Mary Cassatt
Wer war Mary Cassatt?
Mary Cassatt (Allegheny City/Pittsburgh 22.5.1844–14.6.1926 Château de Beaufresne) war eine amerikanische Malerin des Impressionismus. Neben Marie Bracquemond (1840–1916) und Berthe Morisot (1841–1895) zählt Mary Cassatt zu den „les trois grandes dames [die drei großen Damen]“ (Gustave Geffroy, 1894) dieser Stilrichtung. Cassatt wurde als die bedeutendste amerikanische Malerin ihrer Zeit gefeiert. Als enge Vertraute von Edgar Degas, stellte Mary Cassatt als einzige US-Staatsbürgerin gemeinsam mit den Impressionist:innen aus. Zudem sind ihre Bilder der weiblichen Welt wichtige Beiträge zum französischen Impressionismus; sie schuf bedeutende Kontakte zu Sammler:innen in den Vereinigten Staaten und propagierte die Moderne auch durch ihr eigenes Werk.
Kindheit & Ausbildung
Mary Cassatt wurde am 22. Mai 1855 in Allegheny City (heute ein Teil von Pittsburgh), Pennsylvaia, in eine wohlhabende Familie von amerikanischen Bankiers mit französischen Wurzeln geboren. Sie verbrachte fünf Jahre ihrer Kindheit in Frankreich, bevor sie im Alter von 15 Jahren an der Pennsylvania Fine Arts Academy ihr Malereistudium begann (1860–1862). Zur Weiterbildung übersiedelte Mary Cassatt 1866 nach Paris. Mary Cassatt, die unverheiratet blieb, war daher auf beiden Kontinenten zuhause. In den Ateliers von Charles Chaplin, Jean-Léon Gérôme und Thomas Couture bildete sie sich in Paris weiter. 1868 wurde „Eine Mandolinespielerin“ (Privatsammlung) am Salon zugelassen – neben Elizabeth Jane Gardner war Cassatt damit die erste Amerikanerin, die am Salon in Paris ausstellte. Während des Deutsch-Französischen Kriegs kehrte Mary Cassatt nach Pittsburgh zurück. Da ihr Vater ihre Ambition, Künstlerin zu werden, (finanziell) nicht unterstützte und die junge Künstlerin zwar Anerkennung aber keine Käufer für ihre Bilder fand, wollte sie der Kunst sogar den Rücken zukehren. Der Erzbischof von Pittsburgh beauftragte sie 1871 damit, Kopien von zwei Gemälden Correggios in Parma anzufertigen und kam für die Reisekosten auf.
Cassatt und der Salon in Paris
Erste Erfolge als Malerin konnte Mary Cassatt am Salon von 1872 und während ihres achtmonatigen Aufenthalts in Parma erzielen. Nachdem sie die Kopien fertiggestellt hatte, reiste Cassatt weiter nach Madrid und Sevilla, um die spanische Malerei des „Goldenen Zeitalters“ zu studieren; ergänzt durch Belgien und Holland, wo sie Bilder von Diego Velázquez, Peter Paul Rubens und Frans Hals kopierte.
Im Juni 1874 entschied sich Mary Cassatt, ihr Atelier erneut in Paris zu eröffnen. Sie teilte sich die Wohnung mit ihrer Schwester Lydia und ab 1877 mit ihren Eltern. Schnell zeigte sich die aufstrebende Künstlerin unzufrieden mit der aktuellen Salonmalerei und den Jury-Entscheidungen. Zum Bruch mit dem offiziellen Kunstmarkt kam es 1875/76: Cassatt hatte den Hintergrund von zwei Gemälden, die für den Salon 1875 nicht zugelassen worden waren, abgedunkelt und damit die Jury des Salons von 1876 überzeugt. In ihrem malerischen Stil hatte sie sich in den zwei Jahren mehr Freiheit und Spontaneität erlaubt; thematisch wollte sie verstärkt moderne Genreszenen, alltägliche Beobachtungen in Bilder umsetzen. Zu dieser Einstellung war Mary Cassatt durch das Studium von Edgar Degas‘ Pastellen, die sie 1875 in der Auslage eines Kunsthändlers entdeckt hatte.
- Mary Cassatt, Portrait de petite fille [Kleines Kind in einem blauen Lehnsessel], 1878, Öl auf Leinwand, 89.5 x 129.8 cm (National Gallery of Art, Washington, Collection of Mr. and Mrs. Paul Mellon)
Impressionistin in Öl, Pastell und Radierung
Kurz nachdem Edgar Degas (1834–1917) die talentierte Malerin im Salon von 1877 entdeckt hatte, stellte sie gemeinsam mit den Impressionisten aus. Sie war mit elf Werken auf der vierten Impressionisten-Ausstellung 1879 vertreten (ab 10. April 1879 → Vierte Impressionisten-Ausstellung 1879). Da sich Mary Cassatt als bürgerliche Frau nicht in Caféhäusern aufhalten durfte, ohne unangenehme Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, traf sie sich mit ihren Künstlerkollegen auf Ausstellungen oder im privaten Umfeld. Die Amerikanerin in Paris näherte sich in ihrem Werk der Moderne und gab dem Impressionismus neue Themen wie Porträts von Familienmitgliedern, vor allem von Kindern sowie Darstellungen von Freizeitbeschäftigungen von Frauen, Mutterschaft – der ihr zugewiesenen Rolle als großbürgerlicher Frau folgend. In Degas fand Cassatt anfangs einen wichtigen Unterstützer und Förderer. So brachte er ihr druckgrafische Techniken wie die Radierung näher. Mit dem ersten verdienten Geld als Impressionistin erwarb Cassatt je ein Gemälde von Claude Monet und Edgar Degas. Dem impressionistischen Zirkel blieb sie bis 1886 treu und stellte in den Impressionisten-Ausstellungen von 1879, 1880, 1881 und 1886 aus.
- Mary Cassatt, Enten Füttern, 1895, Kaltnadel, Weichgrundradierung und Aquatinta (© Bibliothèque de l’Institut national d’histoire de l’art)
Porträts und Mutterschaft
Wie auch Berthe Morisot war Mary Cassatt eine herausragende Porträtistin, wobei sie sich eines experimentellen Zugangs bediente. Stark von den Konzepten der Impressionisten beeinflusst, darunter das Festhalten flüchtiger Momente und der Darstellung des modernen Lebens, wählte Cassatt ihren Familienmitgliedern als Modelle. Diese stellte sie in ihrem privaten Umfeld dar, wobei sie mit impressionistischen Methoden arbeitete. Dabei trat die amerikanisch-französische Malerin durch ihren unkonventionellen Blick und ihre zeitgenössische Interpretation des traditionsreichen Themas Mutter und Kind hervor.
Die enge Bindung zwischen Edgar Degas und Mary Cassatt löste sich nach der achten Impressionisten-Ausstellung 1886. Beide blieben zwar lebenslang miteinander befreundet, sie entwickelten sich jedoch stilistisch und thematisch in völlig unterschiedliche Richtungen. Mary Cassatt wurde während der 1880er Jahre als Malerin von Mutter und Kind Szenen international berühmt. Außerdem begann sie in großen, zusammengefassten Farbflächen zu arbeiten. Dadurch wirken viele reife Bilder kontrollierter und die Figuren fester gefügt. Ein Grund für diese Veränderung war die augenöffnende Ausstellung japanischer Druckgrafiken im April 1890.
Ab 1893 verbrachte die Künstlerin viele Sommer in Antibes am Mittelmeer. Die intensive Sonne inspirierte sie – wie wohl auch die japanischen Farbholzschnitte – mit härteren Farbkontrasten zu experimentieren. Ein Hauptwerk dieser Periode ist „Boating Party“ (1893/04, National Gallery of Art, Washington), das eine Mutter mit Kleinkind und die dunkle Rückenfigur eines rudernden Mannes zeigt. Sie teilt die Bildfläche in klar abgegrenzte, stark abstrahierte Farbflächen in Zitronengelb und Blau. Damit näherte sich Mary Cassatt stilistische den jüngeren Zeitgenossen wie Paul Gauguin, Vincent van Gogh und der Schule von Pont-Aven an. Die Malerin stellte das Werk auf ihrer ersten Einzelausstellung in den USA 1895 aus.
- Mary Cassatt, The Boating Party [Das Bootfahren], 1893/1894, Öl/Lw, 90 x 117.3 cm (Chester Dale Collection, 1963.10.94, National Gallery of Art, Washington)
Als Malerin des Mutterglücks konnte Mary Cassatt internationale Reputation erringen. Als experimentierfreudige Druckgrafikerin wird sie heute vor allem in den USA gefeiert und gleichwertig neben Edgar Degas präsentiert. Der höhere Bekanntheitsgrad der geborenen Amerikanerin mag mit ihrer Nationalität zu tun haben, könnte aber auch das Resultat ihrer amerikanischen Lesart des französischen Impressionismus sein.
Die Amerikanerin in Paris arbeitete bis kurz nach 1900, als sie zunehmend von Augenproblemen (Katarakt) geplagt wurde. Der Tod ihres Bruders traf sie – wie zuvor schon ihrer Schwester Lydia – tief. Das Ableben von Edgar Degas 1917 veranlasste sie, ihn noch einmal als den wichtigsten Künstler des 19. Jahrhunderts zu bezeichnen. Den Ersten Weltkrieg verbrachte die erblindete Künstlerin in Grasse, Südfrankreich. 1914 hatte sie noch die Gold Medal of Honor von der Pennsylvania Academy verliehen bekommen.
Tod
Mary Cassatt starb im 83. Lebensjahr am 14. Juni 1926 in Château de Beaufresne, in Le Mesnil-Théribus, Oise.