Isenheimer Altar
Was ist der Isenheimer Altar?
Der Isenheimer Altar ist ein monumentaler Flügelaltar, der zwischen 1512 und 1516 von Matthias Grünewald (Tafelbilder) und Nikolas von Hagenau (Schnitzereien) für die Antoniter-Präzeptorei in Isenheim geschaffen wurde. Bis zur Französischen Revolution befand sich der Isenheimer Altar an Ort und Stelle. Heute ist der Isenheimer Altar im Musée Unterlinden in Colmar aufgestellt. Die jüngste Restaurierungskampagne konnte im Juni 2022 abgeschlossen werden.
Entstehung
Der Isenheimer Altar wurde zwischen 1512 und 1516 von Matthias Grünewald (Tafelbilder) und Nikolas von Hagenau (Schnitzereien) für die Antoniter-Präzeptorei in Isenheim, ein Dorf rund 20 Kilometer von Colmar entfernt, geschaffen. Das Polyptychon [mehrteiliger Flügelaltar] schmückte bis zur Französischen Revolution den Hauptaltar der Klosterkirche und wurde von Guy Guers in Auftrag gegeben, dem Vorsteher der Präzeptorei von 1490 bis 1516.
Die um 1300 gegründete Präzeptorei gehörte dem 1202 gegründetem Orden der Antoniter und hatte sich vor allem die Pflege von Menschen zur Aufgabe gemacht, die unter dem sogenannten „heiligen Feuer“ oder „Antoniusfeuer“ litten, einer im Mittelalter stark verbreiteten Krankheit. Der Glaube an die heilende Kraft dieses Heiligen, der diese Plage den Menschen gleichzeitig als Strafe auferlegen konnte, zog zahlreiche Pilger und Kranke nach Isenheim.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entdeckte man, dass die Krankheit durch Mutterkorn hervorgerufen wird, einem Getreidepilz, der zur Verengung der Blutgefäße und Wundbrand sowie Halluzinationen führt. Die Kranken wurden mit frischem Brot und „heiligem Wein“ versorgt, ein Heiltrank auf Weinbasis mit zahlreichen Kräutern, in den man die Reliquien des Schutzheiligen tauchte. Aus verschiedenen Pflanzen fertigten die Antoniter darüber hinaus einen entzündungshemmenden Balsam an.
Die Isenheimer Antoniter-Präzeptorei erlangte eine zunehmend größere Bedeutung und verfügte über beachtliche finanzielle Mittel. Davon zeugten nicht zuletzt die zahlreichen von ihr beauftragen und finanzierten Kunstwerke, zu denen auch der Isemheimer Altar zählt.
Um seine Zerstörung in der Französischen Revolution zu verhindern, wurde der Isenheimer Altar 1793 nach Colmar in die Nationalbibliothek des Distrikts gebracht. Im Jahr 1852 erfolgte die Aufstellung in der Kapelle des ehemaligen Dominikanerklosters Unterlinden, wo er bis heute das Kernstück des Museums bildet.
Beschreibung
Das Retabel zeigt mit doppeltem Flügelpaar drei Bildfolgen, die abhängig von Festtagen oder Liturgie präsentiert wurden. Sie waren dem heiligen Antonius sowie der Kindheit und Passion Christi gewidmet.
Geschlossenes Retabel
Im geschlossenen Zustand zeigt der Isenheimer Altar den Hl. Sebastian, die „Kreuzigung“, Hl. Antonius und die „Beweinung Christi“ (1512–1516).
Während der gewöhnlichen Tage blieb das Retabel geschlossen und präsentierte auf der Schauseite die Kreuzigung, eingerahmt vom Martyrium des von Pfeilen durchbohrten hl. Sebastian und dem von Monstern heimgesuchten hl. Antonius. Beide wurden vom Volksglauben als Schutzheilige gegen Krankheiten und Seuchen verehrt: im Falle des hl. Antonius gegen das „Antoniusfeuer“, im Falle des hl. Sebastian gegen die Pest.
Mit dem Bild des grausam entstellten Körpers Christi ist diese Szene eine der beeindruckendsten Darstellungen der Kreuzigung in der westlichen Kunst. Der von Wunden und Dornen übersäte Körper sollte die Kranken einerseits erschauern lassen, andererseits sollten sie durch die Identifizierung mit dem Leid des Erlösers auch Trost empfinden.
Die Madonna, rechts im Bild vom Evangelisten Johannes gestützt, trägt einen großen weißen Umhang, der dem Leichentuch ihres Sohnes gleicht. Zu ihrer Linken ist Johannes dem Täufer ein Lamm beigestellt, das Opfer Christi symbolisierend. Johannes’ Anwesenheit überrascht, da dieser im Jahr 29 auf Befehl von Herodes geköpft worden war und somit nicht Zeuge der Kreuzigung gewesen sein konnte.
Der Heilige kündet vom Neuen Testament mit den Worten: „Er muss wachsen, ich aber muss klein werden.“ (Joh 3,30). Er nimmt hier eine symbolische Rolle ein, da er als letzter Prophet gilt, der die Ankunft des Messias vorhersagt.
Erste Wandlung
Diese Flügel wurden bei hohen liturgischen Festen geöffnet, insbesondere bei Festen zu Ehren der hl. Jungfrau. Sie zeigen:
- die Verkündigung,
- ein Engelskonzert,
- die Madonna mit Kind,
- die Auferstehung und
- als Skulpturen der Predella Christus mit den Aposteln
Auf dem linken Flügel ist die Verkündigung dargestellt, in der der Erzengel Gabriel Maria die bevorstehende Geburt Jesu, des Gottessohnes, mitteilt. Maria wird in einer Kirche gezeigt, um die Heiligkeit des Ereignisses zu betonen. Auf der Mitteltafel bilden das Engelskonzert und die Madonna mit Kind ein Ensemble, in dem die Menschwerdung Christi in der Gestalt eines Neugeborenen präsentiert wird, das gegen die Kräfte des Bösen ankämpfen soll, Letztere personifiziert durch die Engel von beunruhigendem Aussehen.
Zahlreiche Symbole liefern Schlüssel für die Interpretation des Bildes: Der hortus conclusus, in dem Maria sich aufhält, ist ein Zeichen ihrer Jungfräulichkeit; der dornenlose Rosenbusch stellt die von Sünde freie Frau dar; der Feigenbaum symbolisiert die Muttermilch. Bett, Waschzuber und Nachttopf stehen für die menschliche Natur des auf Erden gekommenen Erlösers.
Auf dem rechten Flügel ist schließlich die Auferstehung zu sehen, in der sich der aus dem Grab aufgestandene Christus in den Himmel erhebt. Das Leuchten in diesem fantastisch anmutenden Bild verklärt das Gesicht des Gekreuzigten zu dem Gesicht eines Gottes. Auferstehung und Himmelfahrt sind hier in einer Darstellung vereint.
Zweite Wandlung
Bei geöffnetem Zustand waren zentrale Schreinskultpuren zu sehen. Die flankierenden Gemälde zeigen:
- Besuch des hl. Antonius beim Eremiten Paulus,
- Hl. Augustin und Guy Guers,
- Hl. Antonius mit Gabenträgern,
- Hl. Hieronymus,
- Christus mit den Aposteln,
- Versuchung des hl. Antonius
Bei vollständig geöffnetem Altar konnten die Pilger und Kranken den Schutzheiligen Antonius verehren, der die Kraft besaß, das „Antoniusfeuer“ zu heilen. Wie ein Herrscher thront er im Zentrum des Schreins, zu seinen Füßen erkennt man ein Schwein als Wahrzeichen des Antoniterordens. Zu beiden Seiten des Throns knien zwei Männer mit Spendengaben, einer wichtigen Einnahmequelle der Antoniter. Die zentrale Nische wird von zwei Kirchenvätern flankiert, dem hl. Augustinus und dem hl. Hieronymus. Der Auftraggeber des Altars, Guy Guers, ist kniend zu Füßen des hl. Augustinus dargestellt.
Die Begegnung der beiden Eremiten ist in einer bemerkenswerten Landschaft situiert, die eine Darstellung der Wüste bei Theben liefern soll. Grünewald hat hier eine fantasievolle Szenerie erschaffen, in der die Dattelpalme von einer mannigfaltigen Vegetation umgeben ist. Sie steht im Gegensatz zu der ruhigen und friedlichen Atmosphäre der Begegnung, an der auch die dargestellten Tiere teilhaben, beispielsweise der Rabe, der den Einsiedlern Brot zur Speisung bringt. In diesem unwirklichen Dekor sind zu Füßen der beiden Figuren sehr naturalistisch gemalte Heilkräuter zu erkennen.
Die Versuchung des hl. Antonius
Diese Tafel zeigt die Versuchung des hl. Antonius durch die vom Teufel entsandten Monster. Der zu Boden gestürzte, mit Knüppeln, Klauen und Schnäbeln gepeinigte Heilige ruft Gott um Hilfe an. Dieser sendet Engel, die gegen die Kreaturen des Bösen kämpfen. In der unteren linken Ecke scheint die Gestalt mit Entenfüßen und aufgeblähtem Bauch das durch Mutterkornvergiftung verursachte „Antoniusfeuer“ zu personifizieren, das Entzündungen und Wundbrand hervorrief.