Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Welche Rollen bietet die Gesellschaft? Und welche Rolle spielt die Sprache dabei? Danica Dakić (*1962) untersucht in ihren Videos, Fotos und performativen Arbeiten seit den späten 90er Jahren die Biografien von Ausgegrenzten und vergleicht diese mit Klischees und Rollenbildern. Stets ist sich die Künstlerin der Bedeutung der Sprache für Selbstbestimmung, Entwicklung von Identität aber auch der Etablierung von Diversität bewusst. Gemeinsam mit den Protagonisten, entwickelt sie theatralische Inszenierungen, Tableau Vivants (lebende Bilder) und Dokumentationen. Dakić kombiniert in ihren Videoarbeiten diese so unterschiedlich besetzten Darstellungsmodi und fordert dabei vom Publikum das Authentische vom Stereotyp zu unterscheiden.
Österreich / Wien: Generali Foundation
bis 22.1.2010
Ihr eigenes Selbstporträt (1999) zeigt Dakić mit doppeltem Mund. Der obere Mund (anstelle der Augen) spricht deutsch und der untere bosnisch. Beide erzählen leicht versetzt Märchen über Stimmen, eigentlich von deren körperlosen Wesenheit und der verwirrten Reaktion von Menschen darauf. Dahinter stecken die Fragen, ob man einer Stimme überhaupt trauen dürfe, oder ob man das Gehörte nicht besser mit den eigenen Augen überprüfen solle. Darüber hinaus setzt Dakić den Sprechakt ins Zentrum ihrer Untersuchung. Die Tradition von mündlicher Weitergabe von Wissen, die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit sowie der Gruppenzugehörigkeit manifestierten sich für die Künstlerin im oftmals unbewussten Umgang mit Sprache.
In einer ihrer frühesten Arbeiten thematisierte Dakić bereits Sprache und den Sprechakt, indem sie 64 Nahaufnahmen von sprechenden Mündern zu einer Videocollage zusammenstellte (1998). Alle erzählen sie in ihrer Muttersprache von ihrem Leben, immer wieder wird eine Stimme aus dem Sprachgewirr hervorgehoben. Sie hören zu können, garantiert aber nicht, sie auch zu verstehen. Nicht nur deshalb kann sich aus dem Monolog kein Dialog entwickeln. Es gibt keinen Raum für den Zuhörer, das Video arbeitet mit Überforderung auf visueller und akustischer Ebene. Und dennoch: Man beginnt zu begreifen, ohne die Worte zu verstehen.
Seit etwa fünf Jahren entwickelt Danica Dakić gemeinsam mit den Protagonisten ihrer Arbeiten deren Inhalte. Zunehmend begann sie sich mit Praktiken des Theaters und der Performance zu beschäftigen. Hat die Erzählung immer schon eine entscheidende Rolle in ihren Werken eingenommen, so werden nun Aktion und Fiktion weitere wesentliche Bestandteile. Für „Role-Taking, Role-Making“ (2004-2005) und „Grand Galerie“ (2004) besuchte Dakić Roma-Siedlungen im Kosovo.
„Grand Galerie“ zeigt die Bewohner des Flüchtlingslagers in Plementina in verschiedenen Inszenierungen der europäischen Kunstgeschichte wie zum Beispiel dem Gemälde „ von Georges de La Tour bzw. vor dem Prospekt „Vue Imaginaire de la Grand Galerie en Ruines“, einer vergrößerten Kopie des Gemäldes vom französischen Maler Hubert Robert 1796. Das Bild zeigt den Pariser Louvre als Ruine, eine romantische Fiktion, eine Ruinenidylle. Fügen sich die Roma durch Kleidung und Habitus in dieses Ambiente nun nahtlos ein? Haben wir heute noch immer diese gespaltene Vorstellung vom „Zigeuner“ als freiheitsliebenden Menschen mit einem selbstgewählten Leben am Rande der europäischen Zivilisation? Ist das Bild der „Zigeuner“ noch von Vorurteilen wie dem Betrüger bestimmt, wie es das Foto nach Georges de la Tours „Falschspieler“ (um 1620) suggeriert?
Für „Role-Taking, Role-Making“ collagiert Danica Dakić Szenen aus Proben für Federico García Lorcas „Bluthochzeit“ des Roma-Theaters von Pralipe mit dokumentarischen Aufnahmen von Roma im Kosovo und Kommentaren einer deutschen Psychologin, die soziales Verhalten und die Bedeutung der Rolle reflektiert. Dakić spielt wie bereits in „Grand Galerie“ mit Rollenmustern und interviewt die Wahrsagerin, den Maler und den Musiker. Was sie jedoch von sich erzählen, entspricht in keinster Weise den meist romantischen Klischees. Im Gegenteil bricht immer wieder der harte wissenschaftliche Zugriff der Psychologin ein, die in höchst abstrakter Sprache das komplexe Beziehungsgeflecht analysiert und herausstreicht, dass das Individuum nur dann Akzeptanz findet, wenn es seine Individualität zugunsten einer Rolle ein Stück weit aufgibt.
In der postmodernen von Bildern und Bilddiskursen dominierten Kultur, ist Dakićs Zugang durch die Bedeutung aber auch der Flüchtigkeit von Stimme und Sprechen geprägt. Auch in ihrem jüngsten Video bleibt sie der Methode treu, mit Hilfe der Fiktion die Realität zu entlarven. „Isola bella“ (2007-2008) zeigt BewohnerInnen eines Heims zum Schutz geistig und körperlich behinderter Menschen im bosnischen Pazarić, wie sie maskiert auf einer Bühne von ihrem Leben erzählen, Klavier spielen und ihre Träume verraten. Das Theater macht sie sichtbar, die Stimmlosen erhalten eine Bühne. Der Bedeutungshorizont der Inszenierung führt jedoch über das Dokumentarische hinaus und zielt auf eine Infragestellung gängiger Umgangsformen. Danica Dakićs Theatralität spielt das Leben dekonstruierend nach und möchte durch die Bewusstmachung von Sprach-Bildern und Wortschöpfungen in gesellschaftspolitischem Sinn wirksam werden. In Worten und Bildern spürt Danica Dakićs „Körperbildern“ nach und macht deren Alltag im Kontrast zu ihrer symbolischen Form sichtbar.
Geboren 1962 in Sarajewo
1981-1985 Studium an der Kunstakademie Sarajewo
1985-1988 Studium an der Universität der Künste in Belgrad (Malerei)
1988-1990 Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Nam June Paik
Lebt und arbeitet in Düsseldorf und Sarajewo