Grete Stern
Wer war Grete Stern?
Grete Stern (Elberfeld 9.5.1904–24.12.1999 Buenos Aires) war eine deutsch-argentinische Fotografin und Designerin der Moderne (→ Klassische Moderne). In den 1930er Jahren wurde sie durch ihre gemeinsame Arbeit mit der Künstlerin Ellen Auerbach (damals noch Ellen Rosenberg), ringl+pit, international bekannt. Sterns Arbeiten sind innovative Porträt- und Werbefotografie, die zahlreiche europäische und amerikanische Künstler:innen beeinflussten. Mitte der 30er Jahre emigrierte sie nach Argentinien und prägte dort in fast 50-jähriger Tätigkeit die moderne argentinische Fotografie.
Kindheit
Grete Stern wurde am 9. Mai 1904 in Elberfeld als Tochter von Kaufmanns Ludwig Stern († 1910) und der Frida Hochberger († 1935, Suizid in Berlin) geboren. Ihr Bruder Walter Stern (1908–1965) wurde in den USA Filmtechniker.
Ausbildung
Grete Stern besuchte besuchte von 1910 bis 1922 die Schule, zunächst war sie an einer Volksschule in Wuppertal, dann für drei Jahre in London, wo sie Verandte hatte.
Nach dem Ablegen des Abiturs studierte Stern von 1923 bis 1925 an der Württembergischen Kunstgewerbeschule, der heutigen Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Abteilung Grafische Künste, bei Professor F. H. Ernst Schneidler.
Werke
Nach ihrer Ausbildung zog Grete Stern nach Berlin. Zwischen 1925 und 1926 entstanden dort und in Wuppertal erste gebrauchsgrafische Arbeiten (Buchgestaltung, Layout, Werbung). In Wuppertal hatte sie 1926 auch ihre erste Ausstellung, in der Werbegrafiken von Stern gezeigt wurden.
Bauhaus
Auf Empfehlung von Umbo (Otto Umbehr) machte sie 1927/28 als Privatschülerin fotografische Studien im Privatstudio von Walter Peterhans in Berlin. Von April 1930 bis März 1933 studierte Grete Stern am Bauhaus bei Walter Peterhans. 1930 folgten erste Reklame-Arbeiten in Zusammenarbeit mit der Bildagentur Mauritius. Ihre Fotos vom Bauhaus brachten ihr nachhaltig Anerkennung in Deutschland.
In der Klasse von Peterhans lernte Grete Stern den argentinischen Fotografen Horacio Coppola kennen, den sie später heiratete.
ringl+pit
Durch Peterhans lernte sie Ellen Rosenberg kennen. Das von beiden in einem ehemaligen Atelier von Peterhans eingerichtete Fotostudio für Werbe- und Porträtfotografie benannten sie nach ihren beiden Kosenamen Ringl für Grete, Pit für Ellen: ringl+pit.
Die Künstlerinnen griffen auf die Fotomontage zurück, um Konstrukte von Weiblichkeit, wie sie in der Bild und Werbekultur propagiert wurden, zu hinterfragen.
London
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierten Grete Stern und ihr Bruder sofort nach London; Stern eröffnete dort 1934 ein Foto- und Werbestudio und nahm bald wieder die Zusammenarbeit mit Ellen Auerbach. Bis 1936 arbeitete sie als freie Grafikerin und Reklamefotografin. In diesen Jahren schuf sie Porträts unter anderem von Bertolt Brecht, Helene Weigel, Karl Korsch und Paula Heimann.
Buenos Aires
1935 heirateten Grete Stern und Horacio Coppola und reiste erstmals nach Buenos Aires. Das frisch vermählte Paar veranstaltete in Buenos Aires eine Ausstellung im Magazin Sur, die laut dem Magazin die erste Ausstellung moderner Fotografie in Argentinien war. Vor ihrem Auswandern nach Argentinien im Folgejahr wurde in London ihre Tochter Silvia geboren; die argentinische Staatsbürgerschaft erhielt Stern 1958.
In Buenos Aires eröffneten Stern und Coppola 1937 ein Werbe- und Fotostudio. Zwar hatte sie auch dort schon erste Porträtaufnahmen gemacht, intensivierte diese Tätigkeit jedoch erst im neuen Haus mit Studio in Ramos Mejía bei Buenos Aires ab 1940, das sie nach der Geburt ihres Sohnes Andrés († 1965) bezogen hatten. Das Studio entwickelte sich zu einem Treffpunkt für progressive Schriftsteller:innen, Künstler:innen und Intellektuelle wie Jorge Luis Borges, Pablo Neruda, Renate Schottelius, Clément Moreau, María Elena Walsh und die Psychoanalytikerin Marie Langer. Ihre erste Einzelausstellung in Argentinien hatte sie 1943 in der Galerie Müller in Buenos Aires. Im selben Jahr trennten sich Coppola und Stern.
Grete Stern führte das Medium der Fotomontage als mächtiges visuelles und politisches Werkzeug in die argentinische Populärkultur ein. Im argentinischen Exil illustrierte die Künstlerin in einer psychoanalytischen Kolumne der Zeitschrift „Idilio [Idyll]“ die Traumwelten ihrer Leserinnen. Zugleich dekonstruierten ihre sogenannten „Sueños [Träume]“ auf humorvolle Weise jene weiblichen Stereotype, die sowohl im Magazin als auch in der peronistischen Bildpropaganda bedient wurden. Sterns fotografische Arbeiten zeugen von einer Künstlerin, die, selbst durch Flucht und Exil geprägt, die Begrenzungen nationaler, kultureller und sozialer Räume durchbrach und kritisch beleuchtete.
Erste Arbeiten für das Mutter und Kinderamt des Nationalen Gesundheitswesen erstellte Grete Stern 1939, neben der Fotografie war sie auch für Layouttätigkeiten verantwortlich. Von 1948 bis 1950 war Stern für die neuartige Stadtplanungsstelle Plan de Buenos Aires als Fotografin und Grafikerin bei der Untersuchung des Stadtplans von Buenos Aires unter anderem zusammen mit Jorge Ferrari-Hardoy tätig. Von 1956 bis 1970 arbeitete sie am Nationalmuseum für Bildende Künste in Buenos Aires als Fotografin sowie in der Abteilung für Restaurierung, wo sie unter anderem bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1970 eine Foto-Werkstatt leitete. Von 1959/60 hatte sie darüber hinaus einen Lehrauftrag für Fotografie an der Universität Resistencia del Chaco.
Sterns fotografisches Werk zeichnete sich durch den ruhigen Umgang mit Gesichtern, Dingen, Landschaften und Ähnlichem aus. Bewegungen und Schnappschüsse stellte sie hingegen seltener dar. Die argentinische Künstlerin María Elena Walsh bezeichnete 1950 ihre Fotografie als „intim und wahrhaftig, sie möchte die Dinge erleuchten und die Augen dazu bringen, sich bei ihrem Anblick aufzuhalten, nicht betrachtend, sondern bewundernd, bis selbst das Unbedeutende seinen wahren, nämlich seinen wunderbaren Schein zeigt“.
Am Nationalmuseum erhielt sie mehrmals Aufträge, unter anderem indigene Völker zu dokumentieren. 1958 verabredete sie mit dem Reiseamt von Jujuy die Dokumentation von Menschen und Landschaften der Provinz, in den Folgejahren dokumentierte sie ebenfalls im Nordosten des Landes (Provinz Corrientes), wo sie an der Universidad Nacional del Nordeste auch das Fach Fotografie unterrichtete. 1961 dokumentierte sie in der Provinz Catamarca neben den Fotografien von Menschen und Landschaften auch archäologische Funde. Es folgten weitere Reisen in Lateinamerika sowie darüber hinaus. 1964 erhielt Stern ein Stipendium für die Dokumentation der Provinzen Chaco, Formosa und Salta. Dabei entstanden in Chaco in drei Monaten rund 800 Aufnahme sowie in den Jahren 1964 bis 1967 mehrere Bücher mit Fotos, aber auch Texten von Stern.
Stern arbeitete bis 1985 als Fotografin, als ihr Sehvermögen schwächer wurde. Im Jahr 1981 fand in der Fundación San Telmo in Buenos Aires eine Retrospektive ihres Werkes als Fotografin und Grafikdesignerin statt, für die sie die Broschüre selbst gestaltete. Im Jahr 1988 wurde unter ihrem Namen ein Sammelband mit Porträts veröffentlicht.
Hobbymäßig widmete sich Stern von 1946 bis 1987 dem Chorgesang.
Tod
Grete Stern starb am 24. Dezember 1999 in Buenos Aires.
Ihr Werke wurde in mehr als 40 Einzel- und über 30 Gruppenausstellungen präsentiert, einige postume Ausstellungen folgten. Darüber hinaus war Stern auch als Herausgeberin von über 20 Büchern und Broschüren zu ihren eigenen Werken tätig und verfasste in einigen von ihnen auch die begleitenden Texte.
Die Stiftung Fundación Antorchas unterstützt die Konservierung und Organisation ihres fotografischen Archivs.
Literatur zu Grete Stern
- Katharina Sykora Doppelspiele. Die fotografische Zusammenarbeit von Ellen Auerbach und Grete Stern, in: Renate Berger (Hg.): Liebe, Macht, Kunst. Künstlerpaare im 20. Jahrhundert, Köln 2000.
- Grete Stern, in: Patrick Rössler, Elizabeth Otto, Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne, München 2019, S. 162–165.
- Katharina Schembs, Traumbilder. Grete Sterns Avantgardefotografie im Argentinien Peróns (1946–1955), in: Zeithistorische Forschungen 12 (2015), S. 264–288.
- Christiane Kuhlmann, Stern, Grete, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 25, Berlin 2013.
- Johanna Hopfengärtner, Pioneras de la modernidad. Grete Stern y Marie Langer en Argentina, in: Iberoamericana, 33, S. 163 f.
- Grete Stern, los sueños, Träume: Photomontagen, hg. v. Ulrike Rühlmann (Ausst-.Kat. Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt, Halle), Leipzig 1999.
- Luis Priamo u. a., grete stern. Obra fotográfica en la Argentina [Fotografisches Werk in Argentinien], Buenos Aires 1995.
- Jutta Dick, Marina Sassenberg (Hg.), Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk, Reinbek bei Hamburg 1993.
- Stern, Grete, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,2, München 1983, S. 1124.