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John Coplans: Körper als Protest Fotografierte Körper-Selbst-Bilder der 1980er und 1990er

John Coplans, Frieze No. 6, 1994, Silbergelatinepapier (Albertina, Wien).

John Coplans, Frieze No. 6, 1994, Silbergelatinepapier (Albertina, Wien).

Rund um die in den 1980ern und 1990ern entstandenen Körper-Selbst-Bilder von John Coplans (London 24.6.1920–21.8.2003 New York) entwickelt Walter Moser, Sammlungskurator für Fotografie an der Albertina, eine spannende Ausstellung zum Thema „Körper als Protest“. Die ca. 40 Foto- und Videoarbeiten von Vito Acconci, Miyako Ishiuchi, Robert Mapplethorpe, Bruce Nauman, Ketty La Rocca, Hannah Villiger, Hannah Wilke und John Coplans kreisen um Selbstinszenierung und Körpersprache, Alter und Krankheit, arbeiten oftmals mit Fragmentierungen. Coplans nimmt unter den acht Künstler_innen eine Sonderstellung ein, war er doch Kunsttheoretiker, Museumsdirektor und Künstler in einer Person.

John Coplans Körperbilder zwischen Inszenierung und Bloßstellung

Als John Colpans sich nach über 20-jähriger Arbeit als Gründer und Herausgeber des Artforum (1962-1977), als Kunsttheoretiker und Museumsdirektor 1979 der Fotografie zuwandte und fast im selben Moment das Schreiben aufgab1, war er 60 Jahre alt. Inspiriert durch Lee Friedlander hatte sich Coplans der Fotografie zugewandt und, bevor er sich selbst abzulichten begann, Street Photography sowie Landschaft als Themen verworfen. Erst mit dem Fotografieren seiner Hände, Füße und seines Rückens fand er jenen Arbeitsprozess und jene Motive, die ihn bis zu seinem Lebensende faszinieren sollten. Erst ab 1984 fotografierte Coplans seinen Körper mit Hilfe einer Assistentin sowie einer Videokamera und einem Fernseher. Im Schnitt entstanden in der Folge nicht mehr als neun Bilder pro Jahr. Nichts lenkt den Blick von dem behaarten, alternden, männlichen Körper ab, denn Coplans findet seine teils komplexen Posen im Studio vor neutralem Hintergrund. Die Abwesenheit des Kopfes hat zur Folge, dass der wichtigste Hinweis auf die Identität des Abgebildeten fehlt. Die Größe der Abzüge und Tiefenschärfe der Aufnahmen sind neben einer präzisen Ausleuchtung und dem Einsatz von Schwarz-Weiß Film wichtige formale Aspekte von Coplans Körperbildern. Der Künstler arbeitet mit seinem Körper als formbare Masse, quetscht sein Fleisch, und schonungslos breitet er seine faltig gewordene Haut, die verformten Fußnägel vor den Betrachter_innen aus. Durch das Fragmentieren der Ausschnitte, die ungewöhnlichen Blickwinkel und das Zusammenstellen von mehreren Aufnahmen zu Bildern – zum Teil auch zu filmisch wirkenden Friesen – verunklären sich die abgebildeten Situationen.

 

 

„Old is ugly“ – Coplans und Mapplethorpe

Erst ab Ende der 1980er Jahre begannen sich Ausstellungen und Museumsankäufe von Coplans Bildern zu häufen. Allzu neu war wohl seine Auseinandersetzung mit seinem alten Körper, entgegen der langen Tradition des klassischen, athletischen und jungen Männeraktes. Gestochen scharf inszeniert Coplans seine „Unzulänglichkeiten“, wobei es ihm, wie Moser in seinem Katalogbeitrag schlüssig erläutert, nicht um eine Erforschung des Selbst geht. Der Künstler begehrt gegen das Diktum „old is ugly“ auf. Er setzt seinen Körper gegen den Schönheitskult der Werbung aber vielleicht auch gegen die dunkelhäutigen Modelle von Robert Mapplethorpe ein. Letzterer ist in der Ausstellung mit drei fragmentierten Körperbildern vertreten. Hier zeigt sich der Jugendkult bis in die letzte Pore der Haut verwirklicht, der Blick gleitet wohlwollend voyeuristisch über einen jungen Männerrücken. Eindeutig, das ist ein Akt – Coplans ist hingegen nackt! Die Persönlichkeit bleibt bei beiden Künstlern ausgespart. Bei beiden dürfte Nacktheit als eine Metapher für Freiheit zu lesen sein: Mapplethorpe inszeniert vornehmlich farbige Modelle und überschritt damit nicht nur das Tabu öffentlicher Nacktheit. Coplans rebelliert wohl auch gegen den eigenen Körper, dennoch dürfte die politische Dimension – das Zuschaustellen eines gealterten Körpers als effektive Waffe gegen traditionelle Wertevorstellungen – nicht unterschätzt werden.

 

Körpersprache und Tanzhaltungen

Während John Coplans Körperbilder mit leisen Gesten arbeiten, sind die Körperbeobachtungen von Miyako Ishiuchi (* 1947) deutlich einer tänzerischen Haltung geschuldet. Die japanische Fotografin dokumentierte in „1906 to the Skin“ den Alterungsprozess des 87-jährigen Butoh Tänzers Kazuo Ohno. In subtilen Grautönen schildert Ishiuchi die pergamentartige, faltige Haut über dem schlanken Körper. In einigen Aufnahmen kommt sie dem Männerkörper so nahe, dass die Textur der Haut mit ihren Altersflecken wie eine lose Bespannung über einem geschrumpften Inneren wirkt.

Das Wissen darüber, dass der Körper nicht nur den Sprechakt hervorbringt, sondern selbst Teil desselben ist, lässt sich in der bildenden Kunst seit den 60er Jahren nachweisen. Die ältesten Arbeiten der Ausstellung schuf Bruce Nauman, der in seinen bahnbrechenden Videos, seinen Körper als Material entdeckte. Der Schöpfer und das Geschaffene fallen ineinander. Vito Acconci zupft sich in „Openings“ die Haare rund um seinen Nabel aus und verändert sein Aussehen von einem männlichen zu einem weiblich konnotierten. Hannah Wilke verformt in „Gestures“ ihr Gesicht zu einer Unzahl von Grimassen. Dass ihre Hände mit dem Antlitz nicht gerade fein umgehen, lässt sich mit dem gesellschaftlichen Zwang der Selbstrepräsentation in Verbindung bringen. Eine Frauenhand zwischen zwei Männerhänden vollführt in Ketty La Roccas (1938-1976) Arbeit „You You“ (1974) einen „Tanz“ der Macht. Je nach Handhaltung und Position der Frauenhand zu den Männerhänden verändert sich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern: Die Assoziationen reichen von Schutz zu Rebellion und Kampf gegen die „Rahmenbedingungen“. Zu den Bedingungen weiblichen Lebens zählte die jung verstorbene Künstlerin die Sprache, weshalb sie neue Ausdrucksmöglichkeiten über den Köper suchte. Hannah Villiger (1951-1997) meinte über ihre selbst geschossenen Selbstbildnisse, dass sie ihr intimster Partner und ihr offensichtlichstes Sujet sei. Mit ihrer Polaroid-Kamera würde sie ihrem nackten, bloßen Körper zuhören, sein Äußeres, sein Inneres durchlaufen. Von 1981 bis zu ihrem Tod 1997 nahm Villiger Fotografien von sich selbst auf, immer eine Armlänge von sich entfernt, immer fragmentiert bis zur Unkenntlichkeit und in Serien montiert.

 

 

Der Körper als Protest

Walter Moser stellt John Coplans in das Zentrum der Schau in der Säulenhalle und arrangiert rund um dessen Arbeiten einige ältere und jüngere Künstler_innen, um das Potenzial der „Körperarbeit“ auszuloten. Im Kontext der Body Art von Vito Acconci, Bruce Nauman oder Hannah Wilke und Ketty La Rocca wird deutlich, wie formalistisch Coplans Arbeiten schlussendlich sind. Die Gegenüberstellung mit dem Werk von Robert Mapplethorpe zeigt die Auseinandersetzung Coplans mit dem Alter. Miyako Ishiuchis Aufnahmen dokumentieren zwar ebenfalls einen verwelkenden Männerkörper, sie wirken hingegen manchmal weniger direkt, die Ausleuchtung nicht so brutal wie in den Fotografien John Coplans. Die Ausstellung spannt ein hochinteressantes Netz aus künstlerischen Positionen, die einander in Manchem erhellen, in Anderem abstoßen, in Einigem entsprechen.

 

  1. John Coplans verfasste 1980 seinen letzten Artikel über Philip Guston.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.