Berlinde De Bruyckere (*1964, lebt und arbeitet in Gent, Belgien) gehört zu den bedeutendsten internationalen Bildhauerinnen der Gegenwart. Die faszinierenden und zugleich aufwühlenden Skulpturen der Künstlerin gehen den Betrachter:innen sprichwörtlich „unter die Haut“. In ihrem Schaffen spielt der Mensch mit seinen physischen und seelischen Verwundungen eine zentrale Rolle.
„Die Haut umschließt die Seele.“ (Berlinde De Bruyckere)
Deutschland | Remagen:
Arp Museum Bahnhof Rolandseck,
Neubau EG
3.7.2022 – 8.1.2023
Berlinde De Bruyckeres 34 in Remagen ausgestellte Werke sind Zeugnisse einzigartiger emotionaler Tiefe. Sie berühren uns in ihrer Verletzlichkeit und Melancholie, bewegen sich zwischen Vitalität und Tod, Harmonie und Deformation, Figürlichkeit und Abstraktion. Sie sind Zeugnisse sichtbarer und spürbarer Verwandlungsprozesse menschlichen sowie tierischen Lebens. Berlinde De Bruyckere verleiht ihnen eine geradezu sakrale Aura.
Dabei setzt sich die Künstlerin in ihrem Schaffen ausgiebig mit antiken Mythologien und christlichen Themen auseinander und adaptiert diese in die Gegenwart, die lebendiger nicht sein könnte. Ganz im Sinne des Ausstellungstitels „PEL / Becoming the figure“ nähert sie sich durch unterschiedliche Herangehensweisen dem Werden ihrer Skulpturen. Die Palette reicht dabei von der Hülle, die einen Körper formt, über dessen Fragmentierung bis hin zu ausgeformter Körperlichkeit. Dabei gerät das Thema der Sexualität, insbesondere das weibliche Geschlecht in den Fokus der Künstlerin.
Die Darstellung der menschlichen Figur beruht bei De Bruyckere auf klassischen Gestaltungsprinzipien. Dabei spielt die Wahl des Materials Wachs, das malerisch von ihr bearbeitet wird, für die Realistik ihrer Skulpturen eine entscheidende Rolle. Besonders in einigen Werken werden Körperfragmente zu definierenden Elementen. Oftmals stark deformiert erinnern sie an fleischige Klumpen und verlangen den Rezipient:innen ein hohes Maß an Unerschrockenheit und empathischem Wahrnehmungsvermögen ab.
Die Unmittelbarkeit ihrer Werke verdankt sich der engen Zusammenarbeit mit einer Reihe von Tänzer:innen, mit denen die Künstlerin seit 2008 kooperiert. Allen voran der portugiesische Tänzer Romeu Runa (*1978, lebt und arbeitet in Brüssel), der während der Ausstellung im Arp Museum zwei Tanz-Performances aufführen wird. Im Miteinander von bildender Kunst und Tanz zeigt sich, wie Körperhaltungen zutiefst ergreifende innere Verfassungen offenbaren.
Eine besondere Bedeutung innerhalb des Werks von Berlinde De Bruyckere kommt seit 1999 dem Pferd zu. Ihre Faszination gilt der Schönheit, der Beseeltheit und Stärke dieser Tiere. Die intensive Beschäftigung mit historischem Bildmaterial des Archivs des In Flanders Fields Museum in Ypern, führte ihr das grausame millionenfache Schicksal der Pferde als Opfer auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs vor Augen. Auf der Basis abgegossener Körper sind eindrückliche und berührende Skulpturen entstanden.
Neben Berlinde De Bruyckeres kreatürlich-skulpturalen Werken spielen Zeichnungen eine bedeutende Rolle. Für die Rolandsecker Ausstellung sind 10 neue Papierarbeiten entstanden, die zwischen Collage und Relief changieren. Sie faszinieren mit ihren feinen Liniengespinsten, floralen Mustern und ihrer zarten wie subtilen Farbigkeit.
In Korrespondenz zu den Zeichnungen beeindruckt eine große textile Arbeit aus gebrauchten und verwitterten Decken mit unterschiedlichem Dekor und Farben. Sie erinnert an abgenommene Fresken, die die Künstlerin reliefartig zueinander komponiert. Sie beschwören aber auch den Menschen, den sie einst geschützt gewärmt und umhüllt haben. Sie sind Zeugnisse unbekannter Biografien und unbestimmter menschlicher Lebensbedingungen.
Im Zwischenreich auf den Rheinhöhen zwischen Himmel und Erde nehmen die lichtdurchflutenden Räume des Richard Meier Baus Berlinde De Bruyckeres Verlebendigungen des Leidens, der Versöhnung, der Hoffnung, des Mitfühlens mit einer großzügigen architektonischen und versöhnlichen Geste auf. Hier verwandelt sich das Erschreckende einmal mehr in das Schöne und Erhabene.
Quelle: Arp Museum