David Hockney (* 1937) und Vincent van Gogh (1853–1890) in einer gemeinsamen Ausstellung – das ist ein Novum für den erfolgreichen britischen Maler. Beide Maler begeistern sich für die Natur, arbeiten mit leuchtenden, hellen Farben und experimentieren mit der Perspektive. In der Amsterdamer Schau spielen Hockneys monumentale Yorkshire Landschaften eine zentrale Rolle.
Niederlande / Amsterdam: Van Gogh Museum
1.3. – 26.5.2019
120 Werke von David Hockney und Van Gogh treffen in der Amsterdamer Schau aufeinander, darunter „The Arrival of Spring in Woldgate, East Yorkshire“ (2011) aus dem Centre Pompidou (→ David Hockney schenkt Paris „The Arrival of Spring“). Neben den monumentalen Landschaftsbildern, die der britische Künstler auf mehreren Leinwänden entwickelt, werden auch seine intimen Skizzenbücher und die bekannten iPad Zeichnungen präsentiert. Die Fotografin Rineke Dijkstra schuf ein Porträt des nunmehr 81-jährigen Künstlers, der erst kürzlich zum „teuersten lebenden Maler der Welt“ wurde. Erstmals wird im Van Gogh Museum Amsterdam der Einfluss des niederländischen Postimpressionisten auf das Werk Hockneys untersucht, formale und thematische Inspirationen nachvollziehbar.
In den späten 1990ern kehrte David Hockney aus Los Angeles, Kalifornien, in seine Heimat, den Yorkshire Wolds, in Großbritannien zurück (→ David Hockney: Retrospektive des Werks). Hier wandte er sich dem charakteristischen Landleben und der Landschaft zu. Diese sogenannten Yorkshire Landschaften sind den Jahreszeiten gewidmet, wodurch David Hockney den Fluss der Welt einfängt.
Die farbintensiven, kontrastreichen Landschaften, die David Hockney nach den inzwischen berühmten Pop Art Gemälden entwickelte, sind Verdichtungen der Natur rund um den Maler. In oftmals monumentalem Format zeigen diese Landschaften Hockneys Liebe zur Natur – und lassen sich deutlich mit Van Goghs Landschaftsauffassung vergleichen. „Die Ernte” (1888), „Feld mit Irisen bei Arles” (1888) und „Der Garten vom Saint-Paul Hospital [Fallende Blätter]“ (Saint-Rémy-de-Provence, Oktober 1889) zählen zu den wichtigsten Landschaftsbildern des Holländers in Südfrankreich und jenen Kompositionen, die mit Hockneys mehr als 100 Jahre später entstandenen Werken als Inspiration dienten. Die stilisierten vertikalen Linien der Baumstämme in den späten Bildern Van Goghs sind ähnlich der wiederholten Linien in Hockneys „The Arrival of Spring in Woldgate, East Yorkshire“ (2011).
„Die Welt ist bunt. Sie ist wunderschön, denke ich. Die Natur ist großartig. Van Gogh verehrte die Natur. [...] Es war ihm vielleicht elend zumute gewesen, aber das zeigt sich nicht in seiner Arbeit. Es gibt immer Dinge, die versuchen, dich runterzuziehen. Aber wir sollten mit Freude die Welt betrachten.“ (David Hockney über Vincent van Gogh)
Wenige zeitgenössische Elemente wie Strommasten unterscheiden die Kulturlandschaften aus dem späten 19. und dem frühen 21. Jahrhundert. Beide Maler bedienen sich eines romantischen Landschaftsbegriffs, der mehr mit einer pittoresken Hirtenszene zu tun hat als mit der modernen Arbeitswelt. Grundsätzlich geht es sowohl Van Gogh wie auch Hockney um malerische Problemstellungen, um den Akt des Sehens an sich und weniger – wie der niederländische Kurator konstatiert – um konzeptuelle, visionäre Zugänge. Und doch geht es beiden bei allem Realismus nicht um einen anekdotischen Blick auf ihre Zeit. Der Niederländer bediente sich der Bauern als Symbole einer heilen, mit Natur und Gott verbundenen Menschheit. Hockney schildert die Natur, weil er sich an ihr erfreut und gleichzeitig durch die Bilder von ihr seine Theorien zum wandernden Blick exemplifizieren kann. Das Nacherfinden von Natur auf einer flachen Leinwand (oder einem digitalen Bild, oder einer facettierten Fotografie) kann als die Erschaffung einer eigenen Welt gedeutet werden, so den Hartog Jager, der im gleichen Atemzug Vincent van Gogh und David Hockney in die Tradition der Romantik stellt. Novalis‘ Aufforderung – „die Welt muss romantisiert werden“ – folgend, vermitteln Van Gogh und Hockney im „poetischen Akt“ des Malens eine Ahnung und Mitteilung von der „ursprünglichen Totalität der Welt“. Die „Handlungsanleitung“ des Schriftstellers liest sich wie folgt:
„Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisiere ich es […].“1 (Novalis)
Subjektives Empfinden und persönliche Handschrift verbinden sich sowohl in Vincent van Goghs wie auch David Hockneys Bildern, wobei die „Freude des Sehens“ dem konzeptuellen Denken (z.B. den Regeln der Perspektive) nicht zuwiderläuft.
Die Unterschiede zwischen den Werken des „Vaters der Moderne“ und seinem Nachfolger sind genauso gigantisch, allen voran die Größenverhältnisse von Hockneys Kunst. Während der eine handliche Mittelformate schuf, arbeitet der andere mit der Überwältigungsmacht der Monumentalität. Mitten im Bild zu stehen, den Überblick zu verlieren und so der „Hölle“ Zentralperspektive zu entgehen, sind ursächlich dafür verantwortlich und gleichzeitig auch die Folgen. Bei aller überraschenden Ähnlichkeit in Motivwahl und malerischer Faktur war es doch nicht David Hockneys Wunsch, Vincent van Gogh nachzueifern oder zu imitieren. Hans den Hartog Jager stellt in einem einleitenden Beitrag die erstaunte Frage, ob denn beide Künstler nach langem Schauen und Analysieren ihrer Umgebung zu den gleichen Schlüssen gelangt sind. Haben Hockney und Van Gogh die Gleichen Muster in der Natur, die gleiche potentielle Energie in Geometrie und Komposition entdeckt?
Nun für David Hockney ist überliefert, dass dessen Beschäftigung mit der Zentralperspektive schon in seiner Jugend begann. Jeden Tag ging der Elfjährige in seiner Schule in Bradford an einer Reproduktion von Fra Angelicos „Verkündigung“ (1437–1446), einem Fresko in San Marco, Florenz, vorbei. Wenn auch Fra Angelico die Szene mit Hilfe der Regeln der neuen Zentralperspektive konstruierte und so Tiefe und Raum der Architektur zu illusionieren wusste, so bricht er doch in einigen Punkten das Konzept und steigert so den religiösen Gehalt: Die beiden Figuren sind viel zu groß, und der Lichteinfall widerspricht der Architektur einer Loggia. Hockneys Lieblingskünstler sind demnach auch jene, die – so der Kurator – ihre eigene Bildwelt erschaffen haben wie Giotto Vincent van Gogh und Pablo Picasso, oder auch der Moskauer Ikonenmaler Andrei Rublev (um 1360–1430).
Für Vincent van Gogh war die Frage von korrekter Raumwiedergabe nur am Beginn seiner Beschäftigung mit Malerei (um 1880–September 1884 → Vincent van Gogh im Borinage. Die Geburt eines Künstlers) ein Thema, danach wandte er sich schnell den Phänomen Farbe zu und begann seine Bilder ganz aus Farbwerten aufzubauen. Zu Van Goghs Leitstern wurde Eugène Delacroix, dessen Farbtheorie er verwendete (→ Delacroix und die Malerei der Moderne). Dass er sich so radikal vom malerischen Naturalismus der Haager Schule zum Pointillismus in der Pariser Phase und schlussendlich zu den von der Wiedergabe des Gesehenen so befreiten Gemälden der Spätzeit entwickeln konnte, überrascht noch immer. Mit seiner Reise nach Arles folgte Vincent van Gogh einer inneren Notwendigkeit, um intensive Farbkontraste und helles, „japanisches“ Licht zu finden (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles). Für Hans den Hartog Jager stehen Van Gogh und Hockney in der Tradition des 19. und 20. Jahrhunderts, Raum, Licht und Bewegung auf dem flächigen, ruhigen Bildträger darstellen zu wollen. Für David Hockney ist die Schnelligkeit von Van Goghs Entwicklung direkt mit dessen isolierter Position verbunden.2 Sein Gemälde „Looking at Pictures on a Screen” (1977, Privatsammlung) zeigt eine Reproduktion von Van Goghs „Sonnenblumen“ neben Jan Vermeer „Stehende Virginalspilerin“ und Piero della Francescas „Taufe Christi“, alle drei Gemälde hängen in der National Gallery in London.
Hockney wandte sich selbst in den 1960er Jahren gegen den Naturalismus sowohl der Pop Art wie auch des Fotorealismus. Stattdessen interessierte er sich für die Menschen, und wie sie in Licht, Raum, Farbe zu einer gemalten Welt zusammengefügt werden können. Seinen „Arles-Moment“ hatte er in Los Angeles, wo das Sonnenlicht strahlender ist und die Farben bunter. Es folgten Jahre des Naturalismus, in denen Hockney zu den bekanntesten zeitgenössischen Malern der Welt avancierte. Anfang der 1970er Jahre beschäftigte sich Hockney mit Opernproduktionen und malte wenig. Mit „Kerby (After Hogarth) Useful Knowledge“ (1975, The Museum of Modern Art) löste er sich vom Dogma der Zentralperspektive und brach gleichzeitig mit dem Naturalismus. Es folgten farbenreiche Landschaften mit vielen Blickpunkten, so genannte „space paintings“. Im Jahr 2003 kehrte er nach 20-jähriger Abwesenheit nach Yorkshire zurück. Hier entdeckte er mit Begeisterung, wie sich die Natur ständig veränderte (im Gegensatz zu Kalifornien). Diesen Fluss der Zeit fängt der Künstler seither in monumentalen Gemälden, iPad Zeichnungen und multifokalen Fotografien ein.
Während der Yorkshire Periode begann David Hockney auf dem iPad zu zeichnen und diese Bilder seinen Freunden zu schicken (→ David Hockneys iPad Zeichnungen). Auch hier zeigt sich seine Vorliebe für leuchtende, reine Farben. Zwanzig iPad Zeichnungen stellt das Van Gogh Museum Amsterdam im Großformat aus. Dazu kommen noch Hockneys Skizzenbücher: Einzelne Seiten belegen die unglaubliche Nähe von Hockneys Zeichenstil mit dem Malstil von Vincent van Gogh. Weiters präsentiert das Museum Videos, Aquarelle, schwarz-weiß Zeichnungen und Druckgrafiken.
„Seine Bilder sind voller Bewegung. An Van Goghs Gemälden lieben die Menschen, dass alle Pinselspuren sichtbar sind, und man so sehen kann, wie sie gemalt werden. Wenn man einen Grashalm malt, dann sehen Sie genau hin und sehen mehr. Und dann siehst du die anderen Grashalme und du siehst immer mehr. Nun, das ist aufregend für mich und es war auch für Van Gogh aufregend. Ich meine, er hat sehr deutlich gesehen“ (David Hockney über Vincent van Gogh)