„Was schaffst du jetzt noch?“, fragt sich Georg Baselitz angesichts seiner Werke der letzten vier Jahre. Und beantwortet sich die Frage gleich selbst mit dem Hinweis: „Was fehlt sind die wesentlichen Dinge. Das Malen ohne Kontrast, das monochrome Malen, das Malen ohne Linie.“ Während sich der berühmte Deutsche, der 1938 als Georg Kern in Baselitz geboren worden ist, in der Selbstreflexion vor allem mit formalen Fragestellungen auseinandersetzt, interessieren Kuratorin Frédérique Goerig-Hergott inhaltliche und maltechnische Konzepte.
Frankreich / Colmar: Musée Unterlinden
9.6. – 29.10.2018
In den aktuellen Werken hinterfragt Georg Baselitz seinen eigenen alternden Körper, den seiner Frau Elke und seinen Platz in der Kunstgeschichte. Bereits 2015 überraschte der knapp 80-Jährige mit schonungslosen Bildern seiner Selbst auf der Biennale von Venedig: Baselitz in der „Avignon-Serie“ von hinten, über fünf Meter hohe Bilder, farbig. Dann ein Innehalten – so legt es die Ausstellung in Colmar nahe – und eine monochrome Malerei, die im Detail dann doch viele Buntfarben beinhaltet. In den Jahren 2014 bis 2017 widmete er sich in Malerei, Zeichnung und Skulptur den ihn drängenden Fragen: Existenz, Vergänglichkeit, Tod. Er taucht beim Arbeitsprozess in das Gemälde ein und arbeitet jüngst mit dunklen Hintergründen, spritzt Farbe fein verstäubt auf, ritzt in die mit expressiver Geste aufgetragene Farbmasse hinein. Darauf erscheinen ein oder zwei Körper, manchmal kopflos, manchmal in gehender Pose, manchmal die Treppe hinabsteigend, meist gestürzt oder 90 Grad gedreht auf dem Krankenbett liegend.
Schon früh wandte sich Georg Baselitz dem Körper zu und malte Beine, Füße. „Was ist das?“ Und weiter der Künstler: „Wenn du schon nicht an die Religion glaubst“, diese hält er für ein „mediterranes Phänomen“, „woran dann?“ Baselitz definiert sich als erdverbunden, waldverbunden, teichverbunden und mag so manchen Troll, Geist oder Gespenst im Dorf gesehen haben, wie er erzählt. Wichtiger ist angesichts der aktuellen Werke das Bekenntnis, dass er nicht gläubig sein müsse, um diese Bilder zu malen. Handeln sie vom Abstieg in die Hölle oder Aufstieg nach dem Tod? Offensichtlich ist das bereits eine höchst subjektive Interpretation, der der Maler nicht folgen möchte. Der Widerspruch Baselitz‘ zeigt sich hier am ehesten in den teils humorvollen, teils ironischen Titeln. Mit ihnen führt der Maler eine weitere Ebene in die Bilder ein. Die Treppe, die die Akte herabsteigen, ist eine Duchamp Rezeption, wobei der Maler sich gänzlich darüber im Klaren ist, dass der Franzose das Motiv bei Pablo Picasso „geklaut“ hat.
Baselitz ist nie um einen Sager verlegen. So analysiert er nach eigener Aussage die „gescheiterten Alterswerke von Dix, Picasso, Miró, Dubuffet“, um deren Fehler zu vermeiden. Er fühlt sich alltäglich, abhängig von dem, was ihm und seiner Ehefrau passiert – und malt seinen körperlichen, seinen emotionalen Zustand. 26 großformatige Gemälde und 41 Arbeiten auf Papier aus Baselitz‘ Atelier bei München, wie der Neubau des Musée Unterlinden ebenfalls errichtet von Herzog und de Meuron, und die drei letzten Skulpturen sind in der Schau zu sehen. „Dieses Werk“, so Direktorin Pantxika De Paepe, „passt gut auch zur Sammlung des Musée Unterlinden und zum Isenheimer-Altar“. Die Qualität der Bilder hänge zwar nicht mit der ideologischen Überzeugung des Künstlers zusammen, fügt der Maler später in Bezug auf Grünewald hinzu, für ihn ist Widerspruch die zentralere und qualitätssteigernde Kategorie.
Seit seinen ersten „auf den Kopf stehenden“ Bildern aus dem Jahr 1969 hat Baselitz in der Tradition der Aktmalerei oder des Selbstporträts immer wieder neue Ausdrucksformen für die Darstellung seines eigenen Körpers beziehungsweise des diesem beigestellten Körpers seiner Frau Elke entwickelt, wie in der Ausstellung der Fondation Beyeler gezeigt worden ist. War sein Blick bislang der eines distanzierten Beobachters, so setzt er sich in der im Winter 2014/2015 begonnenen Serie mit der Realität seines hohen Alters und des Altwerdens auseinander. Über eine introspektive Haltung und Herangehensweise hinausgehend bezog er sich darin immer wieder kompositionell auf verehrte Vorbilder, auf Duchamp, Jean Dubuffet, Otto Dix, Pablo Picasso und Willem de Kooning. Der Konkurrenzkampf geht weiter, denn Georg Baselitz kann mit dem Malen nicht aufhören: „Ich muss immer noch den Beweis antreten, dass ich besser bin als alle anderen!“
Kuratiert von Frédérique Goerig-Hergott, Chefkonservatorin, Musée Unterlinden.