Amedeo Modiglianis „Liegender Akt“ brach heute Nacht zwar nicht den Rekord für den Künstler aber den für das Auktionshaus. Dennoch gehört Amedeo Modigliani damit neben Pablo Picasso und Leonardo da Vinci zu den einzigen Künstlern, deren Werke auf Auktionen über die $ 150 Mio-Marke stiegen. Noch im Jahr 2003 hatte der Einbringer das Gemälde für $ 26,9 Mio. erworben, jetzt verkaufte er es um den sechsfachen Preis. Der Wertzuwachs ist allerdings eine aktuelle Erscheinung, wie ein Blick auf die Auktionsgeschichte Modiglianis zeigt: Der höchste Preis für eines seiner Werke ist erst zweieinhalb Jahre alt. Im November 2015 erzielte Christie’s für „Nu Couché [Liegender Akt]“ (1917/18) erstmals mehr als $ 100 Mio. - genauer $ 170,4 Mio - für ein Werk des Künstlers. Zuvor war die Steinskulptur „Tête“ (1911/12) für $ 70,7 Mio. veräußert worden; das wertvollste Gemälde war das Porträt „Nu assis sur un divan“, auch „La belle romaine“ genannt, das für $ 68,9 Mio. vor ein paar Jahren den Besitzer wechselte.
„Liegender Akt“ war noch bis vor Kurzem in der Ausstellung „Amedeo Modigliani“ in der Tate Modern in London zu bestaunen (→ Modigliani in der Tate Modern, London). Wieder einmal steht der Verdacht des Aufwertens und Bewerben des Werkes im Rahmen einer Museumsschau im Raum. Immerhin ziert das Bild mit dem einzigen ganzfigurigen Akt das Cover des Ausstellungskatalogs. Das Gemälde ist zudem der größte Frauenakt, den der Maler aus Livorno je geschaffen hat. Insgesamt 35 liegende Frauenakte schuf Modigliani zwischen 1916 und 1919, die meisten entstanden 1917 (→ Amedeo Modigliani: Biografie). Nur mehr neun Gemälde davon befinden sich in Privatsammlungen. Alle anderen sind bereits im Besitz von Museen, bewarb das Auktionshaus das Werk.
Nahezu $ 12 Mio. pro Quadratzentimeter kostete der „Liegende Akt“ letzte Nacht. Das hätte sich Modigliani so sicher nie zu träumen gewagt. Zeitlebens lebte der alkoholkranke Künstler in bitterster Armut und hatte nur eine einzige Einzelausstellung – 1917 in Paris. Hauptsächlich widmete er sich in seinen Bildern seinem engsten Freundeskreis: Modigliani porträtierte Künstlerkollegen wie Jacques Lipchitz, Diego Rivera, Chaim Soutine, Juan Gris, Jean Cocteau und Max Jacob oder seine Freundinnen Beatrice Hastings und Jeanne Hébuterne. Sein Mäzen Léopold Zborowski zahlte ihm 15 Francs pro Tag, damit er sich auf seine Malerei konzentrieren konnte. Modiglianis anonyme Modelle bekamen nur 5 Francs und posierten in einem Zimmer über Zborowskis eigener Wohnung. Dieser durfte allerdings Modigliani nicht beim Malen beobachten, verlangte der Künstler doch absolute Einsamkeit. Sie erscheinen als selbstbestimmte, körperbewusste Akte, die in ihrer Körperlichkeit den Rahmen sprengen.
Auf Bitten von Zboroski organisierte Berthe Weill eine Einzelausstellung, zu der sich am Montag, dem 3. Dezember 1917 einige handverlesene Gäste einlud. Bald schon scharten sich Passanten um die Auslagen der Galerie, denn die Weill hatte gut sichtbar einige Frauenakte dort platziert. Modiglianis einzige Einzelpräsentation wurde von der Polizei geschlossen, als sich zu viele Menschen vor den Frauenakten in der Auslage drängten. Der Skandal war von Modiglianis Galeristin Berthe Weill gemacht, und der Künstler berühmt-berüchtigt. Um ihn nicht zu sehr zu enttäuschen, kaufte Weill selbst fünf der Gemälde an. Jahrzehnte später erfreut sich Amedeo Modigliani größter Beliebtheit, wobei die für ihn charakteristische Formgebung von Frauen mit Schwanenhälsen und Mandelaugen nur ein Aspekt der Popularität ausmacht. Das kurze und intensive Leben des 1920 mit nur 35 Jahren verstorbenen Malers, seine Erkrankung an Tuberkulose, seine tragisch endende Liebesgeschichte mit der um 14 Jahre jüngeren Malerin Jeanne Hébuterne (1898–1920) trugen zum Nachruhm Modiglianis ebenso bei. Der Auktionsrekord ist sichtbares Zeichen für die Wirksamkeit dieses Mythos und wird zweifellos denselben noch steigern.
Neben dem Modigliani-Akt versteigerte Sotheby’s noch eine Reihe von sehenswerten Gemälden und Skulpturen, deren Preise ebenso bemerkenswert sind. Claude Monets „Matinée sur la Seine” (1896) fand für $ 20,55 Mio. einen neuen Besitzer. Pablo Picasso „Le Repos” (1932) ging für $ 36,92 Mio. an einen asiatischen Sammler. Auch hier hält die Tate Modern die passende Ausstellung zum Kontextualisieren des Gemäldes bereit: Pablo Picasso 1932 – Liebe, Ruhm, Tragödie Für Edvard Munchs „Sommernatt (Sommernacht)“ (1902) bewilligte ein Interessent $ 11,3 Mio. Zumindest ein Rekord wurde gebrochen: Mary Cassatts „A Goodnight Hug” aus dem Jahr 1880 übertraf den Schätzpreis vierfach und wurde für $ 4,52 Mio. versteigert.