- Karl Wilhelm Diefenbach, Villa Imperiale, Detail, um 1900, Öl auf Leinwand, 88 x 193 cm, Foto: Alexandra Matzner © Belvedere, sammlung schmutz, wien
Karl Wilhelm Diefenbach
Wer war Karl Wilhelm Diefenbach?
Karl Wilhelm Diefenbach (Hadamar 21.2.1851–15.12.1913 Capri) war ein deutscher Maler des Symbolismus und Sozialreformer. Als „Vegetarianer-Apostel“ bezeichnet, wurde er zum ersten Künstlerpropheten Deutschlands. Diefenbach gilt als „Urvater der Alternativbewegungen“ und einer der bedeutendsten Vorkämpfer der Lebensreform, der Freikörperkultur und der Friedensbewegung. Seine Landkommune Himmelhof in Wien Ober Sankt Veit (1897–1899) war Vorbild für die von seinem Schüler Gusto Gräser gegründete Reformsiedlung Monte Verità bei Ascona, die auch als „Gral der Moderne“ bezeichnet wird.
Kindheit und Ausbildung
Karl Wilhelm Diefenbach wurde am 21. Februar 1851 in Hadamar geboren. Sein Vater Leonhard Diefenbach, der als Zeichenlehrer am Hadamarer Gymnasium arbeitete, erteilte ihm den ersten künstlerischen Unterricht, während Diefenbach zunächst auf das Gymnasium ging.
Von der ländlichen Kleinstadt bei Frankfurt am Main zog Karl Wilhelm Diefenbach 1872 nach München, wo er sich an der Akademie der Bildenden Künste einschrieb. Schnell stellte er unter Beweis, dass er nicht nur ein meisterhafter Zeichner war, sondern auch ein begabter Porträtist.
1873 zog er sich eine schwere Typhuserkrankung zu und musste mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen. Während der Behandlung entwickelte sich eine Thrombose im rechten Oberarm. Durch den erforderlichen operativen Eingriff wurde Diefenbach stark in Mitleidenschaft gezogen und war fortan in seiner malerischen Tätigkeit eingeschränkt. Er ließ sich in seinem Elternhaus pflegen und kehrte erst im Mai 1874 zur Wiederaufnahme seiner Studien nach München zurück. Allerdings setzte sich sein gesundheitlicher Leidensweg fort, begleitet durch die schwere Erkrankung seiner Mutter. Dies veranlasste ihn, seine Eltern und Geschwister trotz der hohen Kosten rasch nach München zu holen. Sechs Wochen später starb die Mutter, bald darauf auch der Vater, woraufhin Diefenbach depressiv wurde.
Dank zahlreicher Porträtaufträge konnte sich Karl Wilhelm Diefenbach finanziell über Wasser halten. Doch von Kopfschmerzen und anhaltender schlechter Gesundheit geplagt, musste er sich 1878 erneut in ein Münchner Krankenhaus begeben. 1879 verbrachte er sein letztes Jahr an der Akademie. In seinem „Lebensbericht“ heißt es: „Von sieben Jahren, während welcher er an der Münchner Akademie eingeschrieben war, brachte er kaum sieben Monate in derselben zu.“1
Mittlerweile war er eine Liaison mit der ebenfalls kränklichen Magdalene Atzinger eingegangen, die im Dezember 1880 den gemeinsamen Sohn Helios (1880–1950) zur Welt brachte. Diefenbach nannte ihn nach dem griechischen Sonnengott. Der Mutter erklärte er, dass eine Ehe für ihn nicht in Betracht käme. Das kränkliche Kind aber wollte er mit Naturheilkunde aufpäppeln. Zu den verwendeten Methoden gehörten Sonnenbäder2 und Sondernahrung. Dies rettete zwar das Kind, die zerrüttete Beziehung der Eltern führte allerdings zu einem heftigen Konflikt zwischen Vater und Sohn, der sich bis zum Tod Diefenbachs ins Unermessliche steigerte.
Eduard Baltzer, Prophetentum und Offenbarung
Wenngleich Diefenbach von seiner künstlerischen Begabung überzeugt war, fühlte er sich doch von seinem schlechten Gesundheitszustand beeinträchtigt und begann, auf seine Ernährung zu achten. In dieser Zeit stieß er auf Bücher von Eduard Baltzer, der in den späten 1860er Jahren die vegetarische Bewegung in Deutschland eingeführt hatte (ab 1867).3 Weder die Texte und Theorien von Friedrich Schleiermacher, Ludwig Feuerbach, Richard Wagner oder Friedrich Nietzsche erregten und fesselten Diefenbachs Aufmerksamkeit, sondern die Person und Schriften des zum Propheten gewordenen abgewiesenen Theologen Baltzer.4 Dessen spätere Selbststilisierung zum „Propheten” und christlichen Reformer veranlasste Diefenbach, auch bei sich eine solche Berufung anzunehmen.
Baltzer veröffentlichte die Vorträge, die er vor seiner Freireligiösen Gemeinde hielt, in vier Bänden unter dem Titel „Alte und Neue Welt-Anschauung“ (1850–1859).5 In ihnen befasste er sich nicht nur eingehend mit der Bedeutung der Kunst als Erzieherin des Menschen, sondern auch mit „neuen Propheten“. Der dritte Band war ausschließlich diesem Thema gewidmet.
Aufgrund seines sich verschlechternden Gesundheitszustands und familiärer Verluste hatte sich Diefenbach mittlerweile von der konservativen katholischen Frömmigkeit gelöst, mit der seine Eltern ihn erzogen hatten. Im April 1881 hielt er in Frankfurt am Main eine Rede vor dem Freidenkerkongress. Etwa zur selben Zeit trat Diefenbach der Freireligiösen Gemeinde München bei und fasste kurz darauf, am 22. Mai 1881, den Entschluss, mit Baltzer persönlich in Kontakt zu treten. Er schrieb ihm einen Brief, in dem er den fast 67-Jährigen bat, seinen eigenen kleinen Sohn, Helios, zu sich zu nehmen. Baltzer lehnte ab. Als Atzinger gegen Ende des Jahres verkündete, erneut schwanger zu sein, spitzten sich die Dinge zu: Am 27. Januar 1882 ging der unglückliche Diefenbach die standesamtliche Ehe mit ihr ein – wohl nur, um seinen Kindern auch offiziell einen Vater zu geben. Unmittelbar nach der Trauung flüchtete er auf den Hohen Peißenberg, wo er schließlich seine Offenbarung hatte. Als er vom Berg hinuntergestiegen war, legte er die Kutte eines Propheten an und ging fortan barfuß.
Diefenbach in München und in der Einöde Höllriegelskreuth
Am 11. Februar 1882 brachte Diefenbach die Vision, die er auf dem Hohen Peißenberg gehabt hatte und die sein Leben radikal verändern sollte, zu Papier. Sie nahm die Form eines langen Gedichts mit dem Titel „Sonnen-Aufgang“ an, das vermeintlich mit den folgenden, ebenso verheißungsvollen wie häretischen Zeilen endet:
„Ich sah mein Kind mit Riesenstärke / kämpfen gegen Wahn und Lüge, sah der Wahrheit Morgenröte, / sah der Menschlichkeit erwachen, sah die Menschheit / gottbefreit!“6
Knapp zwei Monate später gründete Diefenbach den Verein „Menschheit” in München und trat am 19. Mai 1882 dem Deutschen Freidenkerbund bei, der von dem darwinistischen Schriftsteller Ludwig Büchner geleitet wurde. Diese Organisation galt als progressiver als die Freireligiöse Gemeinde, aus der Diefenbach am 16. Januar 1882 ausgetreten war. Doch spätestens im April des folgenden Jahres hatte er auch diese wieder verlassen.
Mittlerweile wohnte Diefenbach in Schwabing, dem Münchner Künstlerviertel. Im Oktober 1884 hielt er den ersten seiner kontroversen Vorträge, die ihn bekannt machten. Unter dem Titel „Über die Quellen des menschlichen Elends, Krankheit, Armut und Verbrechen und deren Beseitigung durch naturgemäße Lebensweise” wetterte er gegen all diejenigen, die Fleisch aßen und Alkohol tranken, und prangerte die Schulmedizin, insbesondere den „Impfzwang”, an.7 Sein Wirken war allerdings ebenso wenig politisch wie das Baltzers.
Innerhalb von acht Monaten wurden Diefenbachs Vorträge von den Behörden als unmoralisch verboten. In dieser Zeit hatte er zudem mit dringlicheren weltlichen Problemen zu kämpfen: Er kam zu dem Schluss, dass eine Auflösung seiner Ehe unumgänglich sei, reichte die Scheidung ein und beantragte das Sorgerecht für seine Kinder. Am 12. Februar 1885 musste Diefenbach in dieser Sache vor Gericht erscheinen. Als Rache für die Scheidungsklage entführte seine Ehefrau und Mutter des Kindes Helios vom Babysitter. Diefenbach ging zur Polizei. Schon bald bekam die Klatschpresse Wind von der Geschichte: Am 21. Februar brachte die „Neue Freie Volks-Zeitung” auf ihrem Titelblatt die Schlagzeile „Der Vegetarianer-Apostel Carl Wilhelm Diefenbach und sein (ihm geraubtes) Kind” mit einer großen Abbildung von Vater und Sohn.
Im Juli 1885 zog Karl Wilhelm Diefenbach in ein verlassenes Arbeiterhaus in einem ehemaligen Steinbruch in Höllriegelskreuth im Münchener Umland. Seine ungeliebte Ehefrau zog mit den beiden gemeinsamen Kindern ebenfalls dorthin, wie auch einige Jünger, darunter Elisabeth Guttzeit, die von Diefenbach den Spitznamen „Fidelis [die Getreue]” erhielt. Am 10. September schloss sich deren Bruder Johannes Guttzeit Diefenbachs Kommune an. Er kleidete sich sofort in eine ähnliche Kutte, wurde Diefenbachs Sekretär und begann das HUMANITAS-Tagebuch zu führen.8 Diefenbach forderte von seinen Jünger:innen absoluten „Gehorsam“ und sah sich als einen charismatischen „Führer“, der „mit übernatürlichen, übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften“ ausgestattet sei.
Obwohl Magdalene im Oktober 1886, nach Tochter Stella, Diefenbachs drittes Kind, den Sohn Lucidus, zur Welt brachte, kam sie nur hin und wieder nach Höllriegelskreuth. Diefenbach hatte für sie und die Kinder eine andere Wohnung angemietet.
Werke
Kindermusik
Karl Wilhelm Diefenbach war mit den fotografischen Entwicklungen seiner Zeit überraschend gut vertraut. Er besaß eine Kamera, die er in seine künstlerische Arbeit integrierte. Unter anderem fotografierte er seine Kinder, wie sie nackt im Freien spielten. Angeregt von diesen Fotografien schuf er eine Reihe von Silhouetten, die er als „Kindermusik“ (1881–1886) bezeichnete. Sie wurden vermutlich in erster Linie von den damals populären Schattenrissen des Silhouettenschneiders Paul Konewka inspiriert und weniger von künstlerischen Arbeiten von Philipp Otto Runge oder Adolf von Menzel. Der Kunstverleger Theodor Stroefer war so begeistert von ihnen, dass er Diefenbach im Februar 1886 eine Anzahlung in Höhe von 1.500 Mark für die Rechte an diesen Silhouetten zukommen ließ, um sie als Mappenwerk zu veröffentlichen. Mithilfe dieses Geldes konnte Diefenbach die Werkstatt seiner Kommune ausbauen und seinen Wohnbereich mit bequemen Möbeln ausstatten. Aus Stroefers Projekt wurde jedoch nichts: Erst Jahre später brachte der Verleger Benedictus Gotthelf Teubner eine zwölf Blätter umfassende Mappe der „Kindermusik“ heraus und veröffentlichte 1912 auch die erste Hälfte von „Göttliche Jugend“ (1873–1909), eine weitere Silhouetten-Serie Diefenbachs, die aus 40 Blättern besteht. Diese beiden Werkgruppen waren die Vorläufer des monumentalen Frieses „Per aspera ad astra [Durch Mühsal zu den Sternen]“ (1892).
Hugo Höppener, alias Fidus
Am 30. April 1887 schrieb sich Hugo Höppener für die Vorschule der Akademie der Bildenden Künste ein. Aufgrund seiner langen Haare wurde er dort mit dem Ausruf „Jesses, a Diefenbacher!” empfangen. Seine Neugier war geweckt und am 18. Juli 1887 machte er sich auf den Weg nach Höllriegelskreuth, um den besagten „Apostel” kennenzulernen. Er fasste auf der Stelle den Entschluss, sich Diefenbach anzuschließen und brach sein Studium an der Akademie ab, noch bevor es richtig begonnen hatte. Da Diefenbach durch die Operation seines Arms weiterhin in seiner Fähigkeit zum stetigen Zeichnen und Malen eingeschränkt war und es um seine Gesundheit erneut nicht zum Besten stand, half Höppener ihm zunächst bei der Ausarbeitung der Zeichnungen für die Kindermusik-Mappe. Diese „wunderschöne Reihe musicierender und tanzender Kindergestalten” fand er, wie er später schrieb, „schon fast fertig, aber sozusagen der Reinschrift harrend, vor”. Der ältere Künstler war dabei mehr als nur ein Lehrer für Höppener: Er war sein spiritueller Meister, und jeder seiner Wünsche war ihm Befehl. Wie er in diesem Jahr in einem Brief an seine Mutter schrieb, entsprach sein „Verhältnis zum Meister […] in allen Stücken dem von Christus und seinen Jüngern“. Aufgrund dieser Haltung wurde er von Diefenbach bald „Fidus [der Getreue]” genannt.
Nudistenprozess und erste Ausstellung
Im Sommer 1888 beobachtete die Polizei, wie Diefenbach und Fidus in der Einöde von Höllriegelskreuth nackt auf der Terrasse saßen und an den „Kindermusik“-Bildern arbeiteten. In Sichtweite spielte der ebenfalls unbekleidete Helios. Diefenbach und Fidus wurden daraufhin des „groben Unfugs” angeklagt. Im wahrscheinlich ersten Nudistenprozess der deutschen Geschichte wurden sie zu jeweils sechs Wochen Haft verurteilt, Fidus zusätzlich zu drei Wochen und zwei Tagen – unter anderem, weil er den Gerichtssaal barfuß betreten hatte. Es ist nicht bekannt, ob und wie lange sie tatsächlich im Gefängnis saßen. Das Ergebnis war, dass erneut Gerüchte über Diefenbach in München die Runde machten, die diesmal eine homoerotische Komponente hatten.
Im Bewusstsein, dass die Gesellschaft ihre Haltung ihm gegenüber nicht grundsätzlich veränderte, sah Diefenbach in den über ihn publizierten Schmähreden die Möglichkeit, sie für seine eigenen propagandistischen Zwecke zu instrumentalisieren. Er präsentierte sich in allen folgenden Publikationen als gemarterter Künstler-Prophet. Fidus brachte zwei Flugblätter über Diefenbach heraus, die zweifellos unter dessen Aufsicht entstanden: zur „Rettung KARL WILHELM DIEFENBACH’s und seiner Kinder“ (1888, 16 Seiten) und das etwas kürzere „WO IST DIEFENBACH? Verteidigung des in Wehrlosigkeit Angegriffenen“9 (1889).
Fidus organisierte im Frühjahr 1889 mithilfe seiner Mutter Diefenbachs erste Einzelausstellung. Zwei Monate lang war sie in den Räumen der Kunstgewerbehalle in der Münchner Theatinerstraße zu sehen, begleitet von einer „umfangreiche Druck- und Pressepropaganda“. In Presse wurde der Begriff „Kohlrabi-Apostel“ geprägt, während die Münchner Gesellschaft ihn für „verrückt“ erklärte. Differenzen über die Verwendung der Ausstellungseinnahmen und die erdrückende Persönlichkeit Diefenbachs führten Anfang Juni 1889 zu einem Bruch zwischen Meister und Jünger, um sich dem okkultistischen Schriftsteller und Theosophen Wilhelm Hübbe-Schleiden (1846–1916) anzuschließen.
Dorfen
Im April 1890 musste Diefenbach Höllriegelskreuth verlassen, da das Gelände von einem Unternehmen erworben worden war, das dort ein Elektrizitätswerk für München bauen wollte. Diefenbach zog in ein Haus in Dorfen, das er mit dem Erbe seiner am 9. September 1890 verstorbenen Frau finanzieren konnte.
Vom 19. Dezember 1890 bis zum 4. Januar 1891 kam Fidus nach Dorfen, um an der Organisation einer zweiten Ausstellung von Diefenbachs Werken in München mitzuarbeiten. Der Künstler arbeitete in dieser Zeit auch intensiv an „Per aspera ad astra“. Im August 1891, wurde die Diefenbach-Ausstellung in der Münchener Löwengrube eröffnet und ein kleiner Katalog dazu herausgegeben. Ausgestellt war u.a. „Das wiedergefundene Paradies, das ist das Leben in Uebereinstimmung mit der Natur“, ein Zyklus von 24 teils unvollendeten Gemälden, von denen drei nicht ausgestellt waren. Die Schau fiel ob des Entwurfsstadiums der Werke in der Kritik durch, so argumentierte Wilhelm Bölsche mit dem „Aposteldrang der Zeit“ – ob „Tolstoi“, „Nietzsche“, oder „Johannes Guttzeit“.
Sensationserfolg in Wien
Trotz aller Mängel der Münchener Präsentation hatten die zahlreichen Pressenotizen Moriz Terke, den Leiter des Österreichischen Kunstvereins, auf Diefenbach aufmerksam werden lassen. Terke lud Diefenbach zu einer umfassenden Schau nach Wien ein. Am 18. Dezember 1891 machte sich der Künstler zusammen mit seinen Kindern auf die Reise. in Wien brachte er in nur 44 Tagen das zustande, was ihm seine Gesundheit bislang „angeblich“ versagt hatte: er stellte elf großformatige Gemälde für die Ausstellung fertig. Die Persönlichkeit und Kunst Diefenbachs riefen eine Flut von Presseartikeln hervor und führten zu einem Sensationserfolg mit mehr als 100.000 Besucher:innen und einer Laufzeit von neun Monaten10:
„Die grösste Künstlerische Zugkraft Wiens ist gegenwärtig Meister Diefenbach mit seinen Werken im Kunstverein. Und das interessanteste Ausstellungsobject in diesen Räumen ist ohne Zweifel der ,meister‘ selbst. […] auf seinem ‚Christuskopfe‘ wächst das Haar in ungestörter Wildheit und fällt mit der Ungezähmtheit der Löwenmähne auf die weite graue Kutte herab, […] Christus und Diefenbach, das sind überhaupt jene zwei Erscheinungen, welche den Maler am meisten beschäftigen: ihre Köpfe, mit absichtlicher Aehnlichkeit nebeneinander gestellt, kehren immer wieder; […] Das effectvollste Ereignis in den Ausstellungssälen aber ist es, wenn sich die thür des Ateliers öffnet und Diefenbach’s langbehaartes Haupt selbst sichtbar ist. Gern erzählt der Dulder dem staunenden publicum die Leidensgeschichte seiner Bekehrung zum paradieszustand.“ (in: Bohemia, 11. März 1892)
Terke überredete Adolf Eckstein, den Herausgeber des prächtigen „Künstler-Albums“, Diefenbach in die in Vorbereitung befindliche Ausgabe von 1892 aufzunehmen. „Ueberdies wurden bis zur Eröffnung seiner Ausstellung im oesterreichischen Kunstverein mehrere grosse Gemälde neu aus- geführt, so dass am 18. Februar d. J. im Kunstverein eine Collection von 91 nummern, theils Visionsbilder und Phantasiegemälde, theils Porträts, Farbenskizzen, Studien und Entwürfe, zur öffentlichen Anschauung gelangte.“11
Das Ausstellungsprojekt stand allerdings inhaltlich unter keinem guten Stern. Terke hatte sich geweigert, den monumentalen Fries „Per aspera ad astra“ auszustellen. Kurz vor der Ausstellungseröffnung bat Diefenbach Fidus, nach Wien zu kommen, um ihm nun bei der Fertigstellung der Monumentalfassung zu helfen. Diefenach hoffte, den Fries in der „Musik- und Theaterausstellung“ präsentieren zu können, was zu einem weiteren Zerwürfnis mit Terke führte. Aber auch mit Fidus entspannte sich die Situation nicht: Bis 1911, dem 60. Geburtstag des Meisters, diskutierten sie die Urheberschaft des Werks. Fidus verzichtete schlussendlich auf seinen Beitrag, wodurch „Per aspera ad astra“ zu einem Werk Diefenbachs wurde.
Im November 1892 verließ Diefenbach Wien und zog ins nahegelegene Baden. Im leer stehenden „Curhaus“-Gebäude wurde der 68 Meter lange Fries im Januar 1893 endlich präsentiert. im Sommer dieses Jahres gelang es dem Künstler auch, ein großformatiges aufklappbares Buch mit Reproduktionen des gesamten Frieses und einem begleitenden Gedicht von epischer Länge – „Per Aspera Ad Astra. Ein Lebensmärchen“ – herauszugeben.
Hütteldorf bei Wien
Im August 1894 zogen Diefenbach und seine Anhänger in eine unbewohnte Villa in Hütteldorf am Stadtrand von Wien. Der junge Maler František Kupka und der spätere Kunstkritiker Arthur Roessler schlossen sich bald der Kommune an. In „Mein Verhältnis zu dem „Oesterreichischen Kunstverein“ in Wien. Zur Rettung meiner mir entwundenen und zur executiven Feilbietung ausgeschriebenen Gemälde. Ein Beitrag zur Geschichte der zeitgenössischen Kunstpflege“ (1895) versammelte der Künstler auf mehr als 600 Seiten die Kritiken seiner Ausstellung, vermutlich die erste Rezeptionsgeschichte, die ein Künstler selbst herausgegeben hat. Sowohl bei dem Buchprojekt als auch seinen Gemälden waren Diefenbachs Jünger tatkräftig involviert. In einem Brief an seine Eltern berichtete Roessler am 15. Mai 1895 von der Kommune in Hütteldorf:
„Ich hatte Gelegenheit zu beobachten das [sic] D. den gewagtesten Humbug treibt, – er schauspielert in vollkom[m]ener Weise. Besuchern erklärt er, auf ein Visions-Gemälde zeigend, mit röchelnder Stim[m]e u. zuckendem Antlitz das [sic] er dieses Gemälde mit dem letzten Aufgebot aller seiner Kräfte, schmerzbebenden Leibes u. zitternden Händen geschaffen, u. mit welch unsäglichen seelischen u. körperlichen Qualen er die technischen Feinheiten hineingebracht. – Während dasselbe Bild von Kupka angefangen u. von Maixner fast vollendet wurde. – Was würdet ihr da wohl an meiner Stelle empfinden u. denken. Dabei ist der Mann von einer fast lächerlichen persönlichen Eitelkeit. – ich will euch diesbetreffend nur einen Fall erzählen. – er dictirte [sic] mir den 2ten Band seines Buches ‚mein Verhältnis zum öster.-Kunst Verein‘ als die Tochter des Hausbesorgers eintrat […] – der ‚meister‘ nikte [sic] mit dem Haupte u. zu mir gewendet sprach er: ‚Wir unterbrechen jetzt unsere Arbeit, mir schwirrt so schon der Kopf u. gar wenn die Weiber herein kom[m]en kann man nichts machen. – ich werde etwas klavierspielen währenddessen sie die Schriftbogen ordnen kön[n]en.‘ […] ich sage ja euch, wenn man anfangen wollte zu erzählen man fände kein Ende mehr.“ 12
Ägypten
Nachdem Karl Wilhelm Diefenbach sein Buch veröffentlicht hatte, verließ Wilhelm diefenbach im Sommer 1895 Wien und die Kommune, wanderte über die Alpen und machte sich anschließend auf den Weg nach Ägypten. Dort arbeitete er an Plänen für den Bau eines gigantischen Gemeindetempels in Form einer Sphinx. Unterwegs las er, Leo Tolstois „Traktate an seine Jünger“.
Himmelhof in Wien
Gegen Ende des Jahres 1897 kehrte Diefenbach nach Wien zurück und gründete in Ober-St.-Veit mit dem „Himmelhof“ eine neue Kommune. Zu den etwa 24 Mitgliedern, die dort für etwa zwölf Monate lebten, zählte auch Gusto Gräser.
Erst 1898 konnte der Künstler-Prophet den 68 Meter langen Fries schließlich zusammen mit Dutzenden anderen Gemälden in Wien präsentieren. Die Ausstellung wurde am 20. März im Keller eines Hauses an der Ecke Seilergasse/Spiegelgasse im ersten Bezirk eröffnet. Im Katalog waren einmal mehr die übliche Darstellung der Nöte des Künstlers die üblichen Zeitungsartikel versammelt. Zwei Jahre später kehrte Diefenbach dem deutschsprachigen Europa für immer den Rücken – nicht ohne einen Schuldenberg zurückzulassen. Um diese zu tilgen, wurden viele seiner Gemälde verkauft; andere gingen einfach verloren.
Capri
1900 ließ sich Karl Wilhelm Diefenbach auf Capri nieder, wo er weiterhin Künstlerisch tätig war, bis er 13 Jahre später starb.
Tod
Karl Wilhelm Diefenbach starb am 15. Dezember 1913 auf Capri.

