er unter dem Pseudonym SAMO© geheimnisvolle Statements in der Stadt verteilte. Zwischen 1977 und Ende 1979 taggte er mit seinem Klassenkollegen Al Diaz im Viertel SoHo und der Lower East Side über seine Desillusion. 57 Fotografien des avantgarde-Musikers, Künstlers und Philosophen Henry Flynt dokumentieren diese ephemeren Graffiti. Indem Basquiat verschiedene Pseudonyme für sich in Anspruch nahm, und auch SAMO© unterschiedliche Rollen beschrieb, lernte der jugendliche Künstler performativ zu denken. Bald begann er im eigenen Stil zu zeichnen, Baseball- wie Postkarten zu überarbeiten, auf Kleidung, Gebäudeteilen oder improvisierten Leinwänden zu malen. Mit einem einzigen Werk – Basquiat hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Atelier (!) – nahm er im Juni 1980 an der Schau „Times Square Show“ unter seinem alten Pseudonym SAMO© teil.
Bereits im Februar 1981 lud Diego Cortez den Autodidakten zu einer weiteren Gruppenausstellung ein, die Basquiats Ruhm begründete: „New York/New Wave“ im P.S.1. Fünfzehn Gemälde aus dieser Ausstellung sind erstmals wieder gemeinsam zu sehen, darunter auch das „Titelbild“, mit dem die Ausstellung eingeleitet wurde: „Untitled“ (1980, Whitney Museum of American Art). Künstlerkollegen und Kritiker waren gleichermaßen von dem knapp 20-jährigen Maler begeistert. Die rohe Art seiner Schrift-Bild-Kombinationen erinnert an Werke von Cy Twobly, die Basquiat sehr schätzte und die er in der 1979 Retrospektive im Whitney gesehen haben könnte. Kurz nach seiner Entdeckung spielte der obdachlose Jungstar im Sommer 1981 in „Downtown 81“ [ehem. „New York Beat“] die Hauptrolle, Debbie Harry von Blondie hatte einen Gastauftritt. Der Spielfilm wurde von Glenn O’Brien geschrieben, von Maripol produziert. Da der Tag eines Graffiti-Künstlers in New York vorgestellt wurde, malte Basquiat für das Set seine ersten Bilder auf Leinwand.
Doch erst die Galeristin Annina Nosei hatte die Kontakte, die dem aufstrebenden Künstler die Türen der Kunstwelt weit öffneten. Da Jean-Michel Basquiat noch immer kein Atelier hatte, stellte sie ihm den Keller ihrer Galerie zu Verfügung. Hier arbeitete Basquiat zu Ravels „Bolero“. Bald, so betont Eleanor Nairne in ihrem Beitrag, gab es das Gerücht, Nosei würde Basquiat in ihrem Keller gefangen halten und zwingen, im Akkord Kunst zu produzieren. Wüste Bilder kursierten, bis Basquiat, darauf angesprochen, alles relativierte:
„Oh Christ. If I was white, they would just call it an artist-in-residence.“2
Das frühe Selbstporträt Basquiats aus dem Jahr 1981 ist ikonisch geworden! Der Künstler blickt als schwarze Maske, als Silhouette mit leeren Augen aus dem Bild. Seine Dreadlocks stehen in Dreiecken gen Himmel – und bilden eine Krone. Flankiert wird Basquiat vom Namen des Saxofon Spielers Ben Webster und Texten des Bebop Pioniers Thelonious Monk. Die Krone als Symbol von Macht, Ruhm und Bedeutung, als Auszeichnung wird von Jean-Michel Basquiat genauso gerne eingesetzt wie der Heiligenschein. Letzterer kann schon mal zur Dornenkrone werden, sind die Heroen aus Basquiats Pantheon doch häufig zu außergewöhnlichen Leistungen befähigt und doch Märtyrer der Gesellschaft.
Zu den wichtigsten Bezugspersonen der Stadt zählte seit Jahren Andy Warhol. Auch für Basquiat stellte der Pop Künstler ein Idol dar, mit dem er in Kontakt treten wollte. Dass sein Schweizer Galerist ihn dann auch vorstellte, um die beiden zur Zusammenarbeit zu animieren, führte zu einer äußerst produktiven Phase 1984/85. Nachdem Warhol auf Bitten Bischofbergers den aufstrebenden Maler fotografiert hatte, schuf dieser ein Doppelporträt, bekannt unter dem Titel „Dos Cabezas“ (1982, Privatsammlung). Auch in späteren Porträts von Warhol kann man ihn an seiner struppigen Frisur und der Kamera erkennen. Die Zusammenarbeit zwischen Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol wird im Bild „Arm and Hammer II“ (1984, Guarded by Bischofberger, Männedorf-Zürich, Schweiz) dokumentiert. Die gemeinsam bemalten und bedruckten Leinwände umfassen mehr als 10 Prozent von Basquiats Lebenswerk – wurden allerdings so schlecht kritisiert, dass Basquiat daraufhin mit Warhol brach.
Großformatige Arbeiten wie „King Zulu“ (1986, MACBA Collection), „King of the Zulus“ (1984/85, Musée d’Art Contemporain, Marseille), „Plastic Sax“ (1984, agnès b. collection) ehren Jazz-Musiker wie Charlie Parker, Dizzy Gillespie und Louis Armstrong alias „King Zulu“. „Untitled (Titian)“ (1982, Privatsammlung) verbindet die Welten Jazz und bildende Kunst: Miles Davis ist als dunkler Kopf präsent, begleitet von Galileo Galileis erster Zeichnung des Mondes und dem Namen Tizian. Sind es Gedankensplitter direkt aus Basquiats Kopf auf den Bildträger notiert? Auf Lernkarten fasste er die wichtigsten Informationen über Duchamp, Lichtenstein oder Pollock zusammen. An Pablo Picasso reibt er sich offensichtlich. In „Leonardo da Vinci’s Greatest Hits“ (1982, Sammlung Jonathan Schorr) kompiliert dessen anatomische Studien wie ein Mix-Tape.
Doch was machte und macht seine Kunst auch heute noch aktuell? Kurator und Basquiat-Kenner Dieter Buchhart gibt mehrere Antworten auf das Phänomen Basquiat. Zum einen seine Zusammenarbeit mit Andy Warhol (mehr als Francesco Clemente), zum anderen die Copy & Paste Methodik, der er sich bediente, die als charakteristisch für die 1980er Jahre – Xerox und die Cut-Up Technik seines Lieblingsautors William S. Burroughs lassen grüßen (→ Die Kunst des William S. Burroughs) – gilt. Buchstaben, Wörter, Symbole und Namen werden von Basquiat in einer dichten Abfolge kombiniert, deren Zusammenhänge und damit Sinnhaftigkeit sich manchmal auch im Rhythmus der Notation erschließt. Der markante Spruch „BOOM FOR REAL“ klingt nicht nur nach Explosion, sondern ist auch ein zusammenhangloses Zitat, das Basquiat aus einem TV-Interview herausriss. „Fell on my ass, boom, for real!”, war die Situationsbeschreibung eines Obdachlosen in New York, wie sich Nicholas Taylor erinnert.3 Unterschiedlichste Quellen, egal ob High oder Low, Aneignung wie die Pop Künstler, expressiver Gestus wie die Neoexpressionisten (zum Beispiel Karel Appel und CoBrA), Schrift à la Cy Twombly, Copy & Paste wie ein DJ, Freiheit und Angst, Rassismus und Polizeigewalt in den USA – mit all diesen Bestandteilen ist die Kunst von Jean-Michel Basquiat durchsetzt. Der Ruhm Basquiats basierte folglich auf der Verbindung von Text-Graffiti, aktuellen Medienbilder und Verweisen auf Geschichte und Kunstkanon. Komplexe Zusammenstellungen kurzer Informationssequenzen erfordern ein reflektierendes Publikum – Sehen und Lesen, Rätseln und entziffern. Enzyklopädisches Wissen vorausgesetzt.
Kuratiert von Dieter Buchhart und Eleanor Nairne, Kuratorin der Barbican Art Gallery. Die Ausstellung wird ko-organisiert von der Barbican Gallery mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt.