Antico
Wer war Antico?
Antico, eigentlich Pier Jacopo Alari Bonacolsi (* um 1460 in Mantua; † 1528 in Gazzuolo), war ein italienischer Bildhauer und Medailleur der Renaissance. Den Beinamen Il Antico erhielt er, weil er seine zumeist kleinformatigen Bronzen detailliert ausgearbeitete und raffinierte Interpretationen der Antike sind. Häufig arbeitete Antico mit vergoldeten Details und Augen in Silbereingelagen, die in einigen klassischen und hellenistischen Werken zu finden sind. Abgesehen von Reisen nach Rom lebte er im Raum Mantua, wo er für die herzogliche Familie Gonzaga arbeitete. Er schuf eine große Anzahl von Bronzen, unter Verfeinerung der überkommenen Gusstechnik.
Kindheit & Ausbildung
Über Pier Jacopo Alari Bonacolsi ist trotz seines aristokratischen Namens (bis 1328 trugen ihn die Signori von Mantua), den er trug, nur sehr wenig dokumentiert. Wahrscheinlich in Gazzuolo bei Mantua geboren, wurde Antico möglicherweise wie sein einziger Rivale in Mantua, Andrea Riccio, zum Goldschmied ausgebildet.
Eine weitere Hypothese ist, dass Anticos möglicherweise von Cristoforo di Geremia, einem Goldschmied und Bildhauer, der für den päpstlichen Hof in Rom und für die Gonzagas in Mantua arbeitete, unterrichtet wurde. Geremias Medaillen erinnern an Format und Symbolik antiker römischer Münzen. Seine Treue zur Antike – sowie seine Kreativität – beeinflussten Anticos Herangehensweise an die Renaissance-Kunstform der Porträtmedaille.
Zunächst war Antico wohl in Bezzolo tätig.
Antico und die Gonzaga
Mitte 1487 wird Antico zum ersten Mal in einer Art Empfehlungsschreiben an den Mantuaner Hof der Gonzaga erwähnt. Da er als „lo Antixit“ eingeführt wurde, scheint der Bildhauer bereits als Spezialist für seine nach antiken Bildwerken gearbeiteten Kleinbronzen bekannt gewesen zu sein. Daraufhin wurde er als „Familiaris“ aufgenommen, eine Art Höfling mit Aufenthaltsrecht, Verpflegung und andere Vergütungen sowie verschiedenen Privilegien.
Antico fand Schutz bei den Gonzaga, zunächst am Hof, der sich in Gazzuolo um den Sohn und Günstling des Marchese von Mantua, Ludovico Gonzaga, Gianfrancesco Gonzaga und seine Frau Antonia del Balzo versammelte. Deren Hochzeit im Jahr 1479 wurde von Bonacolsi in einem Paar Medaillons gefeiert. Gianfrancesco war kürzlich in den Besitz des Lehens gekommen, und das das junge Paar versammelte um sich einen Hof aus intellektuellen Persönlichkeiten als auch von Künstlern. Höflinger der Gonzaga waren Ludovico Ariosto, Bernardo Tasso, Matteo Bandello, Baldassare Castiglione und Antico. In Gazzuolo wurde die Pfarrkirche zur Grabstätte der Gonzaga: Dort ist auch der Pico della Mirandola begraben.
Anticos erster Mäzen, Gianfrancesco Gonzaga, besaß mehr als 2.000 römische Münzen in seiner Sammlung. Antike Münzen inspirierten die Renaissance-Kunstform der Porträtmedaille, und von allen Werken des 15. Jahrhunderts ähneln Anticos Medaillen am ehesten römischen Münzen (Sesterzen).
Seit den 1480ern nannte sich der Goldschmied, Medailleur und Plastiker selbst „Il Antico“. Er war als Restaurator, Kopist und Einkäufer antiker Figuren für das Haus Gonzaga mehrmals in Rom, tätig. Bei seinen Arbeiten als Kopist beschränkte er sich nicht nur auf das Kopieren, sondern ergänzte die häufig nur fragmentiert erhaltenen Originale.
Um 1500 schuf Antico etliche Bronzen im Auftrag von Bischof Ludovico Gonzaga von Mantua. Weitere Gönner fand Antico nach 1490 vor allem am glänzenden Hof von Mantua von Isabella d‘Este, die in diesem Jahr Francesco II. Gonzaga heiratete. In Mantua befand sich eine der schönsten Sammlungen römischer Skulpturen und Antiquitäten im Italien der Hochrenaissance. Antico schuf handliche Reduktionen römischer Skulpturen und improvisierte über Themen und Stile der Antike. Seine gut gearbeiteten, sauber definierten Oberkörper erinnern an die Kunst von Andrea Mantegna, der überragenden Künstlerpersönlichkeit des zeitgenössischen Mantua.
Werke
Anticos Werke zeichnen sich durch außerordentliche Qualität im Guss und Raffinesse aus. Ein besonderes Merkmal sind die oft verwendeten vergoldeten Details, wie zum Beispiel für die Haare, und Silber eingelegten Augen, sowie der Einsatz schwarzer Patina. Diese Art der Verfeinerung wurde in einigen klassischen und hellenistischen griechischen Bronzen gefunden. Der exquisite Materialeinsatz ist auch ein guter Hinweis, dass die besten Bronzen Anticos zu den begehrtesten Statuetten der Hochrenaissance gehören. Anticos kühle, raffinierte, kostbare Werke dienten dazu, sie in der Privatsphäre eines höfischen Studiolos aus nächster Nähe zu betrachten.
Gusstechnik
Der Norditaliener war der erste Bildhauer der Neuzeit, der den Wert des Gießens von Repliken seiner Bronzen erkannte. Indem er seine Wachsmodelle bewahrte und diese durch Teilabformungen in Gips reproduzierte, konnte er leicht abgeänderte, teils individualisierte Variationen seiner Kompositionen erstellen. Seit den 1480er Jahren perfektionierte der Bildhauer die Gusstechnik, um seine Modelle nicht zu verlieren, wie es beim Guss mit der verlorenen Form passiert. Dafür kopierte er seine Wachsmodelle mit Hilfe von Teilformen aus Gips. Das Urmodell entstand aus Wachs über einem Drahtgerüst. Davon konnte Antico eine Negativform aus mehreren Elementen aus Gips herstellen. Der Bildhauer stellte einzelne Körperteile zusammen und füllte diese mit heißem Wachs. Wenn er nach einigen Momenten, diese Sektionen umdrehte, floss das noch nicht erkaltete Wachs heraus. So ließ er eine nur wenige Millimeter dünne Wachsschicht entstehen. Den Hohlraum füllte er mit einem Gemisch aus Gips und Sand, dem Kern der Plastik. Nach dem Aushärten konnte Antico die Teilformen entfernen und die einzelnen Sektionen zu einer Figur zusammenfügen. Vor dem Gießen ließen sich auch noch Details verändern.
Restaurierungen
Antico arbeitete auch als Restaurator. Auf einem der Marmorpferde der Dioskuren auf dem Quirinal in Rom ist seine Unterschrift diskret eingraviert. Seine Reise nach Rom, wo er den „Apoll vom Belvedere“ und den Laokoon aus erster Hand studieren konnte, ist sein einziges bekanntes Unterfangen außerhalb Mantuas.
Im Jahr 1519 schrieb Antico einen Brief an Isabella d’Este, der ein Schlaglicht auf den eskalierenden Kunstmarkt der Kleinbronzen wirft. Er bot der Kunstsammlerin acht Nachgüsse von Statuetten an, die er bereits für Bischof Ludovico Gonzaga angefertigt hatte. Dabei unterstrich er die „Herkules-Antheus“-Gruppe als die – seiner Meinung nach – schönste der Antike. Dass Isabella d’Este sich von seinem Urteil leiten ließ, zeigt die erhaltene Fassung (Kunsthistorisches Museum, Wien).
Kaiser Marc Aurel zu Pferd (Modell von 1496, Guss um 1519–1528)
Teilnahmslos, aufrecht und bewegungslos steuert der Kaiser sein feuriges, schreitendes Ross mit absoluter Befehlsgewalt.1 Anticos Statuette ist die genaueste Renaissance-Reproduktion eines berühmten Reiterdenkmals. Es war die einzige antike Bronze, die seit der Kaiserzeit in Rom zu sehen war. Antocis Gonzaga-Gönner besaßen wahrscheinlich jeweils eine Version dieses „Wunders von Rom“, die ihre Herrschaft mit einem großartigen imperialen Erbe verband. Antico erweckt die Pracht des klassischen Denkmals zu neuem Leben, indem er sich vorstellt, wie die korrodierte grüne Oberfläche des alten Metalls ausgesehen hätte, wenn sie mit Schwarz, Gold und Silber verziert worden wäre. Die Fassung in der Sammlung des Fürsten von und zu Liechtenstein ist das einzige erhaltene Beispiel.
Apollo Belvedere
Im Jahr 1501 stieg Antico in der Hofhierarchie zum „cameriere“, eine Art Kammerdiener, auf. Dies war mit einem höheren Einkommen und größere Nähe zum Fürsten verbunden. Vermutlich im gleichen Jahr schuf er die Statuette des „Apollo Belvedere“, an dessen Modell er vermutlich bereits seit 1498 gearbeitet hatte.
Der „Apoll vom Belvedere“ (um 130–40 v.u.Z., Vatikanische Museen, Rom) ist eine römische Kopie eines griechischen Originals. Als 1489 Arbeiter den römischen Weingarten von Kardinal Giuliano della Rovere umgruben, förderten sie die antike Statue eines Apollo zutage. Nur der rechte Unterarm und die linke Hand fehlten, sonst war die Götterstatue wunderbarerweise perfekt erhalten. Der Kardinal ließ die Apollo-Statue im Skulpturengarten seines römischen Palastes aufstellen, wo ihn Künstler während der 1490er Jahre studieren konnten. Nach seiner Wahl zum Papst nahm Giuliano den Nahmen Julius II. an und ließ im November 1503 die Marmorstatue im Cortile delle Statue del Belvedere aufstellen (bis 1508). Dort wurden ausschließlich Antiken zusammengestellt, so dass diese gemeinsam studiert werden konnten. Vor der Auffindung des Laokoon am 14. Januar 1506 und neben dem Reiterstandbild von Marc Aurel war der „Apoll vom Belvedere“ die berühmteste Antike Roms.
Von Anticos „Apollo Belvedere“ sind drei Versionen in der Städtische Galerie Liebighaus in Frankfurt, in der Galleria G. Franchetti alla Cà d’Oro in Venedig (mit Bogen) und im Fitzwilliam Museum in Cambridge erhalten. Die aus stilistischen Gründen älteste Figur ist jene in Frankfurt, die auf dem Tragriemen des Köchers mit „ANT“ signiert ist. Sie ist der antiken Skulptur am nächsten. Der verlorene Unterarm wird von Antico nahe des Oberkörpers ergänzt und das Schreitmotiv reduziert. Zudem stellte er den Gott schlanker dar.
Hercules (Modell erstellt von 1496, gegossen wahrscheinlich nach 1519)
Dieser „Herkules“ gehörte zu den beliebtesten Statuetten von Antico.2 Da der Halbgott Herkules die fürstliche Tugend symbolisierte, dürfte er sich großer Beliebtheit bei Anticos Gönner:innen erfreut haben. Heute noch gibt es vier erhaltenen Versionen des „Herkules“; der „Herkules“ des Kunsthistorischen Museums, Wien, hält die Keule, die dem „Herkules“ aus der Frick Collection, New York, fehlt.
Die harte, blockartige Wiedergabe der Muskulatur, des Gesichts und der Haare sowie das Fehlen von Details im Fell des Löwen lassen darauf schließen, dass es sich um einen späten Guss handelt, der wahrscheinlich nicht von Antico ausgeführt wurde. Späteren Statuetten fehlte oft die Vergoldung und sie hatten einfachere Oberflächen und silberne Augen, die für antike Kleinbronzen charakteristisch sind.
Obwohl Antico klassische Marmorstatuen und -büsten restaurierte, die oft als Modelle für seine Skulpturen dienten, ist kein großformatiger antiker Prototyp für Anticos Herkules bekannt. Jüngste technische Analysen deuten darauf hin, dass diese Statuette des „Herkules“3 aus dem Louvre eine klassische fragmentarische Bronze der Römischen Antike sein könnte, der fehlende Teile hinzugefügt wurden. Kopf und Rumpf sind einteilig. Die eingelegten silbernen Augen und kupfernen Nippel sind typisch für antike Skulpturen. Hat Antico, der ein Meister des klassischen indirekten Gussverfahrens war, diese Bronze restauriert und als Vorlage für seine Herkules-Statuette verwendet?
Herkules und Antäus (Modell von 1511, Guss 1519)
Hercules hievt Antaeus vom Boden und bricht seinen Rücken gegen seine Schulter. Antico rekonstruiert in seiner Herkules du Antäus-Gruppe (Kunsthistorisches Museum, Wien) ein römisches Marmorfragment als freistehende, in jeder Hinsicht dynamische Gruppe.4 Als Isabella d'Este 1519 Versionen von Statuetten anforderte, die Antico vor langer Zeit hergestellt hatte, stellte der Bildhauer stolz fest, dass der „Herkules, der Antäus tötet“, der „schönste“ sei. Sicher datiert und durch eine Inschrift in Isabellas Sammlung dokumentiert, bietet diese Statuette den stilistischen Bezugspunkt für spätere Abgüsse, die von Anticos früheren Modellen angefertigt wurden. Seine glatten Oberflächen, robuste Modellierung und fehlende Vergoldung sind typische späte Merkmale. Antaeus‘ Frisur und gequälte Gesichtszüge sind Anticos Erfindungen; Der Kopf ähnelt dem des früheren Meleager.
Tod
Antico starb 1528 in Gazzuolo.
- Bronze mit Ölvergoldung und versilberten Augen (Liechtenstein. The Princely Collcetions, Vaduz-Wien)
- Bronze mit versilberten Augen, Originaler Bronzesockel (Kunsthistorisches Museum, Wien, Kunstkammer)
- wahrscheinlich römisch, Herkules, 2.–3. Jh. n.u.Z., wahrscheinlich im 15. Jh. restauriert, Bronze mit Kupferintarsien und Spuren von Vergoldung, moderner flacher Bronzesockel (Musée du Louvre, Paris, Département des Objets d’art, Legs Gatteaux)
- Bronze, originaler Bronzesockel, auf dem bezeichnet Unterseite: D/ISABEL/LA/ME/MAR (Divine Isabella Marchesa von Mantua) (Kunsthistorisches Museum, Wien, Kunstkammer)