Bernhard Hoetger

Wer war Bernhard Hoetger?

Bernhard Hoetger (Dortmund/ Hörde 4.5.1874–18.7.1949 Interlaken) war ein deutscher Bildhauer, Maler, Architekt und Kunsthandwerker des Expressionismus. Hoetger hielt sich von 1900 bis 1907 in Paris auf, wo ihn Auguste Rodin, Medardo Rosso und Aristide Maillol beeinflussten. Gemeinsam mit Maillol etablierte er 1905 eine neue Einfachheit der Form in der Bildhauerei. Ein Jahr später lernte er die junge Malerin Paula Modersohn-Becker kennen, die er förderte. 1909 an die Mathildenhöhe in Darmstadt berufen, zog Bernhard Hoetger 1914 nach Worpswede, wo er sich ein expressionistisches Haus samt Skulpturengarten einrichtete. Neben Georg Kolbe, Wilhelm Lehmbruck, Ernst Barlach und Käthe Kollwitz zählt Hoetger zu den bedeutendsten Plastikern des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland.

Kindheit & Ausbildung

Bernhard Hoetger wurde am 4. Mai 1874 als Sohn eines Schmieds in Hörde (heute ein Stadtteil Dortmunds), Westphalen (Deutsches Kaiserreich), geboren. Von 1888 bis 1892 absolvierte Hoetger eine Steinmetzlehre in Detmold, an die er Wanderjahre anschloss. Von 1895 bis 1897 war Hoetger Technischer Leiter der Werkstatt für kirchliche Kunst von Franz Goldkuhle in Wiedenbrück. Er bezeichnete diese Zeit wegen des rauen Handwerkertons als seine „Fron- und Sklavenjahre“. Sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf absolvierte er zwischen 1898 und 1900 als Schüler von Karl Janssen.

Paris (1900–1907)

Auf Initiative des Kunstgeschichteprofessors Paul Clemen reiste Bernhard Hoetger im Juni 1900 mit der Düsseldorfer Bildhauerklasse zur Pariser Weltausstellung. Der Besuch des Pavillons de'Alma von Auguste Rodin beeindruckte den angehenden Bildhauer so sehr, dass er beschloss, mit einem kleinen Stipendium in Paris zu bleiben. Er nahm sich ein Atelier auf dem Montmatre, das er bald nicht mehr bezahlen konnte. Hoetger musste als Obdachloser auf Parkbänken an der Seine schlafen. Seine kleinformatigen Plastiken stellen hauptsächlich – Hoetgers eigenem Bekunden zufolge – „Straßentypen und Karikaturen“1 dar, das heißt Personen in prekären Verhältnissen wie Bettler, Blinde, Arbeitslose, Lumpensammler und Vagabunden. Die Figuren sind ikonografisch dem sozialkritischen Realismus als auch stilistisch dem Impressionismus zuzurechnen.

Da Hoetger gehört hatte, dass der Besitzer des Cabarets des Quat’z-Arts Künstler dieser Richtung unterstützte, wandte er sich hilfesuchend an ihn. Dort knüpfte Hoetger erste Kontakte zur Pariser Avantgarde, darunter Théophile-Alexandre Steinlen, Adolphe Willette und Charles Léandre. Aufstrebende Künstler wie Kees van Dongen, Pablo Picasso, Guillaume Apollinaire sowie die Brüder Marcel Duchamp und Jacques Villon verkehrten ebenfalls im Cabarets des Quat’z-Arts. Bernhard Hoetgers sozialkritische und von Émile Zolas Romanen beeinflusste Themen waren am Pariser Kunstmarkt um 1900 sehr gefragt und fanden auch in der Künstlerschaft regen Widerhall.

Erster Erfolg

1901 lernte Bernhard Hoetger die „Künstlermutter“ Madame Charlotte in ihrer Crémerie kennen, die ihm ein Atelier in der Rue de la Grand-Chaumière und Ton bereitstellte. Mit der Figurengruppe „L’Aveugle [Der Blinde]“ gelang Hoetger im Salon des Artistes Français von 1901 ein erster Achtungserfolg. Als Flaneur fand er durch Paris streifend seine Motive und gab wieder, wen er sah – und durchaus auch seiner eigenen ökonomischen Situation entsprach:

„Da sah er [Hoetger] einmal einen Blinden mit tastendem Stock und einer Guitarre auf dem Rücken. Der Blinde wurde von einer brutal aussehenden Frau vorangezogen. Sie trug im Arm ein Kind. Beide wanderten gerade unter einer Laterne her, das Licht wirkte trüb und gelb, weil alles in Nebel getaucht war.“2

Die bewegte Oberfläche der Plastik nutzt das Spiel von Licht und Schatten, um den Seheindruck und die flüchtige Bewegung einzufangen. Der Einfluss von Auguste Rodin, dessen Höllentor Hoetger ein Jahr zuvor bereits bewundert hatte, und Medardo Rosso sind äußerst präsent (→ Frankfurt | Städel: Impressionismus und Skulptur). Gleichzeitig lehnte er – bei aller ikonografischen Nähe – die glatte Oberfläche von Constantin Meuniers Skulpturen ab. Damit schloss sich Bernhard Hoetger der impressionistischen Skulptur an und wurde damit erfolgreich.

Der einflussreiche Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe nahm Bernhard Hoetger für seine Galerie La Maison Moderne unter Vertrag. Meier-Graefe kaufte den gesamten Atelierbestand und öffnete dem Bildhauer die Türen zum deutschen Kunstmarkt: Sowohl der Kunstsammler Karl Ernst Osthaus als auch der Museumsdirektor Hugo von Tschudi erwarben aus seinem Atelier heraus mehrere Bronzegüsse. Ende 1901 gründete Hoetger mit den Geschwistern Carl und Ruth Milles die „Sociètè des Artistes Réalistes“, um den Vertrieb seiner Plastiken (erfolglos) voranzutreiben.

Eugène Blot, Edvard Diriks und die Einfachheit der Form

1902 zog Bernhard Hoetger wieder auf den Montmatre, 65, rue Lepic, da Madame Charlotte Paris verlassen hatte. Er arbeitete an den Skulpturen „Schiffszieher [Le Hâleur]“ und „Kohlenträger“, die er 1902 im neu gegründeten Salon d’Automne präsentierte, wie auch das Relief „Menschliche Maschine [La Machine humaine]“ (eine Fassung, die heute im Musée d’Orsay liegt, gehörte Marcel Duchamp). Im Oktober 1903 publizierte die Zeitschrift „L’Assiette au Beurre“ in der Ausgabe „Dur Labeur [Harte Arbeit]“ Hoetgers „Menschlicher Maschine“ am Titel. 15 seiner (satirischen) Zeichnungen von Arbeiter*innen waren im Heft abgedruckt.

Da Meier-Graefe seine Galerie schließen musste, nahm 1903 der Gießer und Galerist Eugène Blot Bernhard Hoetger unter Vertrag. Blot handelte auch mit Werken von Constantin Meunier, Auguste Rodin und Camille Claudel, die er auch (kreativ eingreifend) vervielfältigte. So erwarb Blot die Figurengruppe „L’Adieu“ noch im Sommer und trennte den Torso der weiblichen Figur aus der Gruppe heraus. Bernhard Hoetger erkannte in Blots Galerie sein eigenes Werk nicht wieder, war aber von der asymmetrisch fragmentierten Arbeit selbst begeistert. Im Dezember 1905 organisierte die Galerie Blot eine Doppelausstellung mit Camille Claudel: Hoetger zeigte 34 Skulpturen und 20 Aquarelle.

„Der Unbekannte von 1900, Bernard Hoetger, gehört heute zu denen, dessen Name unter Künstlern immer wieder voller Bewunderung, manchmal mit Neid genannt wird.“3 (Louis Vauxcelles im Vorwort des Katalogs der Galerie Blot, Dezember 1905)

Bereits 1901 hatte Bernhard Hoetger Freundschaft mit dem norwegischen Landschaftsmaler Edvard Diriks geschlossen, der bestens vernetzt und ein Cousin von Edvard Munch war. In Diriks Atelier fanden u.a. die Redaktionssitzungen der spätsymbolistischen Zeitschrift „Vers et Prose“ statt, die Hoetger abonnierte.

Der erkennbare Erfolg von Aristide Maillol im Salon des Indépendants von 1904 löste bei Bernhard Hoetger eine Phase der Verunsicherung aus. In seinem neuen Atelier auf dem Montparnasse 108, Rue de Vaugirard wandte er sich ebenfalls einer neuen Einfachheit zu, die bereits Blot durch die Fragmentierung der weiblichen Figur ein Jahr zuvor vorweggenommen hatte. 1904 wurde Hoetger assoziiertes Mitglied der Société du Salon d’Automne; er stellte mit „Fécondité“ und „L‘Adieu“ seine letzten Skulpturen im Stile Rodins aus. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begegneten Hoetger und Aristide Maillol einander persönlich.

Einfachheit der Form

Das Jahr 1905 markiert einen Wendepunkt in Bernhard Hoetgers Leben und Werk. Er heiratete am 17. Juni 1905 die deutsch-russische Konzertpianistin Helene Natalie Haken, genannt Lee (1880–1967), die er gleich danach in der „Maske Lee Hoetger“ verewigte. Kurz darauf stand ihm seine Schwägerin Clara Haken für den „Elberfelder Torso“ Modell. Die neue Einfachheit der Form verdankte Hoetger seiner produktiven Auseinandersetzung mit dem Werk von Paul Gauguin und in der Folge auch Henri Rousseau.

Beide Werke präsentierte er im 3. Salon d’Automne (Oktober/November). Aristide Maillol war mit „Méditerranée“ vertreten, einem seiner wichtigsten Werke. Gemeinsam galten Maillol und Hoetger als Begründer einer neuen Bildhauergeneration.
Vermutlich entdeckte Gustav Pauli die beiden Bronzen für seine Ausstellung im Bremen. Anfang des Jahres 1906 stellte Hoetger „Weiblicher Torso“, der später als „Großer Eberfelder Torso“ bezeichnet wurde, und „Maske Lee Hoetger“ in der „internationalen Kunstausstellung in der Kunsthalle Bremen aus, welche Paula Modersohn-Becker auf ihn aufmerksam machten.

Freundschaft mit Paula Modersohn-Becker

Im April 1906 besuchte Paula Modersohn-Becker Bernhard Hoetger in seinem Pariser Atelier. Die Künstlerin stellte sich als Bewunderin seiner Kunst vor, erst später als Ehefrau von Otto Modersohn (den Hoetger als Künstler nicht sehr schätzte) und nach mehreren Wochen gestand sie ihm, dass sie selbst auch malte. Als Hoetger die Gemälde Modersohn-Beckers in ihrem Atelier besichtigte, erkannte er als einer der ersten die Qualität und die Bedeutung der Malerin aus Worpswede. Bernhard und Lee Hoetger wie auch deren Schwester wurden die wichtigsten Bezugspersonen der jungen Malerin. Am 5. Mai 1906 bedankte sie sich für die Fürsprache:

„Lieber Herr Hoetger,
Daß Sie an mich glauben, das ist mir der schönste Glaube von der ganzen Welt, weil ich an Sie glaube. Was nützt mir der Glaube der andern, wenn ich doch nicht an sie glaube. Sie haben mir Wunderbarstes gegeben. Sie haben mich selber mir gegeben. Ich habe Mut bekommen. Mein Mut stand immer hinter verrammelten Toren und wußte nicht aus noch ein, Sie haben die Tore geöffnet. Sie sind mir ein großer Geber. Ich fange jetzt auch an zu glauben, daß etwas aus mir wird. Und wenn ich das bedenke, dann kommen mir die Thränen [sic] der Seligkeit. – Ich danke Ihnen für Ihre gute Existenz. Sie haben mir so wohl gethan [sic]. Ich war ein bischen [sic] einsam“4

Im Herbst 1906 besuchten die Malerin und der Bildhauer gemeinsamer Henri Rousseau in seinem Atelier. Bernhard Hoetger kaufte um 1908 ein Bild von dem „naiven“ Maler und gab ein weiteres 1910 in Auftrag. Im August 1907 schuf Paula Modersohn-Becker einige wichtige Porträts von Lee Hoetger und deren Schwester, in denen sie bereits ihre Auseinandersetzung mit den monumentalen Formen von Paul Gauguin und Henri Rousseau erkennen ließ.

Rückkehr nach Deutschland

Bernhard Hoetger kehrte 1907 langsam wieder nach Deutschland zurück, da Aufträge wichtiger Sammler seine Anwesenheit in seiner alten Heimat verlangten.

So besuchte der Elberfelder Bankier August von der Heydt 1906 Bernhard Hoetger in dessen Atelier und kaufte die Marmorfassung des „Elberfelder Torsos“. Im Jahr 1908 hielt sich der Bildhauer in Elberfeld auf, um Aufträge des Freiherrn August von der Heydt auszuführen.

Mitte Mai 1906 richtete sich Hoetger einen Zweitwohnsitz im säkularisierten Kloster Holthausen in Westfalen ein. Es entstanden die Werke „Lächeln“, „Eva auf dem Schwan“ und „Gedankenflug“, die er 1907 im Salon d’Automne zeigte (fünf Werke). In diesem Jahr entstanden auch: „Eva auf dem Löwen“ (Bremen) und „Weiblicher Akt mit Schale“ (Bremen). Das Musée du Luxembourg kaufte 1907 den „Weiblichen Torso“ (Musée d’Orsay, Paris) an. Im Herbst wurde Hoetger erneut in die Jury für Bildhauerei des Salon d’Automne berufen.

Hoetger mietete 1909 zusätzlich das Atelier des kroatischen Bildhauers Iván Mestrovic für seine großen Skulpturen „Schreitender Jüngling (Tag)“ und „Darmstädter Torso (Jugend)“. Dort entstand auch die Elberfelder Brunnenfigur. Zeigte im Salon d’Automne zwei Porträtbüsten.

Bei den Indépendants 1910 zeigte Bernhard Hoetger eine Skulptur sowie ein Relief, das als Grabmal für Paula Modersohn-Becker geplant war (verschollen). Vermittelt durch Karl Janssen kam Wilhelm Lehmbruck nach Paris und wurde Hoetgers Nachbar in der rue de Vaugirard. Zeigte sechs Werke im Salon d’Automne, darunter seine erste Großskulptur „Schreitender Jüngling“.

Hoetger & die Künstlerkolonie Mathildenhöhe (1909–1914)

1909 wurde Hoetger an die Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe berufen. Die Ernennung zum Professor erfolgte 1911 durch Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (1868–1937). Von 1912 bis 1914 arbeitete der Bildhauer an der Errichtung des Darmstädter Platanenhains. Für die vierte Ausstellung der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe im Jahr 1914 schuf er zahlreiche Skulpturen, Reliefs, Vasen und Inschriften, welche das Werden und Vergehen zum Inhalt haben. Die Vorarbeiten fanden in Florenz statt, dieses Material wurde zum größten Teil vernichtet.

Platanenhain (1912–1914)

Erhalten ist im sogenannten „Platanenhain“ ein Zyklus von Plastiken, der die Licht- und Schattenseiten, den Lebenskreis darstellt. Es handelt sich um die Verkörperungen der guten und schlechten Eigenschaften des Menschen, die Hoetger jeweils zu beiden Seiten einer zentralen Buddhafigur, der lachenden und der schlafenden Seite, gruppierte. Damit bewies Berhard Hoetger, dass er zu ikonografischen Inventionen befähigt war.5

Löwentor

Ein weiteres Werk im Rahmen der Künstlerkolonie ist das „Löwentor“. Die sechs expressiven, leicht abstrahierten Löwen aus Stein standen ursprünglich auf von Albin Müller entworfenen steinernen Säulen-Paaren, das ganze bildete das Haupttor zur Ausstellung von 1914 auf der Mathildenhöhe. Während die Säulen-Paare als Tor zum Hochschulstadion wiederverwendet wurden, entwarf Müller für die Löwen sechs neue hohe Pfeiler aus Backstein, die 1926/1927am Eingang zum Park Rosenhöhe errichtet wurden.

Ferner befinden sich auf der Mathildenhöhe vier monumentale farbige Reliefs mit den Titeln „Schlaf“, „Auferstehung“, „Frühling“ und „Sommer“, große steinerne Vasen sowie ein Brunnen mit drei Frauenfiguren, die den Wasserkreislauf versinnbildlichen. In Nischen zwischen pflanzlichen Spalierwänden stehen einzelne Figuren. Eine Figur zu Ehren von Paula Modersohn-Becker zeigt eine liegende Mutter mit Kleinkind. Weitere Ergänzungen sind Silberlöwen und Leoparden aus Bronze am Eingang zum Platanenhain.

Hoetger in Worpswede

Nachdem Bernhard Hoetger 1913 drei Ateliers in Fischerhude bei Bremen unterhalten hatte, siedelte er, durch Paula Modersohn-Becker während der Pariser Zeit inspiriert, 1914 nach Worpswede über. Er freundete sich mit Henrich Vogeler an, der in Sichtweite lebte und neben Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Hans am Ende und Fritz Overbeck zur den Gründern der Künstlerkolonie (1889) gehörte.

„Es wurde mir mit den Jahren immer klarer, dass in einer Landschaft, in deren Luft eine Kunst wie die der Paula Modersohn groß werden konnte, auch für mein Schaffen die rechte Atmosphäre sein müsse.“6 (Bernhard Hoetger)

Brunnenhof

1914 kaufte Hoetger in Worpswede-Ostendorf ein reetgedecktes Haus mit Grundstück in unmittelbarer Nachbarschaft zum Brünjeshof, wo sich ehemals das Atelier von Paula Modersohn-Becker befand. Hoetger baute die Liegenschaft 1914/15 zum imposanten Brunnenhof aus: Er erweiterte das Bauernhaus um einen zweistöckigen Backsteinbaumit flankierenden Tortürmen. „Licht – Bonze des Humors“ (1914), die Darstellung eines schallend lachenden, buddhistischen Mönchs, begrüßt noch heute die Gäste. Das Gesamtkunstwerk Brunnenhof, das leider 1923 abbrannte, bestach durch die Verbindung lokaler Tradition mit expressiv-kubischen Elementen sowie der ausgeklügelten Lichtregie und Präsentation eigener Werke. Selbst entworfene Wanddekorationen, Gemälde, Möbel und Gebrauchsobjekte ergänzte der Künstler mit asiatischem Kunsthandwerk, afrikanischen Skulpturen und orientalischen Teppichen. Zwei Mutter-Kind-Darstellungen von 1912/13, die er ursprünglich für das Berner Volkshaus geschaffen hatte, stellte er in der alten Diele auf. Im Empfangsraum positionierte Hoetger die Majolika „Eva aus dem Löwen“ (1910), im Schlafzimmer den „Eberfelder Torso“ (1906) und im Wohnzimmer eine farbige Fassung der Büste von „Lee Hoetger“ (1913) mit ägyptischer Anmutung.

„Magisch bricht blaues Licht aus diesen Seitenräumen hervor, gedämpfte Röte im Reflex flutet über die Empore herab, ohne den Augen grelle Lichtquellen zu bieten.“7

So beschrieb Walter Müller-Wulckow Bernhard Hoetgers Wohnhaus in der Kunstzeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ (1919/20). Während viele Jugendstilarchitekten – wie etwas Peter Behrens – auf lichtdurchflutete, helle Räume Wert legten, schuf Bernhard Hoetger einen Farbraum. Er ließ die Rosettenfenster im Oberschoss farbig verglasen. Dadurch entfaltete offenbar besonders die Rote Halle, das zweigeschossige Entrée aus rotem Klinker und mit Empore, eine besonders magische Wirkung.

Die Gartenfassade des geräumigen und repräsentativen Wohn- und Atelierhauses wies gegen Osten, der Sonne entgegen, was mit Hoetgers „Sonnensehnsucht“ in Zusammenhang gebracht wird. Davor legte er einen streng symmetrischen Garten an.8 Den Park gestaltete Hoetger mit Werken aus seinem Zyklus „Licht- und Schattenseiten“ (1912), wobei er die Abgüsse der Skulpturen paarweise aufstellte: und „Wut“ und „Rache“, „Leopard“ und „Silberlöwe“. Der „Schreitende Jüngling [auch: Tag]“ (1910) schritt im Sonnengarten.

Nach dem Verkauf des Brunnenhofs erbaute Bernhard Hoetger am südlichen Hang des Weyerberges – Hinterm Berg 14 – in den Jahren von 1921 bis 1922 seinen zweiten Worpsweder Wohnsitz. In dem begehbaren Kunstwerk, das exakt nach Süden ausgerichtet ist, befindet sich heute Das Kreative Haus. Hoetger schuf mit den Materialien der Umgebung ein einzigartiges Gebäude, dessen ungewöhnliche Atmosphäre bis heute für Besucher erlebbar ist.

1922 führte Hoetger in Worpswede das Gefallenendenkmal für den Ersten Weltkrieg, das 18 Meter hohe Backsteindenkmal Niedersachsenstein aus. Ein weiteres Werk ist der von ihm in den Jahren von 1916 bis 1919 gestaltete Grabstein von Paula Modersohn-Becker auf dem Friedhof von Worpswede.

Der Brunnenhof brannte 1923 ab. Erhalten und restauriert ist der Garten mit zahlreichen Skulpturen, der später zu Ehren des Künstlers den Namen Hoetger-Garten erhielt.

Weitere Werke

Bernhard Hoetger machte die Bekanntschaft mit dem Bremer Kaufmann Ludwig Roselius, woraus die Aufgabe seines Lebens entstand: die Neugestaltung der Bremer Böttcherstraße. Dabei schuf er unter anderem an der Ostseite der kleinen Verbindungsgasse zwischen Markt und Weser 1930/31 ein expressionistisches Meisterstück – das Haus Atlantis. Im dort gelegenen Paula Modersohn-Becker Museum sind einige seiner Skulpturen vorhanden, u. a. die "Schreitende". (siehe auch Böttcherstraße (Bremen) Skulpturen, Reliefs, Brunnen)

Hier entstand unter seiner Federführung das „Kaffee Worpswede“ (1925) mit Logierhaus (1926), wo er zunächst eigene Kunstwerke ausstellte.

Auch an anderen Orten sind die Spuren von Hoetgers Wirken zu finden. 1912/1913 schuf Hoetger für das von dem Architekten Otto Ingold (1883–1943) gebaute Volkshaus Bern vier in Kunststein gegossene Figuren, die die Kraftquelle des Volkes darstellen, und 1915 das überdimensionale Waldersee-Denkmal, das in Hannover am Rande der Eilenriede aufgestellt wurde und unter Denkmalschutz steht.

Hermann Bahlsen war ein früher Förderer Hoetgers, der 1916/1917 von ihm einen ganzen Stadtteil (TET-Stadt), mit Fabrik, Verwaltungsgebäuden und Wohnungen für rund 17000 Mitarbeiter planen ließ, der aber des Ersten Weltkriegs wegen nicht zur Ausführung kam.

2018 wurde nach mehr als 80 Jahren eine vorsorglich versteckte und damit vor den Nazis gerettete Statue Hoetgers, die TET-Göttin darstellend, aufgefunden und an ihren angestammten Platz am Bahlsen-Stammhaus in Hannover gestellt.

Hoetger und die NSDAP

Wie sein Mäzen Ludwig Roselius sympathisierte Hoetger mit dem Nationalsozialismus und wurde Mitglied der NSDAP. Er versuchte, die Partei für seine von der völkisch-nordischen Ideenwelt beeinflusste Kunst zu gewinnen, was ihm aber nicht gelang. Sein Werk galt seit der entsprechenden Rede Adolf Hitlers auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1936 als entartet. Hoetger wurde aus der Partei ausgeschlossen. Ab 1934 wohnte er in Berlin. Bernhard Hoetger war Mitglied des Deutschen Künstlerbunds.

1943 floh Hoetger aus Berlin über das Riesengebirge und Oberbayern in die Schweiz, wo er 1949 starb. Sein Grab befindet sich auf dem Dortmunder Ostenfriedhof.

Ehrungen

  • 1911 Ernennung zum Professor
  • Ehrenmitglied der Kunstakademie Düsseldorf
  • 1965 Der Hoetgerweg in Bremen-Oberneuland wurde nach ihm benannt
  • 1967 Ehrengrab in Dortmund
  • ab 1974 Verleihung des Bernhard-Hoetger-Preises

Literatur zu Bernhard Hoetger

  • Avantgarde. Bernhard Hoetger und Paula Modersohn-Becker in Paris, hg. v. Frank Schmidt für die Museen Böttcherstraße, Bremen in Zusammenarbeit mit der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen, Simone Ewald und Wolfgang Werner (Ausst.-Kat. Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen, 24.4.2021–5.9.2022), Bremen 2021.
  • Annika Sevi, Der Künstler und sein Garten – ‚un coin de terre ensemencé avec art‘? Funktions- und nutzungsgeschichtliche Betrachtungen eines Gartentypus, Würzburg 2018, 235–243.
  • Ursel Berger, Gudula Mayr, Veronika Wiegartz (Hg.), Bildhauer sehen den Ersten Weltkrieg. Hans / Jean Arp, Ernst Barlach, Fritz Behn, Johann Bossard, Wilhelm Gerstel, Ernst Gorsemann, Bernhard Hoetger, Georg Kolbe, Käthe Kollwitz, Wilhelm Lehmbruck, Gerhard Marcks, Ewald Mataré, Edwin Scharff, Bildhauer in Dresden (Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft Bildhauermuseen und Skulpturensammlungen e. V.), Bremen 2014.
  • Wolfgang Werner, Bronzegrüsse bei Bernhard Hoetger, Rudolf Belling und Hermann Blumenthal, in: Ursel Berger, Klaus Gallwitz und Gott lieb Leintz (Hg.), Posthume Güsse. Bilanz und Perspektiven, Berlin/München 2009, S. 138–147, 213–216.
  • Dieter Tino Wehne, Bernhard Hoetger. Das Bildwerk 1905 bis 1914 und das Gesamtwerk Platanenhain in Darmstadt, Alfter 1994.
  • Bernhard Hoetger und Marguerite Wirz, Peter. Der Werdegang eines Künstlers (Arbeitstitel), unveröffentlichtes Typoskript, 1936/38, S. 7 (Archiv Museen Böttcherstraße, Bremen).
  • I. F. Hartlaub, Mannheim; Bernhard Hoetger, Ostendorf-Worpswede.
  • Bernhard Hoetger, Mein Leben, in: C. E. Uphoff, Bernhard Hoetger, Leipzig 1919.
  • Exposition d‘Œuvres de Camille Claudel et de Bernard Hoetger du 4 au 16 décembre 1905, hg. von Galérie Eugène Blot (Ausst.-Kat. Galérie Blot, Paris 4.–16.12.1905), Paris 1905.

Beiträge zu Bernhard Hoetger

Bernhard Hoetger, Eva auf dem Löwen, 1907, Eichenholz und Bronze (Museen Böttcherstraße, Sammlung Bernhard Hoetger)

Bremen | Paula Modersohn-Becker Museum: Bernhard Hoetger und Paula Modersohn-Becker in Paris


Paris! Die Stadt wirkt wie ein Magnet, sowohl auf den Bildhauer Bernhard Hoetger (1874–1949) als auch auf die Malerin Paula Modersohn-Becker (1876–1907). Als sich beide im April 1906 zum ersten Mal in der Kunstmetropole begegneten, verband sie sofort ihre Suche nach „Größe“ und „Einfachheit“ der Form. Entscheidende Impulse erhielten sie von den avantgardistischen Strömungen, deren Entstehung die beiden hautnah miterleben.
  1. Bernhard Hoetger, Mein Leben, in: C. E. Uphoff, Bernhard Hoetger, Leipzig 1919, S. 13–14.
  2. Zit. n. Simone Ewald, Auf den Straßen von Paris, in: Avantgarde. Bernhard Hoetger und Paula Modersohn-Becker in Paris, hg. v. Frank Schmidt für die Museen Böttcherstraße, Bremen in Zusammenarbeit mit der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen, Simone Ewald und Wolfgang Werner (Ausst.-Kat. Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen, 24.4.2021–5.9.2022), Bremen 2021, S. 24–35, hier S. 24.
  3. Louis Vauxcelles, Bernard Hoetger, in: Exposition d‘Œuvres de Camille Claudel et de Bernard Hoetger du 4 au 16 décembre 1905, hg. von Galérie Eugène Blot (Ausst.-Kat. Galérie Blot, Paris 4.–16.12.1905), Paris 1905, o. S., zit. n. Zit. n. Avantgarde. Bernhard Hoetger und Paula Modersohn-Becker in Paris, hg. v. Frank Schmidt für die Museen Böttcherstraße, Bremen in Zusammenarbeit mit der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen, Simone Ewald und Wolfgang Werner (Ausst.-Kat. Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen, 24.4.2021–5.9.2022), Bremen 2021, S. 14.
  4. Der Brief ist nicht im Original, sondern nur in einer Abschrift von Lee Hoetger erhalten, da Bernhard Hoetger Anfang der 1920er Jahre alle Originale verbrannte. Zit. n. Avantgarde. Bernhard Hoetger und Paula Modersohn-Becker in Paris, hg. v. Frank Schmidt für die Museen Böttcherstraße, Bremen in Zusammenarbeit mit der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen, Simone Ewald und Wolfgang Werner (Ausst.-Kat. Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen, 24.4.2021–5.9.2022), Bremen 2021, S. 9.
  5. Ralf Beil und Philipp Gutbrod, Bernhard Hoetger. Der Platanenhain. Ein Gesamtkunstwerk auf der Mathildenhöhe Darmstadt, München 2013
  6. Zit. n. Walter E. W. Saal, Bernhard Hoetger. Ein Architekt des norddeutschen Expressionismus, Bonn 1989, S. 70.
  7. Walter Müller-Wulckow, Bernhard Hoetgers Wohnhaus in Worpswede, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Nr. 45 (1919/20), S. 52–75, hier S. 58.
  8. Zur Skulpturenausstattung von Hoetgers Privatgarten in Worpswede siehe Annika Sevi, Der Künstler und sein Garten – ‚un coin de terre ensemencé avec art‘? Funktions- und nutzungsgeschichtliche Betrachtungen eines Gartentypus, Würzburg 2018, 235–243.