Verena Dengler beschäftigt sich in der MAK-Galerie mit Anna O., jener Patientin, mit der laut Sigmund Freud die Psychoanalyse begann. Hinter dem berühmten Pseudonym steckt Bertha Pappenheim (1859-1936), eine Wiener Jüdin, 1904 Begründerin und erste Präsidentin des Jüdischen Frauenbundes (JFB), passionierte Sammlerin von filigranen Spitzen. 1935 schenkte sie bei einem Wien-Besuch dem MAK ihre über Jahrzehnte in ganz Europa zusammengetragene Sammlung an Häckel-, Klöppel- und Nadel-Spitze. Verena Dengler stellt dieser privaten Sammelleidenschaft ihre höchst eigene Mode- und Textilsammlung gegenüber: Spitze mit Darstellungen der Menora oder dem doppelköpfigen Reichsadler trifft auf eine in China produzierte, vulgo gefakte Coco Chanel-Tasche und jüngst aufgesticktem Pappenheim-Porträt, T-Shirts mit Logo und Aufdrucken auf Plakate, Laura Ashley Polster auf eine Art-and-Craft-Tapete mit psychedelischem Muster, Porzellanfiguren aus Asien auf Spielzeughelikopter und Banküberfall.
Österreich / Wien: MAK-Galerie
19.6. - 6.10.2013
Die von Verena Dengler im wörtlichen Sinne als Parcours inszenierte Schau, verwebt Objekte der Pappenheim-Sammlung mit eigenen „Originalen“ (auch als solche gekennzeichnet, sic!), sozialistische Plakatwerbung der Volksbildung regiert auf Pappenheims Engagement für die Verbesserung der gesellschaftlichen Situationen der jüdischen Frauen, aber auch marktkonforme Laura Ashley Designs mit psychedelischem Tapetenmuster aus England. Abrupte Wendungen sind fast schon ein Markenzeichen der jungen Wiener Künstlerin, wenn beispielsweise ein McDonalds Poster auf Arbeiterkammersujets trifft und klassische „Ordnungsstrategien“ permanent und konsequent unterlaufen werden.
Letzteres bezieht sich auch auf das System Museumsausstellung: Der Parcours besteht aus Displays, die im Weg stehen, die – wie die im Raum verteilten Paravants – mehr verstecken als präsentieren. Das Ordnungssystem wird von der Präsentierplattform plötzlich zum Hindernis. Die Künstlerin zwingt die Besucher_innen diese Sockel und Stellwände zu umkreisen, Bezüge selbst herzustellen. Desgleichen macht Dengler auch mit den Labels, wenn sie die Informationsschilder mit Magneten an die metallenen Stützen befestigt. Hier wird nicht geklebt und fixiert, sondern die Beweglichkeit der Zuschreibungen sichtbar gemacht, aber auch das Gemachte als solches offenbart und Fehler wie Korrekturen als subjektive Setzungen markiert.
Verena Dengler gelingt es ausgesprochen gut, den schwierigen, längsgerichteten Raum mit ihrer Installation zu bespielen. Den Beginn macht beispielsweise der Hinweis auf die Erfindung der „Energieferien“ im Oktober 1973, als die OPEC-Staaten anlässlich des Jom-Kippur-Krieges durch Verringerung von Erdöllieferungen in den Westen die sog. Ölkrise (1973 und erneut 1979/80) auslösten. Bertha Pappenheim hatte sich bis zu den Nürnberger Gesetzen (15. September 1935) als kritische Stimme gegen den Zionismus und damit die Auswanderungsbestrebungen ihrer Glaubensbrüder und –schwestern nach Israel geäußert. Kurz vor ihrem Tod verschärfte sich jedoch die politische Lage für Juden in Deutschland derart, dass sie ihre Haltung änderte. Die Gründung des Staates Israel und der Nahostkonflikt sollen bis in unsere Tage Folgen der nationalsozialistischen Ausgrenzungspolitik sein. Der Jom-Kippur-Krieg ist heute sicher weniger Teil des kollektiven Gedächtnisses als die viel beschworene Ölkrise. Just in dieser Zeit wurde jedoch jene schulfreie Woche im Februar eingeführt, die bis heute unter dem Namen Semesterferien das österreichische Arbeits- und Urlaubsleben strukturiert.
Dengler schreibt die wichtigsten Fakten zur Einführung der Energieferien auf ein Werbeplakat für Edison-Glühlampen. Dahinter hängt sie eine Lampe der vorletzten Jahrhundertwende (um 1900) an das von Industrial Design geprägte Leuchtensystem des MAK-Kellergeschosses (Peter Noever) und stattet das wenig elegant verkabelte Neo-Biedermeier-Stück mit Energiesparlampen aus. Design und wirtschaftlich-politische Notwendigkeiten treffen im MAK-Haushalt ungebremst aufeinander. Die Installation durchwandernd, wird man immer wieder Verweise auf das eine oder andere Thema der Ausstellung finden – jüdische Geschichte, Volksbildung, persönliche Sammelleidenschaft, das Etablieren von eigenen Narrativen in privaten Zusammenstellungen und scheinbar objektive Museumsbeschriftungen. Dieses Beziehungssystem erlaubt einen unhierarchischen Zugang, werden Objekte nicht in direkte Nachbarschaft zueinander gestellt und damit räumlich und inhaltlich in Beziehung zueinander gesetzt, sondern erst im prozessualen Erfassen der Ausstellung durch die Besucher_innen vielleicht gedanklich miteinander verknüpft.
„Anna O. lernt denglisch in den Energieferien“ ist eine Ausstellung über Irrtümer und privates Zusammenführen und institutionelles Ordnen, durchsetzt mit einem guten Schuss Ironie und Humor. Nur warum Anna O. in den Energieferien denglisch lernen soll, erschließt sich nicht. Ist aber ein gutes Wortspiel!
Eröffnung: 18.6.2013 durch Christoph Thun-Hohenstein (Direktor) und Janina Falkner (Kuratorin)
1981 in Wien geboren
2001–2003 Wiener Kunstschule (Abteilung Druckgraphik)
2003–2009 Akademie der Bildenden Künste, Wien
2006 Erasmus Semester, Slade School of Art, UCL, London