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Bernhard Heisig

Dieter Brusberg (Hg.): Bernhard Heisig. „Gestern und in unserer Zeit“ oder „Das Elend der Macht“ (HIRMER, Cover)

Dieter Brusberg (Hg.), Bernhard Heisig. „Gestern und in unserer Zeit“ oder „Das Elend der Macht“ (HIRMER, Cover)

Bernhard Heisig (1925–2011) gilt als zentrale Malerpersönlichkeit in der sozialistisch-realistischen Kunst der DDR, der ab Mitte der 1960er Jahre zu gleichnishaften Darstellungen historisch-gesellschaftlicher Fragen Stellung bezog.

„Meine Bilder sind keine Historienbilder, es sind Bilder, die sich mit Hilfe der Historie zur Zeit äußern.“1

Als einziger bekannter DDR-Maler setzte er sich auch mit der Pop Art auseinander und operierte mit Zitaten, Fotocollagen und wechselnden Wirklichkeitsebenen. Mit seinen collageartigen Gemälden schaffte er komplexe Zusammenstellungen, historischer Persönlichkeiten, um auf Problemstellungen zu verweisen. Heisig, der sieben Jahr älter als Gerhard Richter ist, gehörte zu den entwicklungsbestimmenden Künstler- und Lehrerpersönlichkeiten in Leipzig. Für ihn wichtige Referenzfiguren der Malerei waren Adolph Menzel (genrehafter, dunkeltoniger Realismus), Pablo Picasso (vor allem dessen Malerei der 1950er Jahre), Lovis Corinth und Oskar Kokoschka (stürzende Perspektive, Umgang mit dem Geschichtsbild). Deren impulsiver, sinnenhafter Wirklichkeitssicht und expressiver Malweise fühlte er sich verwandt. Weitere Anregungen erhielt er durch Arbeiten von Otto Dix und Max Beckmann (Komposition).

Wie ein Sperling - frech und freiheitsliebend

Bernhard Heisig wird als einer der bedeutendsten deutschen Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesehen. Aber auch als Lehrer und Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst prägte er maßgeblich die folgende Generation, darunter so berühmte Maler wie Arno Rink und Neo Rauch (→ Rosa Loy & Neo Rauch). Auch wenn er sich nie als Mitglied der so genannten Leipziger Schule2 oder als Wegbereiter der Neuen Leipziger Schule sah, wurde er dennoch vom Zeitungs- und Kunstmarkt mit diesem Etikett versehen. Gemeinsam mit den Malern Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke habe er ein Dreigestirn an „Gründungsvätern“3 gebildet, zu dem auch Willi Sitte, der in dieser Zeit eine Professur an der Kunstakademie Burg Giebichtenstein in Halle inne hatte, gezählt wird.4

Im Gegensatz zu Mattheuer und Tübke bediente sich Heisig einer hoch expressiven, farbenfrohen, ja wilden Malerei. Mit mehr als 250 Abbildungen stellt die umfassende Monografie nun das Gesamtwerk des DDR-Künstlers vor. Dass sich Bernhard Heisig sich von der Parteiführung kaum etwas vorschreiben ließ, wurde bereits in den 1964 klar, als der Rektor wegen „Nichterfüllung der erzieherischen Aufgaben gegenüber den Studenten“ abgesetzt wurde. Im Jahr 1986 erfüllte sich Altbundeskanzler Helmut Schmidt den persönlichen Wunsch, von Heise porträtiert zu werden. Denn seit seiner Teilnahme an der Documenta 6 in Kassel (1977) genoss Heisig auch Anerkennung weit über die DDR hinaus.

Ausgehend von Verismus und Neuer Sachlichkeit predigte der Realist Heisig seine Überzeugung, dass Kunst interessieren und interessiert sein müsse (→ Neue Sachlichkeit). Sowohl die „Gewalttätigkeit seiner Malerei“ (Katrin Arrieta, S. 12), der rasante Pinselduktus, die pastos aufgesetzten Farbflecken, die unbequeme, politische Ausstrahlung seiner Themen als auch die psychologisch tieflotenden Menschendarstellungen faszinieren das Publikum bis heute. Müßig darauf hinzuweisen, dass eines der zentralen Motiven im Werk Heisigs der Absturz ist.

Bernhard Heisig von Dieter Brusberg

Der Berliner Galerist Dieter Brusberg widmet Bernhard Heisig knapp vor dessen 90. Geburtstag eine gewichtige Anthologie! Die monumentalen Geschichts-Bilder des Leipzigers finden in der übergroßen Publikation eine würdige Präsentationsfläche. Insgesamt 14 Aufsätze, eigene Schriften und Würdigungen von Weggefährten und Zeitgenossen fügen sich mit einer großen Auswahl an Heisigs Gemälden zu einer respekteinflößenden Zusammenstellung. Dass die Grafik des monumentalen Bandes nicht die gesamte Größe der Seiten ausnutzt, ist der einzige Schwachpunkt der Publikation. Die figurenreichen Kompositionen Heisigs verlangen nahezu im Detail studiert zu werden. Wenn auch offenbar die Größenverhältnisse der Werke dargestellt werden sollen, so wäre doch die Konzentration auf das Einzelbild die gangbare Lösung gewesen.

Dieter Brusberg (Hg.)
Mit Beiträgen von K. Arrieta, E. Beaucamp, U. Bode, D. Brusberg, J. Fest, P. Kipphoff, K. M. Kober, R. Leicht, H. J. Papies, M. Tschechne, A. Zweite, B. Heisig
372 Seiten, 318 Abb. überw. in Farbe, 27,5 × 32 cm, Leinen mit Etikettierung
ISBN: 978-3-7774-2128-5
HIRMER

Inhaltsverzeichnis

Katrin Arrieta: Bernhard Heisigs Hölle der „geschlossenen Gesellschaft“, S. 11-17.
Petra Kipphoff: Nun machen Sie mal ein geistreiches Gesicht (DIE ZEIT 22.8.1986), S. 34-36.
Eduard Beaucamp: Bernhard Heisig und die Folter der Erinnerung (Vortrag vom 17.5.2009), S. 43-50.
Joachim Fest: Das nie endende Menetekel der Geschichte. Anmerkungen zu Bernhard Heisig (1995), S. 75-93.
Dieter Brusberg: Der Kriegsfreiwillige oder: Begegnungen mit Bildern (1995), S. 108.
Robert Leicht: Traum und Trauma (2013), S. 125-130.
Hans Jürgen Papies: Christus verweigert den Gehorsam (1990/1995), S. 145-146.
Dieter Brusberg: „Ja, schau nur!“ (2013), S. 160.
Karl Max Kober: Lob der gelegentlichen Unvernunft (Rede am 28.11.1981), S. 187-191.
Andreas Kaernbach: Panorama deutscher Geschichte (2014), S. 203.
Dieter Brusberg: Gestern und in unserer Zeit (2002), S. 207-214.
Ursula Bode: Damals und gestern und heute und … (2003), S. 215.
Tim Sommer: Lenin wies den Weg zu Marks (art - Das Kunstmagazin, 12/2002), S. 217.
Armin Zweite: Breslau ist wie ein schwarzer Schlund im Herzen (Trauerrede vom 2.7.2011), S. 225-232.
Hans Jürgen Papies: Biographisches, S. 259-165.
Der Autor - Texte von Bernhard Heisig, S. 267-291.Weggefährten, Studenten, Familienmitglieder, S. 293-321.
Dieter Brusberg: Ein letzter Brief an Bernhard Heisig, S. 349.

Biografie von Bernhard Heisig (1925–2011)

Am 31. März 1925 wurde Bernhard Heisig als Sohn des Malers Walter Heisig (1882-1941) in Breslau geboren. Bernhard erhielt seine erste Ausbildung bei seinem Vater.
1931–1941 Besuch des Breslauer König-Friedrich-Gymnasiums.
1941–1942 Ab Oktober 1941 Fachschulstudium in der Klasse Gebrauchsgrafik an der Kunstgewerbeschule in Breslau. 1941 meldete sich Heisig als Kriegsfreiwilliger.
1942–1945 Teilnahme als Kriegsfreiwilliger in der 12. SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“ (ab Sommer 1943) am Zweiten Weltkrieg. Bernhard Heise wurde an der Westfront wiederholt z. T. schwer verletzt, nahm an der Ardennen-Offensive und den Kämpfen um die „Festung“ Breslau teil. Heisig geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wurde im Herbst 1945 als Invalide ins nun polnische Breslau entlassen.
1946 Rückkehr zur Mutter. Ende des Jahres wurde er aus seiner Heimatstadt Breslau vertrieben. Umzug nach Zeitz im Süden von Sachsen-Anhalt. Arbeitete als Grafiker.
1948 Ab Oktober Studium in Leipzig an der Fachhochschule für angewandte Kunst. Beitritt zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).
1949 Studium in Leipzig an der Akademie für graphische Kunst und Buchgewerbe
1951 Abbruch des Studiums. Im November Heirat mit Brunhilde Eisler.
1951–1954 Heisig arbeitete freiberuflich in Leipzig.
1953 Geburt des Sohnes Johannes Heisig
1954 Geburt des Sohnes Walter Eisler (1954–2015). Zum Leiter des Grundstudiums an die Hochschule für Grafik und Buchkunst berufen.
1956 Scheidung von Brunhilde Eisler. Zum Dozenten für Grafik berufen.
1956 bis 1959 war Heise Vorsitzender des Verbandes Bildender Künstler (VBK) im Bezirk Leipzig.
1961 Lernte Gudrun Brüne kennen, die bei ihm Malerei studierte und später seine zweite Ehefrau wurde. Heise wurde zum Professor ernannt und als Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig gewählt.
1964 Nach Heises Kritik auf dem V. Kongress des VBK an der Kulturpolitik von SED und DDR-Regierung und den Ergebnissen des sogenannten „Bitterfelder Weges“ wurde er als Rektor wegen „Nichterfüllung der erzieherischen Aufgaben gegenüber den Studenten“ abgesetzt, blieb aber als Dozent und Leiter der Abteilung Graphik und Malerei an der Hochschule.
1965 Verleihung des Preises des Illustrationen-Wettbewerbs der Internationalen Buchkunstausstellung (iba) in Leipzig für seine Illustration zu Bertolt Brechts „Mutter Courage“ und der Goldmedaille der iba für die Lithographie-Folge „Der faschistische Alptraum“.
1966 Ausstellungen in Leipzig, Erfurt und Würzburg.
1968 Kündigung seiner Dozententätigkeit auf Grund des zunehmenden Dogmatismus an der Kunsthochschule. Heise arbeitete von da an wieder freiberuflich.
1970 Verleihung des Kunstpreises der Stadt Leipzig.
1971 Unter Erich Honecker rehabilitiert.
1973/74 Erste umfassende Werksausstellungen in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden.
1976 Rückkehr an die Leipziger Hochschule, Rektor.
1976-1978 Mitarbeit von Walter Eisler im Atelier seines Vaters.
1977 Teilnahme an der Documenta 6 in Kassel.
1986 Helmut Schmidt ließ sich für die Galerie mit den Porträts der ehemaligen Bundeskanzler im Bundeskanzleramt in Bonn porträtieren. Der Maler Neo Rauch war von 1986 bis 1990 Meisterschüler und von 1993 bis 1998 Assistent von Bernhard Heisig.
1987 Übergabe des Rektorenpostens an seinen Schüler und Nachfolger Arno Rink. Bernhard Heise ging weiterhin seinen Lehrverpflichtungen nach.
1989/90 Retrospektive in West-Berlin, Bonn und München.
1991 Austritt aus der Akademie der Künste in Berlin. Heirat mit der Malerin und Grafikerin Gudrun Brüne (geb.1941).
1992 Umzug in ein Atelierhaus in Strodehne (Gemeinde Havelaue) im Landkreis Havelland in Brandenburg.
1998 Trotz Angehörigkeit zur Waffen-SS und staatstragender Rolle in der DDR schloss ihn der Kulturbeirat des Deutschen Bundestages nicht von der Beteiligung an der Ausgestaltung des neuen Parlamentssitzes in Berlin aus.
2005 Werkschau in Leipzig, Düsseldorf und Berlin unter dem Titel „Bernhard Heisig – Die Wut der Bilder“
2006 Große Ausstellung in der Galerie Noah in Augsburg.
Am 10. Juni 2011 starb Bernhard Heisig im Alter von 86 Jahren, nachdem er zuvor bereits zwei Schlaganfälle erlitten hatte.

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Die Ausstellung stellt die wichtigsten Etappen von Lichtensteins abwechslungsreichem Werk von den frühen 1960er Jahren bis zum Spätwerk vor.
  1. Zitiert nach Hans Jürgen Papies, Biographisches, in: Dieter Brusberg (Hg.), Bernhard Heisig. „Gestern und in unserer Zeit“ oder „Das Elend der Macht“, Berlin/München 2914, S. 259-265, hier S. 259.
  2. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte ihnen das Etikett „Gründerväter der Leipziger Schule“ verliehen.
  3. Siehe auch: http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/kunst-vielfalt-der-leipziger-schule-1464336.html (letzter Aufruf 20.7.2014).
  4. Sophie A. Gerlach, From Shamed to Famed - The Transition of a Former Eastern German Arts Academy tot he Talent Hotbed of a Contemporary Painters‘ School. The „Hochschule für Grafik und Buchkunst“, Leipzig, in: Mel Jordan, Malcolm Miles (Hg.), Art and Theorie after Socialism, Chicago 2008, S. 9-19, hier S. 12.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.