Der Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek gilt als einer der schönsten historischen Büchersäle der Welt. Nach mehrmonatigen, umfangreichen Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen ist der Prunksaal wieder geöffnet. Mit dem Bau des barocken Gesamtkunstwerks wurde 1723 begonnen. Da im selben Jahr sein Schöpfer Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723) verstarb, vollendete sein Sohn Joseph Emanuel (1693–1742) die Arbeiten bis 1726. Seit 1730 zieren die Deckenmalereien von Daniel Gran den Saal, und ab den 1730ern vervollständigen Bücherkästen sowie Skulpturen die Ruhmeshalle von Kaiser Karl VI. (1711–1740). Doch wie kam es zu dem Bibliotheksbau und welches Schicksal hatte er?
Österreich | Wien: ÖNB, Prunksaal
12.1. – 5.3.2023
Für zwei Monate machen Handschriften, monumentale Stichwerke, Pläne und Skizzen aus der Erbauungszeit das inhaltliche Konzept als Büchersaal und als Ruhmeshalle der Habsburger sowie das weitere Schicksal dieses Prachtbaus erlebbar. Dem Untertitel folgend, konzentriert sich die von Andreas Fingernagel kuratierte Schau, nicht nur auf die Entstehungsgeschichte des Barockbaus, sondern erzählt auch seine Geschichte bis in die jüngsten Tage.
Denn eigentlich beginnt der Rundgang schon vor der Eingangstür zum Prunksaal: Das Treppenhaus und ein Vorhaus (antecamera), in denen antike Artefakte aufgestellt wurden, leiten bis heute vom Stadtraum zum Wissensraum über. Sinnfällig ließ sich Kaiser Karl VI. als kunstsinniger Mäzen und auch als streitbarer Feldherr in Szene setzen. Stehen Büchersammlung und prunkvolle Ausstattung des Bibliotheksraumes für Wissenschafts- und Kunstförderung, so wird der Regent im zentralen Oval doch in Rüstung gezeigt, zwischen dem Kriegs- und dem Friedensflügel stehend.
Zwei Portäts von Johann Bernhard Fischer von Erlach und seinem Sohn, beide aus der Camera Praefecti der ÖNB, lenken die Aufmerksamkeit auf den Hofarchitekten und seinen Nachfolger. Fischer war gebürtiger Grazer und in Rom ausgebildet, als er kurz vor 1700 in Wien als Schöpfer von Stadt- und Gartenpalais für den hohen Adel aber auch als Entwerfer öffentlicher Gebäude reüssieren konnte. Und doch war es die Förderung durch Kaiser Karl VI., die schlussendlich die wichtigsten Werke Fischers in Wien möglich machte: die nach dem Herrscher benannte Karlskirche, der Ausbau von Schloss Schönbrunn und der Weiterbau der Hofburg. Der Prunksaal gehört zum Regierungssitz des Habsburgers und damit zum innersten Machtzentrum der Monarchie.
Dass der Komplex einen Bibliotheksbau benötigte, wird mit Blick auf das 17. Jahrhundert deutlich. Zu weit verstreut war der Bücherbesitz der Habsburger, zu wenig repräsentativ die Aufstellungsorte. Fischer von Erlachs Lösung versprach beiden Bedürfnissen Genüge zu tun: Als prächtig dekorierter, monumentaler Farbraum entfaltet der Prunksaal eine ästhetische Wucht, die in Wien ihresgleichen sucht. Die Architektur tritt gleichsam dienend hinter Malerei und Bildhauerei und formt dennoch die Kuvatur und das Volumen des extrem langgesgtreckten und hochaufragenden Raumes. Ikonografisch hochpolitisch aufgeladen, wird der Wissenspalast zu einer Allegorie des im Zentrum stehenden absolutistisch regierenden Herrschers und seiner Dynastie.
Die Ausstellung im Prunksaal legt die Schwierigkeiten der Planung offen. Fischers gestalterische Leistung besteht neben der Etablierung des Grundrisses1 in der Einführung zweier zentraler Motive: die Gestaltung der mit Ochsenaugen durchfensterten Ovalkuppel und die Einführung der monumentalen Säulen im Rauminneren. Beides dürfte der Hofbaumeister in Rom kennengelernt haben. Joseph Emanuel Fischer von Erlach führte die Entwürfe seines Vaters vermutlich sehr genau aus, was die Publikation Dilucida Repraesentatio (1737) von Salomon Kleiner und Jeremias Jacob Sedelmayr nahelegt.
Mehrere Publikationsvorhaben lenkten das Interesse der Öffentlichkeit auf das Gebäude (oder sollen sie es auch entfachen?). Kleiner und Sedelmayr wollten mit dem Stichwerk Eigentliche Vorstellung der vortreflichen und kostbaren Kaiserlichen Bibliothec 1737 das Publikum mit allen Details des Repräsentationsbaus vertraut machen. Doch über den ersten Band ist das auf drei Teile angelegte Werk nie hinaus gediehen. Erfolgreicher war da schon der Gelehrte Conrad Adolph von Albrecht (1681–1751) mit seinen Verschiedene[n] Erfindungen […] - vermutlich aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit Joseph Emanuel und der Aufnahme einer Reihe von kaiserlichen Prachtbauten in das Buch.
Die zweite Hälfte der Ausstellung ist der Ausstattung des Prunksaales, Fischer von Erlachs Architekturgeschichte sowie dem weiteren Schicksal der Bibliothek gewidmet. Daniel Grans Deckenmalerei nach einem Konzept des oben genannten Conrad Adolph von Albrecht wird genauso vorgestellt wie das Statuenprogramm und die ehemalige Antikensammlung. Dem folgt Fischer von Erlachs monumentaler Geschichtsabriss Entwurff Einer Historischen Architectur, von dem die Nationalbibliothek nicht nur die Erstausgabe von 1721, sondern auch das Widmungsexemplar von 1712 - Codex 10791 HAN MAG, fol. 106r - besitzt!
Noch im 18. Jahrhundert beginnt die Restaurierungsgeschichte des Prunksaales, hatte Fischer doch einen Vorgängerbau aus der Regierungszeit von Kaiser Leopold I. (1640–1705) zu integrieren. Dessen Fundamente erwiesen sich als zu schwach, sodass Nikolaus Pacassi (1716–1790) und der „Statiker“ Rugjer Josip Bošković (1711–1787) mit Eisenverstärkungen einschreiten mussten. Franz Anton Maulbertsch restaurierte die beschädigte Deckenmalerei bzw. bemalte die neu eingezogenen, stützenden und tragenden Architekturteile bis 1769. Dem folgte die Gestaltung des Josefsplatzes ab 1770, erneut durch Pacassi und gefolgt durch Franz Anton Hillebrandt (1719–1797). Sie verbanden den zuvor freistehenden Bibliotheksbau mit den beiden angrenzenden Flügel und gestalteten die Fassaden einheitlich. Als 1807 das Reiterdenkmal für Kaiser Joseph II. (1741–1790) aufgestellt wurde, erhielt der Platz im Wesentlichen sein heutiges Aussehen.
Zwei Brände im 19. und 20. Jahrhundert sollten die Existenz des Prunksaales gefährden: Die Brände im Revolutionsjahr 1848 und 1992 (Redoutensäle) konnten beide gerade noch rechtzeitig gelöscht werden, bevor das Feuer auf den Prunksaal übergreifen konnte. Auf die Bedrohung im Zweiten Weltkrieg folgte 1955 eine erste Renovierung, an die eine jüngste Kampagne zur Auffrischung und Modernisierung (Elektrik, Sicherheit) in den letzten drei Jahren folgte. So haben zwar die letzten 300 Jahre ihre Spuren an dem Gebäude und seiner Ausstattung hinterlassen, doch kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass hier Ruhm und Glanz des österreichischen Barock wieder genossen werden können.