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Pablo Picasso 1932 – Liebe, Ruhm, Tragödie Marie-Thérèse Walter als träumendes Mädchen

Cecil Beaton, Pablo Picasso, rue La Boétie, Paris, 1933 © The Cecil Beaton Studio Archive at Sothenby’s

Cecil Beaton, Pablo Picasso, rue La Boétie, Paris, 1933 © The Cecil Beaton Studio Archive at Sothenby’s

Pablo Picasso nannte das Jahr 1932 das „Wunderjahr“: Das Musée Pablo Picasso und die Tate Modern analysieren alle 12 Monate – ein Monat nach dem anderen. Was erlebte Picasso zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 1932, und wie beeinflusste das seine künstlerische Produktion? Was malte und formte er? Immerhin entstanden 1932 einige der berühmtesten Gemälde Picassos, und er organisierte sich seine erste Retrospektive. Mehr als 100 Gemälde, Skulptur und Arbeiten auf Papier belegen in streng chronologischer Hängung den produktiven und rastlos erfindungsreichen Charakter des Künstlers. Das Musée National-Picasso und die Tate Modern nehmen sich vor, Mythen zu enttarnen, um die Komplexität und den Reichtum von Picassos Kunst zu präsentieren.

1932 war ein außerordentliches Jahr für Picasso, sogar nach dessen eigenen Standards gemessen. Allein im Zeitraum zwischen dem 2 Januar und dem 14. März 1932 malte er 25 Bilder, 22 davon eigens für die im April öffnende Ausstellung in der Galerie Georges Petit. In diesen Werken erreichte er eine neue Sensibilität und versteckte Erotik, erinnern doch viele der fließenden Formen und Ausstülpungen an Phallus und Vagina.

Gleichzeitig gelang es ihm, seinen Status als Celebrity und einflussreichster Künstler des frühen 20. Jahrhunderts zu festigen. Im Laufe dieses Jahres schuf er einige der beliebtesten Gemälde seines gesamten Œuvres wie die Serie von schlafenden Frauen. Dazu zählen auch farbenfrohe Porträts und surrealistische Experimente, darunter 13 Federzeichnungen der „Kreuzigung“. Während des Sommers entstanden auf dem neuen Sommersitz voluminöse Skulpturen, die auch Eingang in die Gemälde Picassos fanden.

Private Spannungen

Privat war das Jahr 1932 von Spannungen geprägt. Einerseits versuchte Pablo Picasso die Beziehung zu seiner Ehefrau Olga Khokhlova und ihrem 11-jährigen Sohn Paulo aufrechtzuerhalten – und andererseits war er leidenschaftlich in die um 28 Jahre jüngere Marie-Thérèse Walter verliebt. Sie ist das Modell für die träumende Frau, die Picasso u.a. in „Mädchen vor einem Spiegel“ aus dem Museum of Modern Art in New York verewigte. Oder auch am 24. Januar in „Der Traum“. Die „gemalte Liebeslyrik“1 zeigen Marie-Thérèse in bewegt fließenden Linien in Schwarz, kräftigen Farben, Spiegelreflexen. Später bezeichnete er diese Zeit als die „schlimmste“ seines Lebens und die Werke, die seine junge Geliebte in friedvollem Ambiente schlafend oder sitzend zeigen, als seine Lieblingsbilder. Dass er sich in ihnen auch mit den Odalisken von Henri Matisse auseinandersetzte, verschwieg der Maler gerne.

Der 45-jährige Picasso hatte im Januar 1927 das 17-jährige Mädchen vor dem Pariser Kaufhaus Lafayette getroffen. Angeblich hätte er sie dann mit den Worten angesprochen:

„Mein Fräulein, Sie haben ein interessantes Gesicht. Ich möchte Sie malen, Ich bin Picasso.“

Obwohl Marie-Thérèse Walter den Künstler nicht kannte, stimmte sie dem Vorhaben zu. Wenige Monate späte wurde sie die Geliebte Picassos und führte mit ihm eine heimliche Beziehung, da sich dieser von seiner Ehefrau Olga bis 1935 nicht trennte. Erst als Marie-Thérèse schwanger wurde und die gemeinsame Tochter Maja zur Welt brachte (5.10.1935), löste sich Olga von ihrem Mann.

Erfindung und Reflexion

Pablo Picasso war im Jahr zuvor 50 Jahre alt geworden. Gemeinsam mit Christian Zervos arbeitete er am ersten Band seines Werkkatalogs, der schlussendlich mehr als 16.000 Gemälde und Zeichnungen versammelte. Zur gleichen Zeit organisierten die Galerie Georges Petit in Paris (16.6.–30.7.) und das Kunsthaus Zürich die erste Retrospektive von Picassos Werk (11.9.–13.11.), in der neue Gemälde neben früheren Arbeiten gezeigt wurden (→ Picasso. Die erste Museumsausstellung 1932).

Die privaten Spannungen dieses Jahres verarbeitete der rastlose Maler in realistischen Bildnissen seiner Ehefrau und seines Sohnes, in denen seinen Stolz und seine Liebe zum Ausdruck kommen, die sexuell aufgeladenen Werke hingegen enthüllen eine zweite, geheime Frau an seiner Seite. In der Tate Modern wird das Trio von „Akt, grüne Blätter und Büste“, „Akt in einem schwarzen Lehnsessel“ und „Der Spiegel“, das häufig als Höhepunkt von Picassos künstlerischer Entwicklung der Zwischenkriegszeit bezeichnet wird, erstmals seit 85 Jahren wieder vereint.

Picassos Reisen zwischen seinen Häusern in Boisgeloup und Paris sind bildhafter Ausdruck für die Zerrissenheit seines Lebens im Jahr 1932: Sein Leben spielte sich ab zwischen der Zurückgezogenheit am Land oder inmitten des großstädtischen Getümmels, zwischen Ehefrau und Geliebter, zwischen Malerei und Skulptur, Sensualität und Dunkelheit. Das Jahr endete traumatisch, als Marie-Thérèse nach einem Bad in der Marne ernsthaft erkrankte und ihr ikonisches blondes Haar ausfiel. Die letzten Arbeiten des Jahres `32 verarbeiten diese Erlebnisse ins Szenen von Rettung und Gewalt. Achim Borchardt-Hume, Co-Kurator der Ausstellung bezeichnet die malerische Produktion von Pablo Picasso als „nur eine andere Form, ein Tagebuch zu führen“.

Kuratiert von Laurence Madeline, Musée Picasso, Paris, Achim Borchardt-Hume, Tate Modern, sowie Nancy Ireson, unterstützt durch die Assistentinnen Juliette Rizzi und Laura Bruni.

Pablo Picasso 1932: Bilder

  • Cecil Beaton, Pablo Picasso, rue La Boétie, Paris, 1933 © The Cecil Beaton Studio Archive at Sothenby’s
  • Pablo Picasso, Mädchen vor einem Spiegel [Jeune fille devant un miroir], 1932, Öl/Lw, 162,3 x 130,2 cm (The Museum of Modern Art, New York. Gift of Mrs. Simon Guggenheim 1937)
  • Pablo Picasso, Der Spiegel [Le miroir], 1932, Öl/Lw, 130 x 97 cm (Privatsammlung)
  • Pablo Picasso, Frauenakt, grüne Blätter und Büste [Femme nue, feuilles et buste], 1932, Öl/Lw, 162 x 130 cm (Privatsammlung)
  • Pablo Picasso, Le Rêve [Der Traum], 1932 (Privatsammlung)
  • Pablo Picasso, La crucifixion [Die Kreuzigung], 1932, Tusche auf Papier, 34,5 x 50,5 cm (Musée National Picasso)

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  1. Jack Flam, Matisse and Picasso: The Story of their Rivalry and Friendship, Cambridge Mass. 2003, S. 155.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.