Julie Mehretu: US-amerikanische Malerin der Gegenwart | ARTinWORDS

Julie Mehretu

Wer ist Julie Mehretu?

Julie Mehretu (*28.11.1970 in Addis Abeba) ist eine US-amerikanische Malerin der Gegenwart (→ Zeitgenössische Kunst). Julie Mehretus dicht geschichtete Gemälde könnte man ebenso gut als Zeichnungen charakterisieren. Sie suggerieren verschiedene Typen architektonischer Räume (Stadien, Gebäude, ganze Städte), eine Strategie für die visuelle Präsenz der Kräfte der Globalisierung angeboten haben.

Seit 1999 lebt und arbeitet Julie Mehretu in New York City; sie teilt sich ihr Atelier mit ihrer Partnerin Jessica Rankin.

Kindheit und Ausbildung

Julie Mehretu wurde am 28. November 1970 als erstes Kind eines äthiopischen Universitätsprofessor für Geografie und einer jüdisch-amerikanischen Montessori-Lehrerin in Addis Abeba, Äthiopien, geboren. 1977 musste die Familie wegen des Ogadenkriegs flüchten. Sie zog nach East Lansing, Michigan, da ihr Vater an der Michigan State University lehren Ökonomische Geografie konnte.

Im Jahr 1992 machte Julie Mehretu ihren Abschluss Bachelor of Fine Arts am Kalamazoo College in Michigan. Nach einem Auslandsjahr an der University Cheik Anta Diop in Dakar, Senegal, besuchte sie die Rhode Island School of Design in Providence, welche sie 1997 mit dem Master of Fine Arts abschloss.

Werke

Julie Mehretus Werk zeichnet sich durch die konsequente Entgrenzung der Kategorien Malerei und (Architektur-)Zeichnung aus. Tragendes Element und Ausgangspunkt ihrer großformatigen und hochkomplexen Gemälde sind architektonische und urbanistische Pläne, die vielfältige Bewegungsarten andeuten: Flugrouten, Flughäfen, Wind- und Wasserströmungen, Autobahnen, U-Bahnen oder Telefonnetze. Die Künstlerin kombiniert in ihren Werken Malerei und Zeichnung; sie spricht selbst von „drawing into painting“. Die Pinselführung Mehretus erinnert teils an chinesische Kalligrafie. Es lassen sich aber auch formale Verbindungen zum Werk Wassily Kandinsky|s oder Kasimir Malewitsch|s ziehen.

In der Gesamtschau erscheinen die Gemälde aus mehrlagigen Kunstharzschichten abstrakt, während im Detail narrative Elemente lesbar werden. So verwendet Mehretu kleinteilige Symbole der Konsumwelt: Werbegrafiken und Firmenlogos aber auch Graffiti, Tattoos und Comics.

Neben Bezügen zur Kunst- und Architekturgeschichte und Verweisen auf vergangene Kulturen und Zivilisationen macht die Künstlerin den Zusammenhang zwischen Migration, globalem Kapitalismus, Unterdrückung und Ausbeutung sowie auf den Klimawandel aufmerksam. Julie Mehretus suggestive Bildwelten können als Metaphern globalisierter gesellschaftspolitischer Verhältnisse des beginnenden 21. Jahrhunderts gelesen werden.

Die Künstlerin selbst bekennt, dass sich ihre Kunst in eine

„Ich-Ethnografie entwickelt [hat], mit der ich meine familiäre Herkunft erforsche, um mich selbst besser zu verstehen. Mich faszinierten die vielen widersprüchlichen Anekdoten, die Geschichten, die unterschiedlichen Kulturen, die mich über so viel Zeit und so viele Orte hinweg geformt haben.“

Im Jahr 2010 schuf Mehretu das Werk „Mural“ für Goldman Sachs in New York. Die Tatsache, dass sie unmittelbar nach der Rezession von 2008 einen Auftrag einer Investmentbank angenommen hatte, veranlasste einige Personen, Mehretu dafür zu kritisieren, dass sie ein abstraktes Bild desjenigen Chaos geschaffen habe, das solche Banken in der globalen Wirtschaft angerichtet hatten.

Druckgrafik

Julie Mehretu ist zwar vor allem für ihre großformatigen abstrakten Gemälde bekannt, experimentiert aber seit ihrer Graduiertenschule an der Rhode Island School of Design mit Druckgrafik. In Rhode Island war sie Mitte der 1990er Jahre in das Programm für Malerei und Druckgrafik eingeschrieben. Ihre Auseinandersetzung mit der Druckgrafik begann mit der Radierung. Sie hat Gemeinschaftsprojekte in professionellen Druckstudios in ganz Amerika durchgeführt, darunter Highpoint Editions in Minneapolis, Crown Point Press in San Francisco, Gemini G.E.L. in Los Angeles und Derrière L'Etoile Studios und Burnet Editions in New York City.

Julie Mehretu verbindet die Gattungen Architekturzeichnung und Druckgrafik unter Einbeziehung ihrer komplexen inhaltlichen Ausrichtung. Die für sie charakteristisch großformatige Komposition „Epigraph, Damascus“ (2016, 248 × 574 cm) ist eine Heliogravüre in Verbindung mit einer Zucker-Ausspreng-Aquatinta, einer Reservage-Aquatinta und einer Direktätzung auf Papier. Bei naher Betrachtung fällt die zweiteilige Gestaltung sofort ins Auge: Die unterste Schicht zeigt Architekturzeichnungen von Gebäuden in Damaskus, wobei die Gebäudeteile aus unterschiedlichen Perspektiven wiedergegeben sind. Konkrete Orte spielen für Julie Mehretu eine untergeordnete Rolle. Sie selbst beschreibt ihre Bilder als „narrative Karten vom Nirgendwo“ oder als „unverortete Landkarten für Geschichten“.

Trotz ihres dichten, vielschichtigen Aufbaus wurden die einzelnen Blätter von „Epigraph, Damascus“ mit nur je zwei Platten gedruckt. Die erste Platte besteht aus zwei Ebenen: Die Architekturzeichnungen im Hintergrund werden von einer Airbrush-ähnlichen Zeichnung und einer Schicht gestischer Abdrücke auf einer Mylarfolie überlagert. Die zweite Platte zeigt die für Mehretu charakteristische malerische Handschrift: dunkle und zugleich weiche, leichthändige Striche in Spit-Bite (Malen mit Säure auf der Platte), Sugarlift und Open-Bite, die direkt auf die Kupferplatte gesetzt werden. Erst im Arbeits- und Druckprozess finden all diese Elemente zusammen.

Ehrungen und Preise

  • 2021: Ordentliches Mitglied in der National Academy of Design
  • 2017: Aufnahme in die American Academy of Arts and Letters
  • 2015: US Department of State Medal of Arts, verliehen durch Außenminister John Kerry
  • 2013: Barnett and Annalee Newman Award
  • 2007: Aufenthalt an der American Academy in Berlin; Mehretu erhielt den 15. Auftrag der Deutschen Bank und der Solomon R. Guggenheim Foundation. Sie malte dafür die sechs großformatigen Bilder „Grey Area“ (2007–2009) in einem Atelier in Berlin.
  • 2005: MacArthur-Stipendium (20.9.2005)
  • 2001: Penny McCall Award
  • 2000: Stipendium der Foundation for Contemporary Arts Grants to Artists Award