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Malerei und Kalligraphie in Japan

Ausschnitt aus einem Rollbild von Ya Makawa Shuhō (Kyoto 1898–1944 Kyoto), Feierlicher Tanz eines Mädchens (Hinazuru Sanbasō) (Sammlung Genzō Hattori), Foto: Alexandra Matzner.

Ausschnitt aus einem Rollbild von Ya Makawa Shuhō (Kyoto 1898–1944 Kyoto), Feierlicher Tanz eines Mädchens (Hinazuru Sanbasō) (Sammlung Genzō Hattori), Foto: Alexandra Matzner.

Gemalte Poesie – geschriebene Schönheit – gedruckte Realität: Eine riesige Welle droht über drei Fischerbotte zusammenzubrechen, im Hintergrund ist winzig der Fuji-San, der heilige Berg Nippons, zu erkennen. Die „Große Woge“ von Katsushika Hokusai (1760 - 1849 Edo) gehört zu den bekanntesten Blättern der Ukijo-e-Drucke. Dass die japanische Kunst über die volkstümlichen Farbholzschnitte und Netsuke weit hinausgeht, zeigt das Leopold Museum in der Ausstellung „JAPAN – Fragilität des Daseins“.  Rollbilder, faltbare Wandschirme und Kalligraphien offenbaren die philosophischen und poetischen Aspekte des reichen japanischen Kulturlebens.

 

Japanischen Malerei und Kalligraphie

Welche Entwicklung die japanische Kunst vor der Öffnung des Landes vollzogen hat, ist hierzulande jedoch höchst selten aufgezeigt worden. Während sich die Ukijo-e-Drucke seit Jahrzehnten großer Beliebtheit erfreuen und auch häufig publiziert wurden, können Rollbilder, Wandschirme und Kalligraphien kaum bewundert werden. In der Ausstellung führen etwa 50 traditionelle Werke aus der Sammlung Hattori die wesentlichen Gestaltungsprinzipien japanischer Kunst vom 12. bis zum 20. Jahrhundert vor: Über allem steht der Wunsch nach Einfachheit und Harmonie. Inspiration zogen die Japaner vor allem aus der chinesischen Kunst, die in Vielem den Ausgangspunkt für die Entwicklung bot.

Für Kalligraphien (shodō) ist wichtig, dass sie nicht nur schön geschrieben sind, sondern vom Schreiber auch etwas Schönes verfasst  wurde. Die Linienführung – auch von Unterschriften unter Anweisungen eines Oberbefehlshabers an einen Untergebenen – verrät durch ihre Ausdrucksstärke den Charakter des Schreibenden. Sie ist die Kunst einer intellektuellen Elite, die sich an der traditionellen japanischen und chinesischen Poesie entzündet. Einerseits entspricht die Kalligraphie damit einer Ästhetik des Momentanen, andererseits verfassen Zen-Mönche für ihre Schüler ebenfalls „Tuschespuren“, sog. bokuseki, um ihnen die Essenz ihrer Lehre für das Leben mitzugeben. Ab auch Heerführer wie Toyotomi Hideyoshi (Owari/Aichi 1537 - 1598 Osaka) pflegten diese Kunst, in der Schönschreiben und Zeichnen eins werden.

 

 

Wandschirme und Rollbilder

Wandschirme und Rollbilder verbreiten in traditionellen japanischen Häusern eine dekorative Ruhe, die in der westlichen Kunst kaum ihresgleichen findet. Während Wandschirme Räume teilen und vor Blicken schützen sollen, sind Rollbilder zum Aufhängen in der heiligen Nische (tokonoma) gedacht. Sie werden passend zu den Jahreszeiten ausgesucht und nach jeder Tee-Zeremonie ausgewechselt. Zusammengerollt und in Schachteln verpackt, bilden Rollbilder einen wichtigen, leicht zu transportierenden und  Erdbeben sicheren Schatz des Haushaltes. Die von vielseitig gebildeten Gelehrten und Literaten ausgeführten Tusche-Gemälde sollen den Raum atmosphärisch beeinflussen; sie zeigen Witterungen und den Ablauf der Jahreszeiten und stehen für das ewig Gültige, das Absolute.

 

 

Als Ausdruck des Zen-Buddhismus sind Rückzug, Leere, Abwesenheit in den Schwarz-Weiß-Malereien niemals negativ zu deuten, sondern gelten als unerlässliches Gegengewicht zum Vollen. So erscheinen viele Objekte ohne Hintergrund einfach auf das Papier gesetzt, während ihre Modellierungen die delikate Beherrschung des Materials verraten. Der Tiefenzug wird in der Tuschemalerei oft mittels atmosphärischem Auflösen der Dingwelt suggeriert, wobei das Oben im Bild gleichzeitig auch ein Dahinter bedeutet. Den erwünschten Effekt des Ruhigen erzielen japanische Künstler durch den Einsatz von Diagonalen als „Ersatz“ für Bewegung und Dynamik. Die stilistische wie motivische Kontinuität in der Tuschemalerei lässt sich aus der japanischen Geisteshaltung von Respekt und Treue für den Meister ableiten. Es ist für einen japanischen Künstler unschicklich, die Fertigkeiten seines Ausbildners zugunsten neuer Einflüsse abzulegen. Zudem soll die einfache Verständlichkeit der Motive – bei einer gleichzeitigen Reduktion der Themen – bei den Betrachter_innen Gefallen erwecken.

 

 

Einige japanische Themen

Thematisch reichen die Darstellungen von atmosphärischen, nebelverhangenen Landschaften als Symbol für die Bedeutung der Natur für die Bewohner des Inselreiches über Tier- und Pflanzendarstellungen zu religiösen Führern und eleganten Damen. Die Bewohner des von Erdbeben und Vulkanausbrüchen häufig heimgesuchten Landes der untergehenden Sonne suchten ihre Abhängigkeit von den Naturgewalten durch humorvolle und einfache Sinnbilder darzustellen. Zu den aus europäischer Sicher einprägsamsten zählt der „Versuch, einen Wels mit einem Flaschenkürbis zu fangen“. Der Legende nach soll ein Betrunkener diese Idee ausgeheckt haben, um damit den Wels vom Schlagen mit dem Fischschwanz abzuhalten. Dieses wäre nämlich verantwortlich für das Auslösen von Erd- sowie Seebeben. Dass dies natürlich unmöglich ist, ist jedem Japaner klar, und das Bild dennoch ein Talisman gegen die Bedrohung. Darüber hinaus lässt sich das Sujet religiös als die Unmöglichkeit auffassen, das Universum mit einer Seele zu erkennen. Wie so häufig in der japanischen Ästhetik wird die Turbulenz des inneren wie äußeren Erlebens mit der Darstellung einer (scheinbaren) Ruhe gleichgesetzt.

 

 

Bäume sind in der japanischen Kunst Hinweise auf eine bestimmte Region und Jahreszeit. Wenn beispielsweise der schneebedeckte Ast einer Kiefer bereits erste neue Nadeln ansetzt, ist der Frühling nicht mehr weit. Hierzu kommt ihre offenbar dekorative Wirkung, wenn die Äste sich in winkeligen Bewegungen auf dem neutralen Grund ausbreiten oder die Rinden Anlass für gleichermaßen naturalistisch wie stilisierte Beschreibungen geben. Orchideen wurden genauso dargestellt, wie die verehrten Kirschblüten und Irise. Die oftmals in diesem Zusammenhang abgebildeten Tiere stehen dann ebenfalls nicht nur für eine sensible Naturbeobachtung und Naturbeschreibung, sondern sind Symbole für das Unstete (Graugänse), den Sommer und die Vergänglichkeit („Das Rauschen der Kiefer, die Stimme der Zikade“ von Kawai Gyokudō; 1873 - 1957 Tokyo) Kraft (Tiger) und Energie („Drache“ von Maruyama Ōkyo, zugeschrieben; 1733 - 1795 Kyoto).

Daneben finden sich unzählige Darstellungen von Religionsführern, Mönchen, Wanderpredigern und berühmten Lehrern, deren vorbildhafte Handlungen Anlass zu erkenntnisreichen Darstellungen boten: „Kannon reitet auf einem Drachen“ von Kanō Tanyū (Kyoto 1602 - 1674 Edo) zeigt den Bodhisattva der Barmherzigkeit, wie er vor einer großen Mondscheibe auf einem Drachen fliegt. Seine Ruhe, Gelassenheit und liebevolle Aufmerksamkeit bezwingen sogar das energiegeladene Wesen des mythischen Tiers. Ike no Taiga (Kyoto 1723 - 1776 Kyoto) zeigt mit „Die drei Weisen: Buddha, Konfuzius und Laotse“, die gemeinsam sauren Pfirsichessig verkosten, dass alle drei von ihnen gegründeten Religionen auf das gleiche hinausliefen. Schlussendlich darf nicht auf Hotei vergessen werden, der als unkonventioneller, zufriedener Wandermönch den Kindern die ganze Welt zu Füßen legt. Wenn „Komachi ein Gedicht von einem Blatt Papier wäscht“, möchte Kano Tsunenobu (Edo 1636 - 1713 Edo) damit nicht nur die Grazie des weiblichen Geschlechts demonstrieren oder einen Kimono wie einen Kranich auffalten, sondern darüber hinaus die Intelligenz der Dichterin betonen. Sie war bei einem Poesiewettbewerb kurz davor des Plagiats beschuldigt worden und bewies die Aktualität ihres Textes, indem sie das Gedicht vom Papier wusch.

 

Ukijo-e, „Bilder aus der fließenden Welt“, in Europa

Während in der Tuschemalerei und der Kalligraphie die hochintellektuelle Ästhetik des Momentanen und die Spiritualität gepflegt wurden, entwickelte sich während der Edo-Zeit (1615-1868) eine farbintensive Malerei für das Volk, Ukijo-e genannt. Vor allem als Farbholzschnitte erreichten diese Bilder vom Alltag in Edo, so der alte Name von Tokyo, Europa. Sie erzählen von berühmten Schauspielern, elegant gekleideten Prostituierten, erotischen Szenen und Landschaften. Damit bilden die in einem arbeitsteiligen Prozess gefertigten Farbholzschnitte den Gegenpol zur Tusche-Malerei und Kalligraphie der oberen Schichten.

 

 

Dass gerade dieses, von den Japanern selbst als minderwertige Massenware klassifizierte Medium die europäischen Künstler faszinierte, lag wohl an der im Westen kaum verstandenen Exotik der Tuschemalerei. Wenn auch deren Schönlinigkeit und Reduktion auf das Wesentliche hoch geschätzt wurden, so fanden die Impressionisten vor allem in den narrativeren und leichter zugänglichen Ukijo-e-Drucken, und hier in den Werken von Utamaro, Hiroshige und Hokusai, das was sie suchten. Das Japan-Bild selbst bewegte sich dabei zwischen Mode, Fantasie und Kunstverständnis.

 

Impressionismus in Japan

Kaum hatte sich Japan der restlichen Welt geöffnet, begannen sich einige Künstler auch für die europäische Malerei, Ölfarben und vor allem den französischen Impressionismus zu interessieren. Japans Liebe zum Impressionismus zeigt sich in der Aufnahme westlicher Maltechniken und Stile - später erweitert durch den Ankauf impressionistischer Gemälde, vor allem von Vincent van Gogh, durch japanische Sammler. Dass dabei gerade der Impressionismus für die Künstler aus Fernost interessant wurde, geht u. a. auf die Aufnahme japanischer Gestaltungskriterien durch die französischen Impressionisten seit den 1860er Jahren zurück.

 

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.