Die Londoner Dulwich Picture Gallery, die eine der exquisiten englischen Adelssammlungen des 18. Jahrhunderts beherbergt, widmet ihre Frühlingsausstellung der Freundschaft zwischen dem berühmten Sevillaner Barockmaler Bartolomé Esteban Murillo 1617-1682) und dessen Auftraggeber Justino de Neve (1625-1685). Ausgehend vom hauseigenen Gemälde „Spring (?) as a Flower Girl / Frühling (?) als Blumenmädchen“ bringt die Dulwich Picture Gallery nahezu alle Bilder zusammen, die Murillo für de Neve gestaltet hat – darunter auch das atemberaubende Altargemälde der „Immaculata Conceptio der Venerables Sacerdotes“ (1660-1665) aus dem Prado.
England / London: Dulwich Picture Gallery
6.2. - 19.5.2013
Empfehlung
Im Jahr 1665 porträtierte Bartolomé Esteban Murillo seinen Freund Don Justino de Neve sitzend, mit einem Gebetbuch in der Hand. Eine Uhr im Augsburger Stil steht am Tisch daneben – und in der Ausstellung neben dem Bild. Der ledergebundene Foliant soll auf die 325 Bücher umfassende Bibliothek de Neves und seine intellektuelle Neugier verweisen. Ein kleines braun-weißes Hündchen blickt zu Don Neve hinauf. Seine rote Masche korrespondiert mit dem dunkelroten Vorhang, der hinter dem Porträtierten zur Seite geschoben ist und den Blick auf einen Balkon und eine Landschaft freigibt. Der Inschrift zufolge malte Bartolomé Esteban Murillo (1617-1682) dieses Bildnis von Justino de Neve (1625-1685, The National Gallery London) als Geschenk für seinen Freund. Dieser behielt es bis zu seinem Tod und vermachte es dann dem Hospital de los Venerables Sacerdotes, dem Altenheim von pensionierten Priestern, das er mitbegründet hatte.
Die Freundschaft zwischen Don Neve und Murillo führte in den 1660ern und 1670ern zu einer Reihe von Auftragsarbeiten, darunter die bereits genannte „Immaculata Conceptio der Venerables Sacerdotes“ (1660-1665), den „Frühling (Blumenmädchen)“ (1665-1670) und den „Sommer“ (1665-1670), einen „Christus als guter Schafshirte“ (1660-1665) und „Johannes mit einem Lamm“ (1660-1665), zwei Lünettenbilder mit der Geschichte der Gründung von Santa Maria Maggiore (1664-1665), zwei weitere Lünetten mit der „Immaculata Conceptio“ und dem „Glauben“, der „Taufe Christi“ (1667-1668). Während sich das Porträt des Kanonikers in der National Gallery London befindet, besitzt die Dulwich Picture Gallery den „Frühling“ und bringt für diese Ausstellung erstmals den „Sommer“ aus der Edinburgh Gallery mit weiteren Arbeiten Murillos zusammen.
Zweifelsohne ist das beeindruckendste Werk der Ausstellung jedoch die „Immaculata Conceptio“ aus dem Prado. Murillo ist es zu verdanken, dass die Ikonografie der Immaculata im 17. Jahrhundert auf diesen Typus festgelegt wurde. Der Sevillaner Künstler ist für die liebliche Darstellung der Muttergottes, umgeben von unzähligen Putti, berühmt. Das Werk wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Marschall Nicolas Jean-de-Dieu Soult (1769-1851) erworben, in dessen Sammlung es u. a. Balzac1 sah, und gelangte 1852 in den Louvre. Erst seit 1941 befindet es sich nach einem Tausch wieder in Spanien.2
Die Kuratoren der Dulwich Picture Gallery suchten die Farbigkeit und Malweise des Bildes durch einen dunklen Raum mit Spotbeleuchtung noch deutlicher herauszuarbeiten. Wenn dies auch kaum den originalen Aufstellungsmodus entspricht, so kann man sich der Wirkung des Bildes in direkter Sichtachse gegenüber vom Eingang nicht entziehen. Erstmals wird das Bild wieder in seinem barocken Rahmen voll mit Symbolen aus der Lauretanischen Litanei ausgestellt. Dazu kommen die Bravur, mit der Murillo seinen Pinsel führte, und der intelligente Einsatz der Farben.
Aus der National Gallery in London borgte die Dulwich Picture Gallery den „Johannes mit Lamm“ (1660-1665), das im August 1665 gemeinsam mit dem „Jungen Christus als Guter Schafshirte“ (Birmingham) und der „Immaculata Conceptio“ zu einem temporären Altar zusammengefügt worden war. Anlässlich der Einweihung der Kirche Santa Maria la Blanca wurde auf dem Platz vor der Kirchenfassade borgte Justino de Neve seine Bilder für die Feierlichkeiten.
Den Weg zum großformatigen Ölgemälde flankieren die Lünetten, in einem linken Seitenappartement hängt das Porträt des Auftraggebers, ein Selbstbildnis Murillos (um 1668-1670, The National Gallery, London) und drei kleinformatige Werke mit religiösen Motiven. „Ölberg“, „Christus an der Geißelsäule mit Petrus“ und „Geburt Christi“ dienten de Neve zur persönlichen Andacht und wurden auf Obsidian, schwarzem Lavaglas aus Mexiko (!), gemalt.
Die „Taufe Christi“ wurde für die Ausstellung sogar eigens aus der Kathedrale von Sevilla entfernt, wo sie sich seit 1668 befindet. Gegenüber stellt man erstmals einen „Büßenden hl. Petrus“ (um 1675) aus englischem Privatbesitz aus. Es wurde wie die „Immaculata Conceptio“ im Jahr 1810 von Marschall Soult aus dem Hospital de los Venerables Sacerdotes entfernt, dem es der Auftraggeber Neve testamentarisch vererbt hatte. Im Vergleich zur „Taufe“ ist der ca. zehn Jahre später entstandene „Büßende Petrus“ dunkler und weniger weich in seiner Behandlung. Zu dieser Beobachtung passt auch das letzte Bild, das Murillo für das Refektorium des Hospitals gemalt hat: „Madonna und Kind verteilen Brot an die Priester“ (1679, Széművészeti Múzeum, Budapest). Wie die anderen beiden Bilder wurde auch dieses während der französischen Besatzung von Marschall Soult (?) mitgenommen. Es taucht in den Dokumenten erst 1822 im Besitz von Nikolaus II Esterházy auf, aus dem es 1870 von der ungarischen Regierung erworben wurde.
Neben den vielen Bildern mit religiösem Inhalt zählt das Inventar von de Neve auch einen „Frühling“ und einen „Sommer“ auf. Ob es sich hierbei um das Dulwich-Bild und das Gemälde in der Scottish National Gallery, Edinburgh, handelt ist noch nicht restlos geklärt, scheint aber wahrscheinlich. 2011 wurde das „Blumenmädchen“ in der Londoner National Gallery geröntgt. Dabei wurde entdeckt, dass sich das Bild auf einer unteren Hälfte einer Immaculata-Darstellung befindet.
Ein weiterer Abschnitt der Ausstellung ist Murillos Erfolg in England zugedacht. Zusätzlich zur dramatischen Inszenierung der „Immaculata Conceptio“ finden sich hier noch zwei von Murillos berühmten Bettlerknaben aus hauseigenem Bestand, deren Auftraggeber nicht bekannt sind. Diese Kinderbilder sind das bekannteste und beliebteste Genremotiv im Werk des Spaniers. Was bewog Murillo, Straßenkinder zu malen? Beeinflussten ihn zeitgenössische Romanvorlagen von Lazarillo de Tomes (1554), oder war es vielleicht doch das Engagement des Künstlers in der Bruderschaft der Caritas, in die er 1665 eintrat?
Die Genrebilder von Murillo waren im 18. Jahrhundert erfolgreich und wurden in England gesammelt. Kopien und Nachahmungen von weniger hoher künstlerischer Qualität runden die Ausstellung ab und belegen die Bedeutung Murillos nicht nur für die englische Malerei. Eine vor kurzem am Kunstmarkt aufgetauchte, flämische Tapisserie zeigt beispielsweise das Dulwich Bild „Einladung zum Argolla-Spiel“ (1665-1670) und die schnelle Verfügbarkeit von Murillo-Kompositionen in Flandern (Brüssel?).
Auch einer der größten Bewunderer, der englische Porträtist Thomas Gainsborough (1727-1788), kopierte nicht nur nach Gemälden von und nach Murillo, sondern besaß selbst drei Werke und schuf mit dem „Cottage Girl“ (1785, National Gallery of Ireland, Dublin) eine beachtenswerte Hommage.
Die Dulwich Picture Gallery richtet mit dieser Ausstellung nicht nur einem der beliebtesten spanischen Maler des 17. Jahrhunderts eine ästhetisch ansprechende Schau aus, sondern gewährleistet mit dem begleitenden Katalog auch ein tieferes Verständnis der Beziehung zwischen Auftraggeber und Künstler. Der von Gabriele Finaldi herausgegebene Ausstellungskatalog bringt sämtliche wichtigen Informationen zusammen, von der Biografie Neves über den Kunstdiskurs in Sevilla, die Kirche Santa Maria la Blanca, die Venerables bis zur Sammlung und der Verbreitung von Murillos Arbeiten im 18. und 19. Jahrhundert. Ein weiteres Buch von Xavier Bray dokumentiert die Gemälde von Murillo in der Dulwich Picture Gallery und ergänzt den Ausstellungskatalog.