Helmut Newton

Wer war Helmut Newton?

Helmut Newton (ursprünglich Helmut Neustädter; Berlin 31.10.1920–23.1.2004 Los Angeles) war ein deutsch-australischer Modefotograf des 20. Jahrhunderts.

Kindheit

Helmut Newton wurde am 31. Oktober 1920 als Sohn einer wohlhabenden, jüdischen Knopffabrikantenfamilie in Berlin unter dem Namen Helmut Neustädter geboren. Bis 1936 besuchte er das Gymnasium, welches er aber abbrach, nachdem er schon zu dieser Zeit mehr dem Schwimmen, den Mädchen und dem Fotografieren zugetan war. So fotografierte er den Berliner Funkturm, sein erstes relevantes Motiv.

Ausbildung & Flucht

Helmut Newton begann 1936 als 16-Jähriger eine Lehre als Fotograf bei der damals bekannten Berliner Fotografin Yva (Else Neuländer-Simon). In ihrem Studio entstanden erste Selbstporträts, die zwischen Inszenierung und Selbstvergewisserung schwanken. Yva musste nach dem Berufsverbot 1938 ihr Atelier schließen und wurde später im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Am 5. Dezember 1938 flüchtete der 18-jährige Newton vor den Nazis aus Deutschland mit dem Zug nach Triest und per Schiff in Richtung Singapur. Dort arbeitete er zwei Wochen lang als Fotoreporter bei „The Straits Times“, bevor er wegen „Unfähigkeit“ entlassen wurde.

Die Kriegsjahre ab 1940 verbrachte Helmut Newton in Australien, wo er zunächst als LKW-Fahrer bei der Armee und beim Eisenbahnbau arbeitete. 1946 eröffnete er ein Fotostudio in Melbourne. Ein Jahr später nahm er die australische Staatsangehörigkeit an. 1948 heiratete er die Schauspielerin June Brunell (1923–2021; Schauspielerpseudonym June Brunell), mit der er bis zu seinem Tod zusammenlebte. June porträtierte Newton immer wieder – anfangs assistierte sie ihm neben ihrer eigenen Karriere als Schauspielerin in der Dunkelkammer. Das Paar war kinderlos. June Newton war seit den 1970er Jahren selbst als Fotografin unter dem Pseudonym Alice Springs tätig.

Nur weniges von den frühen Porträts, Hochzeits- und Modebilder sind erhalten. Das Frühwerk, das unter dem anglisierten Namen Helmut Newton entstand, entspricht einer konventionellen Auftragserfüllung, doch das Experimentelle und Avantgardistische seines Hauptwerks blitzt in diesen Aufnahmen gelegentlich schon auf.

„Schon in meiner Anfangszeit als junger Fotograf war mein Ziel immer die gedruckte Seite. Ich bin im Berlin der 1920er und 1930er Jahre aufgewachsen. Damals war die Stadt die Wiege des Fotojournalismus, und Journalisten und Reporter waren für mich romantische Gestalten. Die Fotografie war ein abenteuerlicher Beruf, ich habe das Werk von Martin Munkácsi in den Wochenzeitschriften bewundert. Es gab Journalisten wie Egon Erwin Kisch, der den Reportageband ‚Der rasende Reporter‘ veröffentlichte, und genau das wollte ich sein, nichts anderes.“1

Modefotografie

Ab 1956 arbeitete Helmut Newton für die australische „Vogue“, die sein Hauptarbeitgeber wurde. Zudem arbeitete er mit Henry Talbot in einem gemeinsamen Studio in Melbourne zusammen. Im gleichen Jahr reiste er mit June durch Europa, unterschrieb einen Jahresvertrag bei der britischen „Vogue“ in London, kehrte jedoch bald wieder nach Melbourne zurück.

Nach und nach verpflichteten ihn auch die französische, italienische, amerikanische und die deutsche Ausgabe, sowie auch weitere Modezeitschriften, darunter die französische „Elle“ und das avantgardistische Magazin „Queen“. Durch die Modemagazine erreichte Newton ein Millionenpublikum, lange bevor seine Fotografien in Publikationen und Ausstellungen erschienen.

1961 folgte Helmut Newton einer Einladung der französischen „Vogue“ und zog mit seiner Frau June nach Paris. In der Hauptstadt der Mode entwickelte er seinen Stil, der ihn den 1970er Jahren zu einem der begehrtesten und innovativsten Mode-, Werbe-, Porträt- und Aktfotografen seiner Zeit machte. Newton arbeitete assoziativ und narrativ, meist erzeugt er mit seinen Fotografien ein Bild-Geheimnis. Unter den porträtierten Prominenten waren Helmut Kohl, Margaret Thatcher, Charlotte Rampling, Catherine Deneuve, Liz Taylor, Romy Schneider und Hanna Schygulla.

Mit der Courrèges-Serie, realisiert 1964 für die englische Zeitschrift „Queen“, begann Helmut Newton ein neues Kapitel in seinem Werk, das sich durch eine innovative, mutige Auftragserfüllung auszeichnete.  Newton griff in seinen raffinierten Modefotos den herrschenden Zeitgeist, von den Hitchcock-, Truffaut- und Fellini-Filmen bis hin zur sexuellen Revolution zum Ende der 1960er Jahre auf. Dadurch sind die Aufnahmen mehr als Inszenierungen eines Kleidungsstücks oder eines Accessoires, stattdessen verraten sie viel über gesellschaftliche Veränderungen.

Mitte der 1960er Jahre erwarb Newton ein Haus unweit der Côte d’Azur. Seitdem entstanden auch dort und im nahen Saint-Tropez zahlreiche Modebilder, intime Porträts von June sowie Selbstporträts. Parallel arbeitete Newton im Auftrag verschiedener Magazine in Venedig, London, Paris, Mailand, Rom, Montreal oder Tunis.

Helmut Newton reiste in den 1970er Jahren von Paris aus immer wieder in die USA und fotografierte in New York, Miami oder Los Angeles. Mode inszenierte er weiterhin meist auf der Straße, in exklusiven Hotellobbys oder luxuriösen Restaurants, wahlweise mit Schaufensterpuppen oder lebendigen Models; dabei wurde erst auf den zweiten Blick klar, was real und was nur die Kopie des echten Lebens war. Newton interessierte das Doppelgänger-Motiv, mit Anspielungen auf E. T. A. Hoffmann und den Surrealismus, oder Verdoppelungen und Verwandlungen wie in Fritz Langs Film „Metropolis“. Darüber hinaus begann er, sein Werk systematisch zu archivieren.

Naked and Dressed | Big Nudes

Im Jahr 1981 entwickelte Helmut Newton für die italienische und französische „Vogue“ eine radikale Bildidee: Er bat Models – zunächst in Brescia, anschließend in Paris – sich nach einem Mode-Shooting auszuziehen und fotografierte sie in exakt der gleichen Pose erneut, allerdings nackt. Die Veröffentlichung in den beiden Modezeitschriften im Herbst 1981 sorgte für einen handfesten Skandal. Die Diptychen, die den Übergang von der Mode- zur Aktfotografie in seinem Werk markieren, nannte er schlicht „Naked and Dressed“. Parallel entstanden die sogenannten „Big Nudes“, auch als lebensgroße Abzüge, was bis dahin noch niemand versucht hatte. So testete Helmut Newton immer wieder gesellschaftlich-moralische Grenzen aus und definierte sie neu.

Ende 1981 verließen Helmut und June Newton Paris und zogen nach Monte Carlo, die ersten Monate jedes Jahres verbrachten sie seitdem in Los Angeles. Dort entstanden zahlreiche Porträts der befreundeten Hollywood-Prominenz – aufgenommen sowohl von Helmut als auch von June, die seit 1970 unter dem Pseudonym Alice Springs ebenfalls erfolgreich als Fotografin arbeitete.

„Ich fotografiere die Menschen, die ich liebe und verehre – die Berühmten und besonders die Berüchtigten.“2 (Helmut Newton)

Publikationen und Ausstellungen

1971 erlitt Helmut Newton einen Herzinfarkt während eines Shootings in New York; danach änderte er seine Arbeitsweise. Er nahm nun überwiegend Aufträge an, die er als interessant und herausfordernd empfand. Außerdem nutzte der Fotograf das zur Verfügung gestellte Setting samt Models und Stylisten nun auch für eine persönliche Interpretation der Modeszene, die meist etwas offener und freizügiger ausfiel. 1976 entstand aus unpublizierten Aufnahmen Newtons erster Bildband, „White Women“, der kurz nach der Veröffentlichung mit dem Kodak-Fotobuchpreis ausgezeichnet wurde. 1978 folgte aus bereits veröffentlichtem Material aus „Vogue“ und „Playboy“ sein zweites Fotobuch, „Sleepless Nights“. Beide Publikationen sorgten für Furore und erschienen über viele Jahre in mehreren Verlagen, in unterschiedlichen Ausgaben und Auflagen.

1975 begann Newton, seine Modefotos und Aktbilder auch in Museen und Galerien auszustellen. Newtons drittes Buch, „Big Nudes“, wurde zu seinem bislang erfolgreichsten; in unterschiedlichen Verlagen erschien es über Jahrzehnte in hoher Auflage. Im Jahr 1987 etablierte Newton sein eigenes, großformatiges Magazin, „Helmut Newton’s Illustrated“, das er in unregelmäßigen Abständen und mit unterschiedlichen Titeln auf den Markt brachte. Formal lehnte er sich an die legendären illustrierten Zeitschriften der Weimarer Republik an.

In den 1990er Jahren ist Helmut Newtons Werk geprägt von einer avantgardistischen Modefotografie. Er fotografiert meist in und um Monte Carlo, aber auch in Berlin, etwa im legendären Restaurant Exil, oder en plein air in Paris oder Miami. Seine Arbeiten entstanden immer seltener für Zeitschriften, sondern vermehrt im direkten Auftrag von Modedesigner:innen und anderen Kunden, etwa Chanel, Thierry Mugler, YSL, Wolford, Swarovski oder Lavazza. Teilweise realisierte Helmut Newton groß angelegte Werbekampagnen. Damit emanzipierte sich Newtons Modefotografie von den Zeitschriften. Zahlreiche Museumsausstellungen und der Kunstmarkt begleiteten diese Entwicklung – auch von Richard Avedon, Peter Lindbergh, David LaChapelle oder Mario Testino.

Newton veröffentlichte zwei weitere Ausgaben seines Magazins und einen Bildband mit Polaroids bei Schirmer/Mosel. Die Sofortbildfotografie blieb über Jahrzehnte für den Fotografen sehr wichtig, unter anderem als schnelle Ideenskizze und zur Begutachtung einer Komposition während des Shootings. „Pages from the Glossies“ ist die faksimilierte Zusammenfassung seiner Magazinveröffentlichungen aus fünf Jahrzehnten. Das gemeinsame Buch mit seiner Frau June veröffentlichten sie unter dem Titel „Us and Them“ (beide verlegt von Scalo).

Im Jahr 1999 erschien „SUMO“, das bis dahin größte Kunstbuch aller Zeiten bei TASCHEN. Im April des Folgejahrs erregte der Bildband Aufsehen, als das Exemplar Nummer eins – handsigniert von über 100 der in dem Buch abgebildeten berühmten Persönlichkeiten – auf einer Charity-Auktion 620.000 DM erzielte und damit den Rekord für das teuerste Buch des 20. Jahrhunderts brach.

Sex und Landschaften

Die beiden letzten Publikationen entstanden in Zusammenarbeit mit Newtons Zürcher Galerie De Pury & Luxembourg anlässlich der Ausstellungen „Sex and Landscapes“ sowie „Yellow Press“. Zu diesem Zeitpunkt präsentierte Helmut Newton erstmals seine Landschaftsbilder und die journalistische Fotografie seines Spätwerks. In seinen letzten Lebensjahren inszenierte er erstmals melancholische Abschiedsbilder. Man ist versucht, trotz des strahlenden Lichts in den Aufnahmen erste Todesmetaphern zu entdecken.

Kontroversen

Im November 1993 warf ihm Alice Schwarzer in der feministischen Zeitschrift „Emma“ vor, seine Fotos seien nicht nur sexistisch und rassistisch, sondern auch faschistisch. Als Beleg führte sie 19 seiner Bilder an. Emma druckte die entsprechenden Bilder ohne Genehmigung in einer Ausgabe ab, was zu einer erfolgreichen Klage des deutschen Verlags Schirmer/Mosel mit Billigung Helmut Newtons wegen vorsätzlicher Urheberrechtsverletzung gegen den Emma-Verlag führte. Das Landgericht München verurteilte die Emma Frauenverlags GmbH zur Zahlung von Schadenersatz. Zwar seien Bildzitate in politischen Auseinandersetzungen erlaubt, doch Emma habe das dafür nötige Maß mit 19 Bildern überschritten.

Auszeichnungen und Ehrungen

  • 1990: Grand Prix National de la Photographie
  • 1992: Officier des Arts, Lettres et Sciences, Monaco
  • 1992: Großes Bundesverdienstkreuz
  • 1994: Berliner Bär (B.Z.-Kulturpreis)
  • 1996: Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres, Frankreich

Tod

Helmut Newton starb in der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 2004 nach einem Herzinfarkt, den er am Steuer seines Cadillacs erlitt, in Los Angeles im Cedars-Sinai Medical Center. Er wurde 83 Jahre alt.

Auf seinen Wunsch hin wurde Newton in seiner Geburtsstadt Berlin beerdigt. Am 2. Juni 2004 fand die Beisetzung der Urne in einem Ehrengrab auf dem Friedhof Schöneberg III (Nr. 34/367) in Berlin-Friedenau statt. Unter den Trauergästen waren unter anderem Bundeskanzler Gerhard Schröder, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der britische Schauspieler Roger Moore.

  1. Zit. n. Helmut Newton. Helmut Newton Pages From The Glossies, Zürich 1998, S. 11; Matthias Harder (Hg.), Helmut Newton Legacy, Köln 2021, S. 28.
  2. Zit. n. Ebenda, S. 270.