Als Max Lehrs, der renommierte Druckgrafikexperte und Sammlungsdirektor des Dresdner Kupferstich-Kabinetts, 1899 die Qualitäten der Kunstfotografie beschrieb, urteilte er über eine Fotografie von Karl Greger: „Die Staubwolke (über der heimwärts ziehenden Schafherde) ist eminent künstlerisch aufgefasst und erreicht vollkommen die Wirkung eines Gemäldes.“ (Max Lehrs, Dresdner Anzeiger, Oktober 1899). Weiters fühlte er sich an Landschaftsbilder der Künstlergemeinde von Worpswede oder der französischen Impressionisten, an Frauenakte von Edgar Degas oder Zypressen von Böcklin erinnert. Nicht als ein eigenständiges Medium, sondern an der Malerei gemessen sollte das Lichtbild den Weg ins Museum finden.
Deutschland / Dresden: Staatliche Kunstsammlungen Dresden
4.12.2010 - 7.3.2011
Fotografie - eine neue Kunstform oder doch nur Reproduktionstechnik im Dienste der Wissenschaften und Künste? Max Lehrs trug Entscheidendes dazu bei, dass Ende des 19. Jahrhunderts die Fotografie als künstlerisches Medium Anerkennung fand. Der Spezialist für Kupferstiche des 15. Jahrhunderts war auch ein Anhänger zeitgenössischer Kunst; Koloman Moser, Emil Orlik, Max Klinger, Hans Thoma waren nicht nur gerne gesehene Gäste in seinem Haus, sondern wurden auch von ihm durch Ankäufe gefördert. Das Engagement Lehrs` und seine Überzeugung, dass die Fotografie „die natürliche Fortsetzung der (im Kupferstich-Kabinett) aufbewahrten Porträtsammlungen“ sei, machte die Dresdner Sammlung zu einem der ersten Museen im deutschsprachigen Raum, die Fotografien ausstellte und erwarb, oder besser sich schenken ließ. Über 100 Aufnahmen international tätiger Amateure und Berufsfotografen kamen durch die geschickten Anfragen des Direktors bis 1914 kostenlos zusammen. Ab den 1910er Jahren wandte sich Lehrs der Entwicklung der Fotografie zu und kaufte Aufnahmen der schottischen Pioniere David Octavius Hill und Robert Adamson, während sein Nachfolger, Kurt Zoege von Manteuffel, ab Mitte der 20er Jahre die Dresdner Produktion stärker in den Fokus nahm. Der frühen Sammlungsgeschichte ist die Schau „KunstFotografie. Emanzipation eines Mediums“ gewidmet und führt doch darüber hinaus in die Rezeptionsgeschichte dieser um Anerkennung ringenden Gattung.
Entlang der ersten Kunstfotografie-Ausstellung von Max Lehrs im Jahr 1899 entwickeln die Kuratoren des Kupferstich-Kabinetts die erste Hälfte des Ausstellungsrundgangs. Auch hier zeigt sich die Argumentationsstrategie des Kunsthistorikers Max Lehrs, den Kunstcharakter der Fotografie parallel zur Malerei zu argumentieren und inszenieren, gliederte er die 76 Lichtbilder doch nach den traditionellen Themen Porträt, Landschaft, Stimmungsbilder, Genre, Tierstück und „Gummidruckmeister“. Letztere erzielten größtmögliche Weichheit der Konturen, atmosphärisch aufgelöste Landschaften, Porträts, überzeugten durch ihr „künstlerisch-bildmäßiges Sehen“ und experimentierten mit der Manipulation der Drucke (z.B. Heinrich Kühn, von dem auch das Plakatmotiv stammt). Als Piktorialisten bezeichnet, gelten sie noch heute als Begründer der künstlerischen Fotografie im späten 19. Jahrhundert.
Im Gegensatz dazu steht die zweite Hälfte der Ausstellung: Die Fotokunst der 20er und 30er Jahre war ein Versuchsfeld des „Neuen Sehens“. Ungewöhnliche Perspektiven, Momentaufnahmen, Mehrfachbelichtungen, Schärfe und Klarheit der Aufnahmen bestimmten die Ästhetik der Dresdner Fotoateliers. Kurt Zoege von Manteuffel, der ab 1923 dem Kupferstich-Kabinett als Direktor vorstand, setzte seinen Schwerpunkt auf Tanzfotografie und Theaterporträts. In den 1920er Jahren waren die Emanzipation der Kunstfotografie und ihre Gleichstellung als künstlerisches Medium erreicht. Die „Geschichte der Fotografie“ im Kupferstich-Kabinett Dresden wird somit als eine fortschreitende Entwicklung vom Kampf um Akzeptanz über Entdeckung der eigenen Geschichtlichkeit hin zu Emanzipation und Entwicklung einer neuen Formensprache (re)konstruiert.