Quasi ein „Muss“ jeder Avantgardebewegung im 19. und 20. Jahrhundert war, dass sie für ihre ersten Werke heftigste Kritik einstecken mußte, um dann die Möglichkeiten in der Kunst dennoch zu revolutionieren. So auch die Praeraffaeliten! Ab 1849 stellten sie ihre farbintensiven, detailgenauen Bilder öffentlich aus und ab 1855 nahmen sie an internationalen Ausstellungen teil. Wenn sie auch den Kapitalismus inhaltlich anprangerten, so gelang es doch vielen, mit ihren Gemälden und den danach gestochenen Reproduktionen hohe Summen zu verdienen. Die derzeit in Washington zu sehende Schau zeigt anhand wichtiger Werke die stilistische Entwicklung des „Präraffaelitismus“ und macht den revolutionären Anspruch der Gruppe deutlich.
England / London: Tate Britain
12.9.2012 - 13.1.2013
USA / Washington: National Gallery of Art
17.2. - 19.5.2013
Russland / Moskau: The State Pushkin Museum of Fine Arts
10.6. - 30.9.2013
Jeder der Künstler suchte sich – so ist dem Katalog zu entnehmen – eigene Präsentationsflächen, im Unterschied zu den Impressionisten einten die Präraffaeliten keine gemeinsamen Ausstellungsprojekte. John Everett Millais blieb der Royal Academy immer treu, Dante Gabriel Rossetti stellte hingegen nie an der renommierten Kunstakademie aus, Ford Madox Brown organisierte sich ebenfalls immer selbst in Konkurrenzausstellungen (z.B. 1849 in der "Free Exhibition"). Ab 1855 waren die Präraffaeliten auch im Ausland vertreten, wie in Paris (1855, 1867, 1878 und 1889), eine Wanderausstellung machte im Jahr 1857 ihre Kunst in New York und Boston, eine weitere Schau 1893 auch in Chicago bekannt.
Interessanterweise sollte der Kreis der Abnehmer sich v.a. aus jenen neureichen Industriellen bilden, gegen deren Welt die Werke der Präraffaeliten opponierten. Wie diese Patronage in die Vorstellungen ihrer Auftraggeber passte, klärt der Katalog der Ausstellung leider nicht, obwohl mit dem Auftraggeber Thomas Fairbairn das schwierige Verhältnis zwischen Kapitalismus und Ideologie angesprochen wird. Innerhalb weniger Jahre wurden die Praeraphaeliten nicht nur öffentlich anerkannt. So wurde beispielsweise John Everett Millais 1863 wirkliches Mitglied und 1885 sogar Präsident der Royal Academy. Darüber hinaus verdienten sie auch hohe Summen mit ihren Originalen und den danach gestochenen Druckgrafiken.
Zudem wurden die Präraffaeliten Nutznießer der Museumsgründungen in England ab den 1870ern und den beginnenden Wanderausstellungen zwischen Europa und den USA: Die neuen Museen in den Industriestädten von Liverpool (1877), Manchester (1882), Birmingham (1885) und Newcastle (1901) sowie der von Henry Tate eröffneten National Gallery of British Art (1897, heute Tate Britain) sammelten schnell Kunstwerke der Präraffaeliten und sind für diese Ausstellung wichtige Leihgeber. 1895 vertraten sie England auf der ersten Biennale in Venedig. Noch im späten 19. Jahrhundert kristallisierte sich heraus, dass John Everett Millais der berühmteste und auch beliebteste Künstler der ehemaligen Präraffaeliten geworden war. Zwei Retrospektiven in den Jahren 1886 und 1898 bestätigten seinen Status als den wichtigsten britischen Künstler des viktorianischen Zeitalters.
Hier geht es weiter: Britische Aesthetic movement und Arts and Crafts-Bewegung
Die Ausstellung organisiert das Material in sieben Kapiteln: Auf die Ursprünge folgt das Manifest, dann werden die Themen Geschichte, Natur, Errettung („Salvation“) und (weibliche) Schönheit zusammengefasst, die Kapitel Paradies und Mythologien beziehen sich auf die späten Werke der Arts and Crafts-Bewegung der 1880er und 1890er Jahre sowie die Historienbilder von Edward Burne-Jones. Die Schau verbindet zwar Gemälde mit Grafiken, Fotografie, Skulptur und angewandter Kunst (Bücher, Möbel), die Malerei steht jedoch unangefochten im Zentrum des Interesses. Kurze und informative Einführungen begleiten jedes Kapitel, in denen die Werke in chronologischer Reihung aufeinanderfolgen. So gelingt den Kuratoren einerseits ein entwicklungsgeschichtlicher Überblick, der sich gleichzeitig auch als ein Aufarbeiten der bevorzugten Themen gestaltet. Im Katalog schreiben Alison Smith über die Maltechniken der Präraffaeliten und Elizabeth Prettejohn über die Ausstellungserfolge und die Kunstkritik.
Zusammenfassend lässt sich die Position der Präraffaeliten als gleichermaßen modern wie rückwärtsgewandt beschreiben. Veränderung durch Inspiration aus der Geschichte und Überzeugungskraft aus einer frappierend realistischen Schilderung könnte anfangs ihr Motto gewesen sein. Im Laufe der Jahre veränderte sich die Bewegung und wurden variantenreicher: Bilder wunderschöner Frauen, fantasievolle Märchenwelten, mittelalterliche Epen und die Verbindung von Kunsthandwerk und Malerei führten gegen Ende des Jahrhunderts gleichermaßen zur Flucht vor der Realität in eine andere Wirklichkeit wie auch zum Erproben neuer ästhetischer Ausdrucksmöglichkeiten. Ausstellung wie Katalog geben einen wunderbaren Überblick!