Das Ferdinandeum in Innsbruck widmet dem österreichischen Konzeptkünstler Lois Weinberger (* 1947) eine kompakte Überblicksschau im 1. Stock. Bevor man sich den Kunstwerken der hauseigenen Sammlung nähert, trifft man im Stiegenhaus bereits auf Schwämme, die sich scheinbar im Gebälk eingenistet haben bzw. Projekte, mit Hilfe derer sich der Kulturraum in einen Naturraum zurückverwandeln lässt. Weinberger ist seit den 1970er Jahren für sein projektorientiertes Arbeiten u.a. mit pflanzlichen Materialien bekannt. Seine Kunstprojekte sind zwischen ruralem und urbanem Raum angesiedelt, analysieren auf eine poetische Art die Umwelt und eröffnen Freiräume für die bedrängte Natur.
Österreich / Innsbruck: Tiroler Landesmuseum Ferdiandeum
17.5. - 27.10.2013
Dass sich Ruderalpflanzen, umgangssprachlich als Unkraut bezeichnet, keiner großen Gegenliebe erfreuen, ist hinlänglich bekannt. Sprichwörter1 wie das oben zitierte, tradieren das schwierige Verhältnis im Volksmund. Die ungeliebten Pflanzen stehen im Mittelpunkt von Lois Weinbergers Arbeit, wenn er wie auf der documenta X (1997) oder – gemeinsam mit Franziska – auf der Biennale von Venedig 2009 begehbare Architekturen mit Pflanzen-Immigranten (documenta) oder vor sich hin modernden Laubhaufen (Biennale) installiert. Das Verhältnis von Kultur und Natur, oftmals als Gegensätze definiert, treten dabei in einen untrennbaren Dialog; die Ruderalpflanzen bekommen dabei, je nach Kontext, immer neue Bedeutungen. Wenn Lois (und Franziska) Weinberger anlässlich ihrer Biennale-Präsentation von „Laubreise“ anmerkten, dass „der Zerfall der Haufens die Zeit (erzeugt) / die es ermöglicht / einen Bruchteil der großen Veränderung zu bemerken und den Raum der Kunst in einen Raum des Existentiellen zu verwandeln“2, dann sind die Pflanzen integraler Bestandteil eines Nachdenkens über Zeit, Raum, Veränderung und die wichtigen Dinge im Leben.
Kulturraum in Naturraum zu verwandeln, das ist das oftmals praktizierte Ziel von Lois Weinberger. Bereits an der Fassade des Ferdiandeums wird der künstlerische Eingriff sichtbar: Gelbe Kübel mit Erde bieten Lebensraum für Flugsamen, die sich seit Mitte Mai, als die Ausstellung am 17.5. eröffnet wurde, bereits prächtig entwickelt haben. Welche Art von Pflanzen sich hier ansiedeln, überlässt der Künstler dem Zufall. Wenn man den Stolz der Tiroler auf ihre Balkonbepflanzungen in Betracht zieht, handelt es sich bei „Garten“ (1994/2013) nicht nur um ein Aufeinanderprallen von bedeutungsschwangerer Fassadenplastik und heimischer Spontanvegetation, sondern auch um eine ironische Auseinandersetzung mit der Frage der adäquaten Bepflanzung einer Balustrade.
Bereits in anderen Ausstellungen wie „Death oft the Audience“ in der Wiener Secession erprobte Weinberger die „Invasion“ von Zunderschwämmen, wie sie im Stiegenhaus des Ferdinandeums, nun grün beleuchtet, zu finden ist. Parasitär haben die Baumschwämme die Decke befallen. Sie gelten als „typische Bewohner älterer Bestände“3, was wohl auch als Fingerzeig auf das Alter des Museums gedeutet werden darf. Wird dadurch die Neuaufstellung der Sammlung und der Versuch, mittels Legaten die Bevölkerung in die Museumsarbeit einzubinden, zu einem Versuch, Alter und Tod – repräsentiert durch die parasitären Schwämme – etwas entgegen zu halten? Oder gehe Natur und Kultur in diesem Haus eine Symbiose ein, von der beide gleichermaßen profitieren? Der dazu vom Künstler geschaffene Text lässt beide Interpretationen zu.4
Das erstmals in Tirol ausgestellte Werk von Lois Weinberger wird durch knapp über 50 gezeigte Arbeiten dargestellt. Das Spektrum reicht von Objekten, Fotoarbeiten, Filmen, Installationen, kartografischen Plänen von fiktiven Orten mit Beschriftungen, in denen allesamt Natur und Kultur aufeinandertreffen.
Den Beginn der Schau markiert eine grün gestrichene Wegwarte von der documenta X (1997), die den internationalen Ruhm des Künstlers mitbegründete. Weinberger hatte in einem ungenutzten Gleisbett am Kulturbahnhof Kassel Neophyten, d.h. in dieser Region nicht heimische Pflanzen, aus Süd- und Südosteuropa angesiedelt. Die „Wegmarken“ führten durch das Gelände der Karlsaue und beinhalteten Samen zum Entnehmen und im Stadtraum ausstreuen. Mit diesem prononcierten Verweis auf die documenta-Arbeit stellt Kurator Günther Dankl sogleich klar, dass das Werk des in Tirol geborenen Weinbergers keineswegs mit der Ökologiebewegung seit den 70er Jahren oder gar dem jüngsten Trend Urban Gardening in Verbindung steht. Stattdessen betont er die politische Dimension, und die mit Bedacht ausgewählten Ruderalpflanzen werden als Metaphern für Migrationsbewegungen der jüngsten Dezennien interpretiert.
Die Kräfte der Natur sind seit einigen Jahren ebenso Inhalt von Weinbergers Kunst. Für das Kunst-am-Bau Projekt „Garten eine poetische Feldarbeit“ (1999) schuf er für die Neue Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Universität in Innsbruck einen „Wild Cube“, einen 37 Meter langen, leeren Kubus aus Eisenstangen. Die Idee war bereits 1991/92 entstanden und wurde vom Künstler wie folgt beschrieben:
„Ein Raum für Ruderale, ein Objekt, dessen „Inhalt“ sich in ständig wechselndem Zustand befindet. (…) Innerhalb des Aspektes dieser Skulptur bildet die Arbeit einen Raum für heimische Pflanzen und Neophyten – aus Kulturen verwilderte, nicht heimische Pflanzen -, welche sich anzusiedeln vermögen. Eine Arbeit gegen die Ästhetik des Reinen und Wahren, gegen ordnende Kräfte.“5
Lois Weinbergers Kritik richtet sich gegen Ordnung und Kontrolle, das Konzept von Reinheit und Wahrheit, gegen eine Permanenz. Der Gitterkäfig soll einen unbetretbaren Freiraum im Öffentlichen Raum der Stadt ermöglichen, vor dem Gebäude der Neuen Sozial- und Wirtschafswissenschaften Universität Wildwuchs fördern. Dass diese Freiheit nicht nur als unästhetisch empfundene Brachlandschaften ergibt, zeigt der „Wild Cube Destroyed“ (2009), der die Zerstörung durch die Natur thematisiert.
In unmittelbarer Nähe befindet sich das Objekt „Pflanzen, die Gesichter machen“ (2005), die die Faszination von Giftpflanzen für Weinberger dokumentieren. Vor allem das Nachtschattengewächs Stechapfel (datura stramonium) beschäftigt den Künstler6, da es auch als Rauschmittel und medizinisches Heilmittel eingesetzt wurde. Auf Papiersäckchen mit den Samen des Stechapfels zeichnete Weinberger konzentrische Kreise, krumme Linien, deren System von Zwischenräumen die Umrisse eines verzerrten Gesichts ergeben. Manchmal kann man sie leichter finden, manchmal nicht. Das mystisch-schamanistische Potenzial der Natur – auch repräsentiert durch den „Grünen Mann“ – findet hierin seinen Ausdruck.
Dass sich Weinberger aber auch mit der Kunstgeschichte und der Tiroler Gottesfurcht abmüht, lässt ein Blick auf das Objekt „Katholischer Mondrian“ (1994) erahnen. Das weiße Nichts eines Quadrats wird von stacheligen Akazienästen definiert. Bereits Mitte der 70er Jahre, als Weinberger begann sich künstlerisch auszudrücken und das Heimatdorf Stams mittels Fundstücke analysierte, kombinierte er für „Firmung“ ein kopfgroßes Wespennest mit einem Blumenkranz. Seither ist ein reiches Werk – voller Assoziationen und Poesie (vor allem in den Texten) – entstanden, das sich dem Thema Pflanze aus kulturell-medizinischer Sicht annähert. Immer mit dem Ziel Randzonen ins Zentrum des Interesses zu rücken, auf Übersehenes hinzuweisen, das Verhältnis von Kultur zur Natur zu erforschen und manchmal auf die Probe zu stellen.
Günther Dankl: RU(DE)RALE MARGINALIEN. Anmerkungen zu Lois Weinbergers Annäherung von Natur und Kunst, in: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (Hg.): STUDIOHEFTE 14. Lois Weinberger (Ausst.-Kat. 17.5.-27.10.2013), Innsbruck 2013.
Philippe van Cauteren (Hg.): Lois Weinberger, mit einem Interview zwischen Lois Weinberger und Jessica Ullrich, sowie Texten von Tom Trevor und Martin Engler, Ostfieldern, Hatje Cantz Verlag, 2013.
Geboren 1947 in Stams (Tirol)
Wächst am elterlichen Bauernhof auf, dann Schlosserlehre
Beginnt 1977 mit dem „Baumfest“ künstlerisch tätig zu werden, ab 1978 „Bestandsaufnahmen“
1993-1994 Professur an der Akademie Karlsruhe
1994-1995 Atelierstipendium Künstlerhaus Bethanien, Berlin
1985 Förderungspreis für Bildende Kunst, BUMUK, Wien
1997 Teilnahme an der documenta X: „Das über Pflanzen ist eins mit ihnen“ und „Wegwarten“
1998 Preis der Stadt Wien
1999 RBB Bank Preis, Graz und Großes Kunststipendium des Landes Tirol
2003-2009 Zusammenarbeit mit Franziska Weinberger für spezielle Projekte im öffentlichen Raum
2004 Gestaltung des Daches vom Tiefspeicher des Wiener Rathaus
2005 Ehrenzeichen der Leopold Franzens Universität Innsbruck und Würdigungspreis für Bildende Kunst, BKA Wien
2006 Tiroler Landespreis für Kunst
2009 Österreich Pavillon auf der Biennale von Venedig: „Laubreise“
Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland
Lois Weinberger lebt in Wien und Gars am Kamp (Niederösterreich)
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