Geballte weibliche Kreativität im Paradies suggeriert der Titel „Paradise Girls“. Dahinter stehen „Die 4 Grazien“ (bestehend aus Petra Gell, Mela Kaltenegger, Susanna Schwarz, G. Maria Wetter), Edelgard Gerngross, Sophie Tiller und Val Wecerka. Anlässlich der Vienna Art Week 2018, die das Motto „Promising Paradise“ vorgibt, kuratiert und organisiert Ursula Tuczka eine Gruppenausstellung „im Miteinander“. Für eine Woche sind an zwei Ausstellungsorten im 7. und 8. Bezirk aktuelle Werke der vier Künstlerinnen präsentiert, in denen verschiedene Facetten des Begriffs Paradies anklingen.
Paradies: Im Klang des Wortes spiegelt sich die Sehnsucht nach dem anderen Ort, dem besseren Sein. In vielen Kulturen ist damit die Vorstellung des Paradieses als Garten verbunden, ein hortus conclusus, der ewig blüht wie in den Fotografien von Sophie Tiller. Das unveränderliche Paradies kann aber auch eine stabile Konstruktion sein, wie von Edelgard Gerngross vorgestellt, oder eine harmonische Verbindung zwischen Individuen meinen, womit „Die 4 Grazien“ spielen. Val Wecerka arbeitet mit anonymisierten Brieffragmenten, die als Symbol eines mentalen Paradieses gelesen werden können.
Österreich | Wien: temporärer Ausstellungsraum
Siebensterngasse 26/3, 1070 Wien
Josefstädter Straße 57, 1080 Wien
21.–25.11.2018
12.00–18.00
Eröffnung: 20.11.2018, 19.00 in der Siebensterngasse 26/3, 1070 Wien
Sophie Tiller zeigt Fotografien und Buchobjekte, in denen sie naturkundliche Texte gleichsam zum Blühen bringt. Seit 2008, schon während ihres Studiums an der Akademie der bildenden Künste, beschäftigte sie sich mit der Re-Naturierung von Bestimmungsbüchern und Naturlexika. Die Künstlerin setzt im ersten Schritt Kapuzinerkresse in die aufgeschlagenen Bücher. Diese Pflanze schafft einen guten Nährboden für weiteren Bewuchs durch Flugsamen. Die im Freien verwahrten Objekte entwickeln sich, so Sophie Tiller erfreut, gänzlich unterschiedlich weiter. Die Fotografie ermöglicht Tiller, Zustände der sich permanent verändernden Buchobjekte zu fixieren, kurzlebige Momente einzufangen. Am Eingang zu „Paradise Girls“ positioniert Sophie Tiller ein Buchobjekt im konservierten Zustand, das heißt ausgedorrt und scheinbar kaum lebensfähig. Dem stehen in voller Pracht erblühte, paradiesische Zustände in den Fotografien entgegen. In schneller Abfolge hintereinander montiert, bringen die Fotografien die Objekte wieder zum Leben, lässt sie wachsen, erblühen und erneut versinken. Diese Bilder zelebrieren die Schönheit der Natur, ihre Formenvielfalt – eben das „versprochene Paradies“ der Vienna Art Week.
Für Edelgard Gerngross ist wichtig, dass ihre Kunst zwar aus ihrer Biografie entspringt, sie aber im Zuge des kreativen Prozesses eine allgemeine Sprache findet, mit der sie ihren persönlichen Zugang verallgemeinert und verdichtet. Erstmals vor vier Jahren wurde die Autodidaktin von Ulrike Schweizer eingeladen, an einer Ausstellung teilzunehmen. Zu ihren bevorzugten Materialien zählen aktuell Fäden und Draht, die sie auf unorthodoxe Weise zu dreidimensionalen Objekten häkelt oder verknüpft. Für „Paradise Girls“ wählte sie Werke, die für sie fragile, weibliche, rote, verletzliche, berührende Aspekte vermitteln. Zu den zentralen Überzeugungen der Künstlerin gehört, sich konstant weiterentwickeln und die Herausforderungen des Lebens annehmen zu wollen. Dabei entstehen Kunstwerke, die von Schmerz und Leid zu berichten wissen und doch eine interpretatorische Freiheit atmen. Dem Sündenfall folgten die Verstoßung aus dem Paradies, Arbeit und Erfahrung von Leid. Sich wieder zurückzukämpfen und Momente paradiesischer Ruhe zu erhaschen, ist vielleicht eine der wirkmächtigsten Funktionen der Kunst.
Lesbar sind sie nicht, die skripturalen Bild-Objekte von Val Wecerka, aber ebenso stark autobiografisch aufgeladen wie die Arbeiten von Edelgard Gerngross. Die in Bulgarien geborene Künstlerin kam mit 19 Jahren nach Wien. Sie kommunizierte mit ihren Eltern durch Briefe, die sie als nicht lesbare Schrift in ihre Arbeit übernommen hat. Inzwischen sind auch Briefe von Freunden und Bekannten eingeflossen – immer in anonymisierter Weise auch in Form von Punkten, immer in Schichten wie ein strukturiertes Palimpsest übereinander gelagert. Häufig in Blau gehalten, was Wecerkas Sehnsucht nach dem Meer widerspiegelt. Handschriften und Gedanken von Familienmitgliedern und Fremden treffen auf abstrakte Liniengespinnste. Übereinandergelegt, wirken wie in Sigmund Freuds „Wunderblock“ (1924) wie „ein materialisiertes Stück des Erinnerungsapparates“. Val Wecerka schafft neue Erinnerungen aus alten, verarbeitet private Gespräche zu objekthaften Bildern.
Petra Gell, Mela Kaltenegger, Susanna Schwarz und G. Maria Wetter sind „Die 4 Grazien“. Eigentlich war es ein Spitzname eines Assistenten von Gunter Damisch, bei dem die vier Kommilitoninnen Malerei studierten. Ein Spitzname, der das Erscheinungsbild der angehenden Künstlerinnen in den Vordergrund rückte. Dass das 2002 gegründete Künstlerinnenkollektiv einen feministischen Hintergrund hat, liegt schon in der Namensgebung begründet. Das Miteinander ist eine zentrale Kategorie im Werk der „4 Grazien“. Sie inzensieren sich in Gruppenaufnahmen mit Stativ, erscheinen wie intime Freundinnen, nutzen farbigen, vestimentären Gleichklang. Als Gemeinschaft partizipieren sie doch an absurden Situationen. Die Welt der „4 Grazien“ ist harmonisch. Sie speist sich aus der Ästhetik der Werbeindustrie und von Instagram. Das Paradies der Frauen ist eine spielerische Annäherung an Körperdiskurse und ein noch immer männlich dominiertes Blickregime.