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Die Gründung der Albertina Zwischen Dürer und Napoleon

Anonym, Herzog Albert von Sachsen-Teschen mit dem Plan der Schlacht von Maxen, 1777, Albertina, Wien (Dauerleihgabe des Kunsthistorischen Museums Wien, Gemäldegalerie).

Anonym, Herzog Albert von Sachsen-Teschen mit dem Plan der Schlacht von Maxen, 1777, Albertina, Wien (Dauerleihgabe des Kunsthistorischen Museums Wien, Gemäldegalerie).

„Die physischen Dinge wirken auf die Sinne. Die Eindrücke dieser Dinge rufen im Verstand die Wahrnehmung derselben hervor. Der Verstand befasst sich mit seinen Wahrnehmungen nur auf dreierlei Weise, gemäß seinen drei Hauptfähigkeiten: Gedächtnis, Vernunft, Einbildung.“1 (Denis Diderot)

„Zwischen Dürer und Napoleon“ siedelt die Albertina ihre eigene Gründungsgeschichte an. Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738–1822) stieg am Wiener Hof vom Offizier zum Ehemann von Erzherzogin Marie Christine (1742–1798), der Lieblingstochter von Maria Theresia, auf. Entlang ihrer Biografien entwickelt Kurator Christian Benedik anhand von ca. 400 Werken Leben und Wirken des umtriebigen Sammlerehepaars. Vier Räume durchbrechen die Chronologie der Ereignisse, um die wichtigsten Erwerbungen des Herzogs zu präsentieren: Dürers berühmter „Feldhase“ und seine Betenden Hände“ sind genauso zu sehen wie Blätter von Leonardo, Michelangelo und Raffael, Pieter Bruegel d.Ä., Rubens und Rembrandt. Gegen Lebensende überrascht der Herzog mit dem Ankauf von zeitgenössischen Künstlern wie Johann Heinrich Füger, Jacques-Louis David und Caspar David Friedrich.

 

Ein Herzog und eine Erzherzogin

Dass der heute so berühmte Sammler Herzog Albert von Sachsen-Teschen die nach ihm benannte Albertina überhaupt aufbauen konnte, hatte er dem Geld seiner Angetrauten, Erzherzogin Marie Christine von Habsburg-Lothringen, zu verdanken. Als im adeligen Sinne mittellos, weil weder über Geldeinkünfte noch Landbesitz verfügend, kam der junge Offizier 1760 zu einem Verwandtenbesuch nach Wien. Seine Mutter war Maria Josepha von Habsburg und eine Cousine von Maria Theresia. Sie war seit 1719 mit Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen, als polnischer König August III., verheiratet (→ Rembrandt – Tizian – Bellotto).2

Als dreizehntes Kind und sechster Sohn des Königspaares wurde Prinz Albert Kasimir im Kadettenkorps der sächsischen Armee ausgebildet und im Jahr 1754 zum Ehrenoberst in Dresden ernannt. Er war begabt in Geometrie und Mathematik und interessierte sich für Festungswesen. Sein Spezialgebiet war die Triangulation, die für Landvermessung und Entfernungsberechnungen wichtig war, was ihn für eine Karriere bei der Armee empfahl. Als Prinz Albert 1760 nach Wien kam, nahm sich Maria Theresia mütterlich um ihren Großneffen an. Am 15. Mai 1760 wurde er Oberstinhaber des Kalkreuthschen Regiments, wodurch ihm ein geregeltes Einkommen beschert war. Die militärische Karriere von Albert fand im Jahr 1794 ihren Höhepunkt, als er zum Reichsfeldmarschall gegen die Truppen von Napoleon ernannt wurde.

Im Gegensatz zu Prinz Albert, der zwar aus einer königlichen Familie stammte aber über kein Vermögen verfügte, war Erzherzogin Marie Christine eine Tochter von Maria Theresia und Kaiser Franz I. Stephan von Habsburg-Lothringen. Das 1762 ausgeführte „Doppelporträt“ von Jean-Étienne Liotard (1702–1789) zeigt die Eltern repräsentativ in Pastell auf kostbarem Pergament. Der als „Holbein des Pastells“ bekannte Schweizer war eine europäische Berühmtheit und bereits 1742 zum ersten Mal nach Wien gereist, wo er enthusiastisch gefeiert worden war. Das zwanzig Jahre später bei seinem zweiten Wien-Aufenthalt ausgeführte Bildnis kann als eines der Hauptwerke der Pastellmalerei und der Bildniskunst des 18. Jahrhunderts bezeichnet werden.3

 

Ein in der Schau darauf folgendes Antependium für die Wallfahrtskirche in nach Mariazell ist eine Kopie nach dem 1794 eingeschmolzen Original von Balthasar Ferdinand Moll (1803 von einer Tochter Maria Theresias gestiftet). Es zeigt Profilporträts der „Familia Augusta“ in Medaillons, über denen die Kronen von Ungarn, dem Hl. Römischen Reich und Böhmen positioniert sind. Das Objekt aus dem Hofmobiliendepot in Wien ist ein beredtes Zeugnis vom Stand und vom in der Öffentlichkeit verbreiteten Selbstbild der kaiserlichen Familie. Als sechstes Kind4 von Maria Theresia und Franz I. Stephan rangiert die Erzherzogin interessanterweise in der obersten Reihe rechts außen.

Porträts von einem anonymen Künstler aus der Schule des Martin van Meytens sowie von Marcello Bacciarelli lassen eine selbstbewusste, junge Frau erkennen, die selbst gerne zeichnete. Ihre eigenen Werke sind im adeligen Milieu angesiedelte Genreszenen, in denen die zeitgenössische Briefkultur und versteckt amouröse Geschichten die Hauptrollen zu spielen scheinen. Herzog Albert war auf die Zeichnungen seiner Frau so stolz, dass er sie unter den Meisterzeichnungen seiner Sammlung ausstellte.

 

Eine fast morganatische Ehe

Die Liebesbeziehung zwischen Erzherzogin Marie Christine und Prinz Albert begann 1764, nachdem sie sich – wohl mit Hilfe einer Intrige ihres zukünftigen Gatten – ihres Schwarms Ludwig Eugen von Württemberg beraubt sah. Nachdem Marie Christine ihr Herz für Prinz Albert entdeckt hatte, weihte sie ihre Mutter ein. Als Lieblingstochter war Marie Christine als einzigem Kind eine Liebesheirat vergönnt. Doch erst der überraschende Tod von Franz I. Stephan am 18. August 1765 in Innsbruck machte den Weg für die Hochzeit frei. Kaiser Joseph II. willigte in die Ehe ein, da er Prinz Albert sehr schätzte. Um den sächsischen Prinzen für die Trauung in eine zumindest standesgemäße Position zu erheben, wurde Prinz Albert noch im Dezember 1765 zum Feldmarschall und zum Statthalter in Ungarn ernannt. Ebenso erhält das Paar den Titel und das Kronlehen Teschen in Böhmen als „Mitgift“. Der Ehevertrag hält zudem fest, dass Prinz Albert in die Familie der Habsburg-Lothringer einheiratet und nicht umgekehrt, damit die Erzherzogin ihren Titel behalten konnte. Maria Theresia sorgte zudem für eine reiche Ausstattung der Mitgift, was unter den Geschwistern für Unmut sorgte. Allein das „Porträt der Erzherzogin“ vom Meister des Erzherzoginnenporträts, das um 1765 entstanden sein dürfte, zeigt Schmuck im Wert von etwa einer halben Million Gulden (heute: ca. acht Millionen Euro). Die am 6. April 1766 in aller Diskretion veranstaltete Vermählungsfeier in Schlosshof fand noch während der einjährigen Hoftrauer für Franz I. Stephan statt, weshalb nur das Brautpaar und Kaiser Joseph II. nicht in Schwarz gekleidet an der ausladenden und mit Goldgeschirr gedeckten Tafel sitzen. Ein Gemälde von Johann Carl Auerbach aus dem Jahr 1773 hält fest, dass nur die Geschwister des Brautpaares an der u-förmigen Tafel Platz genommen haben. Die Brautmutter Maria Theresia weilt nicht unter den Anwesenden.

 

 

Eine Grand Tour mit vielerlei Folgen

Zehn Jahre nach ihrer Eheschließung reisten Marie Christine von Jänner bis Juli 1776 durch Italien. Vielleicht war die Reise angeregt durch den Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing, der vor dessen eigener Grand Tour 1775 bei dem Paar in Wien und Preßburg weilte. Das Paar verfolgte eine Vielzahl von Zielen, darunter Verwandtschaftsbesuche in Florenz, Modena, Parma und Neapel, das Überbringen von Botschaften und die Besichtigung von Sammlungen sowie von militärischen Befestigungsanlagen. Herzog Albert bestieg zudem mit Lord William Hamilton den Vesuv und ließ sich in die Vulkanologie einweisen. Zudem wollte der Herzog sich für seine freimaurerischen Brüder in Neapel einsetzen, das von einem Neffen Alberts, König Ferdinand I., und dessen erster Gemahlin Maria Karolina, der Schwester Marie Christines, regiert wurde.

Kunstwerke wie die Landschaftsgemälde von Jakob Philipp Hackert und Michael Wuttky stehen stellvertretend für die italienischen Regionen, die das Paar bereiste, aber auch für seine einsetzende Sammeltätigkeit. Königin Maria Karolina schenkte ihrer Schwester zur Abreise Gemälde von Hackert, der in Paris bei einem der Kunstagenten des Herzogs, dem Kupferstecher Johann Georg Wille (Porträt von Jean-Baptiste Greuze, 1763), ausgebildet und protegiert worden war.5 Die Gemälde Michael Wuttkys mit den dramatisch beleuchteten Ausbrüchen des Vesuv oder Rom-Veduten von Giuseppe Vasi gehörten um 1800 zu den beliebtesten Erinnerungsstücken Italienreisender und waren nicht nur im Gepäck des Statthalterpaares zu finden.
Eine Kopie der „Kauernden Venus“ verweist auf die römische Antikensammlung im Museo Pio Clementino. Das Museum war 1771 von Clemens XIV. gegründet worden und die erste öffentliche Sammlung der Stadt am Tiber. Der Cortile delle statue war der zentrale Ort, an dem sich die berühmtesten Antiken befanden. Erst Papst Pius VI. ließ Räume für eine Neupräsentation errichten. Diese wie auch der Katalog wurden durch die Schriften des bereits verstorbenen, päpstlichen Antiquars Johann Joachim Winckelmann (1717–1768; Porträt von Angelika Kaufmann, 1764) beeinflusst, der wie Herzog Albert von Sachsen-Teschen Freimaurer war und eine Ordnung nach Schulen und Alter propagierte. Die „Erfindung des Museums“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wodurch fürstliche Kunst- und Wunderkammern in ihrer repräsentativen Funktion abgelöst wurden, verband eine Demonstration adeliger Pracht mit den aufkommenden aufklärerischen Ideen, Sammlung von Kunstwerken und Büchern als Werkzeuge der Erziehung zu verwenden.6 Die Sammlungsobjekte und ihre Aufbewahrungsorte wechselten ihren Status von Kuriositäten oder bewunderten Meisterleistungen in Kabinetten zu wissenschaftlich geführten Museen und Bibliotheken.

Die wichtigste Entscheidung neben der Gründung der Albertina war jedoch die Adoption von Erzherzog Karl durch Erzherzogin Marie Christine. Eine Zeichnung von Franz Xaver Sambach zeigt den „Großherzog Leopold mit seiner Familie“ (um 1775). Marie Christine entschied sich für den dritten Sohn von Leopoldo della Toscana, den späteren Kaiser Leopold II. Durch die Adoption ihres Neffen wurde die Linie Teschen weiter erhalten. In Marie Christines Testament von 1791 setzte sie Albert als Universalerbe ein, dieser musste aber Karl wiederum als seinen Erben bevollmächtigen. Herzog Albert akzeptierte das Vermächtnis seiner Frau, wodurch im Titel und Geld blieben. Der nunmehrige Kaiser Leopold II. akzeptierte diese Entscheidung zugunsten seines Sohnes nur zu gerne. Karl übersiedelte noch im gleichen Jahre zur weiteren Ausbildung nach Schloss Laeken in den Österreichischen Niederlanden.

 

 

Die Gründung einer königlichen Sammlung

Vermutlich war es Marie Christine, die ihren 1766 angetrauten Gemahl zum Sammeln von Kunst animierte, indem sie ihm im gleichen Jahr noch eine erste Druckgrafik schenkte. Alberts neue Stellung als Feldmarschall und Statthalter von Ungarn mit Residenz in Preßburg ermöglichte ihm bereits zehn Jahre später eine eigene Sammlung zu begründen. Bereits 1774 beauftragte er Conte Durazzo mit dem Aufbau einer Druckgrafiksammlung. Am 4. Juli 1776 übergab ihm der österreichische Botschafter in Venedig, Giacomo Conte Durazzo, über 1000 Kupferstiche nach berühmten Gemälden und verfasste die Gründungsurkunde. Dass Herzog Albert das von Durazzo abgesteckte Ziel verließ, ist eine der Gründe, warum die Albertina heute zu den bedeutendsten Museen der Welt zählt: Anstelle einer Kunstgeschichte in Druckgrafiken begann der Herzog bald bildmäßig ausformulierte Handzeichnungen zu erwerben. Doch auch diese neue Ausrichtung wurde von ihm mit größtem Engagement verfolgt, wollte er doch v.a. aus der italienischen und der deutschen Schule, ergänzt durch die niederländisch-flämische und deutlich weniger der englischen und französischen, herausragende Werke der wichtigsten Künstler ihrer Zeit gewinnen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1822 kaufte der Herzog rund 200.000 Druckgrafiken, 14.000 Zeichnungen und etwa 25.000 Bücher.

 

 

Die enzyklopädische Herangehensweise zeichnet Herzog Albert als einen Sammler des 18. Jahrhunderts aus, als die Kunstgeschichte erfunden und die Welt in Ordnungssystemen aufgearbeitet wurde. Neben der Sammlung an Handzeichnungen und Druckgrafiken stellte er eine Bibliothek von etwa 25.000 Bänden zusammen, die nach dem Ersten Weltkrieg zerstreut wurde. Der Bibliothekskatalog gewährt auch heute noch einen Überblick über die Sammlungsinteressen von Erzherzogin und Herzog. Die wichtigsten Bücher zur Ästhetik, Kunstgeschichte, Nationalökonomie usw. sind:

  • „Nathan der Weise“ und „Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie“ (1766) von Lessing, sowie den
  • Gesamtausgaben von Goethe und Schiller,
  • Johann Joachim Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Alterthums“ (1764) und seine „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in Malerey und Bildhauerkunst“ (1755),
  • Edmund Burkes „A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful“ (1757),
  • aber auch die Abhandlung „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ des schottischen Ökonomen Adam Smith sowie
  • die berühmte „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une Societé de Gens de lettres“ (ab 1751) von Diderot und d`Alembert.

Gedächtnis, Vernunft und Einbildungskraft sind nach Diderot die Grundsteine für alle Kenntnisse. Damit ist auch der Geschichte ein wichtiger Platz im Erkenntnisgewinn zugeschrieben. Vielleicht lässt sich so auch die Hinwendung des Herzogs zur Handzeichnung begründen, lässt sich doch an ihr die Handschrift eines Meisters (oder seltener einer Meisterin) am direktesten studieren. „Die physischen Dinge wirken auf die Sinne. Die Eindrücke dieser Dinge rufen im Verstand die Wahrnehmung derselben hervor. Der Verstand befasst sich mit seinen Wahrnehmungen nur auf dreierlei Weise, gemäß seinen drei Hauptfähigkeiten: Gedächtnis, Vernunft, Einbildung.“7 (Denis Diderot) Herzog Albert, der dieser Hauptmaxime der Aufklärung wohl gefolgt ist, trug seine Sammlung daher nicht mehr aus repräsentativen Gründen zusammen, sondern er verfolgte ein ähnlich ambitioniertes Projekt wie Diderot und d`Alembert mit ihrer „Enzyklopädie“. Er hatte ein ausgeprägtes Interesse für Kartographie dennoch kaum exotische, vorgeschichtliche oder ethnologische Sammlungsobjekte (Man erinnere sich an die drei Reisen von Thomas Cook in den Pazifik und den Erwerb der Artefakte durch die kaiserliche Familie!).8 Herzog Albert und Erzherzogin Marie Christine verfolgten das Ziel, nichts weniger als das Wissen resp. die Kunst bis zu ihrer Zeit zusammenzutragen. So verwundert nicht mehr, dass sich der Herzog auch der zeitgenössischen Kunst zuwandte und er Werke auch der neuesten Strömungen – Neoklassizismus, Romantik, Biedermeier – erwarb.

Vermutlich noch durch Maria Theresia kam das Paar in Besitz eines außergewöhnlichen, silbernen Prunkservices von Ignaz Joseph Würth (1779–1782), das in der Ausstellung in einigen Stücken zu bewundern ist. Ein Besuch bei Marie Christines Schwester, Marie Antoinette, in Paris 1786 gab dem Statthalterpaar die Möglichkeit, Louis-Seize Möbel in den königlichen Manufakturen in Paris und Versailles anfertigen zu lassen. Marie Antoinette mochte ihre ältere Schwester Marie Christines nicht, echauffierte sich über die mickrigen Mitbringsel, ließ sich verleugnen und gewährte keinen Zugang zum berühmten Hameau in Versailles. Um den Verwandten zu zeigen, was Kunstförderung in Frankreich bedeutete, schenkte sie ihnen eine Serie an Wandteppichen aus der königlichen Gobelin-Werkstatt. Der heute im KHM verwahrte Teppich „Don Quichotte kämpft gegen Windmühlen“ (1776–1779) aus einer Serie über den spanischen Buchhelden beeindruckt genauso wie der Prunktisch (Guérion) aus der Königlichen Porzellanmanufaktur Sèvres (vor 1786).

 

Herzog Albert und sein Netzwerk aus Freimaurern

Bereits vor seiner Hochzeit war Herzog Albert von Sachsen-Teschen in die Dresdner Freimaurerloge „Zu den drei goldenen Schwertern“ aufgenommen worden. Ihm stand so ein europaweit agierendes Netzwerk aus Diplomaten, Militärs, Kunsthändlern, Dichtern und Künstlern zu Verfügung, derer sich der Herzog gerne bediente. So waren die Schriftsteller Friedrich Schiller und Gotthold Ephraim Lessing oder der Kunsthistoriker und Archäologe Johann Joachim Winckelmann Mitglieder der Freimaurer. Weitere Freimaurer aus dem Umfeld Alberts sind sein Kunstexperte Giacomo Conte Durazzo, sein Kunsthistoriker Adam von Bartsch, die Kupferstecher Jacob Matthias Schmutzer und Georg Wille, der Maler Heinrich Friedrich Füger, der Kunsthändler Pasquale Artaria.

Obwohl Herzog Albert und seine Gattin nie autonome Regenten waren, pflegten sie einen äußerst luxuriösen Lebensstil, was sich auch in ihren Residenzen wiederspiegelte. Im Jahr 1780 wurden sie als Statthalter der Österreichischen Niederlande auf Lebenszeit bestellt und bauten sich Schloss Laeken in Schoonenberg. In diesem Schlossbau, der seit 1830 von der belgischen Königsfamilie bewohnt wird, zeigt sich der freimaurerische Geist des Bauherrn. Da Erzherzogin Marie Christine als Statthalterin ihres Bruders Joseph II. hauptverantwortlich war, konnte Herzog Albert sich sowohl dem Aufbau der Grafiksammlung als auch dem Bau widmen. Im Jahr 1781 wurde der Grundstein gelegt. Sowohl der Architekt Charles De Wailly wie auch der Bauplastiker Gilles-Lambert Godecharle gehören dem mansonischen Bund an. Die ständigen Korrekturen des Bauherrn führten jedoch bald zum Zerwürfnis mit De Wailly, wonach der Bau von Louis Montoyer fertiggestellt wurde. Der Landschaftsgarten basiert auf Entwürfen des Briten Lancelot „Capability“ Brown.

Als Kaiser Franz II. 1795 ein Verbot der Freimaurer erließ, musste auch Herzog Albert schwören, keiner geheimen Organisation anzugehören. Er sah es wohl als einen „formalen Schritt“ an und blieb den „toleranten Werten der freimaurerischen Gemeinschaft verbunden“9. Dennoch blieb Herzog Albert den Grundsätzen der Vereinigung treu, deren Mitglieder sich innerhalb ihrer Gemeinschaft in den Idealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität übten.

 

Die Französische Revolution als Wendepunkt

Um die Brutalität der Französischen Revolution in der Ausstellung optisch umzusetzen, wählte Kurator Christian Benedik ein äußerst drastisches Mittel: Er ließ eine undatierte Illustration der Enthauptung von Ludwig XVI. 1793 auf dem Place de la Revolution als Wandtapete aufkaschieren. Der abgetrennte Kopf des ehemaligen Monarchen wird dem Volk präsentiert, „darunter“ erstrahlt eine marmorne Büste von Marie Antoinette, deren Leben einige Monate später auf die gleiche Art beendet werden wurde. Kupferstiche aus der vorrevolutionären Zeit thematisieren die Rechtlosigkeit und Armut der Bauern und Bürger, während Adel und Klerus auf ihrem Rücken feist werden.

Der autoritäre Führungsstil von Kaiser Joseph II., seine Reformen und die Erfolge der Französischen Revolution führten in den Österreichischen Niederlanden bald zu Unruhen und Aufständen, die im November 1792 in der Schlacht von Jemappes gipfelten. Herzog Albert von Sachsen-Teschen unterlag mit dem österreichischen Heer den französischen Revolutionsheeren. Das Paar suchte quasi über Nacht sein Heil in der Flucht; es konnte noch drei Schiffe mit ihren Habseligkeiten beladen lassen und zumindest zwei davon nach Dresden bringen. Wie auch schon 1789 wollte das Statthalterpaar nach Wien fliehen, wurde jedoch vom neuen Kaiser Franz II. in ihre Schranken verwiesen. Er befahl eine Rückkehr ins besetzte Brüssel, weshalb Marie Christine und Albert sich nach Sachsen wandten und sich für fast ein Jahr in Dresden aufhielten.

Erst nachdem Marie Christine am Wiener Hof durch Kaiser Franz II. zugesichert worden war, dass sie als Prinzessin des Hauses Habsburg Aufnahme fände, konnte sie mit ihrem Gemahl nach Wien kommen. Hier wurde ihnen das Palais auf der Augustinerbastei überlassen, das Albert nach den Koalitionskriegen für seine Bibliothek und Grafiksammlung adaptieren ließ. Das kinderlose Paar widmete sich nun gänzlich seinen privaten Vergnügungen, unter denen das Sammeln von grafischen Blättern die wichtigste war. Sie kauften nun nicht mehr einzelne Blätter, sondern gingen dazu über, ganze Sammlung – wie jene des Leipziger Bankiers Gottfried Winkler (Porträt von Johann Friedrich August Tischbein, 1757) oder des Wiener Adeligen Moritz Graf Fries (Porträt von Anton Graff, 1796) – zu erwerben. Ein Tausch von Kunstwerken mit Kaiser Franz II. brachte Herzog Albert 1796 in den Besitz der Dürer-Zeichnungen eines „Feldhasen“ (→ Albrecht Dürer: Feldhase, 1502), der „Betenden Hände“ und des „Rasenstücks“. Ziel war offensichtlich ab diesem Zeitpunkt, eine enzyklopädische Vollständigkeit an Meisterzeichnungen zu erreichen.

 

 

Nachruhm und Nachfolge

Erzherzogin Marie Christine verstarb am 24. Juni 1798 im Alter von 56 Jahren in Wien. Herzog Albert ließ ihr das erste Monument für eine Frau in der Residenzstadt erreichten (→ Antonio Canova. Grabdenkmal für Erzherzogin Marie Christine). Der berühmte italienische Bildhauer Antonio Canova schuf für die „beste Frau“ (so die Inschrift) in der angrenzenden Augustinerkirche eine Grabpyramide mit einem imposanten Trauerzug. In den folgenden 24 Jahren, die Herzog Albert noch blieben, baute er die Albertina aus, organisierte seine Sammlung und verfügte, dass sie als unteilbares und unveräußerbares Gut an die nachfolgenden Herzöge von Teschen fallen würde. Mit Erzherzog Karl wurde der wichtige Feldherr und Sieger von Aspern zum Nachfolger als Statthalter der Österreichischen Niederlande und dem Erben der Sammlungen.

 

 

Zeichnungen der Albertina: Michelangelos Männerakte, der Dürer-Hase, Rembrandts Landschaften

Die Sammlung des Herzogs ist heute weltberühmt. Nicht nur der „Feldhase“ von Albrecht Dürer machen aus ihr einen einzigartigen Fundus schöner und bedeutender Handzeichnungen. Zu den Werken mit besonderer historischer Dimension zählt jene Zeichnung Raffaels, die sich 1515 im Besitz von Albrecht Dürer befand und von diesem beschriftet worden ist. Aber auch wichtige Druckgrafiken wie von Martin Schongauer oder Rembrandt van Rijn finden sich in ihr.

 

 

Zudem wird mit ihrem Sammlungskonzept, das die Werke in Schulen einteilt, ein Grundstein für die Etablierung eines kunsthistorischen Kanons gelegt: Auf die italienische Renaissance (Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarroti, Raffael) folgen das Barock (Canaletto (Giovanni Antonio Canal), Giovanni Battista Tiepolo, Barocci), dann die „Dürerzeit“ (Schongauer, Dürer, Grien) und die flämischen und niederländischen Meister vom 16. und 17. Jahrhundert (Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel der Ältere, Peter Paul Rubens, Rembrandt: Bosch Bruegel Rubens Rembrandt). Die französische Schule aus dem 18. Jahrhundert (Antoine Watteau. Der Zeichner, François Boucher, Jean-Honoré Fragonard, Natoire, Robert, Jean-Baptiste GreuzeFranzösische Zeichnung des Barock, Rokoko und Klassizismus in der Albertina) führt über zu den „Maîtres modernes“, darunter Johann Heinrich Füger, Jacques-Louis David, Caspar David Friedrich, Jakob von Alt und Heinrich Füssli. Mit einem großen Blatt von Caspar David Friedrich, ein Blick auf eine ruhige Küstenlandschaft mit aufgehendem Mond, schließt die Ausstellung.

 

 

„Die Gründung der Albertina“

Die opulente Schau bringt Teile des ehemaligen Hausrats von Erzherzogin Marie Christine und Herzog Albert von Sachsen-Teschen zum ersten Mal wieder in Wien zusammen. Während die Zeichnungskollektion durch eine Fideikomiß im Jahr 1816 vor Verkauf geschützt worden war, trennte sich der junge Staat Österreich in der Ersten Republik von den prunkvollen Möbelstücken, der Bibliothek, den Porträts und dem Zierrat. In der Albertina vor historisch genauen Tapetenmustern wiedervereint, geben sie heute einen beredten Einblick in höfische Kultur des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Dennoch sollte man nicht vergessen, am Ende den Prunkräumen noch einen Besuch abzustatten. Hier im ersten Stock waren die Wunderwerke der Künstler_innen präsentiert und bildeten mit den Seidenbespannungen sowie den Supraporten eine geschmackvolle Inneneinrichtung. Da zu Lebzeiten von Herzog Albert nur einem kleinen Kreis zugänglich, so erfüllt die Albertina erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts den aufklärerischen Wunsch nach Bildung der Bevölkerung. In ihrer inzwischen 505. Ausstellung widmen sich ihre Kuratoren den eigenen Wurzeln Ob man durch einen Besuch zu einem „vernünftigeren“ Menschen wird, mag dahin gestellt sein. Dass die Schau in ihrer Opulenz und Pracht beeindruckt, ein gelungener Effekt.

 

 

Literatur

  • Christian Benedik, Klaus Alberecht Schröder (Hg.): Die Gründung der Albertina. Herzog Albert und seine Zeit (Ausst.-Kat. Die Gründung der Albertina. Zwischen Dürer und Napoleon, Albertina, Wien 14.3.-29.6.2014), Ostfieldern 2014.
  • Jeffrey Collins: Marshaling the Muses: The Vatican's Pio-Clementino Museum and the Greek Ideal, in: Studies in the Decorative Arts, 16,1 (Fall–Winter 2008–2009) 35-63.
  • Denis Diderot: Prospekt der Enzyklopädie, in: Denis Diderot: Enzyklopädie, München 1969, S. 37,zit. n. Manfred Geier: Aufklärung. Das europäische Projekt, Hamburg 2012.
  • Walter Koschatzky: Jean-Etienne Liotard in Wien, in: Walter Koschatzky (Hg.): Maria Theresia und ihre Zeit, Salzburg 1979.
  • Eva Michel: Vielleicht die schönste und erlesenste in Europa. Die Sammlung Herzog Alberts von Sachsen-Teschen, in: Klaus Albrecht Schröder (Hg.): Die Gründung der Albertina. 100 Meisterwerke der Sammlung (Ausst.-Kat. Albertina, Wien 14.3.-29.6.2014), Wien 2014, S. 13-33.
  • Kim Sloan, Andrew Burnett (Hg.): Enlightenment. Discovering the World in the Eighteenth Century (Ausst.-Kat. The British Museum, London, 2003), Washington/London 2003.

Merken

  1. Denis Diderot: Prospekt der Enzyklopädie, in: Denis Diderot: Enzyklopädie, München 1969, S. 37,zit. n. Manfred Geier: Aufklärung. Das europäische Projekt, Hamburg 2012, S. 143.
  2. Seit 1697 war der Kurfürst in Personalunion auch zum König von Polen gekrönt worden. August der Starke (1696-1763), Vater von Friedrich August II. und somit Großvater von Herzog Albert, konnte diese beiden Würden auf sich vereinigen. Er regierte in Dresden und ließ es zum spätbarocken Zentrum ausbauen.
  3. Walter Koschatzky: Jean-Etienne Liotard in Wien, in: Walter Koschatzky (Hg.): Maria Theresia und ihre Zeit, Salzburg 1979, S. 310-315.
  4. → Maria Theresia: Kinder, Kunst und Kinofilm: Kinder von Maria Theresia und Franz I. Stephan: Maria Elisabeth (1737–1740), Maria Anna (1738–1789), lebte später in Klagenfurt, Maria Karolina, Joseph II. (1741–1790) ∞ 1760 Prinzessin Isabella von Bourbon-Parma, Tochter Herzog Philipps von Parma, Piacenza, Guastella; ∞ 1765 Prinzessin Maria Josepha von Bayern, Tochter Kaiser Karls VII., Maria Christina (1742–1798) ∞ 1766 Herzog Albert Kasimir von Sachsen-Teschen, Maria Elisabeth (1743–1808), Äbtissin in Innsbruck, Karl Joseph (1745–1761), Erzherzog, Maria Amalia (1746–1804) ∞ 1769 Herzog Ferdinand von Parma, Sohn Herzog Philipps von Parma, Piacenza, Guastella, Leopold II. (1747–1792) ∞ 1765 Infantin Maria Ludovica von Spanien a.d. Haus Bourbon-Anjou, Tochter König Karls III., Maria Karolina (1748–1748) Erzherzogin, Johanna Gabriela (1750–1762) (verlobt) König Ferdinand I. von Bourbon-Sizilien, Maria Josepha (1751–1767) (verlobt) König Ferdinand I. von Bourbon-Sizilien, Maria Karolina (1752–1814) ∞ 1768 König Ferdinand I. von Bourbon-Sizilien, Sohn König Karls III. von Spanien, Ferdinand Karl Anton (1754–1806) ∞ 1771 Herzogin Maria Beatrice d’Este, Tochter Herzog Herkules’ III. von Modena-d’Este, Marie Antoinette (Maria Antonia) (1755–1793) ∞ 1770 Ludwig (1754–1793), Dauphin, seit 1773 als Ludwig XVI. König von Frankreich, Sohn des Dauphin Ludwig von Bourbon, Maximilian Franz (1756–1801), Erzbischof, Kurfürst von Köln.
  5. Wille belieferte den Herzog zwischen 1768 und 1774 über den Mittelsmann Jacob Matthias Schmutzer mit Kupferstichen. Schmutzer war seit 1766 Leiter der Wiener Kupferstecherschule. Siehe: Eva Michel: Vielleicht die schönste und erlesenste in Europa. Die Sammlung Herzog Alberts von Sachsen-Teschen, in: Klaus Albrecht Schräder (Hg.): Die Gründung der Albertina. 100 Meisterwerke der Sammlung (Ausst.-Kat. Albertina, Wien 14.3.-29.6.2014), Wien 2014, S. 13.
  6. Für das Museo Pio Clementino siehe: Jeffrey Collins: Marshaling the Muses: The Vatican's Pio-Clementino Museum and the Greek Ideal, in: Studies in the Decorative Arts, 16,1 (Fall–Winter 2008–2009) 35-63.
  7. Denis Diderot: Prospekt der Enzyklopädie, in: Denis Diderot: Enzyklopädie, München 1969, S. 37,zit. n. Manfred Geier: Aufklärung. Das europäische Projekt, Hamburg 2012, S. 143.
  8. Für einen Überblick über die englischen Sammelinteressen im 18. Jahrhundert ist noch immer empfehlenswert: Kim Sloan, Andrew Burnett (Hg.): Enlightenment. Discovering the World in the Eighteenth Century (Ausst.-Kat. The British Museum, London, 2003), Washington/London 2003.
  9. Christian Benedik, Klaus Alberecht Schröder (Hg.): Die Gründung der Albertina. Herzog Albert und seine Zeit (Ausst.-Kat. Die Gründung der Albertina. Zwischen Dürer und Napoleon, Albertina, Wien 14.3.-29.6.2014), Ostfieldern 2014, S. 232.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.