Keith Haring (1958–1990) schuf seine Kunst im Kontext der Themen der 1980er Jahre: die AIDS-Krise, der Kalte Krieg, Rassismus und Apartheid, die Auswüchse des Kapitalismus und die Umweltzerstörung. Haring ist vor allem für seine farbenfrohen Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Wandgemälde weltberühmt. Das Museum Folkwang widmet dem im Alter von 31 Jahren verstorbenen Künstler eine umfangreiche und umfassende Überblicksausstellung!
Deutschland | Essen: Museum Folkwang
21.8. – 29.11.2020
Die Haring-Ausstellung im Folkwang Museum überrascht mit dem Frühwerk des Künstlers! Berühmt ist Haring für seine Subway-Drawings und dem darin entwickelten Figurenrepertoire der 1980er Jahre. Doch die Grundlage für seine Kunst fand Haring in Pittsburgh, wo er 1976/77 ein Grafikdesignstudium angefangen und nach zwei Semestern abgebrochen hatte (→ Keith Haring: Biografie). Grund dafür war, dass er sich als freischaffenden Künstler und nicht als Gebrauchsgrafiker sah. Bereits 1978 stellte er im Pittsburgh Center for the Arts aus. Zu sehen waren schwarz-weiße painted environments, Fragmente von älteren Arbeiten, die er im Raum hängend präsentierte. Kurz darauf, im Herbst 1978 zog Keith Haring nach New York City, wo er im East Village in Downtown Manhattan in Kunstszene und Gegenkultur eintauchte und sich offen zu seiner Homosexualität bekannte.
Als Keith Haring im September 1978 für ein Kunststudium an der School of Visual Arts (SVA) nach New York City übersiedelte, ging es ihm darum, eine für viele Menschen zugängliche Kunst zu schaffen. Wie sehr Haring sich mit Fragen zu Raum, Bewegung, Rhythmus, Körper auseinandersetzte, zeigt er in dem Videos „Painting Myself into a Corner“ und „Circle Play“ von 1979. Man sieht den jungen Künstler beim Bemalen des mit Papier ausgelegten Bodens seines Ateliers an der SVA. Er arbeitet schnell mit rhythmischen Bewegungen und schwarzer Sumi-Tusche, verbindet abstrakte Formen miteinander zu einem All-Over-Muster, das stark an Jean Dubuffet oder Pierre Alechinsky erinnert. Am Ende sitzt Haring in der Ecke seines Ateliers. Um seine Kunst „unter die Leute“ zu bringen, begann er, Schnipsel seiner Kunst und fotokopierte Textarbeiten im Stadtraum zu hinterlassen.
„Ich bin für eine Kunst, die in direkter Verbindung zum täglichen Leben steht, die aus unserem Alltagsleben heraus entstehen kann und ein sehr direkter und ehrlicher Ausdruck unseres wahren Lebens und unserer wahren Stimmungslagen ist.“1
Als Keith Haring für sein Kunststudium an der School of Visual Arts (SVA) nach New York City übersiedelte, ging es ihm darum, eine für viele Menschen zugängliche Kunst zu schaffen. Der kulturelle „Rucksack“ Harings ist reich gefüllt mit Comics, Graffiti, Street Art, Ästhetik des Punk, Hierglyphen, Expressionismus (→ Abstrakter Expressionismus | Informel) und Pop Art, Performance und Videokunst. Christo, Jean Dubuffet und Pierre Alechinsky, vor allem aber Andy Warhol prägten das Kunstwollen des heranreifenden Haring tief. Ab 1980 setzte er sein Konzept einer leicht zugänglichen Kunst in Form von öffentlich präsentierten fingierten Schlagzeilen und kurz darauf Subway-Drawings um.
Harings schnell auf die leeren schwarzen Werbeflächen gezeichneten Bilder in der New Yorker U-Bahn erinnern an Comics, die ihm sein Vater als Kind nähergebracht hatte. Er wählte das U-Bahn-System zu seiner lebendigen Galerie – und erst, als die Bilder immer schneller gestohlen wurden, konnte er sich mit der Idee anfreunden, sich von einer klassischen Kunstgalerie vertreten zu lassen. Davor organisierte er Ausstellungen im Club 57 und lud dazu Künstler der Grafitti-Szene ein. Bis zu seinem frühen, von einer AIDS-Erkrankung ausgeösten Tod bemalte Keith Haring Wände, manchmal auch in Zusammenarbeit mit unzähligen Kindern, deren Spontaneität und ungezügelte Kreativität er schätzte. Darüber hinaus arbeitete er mit so unterschiedlichen Künstlern wie Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat, Madonna, Grace Jones, Vivienne Westwood und Malcolm McLaren zusammen.
Im Zentrum der Folkwang-Ausstellung steht der politisch mündige Keith Haring, der seine Kunst dazu nutzte aufzuklären und zu warnen. Es gibt kaum ein drängendes Thema seiner Zeit, zu dem er sich nicht künstlerisch geäußert hätte: Angst vor Atomunfällen und Atomkrieg, politische Diktaturen, Rassismus und Apartheid in Südafrika (1994 beendet), Homophobie, Drogensucht, AIDS, Kapitalismus und Umweltzerstörung. Selbst ein „Kind der 80er Jahre“ verband Keith Haring Club- mit Hochkultur, um lebensbejahende, fröhliche Werke zu schaffen, die sich dennoch nicht den Problemen des Jahrzehnts verschließen. Mit seinen chiffrenartigen Figuren und an Comics angelegte Bildlösungen (Rahmen, Flächigkeit, Bewegungslinien) fand er einen persönlichen Stil, der ihm half, mit seiner Umwelt zu kommunizieren. Die auf schnelle Lesbarkeit angelegte Bildsprache (was nicht gleichbedeutend ist mit einem leichten Verstehen), erwies sich als global erfolgreiches Medium. Keith Harings gezeichnete Figuren und ikonischen Bildmotive wie tanzende Männchen, bellende Hunde oder fliegende Untertassen gingen um die Welt. Als Künstler beschäftigte er sich mit universellen Themen wie Geburt, Tod, Liebe, Krieg und Anteilnahme. Harings Botschaften sind geprägt von der liberalen, lebensbejahenden, aber gleichermaßen kritischen Haltung des Künstlers - und seine Kunst ist daher als subversiv zu bezeichnen.
Wie sehr Keith Haring Street Art, Club-Kultur und Kunstszene miteinander verband, verdeutlich in Essen vielleicht der Schwarzlichraum am besten. Zu jeder vollen Stunde wird für 20 Minuten Schwarzlicht eingeschaltet, laute Hip-Hop- und Disco-Musik beschallt die Ausstellungsfläche. Die Bilder und Objekte Harings leuchten unter UV-Licht, da er sich mit fluoreszierenden Farben ausgeführt hat. Hier wird das Gefühl der 80er durch die Engführung von Neon und Pop körperlich spürbar. Das Konzept basiert auf der Ausstellung „Into 84“, Keith Harings zweiter Einzelausstellung bei Tony Shafrazi, mit der er vom 3. Dezember 1983 zum 7. Januar 1984 über den Jahresechsel, sich und seine Freunde und die Kunst feierte.
„Mir ist völlig klar, dass ich AIDS haben oder es kriegen könnte. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, und die Symptome sind sogar schon da. Meine Freunde fallen um wie die Fliegen, und im Innersten weiß ich, dass nur ein göttliches Eingreifen mich so lange am Leben erhalten hat. Ich weiß nicht, ob mir noch fünf Monate oder fünf Jahre bleiben, aber ich weiß, dass meine Tage gezählt sind.“
Dieser Tagebucheintrag Harings vom Sommer 1987 lässt tief blicken. Die realistische Einschätzung des Künstlers sollte sich als richtig herausstellen, wurde doch ein Jahr später bei ihm das Virus nachgewiesen. In seiner Kunst hält es als „Teufelsspermium“ Einzug. Keith Haring verstarb am 16. Februar 1990 im Alter von nur 31 Jahren an den Folgeerkrankungen von AIDS. Er hatte stets offen über seine Homosexualität sowie seine HIV-Infektion gesprochen und so einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung der Krankheit geleistet.
Die Keith Haring-Ausstellung in Essen umfasst mehr als 85 Arbeiten - inklusive kaum bekannter Videos sowie fotokopierter Textarbeiten. Fotografien und Standfotos ergänzen die Kunstwerke zu einem Kaleidoskop der New Yorker Kunstszene der 1980er Jahre. Die umfassende Schau gibt einen profunden Ein- und Überblick zu Harings Werk und seine Anliegen. Mit „The Matrix“ von 1983 kommt ein monumentales Hauptwerk aus Wadesworth ins Folkwang Museum: In Harings charateristischem All-Over verbindet er schwangere Frauen mit einem Affenkönig, aztekischen Göttern bzw. Dämonen, bellenden Hunden und strahlenden UFOs, Medien- und Konsumkritik zu einem die Augen nahezu überfordernden Fest an Symbolen und Inhalten. Man spürt noch immer die Energie, mit der Haring sich tänzerisch über den Bildträger bewegt haben muss, die Schnelligkeit des Strichs, die Sicherheit in Komposition und Form. Allein die Tatsache, dass das Frühwerk in die Studienzeit des Malers datiert und „The Matrix“ im quasi vierten Jahr seiner selbständigen Arbeit entstand, ring Respekt ab. Dem früh erwachsenen Künstler blieben nur knapp wenig mehr als zehn Jahre für sein Werk. Doch heute zählt er zurecht zu den ganz Großen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Haring-Ausstellung im Folkwang ist ein Beleg für die Relevanz und die Kraft der künstlerischen Sprache Keith Harings!
Kuratiert von Darren Pih und Tamar Hemmes, Tate Gallery, Liverpool, in Zusammenarbeit mit Hans-Jürgen Lechtreck und Sonja Pizonka.
Mit Texten von Paul Dujardin, Tamar Hemmes, Hans-Jürgen Lechtreck, Darren Pih
ca. 128 Seiten, ca. 100 Abbildungen
18,9 x 24,6 cm, Broschur
Kerber Verlag