Max Liebermann (1847–1935) wird in einer Vielzahl von Werken in Darmstadt präsentiert, welche bisher noch nie in dieser präzisen Auswahl zusammengefunden haben. In ihnen zeigt sich die hohe Qualität seiner Malkunst. Als treibende Kraft der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts war Max Liebermann mit ganz Europa vernetzt und galt als verbindendes Glied, der die deutsche mit der französischen und holländischen Kunst auf eindrucksvollem Wege vereinte (→ Max Liebermann: Biografie). Die Ausstellung thematisiert Liebermanns Auseinandersetzung mit seinen Vorbildern, zu denen unter anderem Jean-François Millet, Rembrandt van Rijn und Frans Hals aber auch die Haager Schule gehören, und ermöglicht eine direkte Gegenüberstellung zu ihnen. Obschon Liebermann den französischen Impressionismus mit der Farbzerlegung genau kannte, entschied er sich schon früh für einen Sonderweg:
Deutschland | Darmstadt:
Hessisches Landesmuseum Darmstadt
7.10.2021 – 9.1.2022
„In künstlerischer Beziehung ist mein Ideal Holland mit seinen alten Meistern geblieben.“
Liebermann hat den Realismus beeinflusst, den Impressionismus in Deutschland geprägt und die deutsche Kunst maßgeblich bestimmt. Aber wer war er wirklich? Wie wurde aus dem streng erzogenen Sohn einer großbürgerlichen Familie der Maler des einfachen bäuerlichen Lebens, als stünde ihm sonst nichts näher? Wie wurde aus dem angefeindeten Realisten schließlich der Meister des deutschen Impressionismus und damit einer der bedeutendsten Akteure der deutschen Kunst? Max Liebermann war ein Erneuerer der Malerei und er malte kompromisslos das, was er als Forderung der Kunst seiner Zeit verstand.
Bereits während seines Studiums in Weimar und davor in Berlin hatte Max Liebermann Möglichkeiten, sich mit der aktuellen französischen Malerei der Schule von Barbizon auseinanderzusetzen. Sein Lehrer Theodor Hagen vermittelte ihm direkt die realistische Landschaftsmalerei, während ihm der Ungar Mihály Munkácsy mit Bildern wie „Der letzte Tag eines Verurteilten“ (1869) wichtige Impulse für vielfigurige Kompositionen gab. Als der 26-jährige Maler 1873 für fünf Jahre nach Paris zog, hatte er sich bereits für die realistische Landschaftsdarstellungen und die Freiluftmalerei begeistert. Landschaften von Corot und Millet führen den in den 1840ern entwickelten, neuen Blick auf die Natur vor. Doch die direkte Auseinandersetzung mit Barbizon im Sommer 1874 und Anfang 1875 führte Liebermann nicht zum gewünschten Erfolg. Der genius loci, die Atmosphäre des Ortes, die er in den Bildern von Millet so bewundert hatte, übertrug sich nicht mehr auf ihn. Stattdessen entdeckte der Berliner Holland!
Erst in den 1890er Jahren öffnete sich der Realist und Naturalist dem französischen Impressionismus. Er wandte sich von den arbeitenden Bauern in tonigen Farben ab und hellen Landschaften mit skizzierten Figuren zu. Wohlhabende Bürger:innen bevölkern in seinen Bildern nun die Strände Hollands. Sie spielen Polo oder Tennis, spazieren oder reiten am Strand.
In den Niederlanden fand Max Liebermann eine Landschaft, die er in den Bildern von Ruysdal und Hobbema wiederzuerkennen glaubte. Die Anti-Modernität Hollands faszinierte Liebermann so sehr, dass er für über 40 Jahre lang fast jedes Jahr nach Holland in das Land an der Nordsee reiste, um dort Motive für seine Bilder zu finden. Gleichzeitig wurden die Alten Meister des Barock wiederentdeckt und die lockere Malweise des späten Rembrandt und des Frans Hals zum Vorbild für die jungen Realisten. Die Liebermann-Ausstellung führt mit Landschaften von Anton Mauve die Malerei der Haager Schule vor Augen. Das „Bildnis eines jungen Kavaliers“ (1624, Städel Museum) lässt sich überzeugend neben Liebermanns skandalisierten Porträt von „Bürgermeister Carl Friedrich Petersen (1809–1892)“ (Hamburger Kunsthalle) aus dem Jahr 1891 vergleichen, während das „Selbstbildnis mit dem Zeichenbuch“ (1657, Dresden) aus dem Rembrandt-Umkreis einen Widerhall in Liebermanns „Selbstbildnis im Anzug mit Skizzenblock“ (1926, Privatsammlung) findet.
Mit den Künstlern Hollands – allen voran Jozef Israëls, aber auch Isaac Israëls und Jan Veth – tauschte sich Liebermann nicht nur aus, sondern schloss auch lebenslange Freundschaften. Die Maler teilten sich Motive, eine zunehmend lockere Malweise, Atmosphäre und Lichtstimmung. Mit Bildern wie „Holländische Nähschule“ (1876, Von der Heydt-Museum Wuppertal) und „Amsterdamer Waisenmädchen“ (1876, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie) aber auch „Stevenstift in Leiden (2. Fassung)“ (1890, Privatsammlung) gelingt dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt eine Reihe bedeutender Kompositionen zusammenzuführen. „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ (1879, Hamburger Kunsthalle), Liebermanns erstes religiöses Historienbild, aber auch das opulente und auf die niederländische Barocktradition zurückgehende „Selbstbildnis mit Küchenstillleben“ (1873, Kunstmuseum Gelsenkirchen) überraschen durch ihre Motivwahl – und sind im Werk des Künstlers die Ausnahmen geblieben.
Max Liebermann darf – bei aller Kritik am Begriff des deutschen Impressionismus – als Begründer der lockeren, lichthältigen Malerei bezeichnet werden. Der Umbruch ist Mitte der 1890er Jahre deutlich festzustellen. In Darmstadt zeigt sich dies in der Ölskizze „Zwei gehende Mädchen – Studie zum ‚Schulgang in Laren‘“ (1897, Privatsammlung). Es lösen sich die Figuren zunehmend in der locker aufgesetzten Farbe auf, und Liebermanns Markenzeichen – die Sonnenflecken – werden immer bunter. Drei Gemälde mit dem Motiv der Judengasse in Amsterdam, entstanden zwischen 1905 und 1909, führen Liebermanns malerischen Diskurs zur Wiedergabe von Schnelligkeit, Spontaneität, Kolorit und Tonalität behänd vor Augen. Dass sich der Berliner Maler mit dem „Papageienmann“ (1900/01, Privatsammlung) bereits der Buntfarbigkeit des französischen Impressionismus geöffnet hatte, veränderte die Wirkung seiner Bilder enorm!
Die Anerkennung durch französische Maler war dem Preußen aufgrund der politischen Situation in Frankreich lange verwehrt geblieben, auch wenn er ab 1874 zunehmend Erfolge am Salon und 1881 seinen Durchbruch feierte. Die Gegenüberstellung von Liebermanns „Allee in Overveen – Allee in Elswoud bei Haarlem“ (1895, Privatsammlung) mit Claude Monets frühem „Waldweg“ (1865, Arp Museum Bahnhof Rolandseck) zeigt wie beide die Schule von Barbizon weiterentwickelten. Vielleicht stärker noch als Monet orientierte sich Liebermann am älteren Edouard Manet, dessen „Das Haus im Laub“ (1882, Musée des Beaux-Arts, Dijon) mit Liebermanns „Gärtnerhaus in Wannsee“ (1926, Scheffelt Privatstiftung) in einen interessanten formalen und ikonografischen Dialog tritt. Der zunehmend impressionistische, d.h. in kurzen Strichen oder Punkten gesetzte Duktus von Camille Pissarro und Monet – zu sehen sind Pissarros „Gemüsegarten in Pontoise mit Bäuerin“ (um 1880, Saarlandmuseum) und Monets blau-rosatonige „Villen in Bordighera“ (1884, Sammlung Hasso Plattner) – finden keine direkte Entsprechung im Werk des Berliners. Liebermann bevorzugt, und das wird in der Folge an einer Reihe von Bildern zum Freizeitvergnügen der Bourgeoisie deutlich, eine fleckige Malerei mit dynamischer Strichführung, mit der er das Bewegungsmotiv noch akzentuierte.
Während des Ersten Weltkriegs wurden Villa und Garten am Wannsee das Refugium von Max Liebermann. Das dort entstandene Spätwerk sprüht vor malerischen Ideen, wie der im Sinne der Gartenreformbewegung angelegte Garten in Bilder umgesetzt werden konnte. Mit Hilfe verschiedener Perspektiven lotete Liebermann Proportionen aus. Nähe und Ferne werden mittels Malweise aneinander angeglichen. Wege durchschneiden abrupt das wuchernde Grün. Bäume versperren den Blick und bilden dann doch einen Tiefenzug, während formale, geometrisch angelegte Beete mit wild wachsender Vegetation in einem spannungsvollen Kontrast stehen. Die mit lockerer Hand gleichsam „hingeworfenen“ Eindrücke vermitteln ein Bild der strahlenden Natur zwischen Kultur- und Naturlandschaft. Eine „Landschaft mit Birken“ (Bröhan-Museum, Berlin) von Julie Wolfthorn zeigt, welchen Einfluss Liebermann auf die Berliner Zeitgenossin noch hatte. Während Liebermann im Berlin der 1920er weiterhin zu den zentralen Persönlichkeiten der Kunstwelt zählte, erforschte er kontinuierlich seinen Garten getreu seinem Motto:
„Der Maler hat nur die Farbenskala von Schwarz und Weiß auf der Palette: aus ihr soll er Leben, Licht und Luft auf die Leinwand zaubern, ein paar Striche, ein paar unvermittelt nebeneinandergesetzte Farbflecke sollen aus der richtigen Entfernung dem Beschauer den Eindruck der Natur suggerieren.“1 (Max Liebermann, Die Phantasie in der Malerei)
Ergänzend zu den Werken von Max Liebermann sind zu sehen: Theodor Hagen, Mihály Munkácsy, Jean-Baptiste Camille Corot, Jean-François Millet, Anton Mauve, Vincent van Gogh, Jakob Issacksz. van Ruisdael, Salomon van Ruysdael, Frans Hals, Joris van Son, Rembrandt van Rijn (Umkreis), Jozef Israëls, Claude Monet, Edouard Manet, Camille Pissarro, Max Slevogt, Max Beckmann, Julie Wolfthorn
Die Ausstellung entsteht als Kooperationsprojekt des Hessischen Landesmuseums Darmstadt mit dem Kunstpalast Düsseldorf: Düsseldorf | Kunstpalast: Max Liebermann
Martin Faass, Felix Krämer (Hg.)
180 Seiten, 160 farbige Abb.
23,5 × 27,5 cm, Festeinband
ISBN 978-3-95498-638-5
Sandstein Verlag